Kurt Lenk: Die Mitte

Der Essay Die Mitte - Zwischen Mythos und Leerformel von Kurt Lenk wurde vor einer halben Stunde im DeutschlandRadio...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

ver­le­sen, er ist in Gän­ze auf der Inter­net­sei­te dradio.de nachlesbar.

Ich emp­feh­le dem ein oder ande­ren drin­gend die Lek­tü­re. Der auch Kon­ser­va­ti­ve und Rech­te hin und wie­der ergrei­fen­de Drang zur “Mit­te” wird von unver­däch­ti­ger Sei­te als das ent­larvt, was er ist:  die Ver­drän­gung des Poli­ti­schen, eine gefähr­li­che Kon­sens-Sucht, ein Schwä­che­an­fall. Im einzelnen:

1. Die Ver­drän­gung des Politischen

Lenk zitiert den fran­zö­si­schen Poli­tik­wis­sen­schaft­ler Mau­rice Duver­ge, der von einem “natür­li­chen Phä­no­men des Dua­lis­mus der Par­tei­en” spricht. Die Mit­te als Ort einer Syn­the­se sei nur eine theo­re­ti­sche Mög­lich­keit. Poli­tik aber sei Han­deln, und vor jeder Hand­lung ste­he eine Wahl, das heißt: eine Ent­schei­dung. Das voll­stän­di­ge Zitat von Duverge:

Jede Poli­tik bedingt eine Alter­na­ti­ve zwi­schen zwei Lösun­gen, denn die ver­mit­teln­den Lösun­gen leh­nen sich an die eine oder ande­re an. Das besagt nichts ande­res, als dass es in der Poli­tik kei­ne Mit­te gibt. Es mag wohl eine Par­tei der Mit­te geben, aber kei­ne Rich­tung der Mit­te. Mit­te nennt man den geo­me­tri­schen Ort, an dem sich die gemä­ßig­ten der ent­ge­gen gesetz­ten Rich­tun­gen sam­meln … Jede Mit­te ist in sich selbst gespal­ten – die lin­ke und die rech­te Mit­te, denn sie selbst ist nur die künst­li­che Zusam­men­fas­sung des rech­ten Flü­gels der Lin­ken und des lin­ken Flü­gel der Rech­ten. Es ist die Bestim­mung der Mit­te, zer­teilt, hin und her gewor­fen, auf­ge­löst zu wer­den … Es ist der Traum der Mit­te, die Syn­the­se ent­ge­gen gesetz­ter Bestre­bun­gen dar­zu­stel­len, aber die Syn­the­se ist nur eine theo­re­ti­sche Mög­lich­keit. Das Han­deln ist ein Wäh­len, und Poli­tik ist Handeln.

Das bedeu­tet nichts ande­res, als daß in der Poli­tik auch “die Mit­te” letzt­lich ein poli­ti­scher, also pole­mi­scher Begriff ist: ein ver­schlei­ern­der Begriff zwar, aber einer, in des­sen Namen nicht weni­ger gerun­gen wird als im Namen von rechts oder links.

2. gefähr­li­che Konsens-Sucht

Kurt Lenk über­läßt der Poli­tik­pro­fes­so­rin Chan­tal Mouf­fe (West­mins­ter-Uni­ver­si­tät) den gan­zen Schluß­teil sei­nes Essays. Er zitiert gera­de­zu schmit­tia­ni­sche Stel­len aus ihrem Buch Das demo­kra­ti­sche Para­dox (2008), in dem Mouf­fe durch die Kon­sens-Sucht die Demo­kra­tie gefähr­det sieht. Zitat Mouffe:

Die Beson­der­heit der moder­nen Demo­kra­tie liegt in der Aner­ken­nung und Legi­ti­mie­rung des Kon­flikts und in der Wei­ge­rung, ihn durch Auf­er­le­gung einer auto­ri­tä­ren Ord­nung zu unter­drü­cken … Daher soll­ten wir uns vor der heu­ti­gen Ten­denz hüten, eine Poli­tik des Kon­sen­ses zu glo­ri­fi­zie­ren, die sich rühmt, die angeb­lich alt­mo­di­sche Poli­tik der Geg­ner­schaft von rechts und links ersetzt zu haben.

Das ist unmit­tel­bar ein­leuch­tend, und bei­na­he schon so etwas wie eine Bin­sen­weis­heit: Wer zur Mit­te drängt und sie als erreich­ba­res Ziel beschreibt, wird jeden, der auf “rechts” und “links” beharrt, mehr und mehr für anstren­gend, unver­nünf­tig, gefähr­lich, unein­sich­tig, unzu­rech­nungs­fä­hig hal­ten. Er stellt eine Norm auf und wird über kurz oder lang nicht mehr poli­tisch, son­dern mora­lisch argu­men­tie­ren. Kurt Lenk:

Ver­drängt man das Poli­ti­sche, so sucht es sich einen ande­ren Schau­platz. Abge­drängt durch einen ver­meint­lich auf dem Weg des Dia­logs her­ge­stell­ten Kon­sens sucht sich das unauf­ge­ar­bei­te­te Kon­flikt­po­ten­zi­al einen Aus­weg in mit­un­ter nicht mehr steu­er­ba­ren Situa­tio­nen, eine Dia­lek­tik, die eben das beför­dern hilft, was ver­mie­den wer­den soll­te: Dann erst wer­den Geg­ner zu Fein­den, deren Kon­flik­te womög­lich nur mehr durch Anwen­dung von Gewalt aus­ge­tra­gen wer­den können.

