Sofskys Buch der Laster

pdf der Druckfassung aus Sezession 33 / Dezember 2009

Wer an der bequemen Grundüberzeugung rüttelt, der Mensch sei eigentlich von Natur aus gut, nur die Umstände würden es ihm in gewissen Situationen nicht ermöglichen, auch wirklich gut zu sein, muß sich auf zwei Reaktionen einstellen: Entweder wird er als Misanthrop, der das Böse herbeireden will, bekämpft oder er wird als Narr verlacht, weil sich Kulturkritik in Zeiten der Demokratie von selbst verbietet – es sei denn, es handelt sich um Wolfgang Sofsky. Er füllt mit seinen Büchern geschickt eine Leerstelle aus, die offenbar vorhanden ist, ohne deshalb den üblichen Verdächtigungen ausgesetzt zu sein.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Bekannt wur­de Sof­sky mit dem Trak­tat über die Gewalt, das sich phä­no­me­no­lo­gisch den mensch­li­chen Abgrün­den näher­te. Den eigent­li­chen Kern der Gewalt sah Sof­sky in sei­ner kul­tur­stif­ten­den Funk­ti­on: Weil wir uns gegen­sei­tig bedro­hen, schlie­ßen wir Ver­trä­ge ab – in der Hoff­nung, daß sich alle dar­an hal­ten. Damit könn­te die Geschich­te zu Ende sein und die Uto­pie vom fried­li­chen Zusam­men­le­ben in Erfül­lung gehen.
Der Grund für das Schei­tern sol­cher Hoff­nun­gen liegt im Men­schen selbst. Die Resul­ta­te der Phi­lo­so­phi­schen Anthro­po­lo­gie las­sen kei­nen ande­ren Schluß zu, egal ob man ihn als Män­gel­we­sen, als welt­of­fe­nes oder exzen­tri­sches Wesen auf­faßt. Der Mensch ist aus »krum­mem Holz« (Kant) geschnitzt und kann sich sowohl von der Ver­nunft als auch dem Bösen lei­ten las­sen. Die Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten, die dafür ver­ant­wort­lich sind, bezeich­net man als Las­ter. Das Buch der Las­ter (Mün­chen: C.H. Beck 2009. 272 S, geb, 19.90 €) hat Wolf­gang Sof­sky geschrie­ben, um noch ein­mal ein­dring­lich auf die Ursa­che mensch­li­cher Schlech­tig­keit hin­zu­wei­sen. Es ist weni­ger »das Böse« oder der geziel­te Regel­ver­stoß, der die Ord­nung zum Ein­sturz bringt, als die ganz nor­ma­len und weit­ver­brei­te­ten Las­ter und Unsit­ten, denen man oft auf den ers­ten Blick nicht ansieht, wel­che Fol­gen sich aus ihnen erge­ben können.
Sof­sky hat dazu den klas­si­schen Kata­log weit auf­ge­fä­chert. Die sie­ben Haupt­las­ter (oft­mals auch unter der Bezeich­nung »sie­ben Tod­sün­den « zu fin­den, was nicht ganz kor­rekt ist, da sie erst die Tod­sün­den, etwa den Abfall vom Glau­ben, ermög­li­chen) erwei­tert Sof­sky auf acht­zehn Las­ter, die sehr unter­schied­lich sind. So reicht das Spek­trum von der Gleich­gül­tig­keit über die Tor­heit und den Hoch­mut bis hin zur Grau­sam­keit. Die ers­te Fra­ge wäre, wodurch sich die­se Eigen­schaf­ten als Las­ter qua­li­fi­zie­ren. Da der reli­giö­se Hin­ter­grund bei Sof­sky voll­stän­dig aus­ge­blen­det ist, muß es ein ande­res Maß geben als das der gott­ge­woll­ten Lebens­wei­se und Tugen­den. Bei Sof­sky ist das Maß der Mensch – das Ich – und der ande­re Mensch und damit die Gemein­schaft. Jede die­ser Eigen­schaf­ten ist Ursa­che für eige­ne Unfrei­heit (man lei­det an sich selbst oder den ande­ren) oder Zer­rüt­tung der gesell­schaft­li­chen Norm.
Die meta­phy­si­sche Fra­ge nach dem Bösen inter­es­siert Sof­sky dabei nicht. Er geht von einer kon­zen­trier­ten Beschrei­bung des jewei­li­gen Las­ters aus und ver­sucht dann die Ursa­chen und Fol­gen die­ser Eigen­schaft nach­zu­ver­fol­gen. In die­sen knap­pen Cha­rak­te­ri­sie­run­gen zeigt sich Sof­skys sprach­li­che Meis­ter­schaft. Vul­ga­ri­tät: »Nicht aus Unkennt­nis, Gedan­ken­lo­sig­keit oder Pro­test miß­ach­tet der Rüpel die Eti­ket­te, son­dern aus inne­rer Unfrei­heit. Da er kei­nen Abstand zu sich hat, ist er jeder Nei­gung aus­ge­lie­fert. Fort­wäh­rend müß­te er sich ent­schul­di­gen, bemerk­te er nur, wie er ande­re beun­ru­higt, erschreckt, belei­digt. « Hoch­mut: »Ein wenig zu hoch trägt er die Nase, schwer las­ten die Lider auf den Augen, müde betrach­tet er, was vor sich geht, ein kur­zes Auf­blit­zen, ein spöt­ti­sches Lächeln in den Mund­win­keln, dann wie­der der Blick der Lan­ge­wei­le, der längst alles gese­hen hat.« Die Las­ter grenzt Sof­sky dabei gegen ande­re, läß­li­che Unsit­ten ab, so bei­spiels­wei­se den Hoch­mut gegen Prah­le­rei und Selbst­ge­fäl­lig­keit. In ande­ren Fäl­len gelingt das Sof­sky nicht so ein­deu­tig: Wo ver­läuft die Gren­ze zwi­schen Geiz und Spar­sam­keit? Der Grat, der zwi­schen einem blo­ßen Las­ter und der Mög­lich­keit einer dar­aus ent­sprin­gen­den außer­ge­wöhn­li­chen Leis­tung ver­läuft, ist oft­mals schmal: »Eli­te ist der­je­ni­ge, der gering­schätzt, was ihm mühe­los zufällt, und sei­ner nur wür­dig erach­tet, was mit Anstren­gung zu errei­chen ist.« Ent­schei­dend ist dann, wie er auf die »Min­der­leis­ter« herabblickt.