3. Schwä­che­an­fall

Nichts läßt sich durch Ver­schie­ben aus der Welt schaf­fen. Wer auf “Ruhe durch Ent­schär­fung” hofft und durch harm­lo­se Begrif­fe Kon­sens- und Anschluß­fä­hig­keit her­stel­len will, ver­la­gert den poli­ti­schen Kampf nur und zer­stört dabei auch noch sei­ne mög­li­che Klar­heit. Klar­heit und Offen­sicht­lich­keit sind jedoch die Grund­vor­aus­set­zung für die Hegung eines Kon­flikts. So gese­hen sind der Plan von der Abschaf­fung der poli­ti­schen Ver­or­tun­gen “rechts” und “links” und die Hoff­nung auf Kon­flikt­lo­sig­keit ein gefähr­li­cher Schwächeanfall.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (3)

Vulture

22. Februar 2009 21:12

Fragen eines Nicht-Geisteswissenschaftlers:

I. Wenn "die Mitte" ein politischer, polemischer Begriff ist, gegen wen richtet er sich? Gegen jeden der eine Position "hart" besetzt und hält/verteidigt? Was sagt das über die Seite, die diesen Begriff als politischen Begriff benutzt? Hat sie keine Position? Per se muss sie doch eine Position haben, sonst ist sie nicht politisch, oder? Wo liegt die?

II. -Verlagerung des politischen Kampfes- Wohin? Auf eine Ebene mit schwächeren Gegnern? Kann man mittels der Vermoralisierung und Verschleierung eines Konfliktes langfristig das eigene Lager vergrößern, ein unangreifbares, im Kern hochpolitisches Bündnis schaffen? Es wird versucht, oder? Mir gefällt der Begriff "Verlagerung" nicht so recht. Er ist abstrakt, theoretisch. Das beschäftigt mich jetzt. Ist es nicht auf der einen Seite ein Aufstauen, ein Kurz-halten solange es die Kräfteverhältnisse noch erlauben, technisch ein Vorspannen? Auf der anderen Seite ein temporäres Binden von potentiellen Gegnern als "Pseudo-Verbündete" (Ruhigstellung)? In allem jedenfalls ein abenteuerliches durchlavieren.

III. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Begriff "Mitte" aus tatsächlicher Harmlosigkeit der Protagonisten verwendet wird. Er soll diese Harmlosigkeit aber projezieren. Womit ich wieder bei I. bin: Wer und welches Motiv, damit welche Position steckt hinter dieser Projektion "Mitte"?

Guten Abend

Friedrich

23. Februar 2009 17:51

Positionen sind leere Worte, wenn nicht Personen und ihre Intentionen dahinterstehen. Die Lage eines Ortes auf dem Erdball wird durch Längen- und Breitengrade angegeben, eine willkürlich festgelegte Einteilung der (fast-)kugeligen Oberfläche.
Hingegen ist es dem Aufbrechen von großer Bedeutung, ob es ein Ziel hat: ich gehe zum Bäcker, ich reise nach den USA. Gleiches gilt für die Zeit: meine Entwicklung soll dorthin führen, Ausgangspunkt, Zwischenstationen und Ziel, wobei die erste Koordinate gegeben ist, die anderen sich im Reisen wandeln können.
Das soll nicht heißen, daß ich dem Relativismus das Wort rede, sondern soll meinen, daß mir die Bedeutungsinhalte wesentlicher sind als die Etiketten, die der Vermarktung halber auf sie geklebt werden.
Der Begriff ‚Mitte’ ist in seinem heutigen Gebrauch plakativ wie nichtssagend, weil von fast jedem verwandt: man will auch nicht ‚in die Mitte’, sondern befindet sich stets in der Mitte, hält sie von allen Seiten okkupiert. Dem entspricht die Intentionslosigkeit dieser Mitte-Besetzer, die es sich dort bequem gemacht haben, weil außer dem Machterhalt kein Ziel mehr in Aussicht ist, daher ihr rhetorisches Bemühen der Sachzwänge, ihr Herumwuseln und wursteln, die hohlen Phrasen, die Scheingefechte, die scheinheilige Verleumdung der Nichtmittigen, die umso ärger wird, je weniger Bedeutungstiefe in dieser Mitte haust.
Jede andere Vorortung muß sich des Selbsterhaltes wegen zwangsläufig durch Schärfe der Selbstbestimmung wie -abgrenzung, Genauigkeit der Absichten wie der Sprache von diesem Mitte-Moloch absetzen – sowohl im eigenen Bewußtsein wie in dem der Anderen.
Andererseits riechen wir Rauch, und es mag ein Feuer da sein, denn die mittigen Hühner hüpfen pseudo-geschäftig herum und gackern nach den VEB-Legeanstalten, und es mag sein, daß uns das Ziel erst im rennen erscheint, falls uns die Entwicklung nicht samt und sonders überrennt.

Toni Roidl

24. Februar 2009 12:17

Danke für den Radiotipp. Dass sich heute alle ängstlich in der Mitte knubbeln und niemand mehr traut, rechts davon Position zu beziehen, hängt sicher auch mit dem Einfluss von PR-Agenturen auf die Politik zusammen. Bei politisch unkorrekten Verbalrabauken wie Strauß oder Wehner würde das Empör-O-Meter ja derart ausschlagen, dass sie jeden Tag zurücktreten müssten. Die Parlamentsfiguren von heute sehen dagegen doch alle aus, wie »Business People« aus den »Bildwelten« der Werbefotokataloge. Und genauso werden sie auch getrimmt: Unverbindliche Zahnpasta-Testimonials. Mittelmaß gehört eben in die Mitte.

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