Damit wäre nicht mehr gewon­nen als eine unter­halt­sa­me und ein­dring­li­che Beschrei­bung der mensch­li­chen Las­ter, in der man sich nicht sel­ten wie­der­fin­det. Es gibt gra­du­el­le Abstu­fun­gen, sowohl zwi­schen den Las­tern als auch in der Inten­si­vi­tät, mit der eine Per­son einem oder meh­re­ren Las­tern frö­nen kann. All­täg­lich sind nicht die Extre­me, son­dern die Anfäl­lig­keit für das mora­li­sche Ver­sa­cken über­haupt. Sof­sky stellt gleich am Anfang fest: »Die mora­li­sche Ver­bes­se­rung des Gat­tungs­we­sens ist aus­ge­blie­ben. Die Hoff­nung auf die Ver­voll­komm­nung des Men­schen­ge­schlechts, die einst zu den Grund­pfei­lern der moder­nen Ideo­lo­gie gehör­te, hat sich nicht erfüllt.« Daß es mit der Güte und Beson­nen­heit des Men­schen nicht weit her sein kann, war die Grund­über­zeu­gung der bibli­schen Über­lie­fe­rung, die mit der Auf­klä­rung in Fra­ge gestellt wur­de. Sof­sky nennt als gän­gi­ge Erklä­rungs­mus­ter die Indif­fe­renz gegen­über den eige­nen Las­tern und denen ande­rer, den Rela­ti­vis­mus, der als Tole­ranz getarnt Unsit­ten akzep­tiert und den Kau­sa­lis­mus, der mora­li­sche Ent­las­tung ver­spricht, indem er auf Bedin­gun­gen des Han­delns ver­weist, die wir nicht steu­ern können.
Aber die Welt geht nicht auf und Sof­sky for­mu­liert mit Nietz­sche: »Was sei­ne mora­li­sche Ver­fas­sung anbe­langt, ist der Mensch mit­nich­ten fest­ge­legt. Er ist und bleibt ris­kant und gefähr­lich. Wegen sei­ner Zukunfts­of­fen­heit bedarf er der Moral.« Moral ver­steht Sof­sky dabei nicht als Gut­sein, son­dern als Abwehr des Bösen, ins­be­son­de­re, um die Men­schen vor Über­grif­fen ande­rer zu schüt­zen. Sein Buch bezeich­net er daher als »ein beschei­de­nes, nega­ti­ves Pro­gramm zur Ver­tei­di­gung der Frei­heit«. Die »Kri­tik der Las­ter« will die Ver­wahr­lo­sung und den Stumpf­sinn auf­hal­ten, ohne ihm ein posi­ti­ves Gegen­pro­gramm ent­ge­gen­zu­stel­len – ein­fach aus der Erwä­gung her­aus, daß die Natur des Men­schen zu mil­dern, aber nicht zu ändern ist. Es liegt ein gro­ßer Unter­schied zwi­schen der Gedan­ken­lo­sig­keit, mit der unmo­ra­lisch gehan­delt wird, und dem Vor­satz, sich den Nor­men der Moral ganz bewußt zu ver­wei­gern. Allen ist jedoch die Ver­ant­wor­tung für ihr Tun zuge­schrie­ben: »Nicht die Pflicht, son­dern die Ver­pflich­tung gegen sich selbst, nicht die Norm, son­dern der Cha­rak­ter, nicht Absich­ten, son­dern Hal­tun­gen len­ken das Han­deln der Per­son. « Inso­fern ist die Las­ter­haf­tig­keit des Men­schen von sei­nem Ver­hält­nis zu sich selbst abhän­gig, was bedeu­tet, daß er den Las­tern ent­sa­gen kann. Die Nicht­fest­le­gung des Men­schen hat in bei­de Rich­tun­gen bestand.
Sof­sky legt dabei gro­ßen Wert auf die Ver­ant­wor­tung des Ein­zel­nen für sein Han­deln. Das setzt vor­aus, daß es ihm wirk­lich mög­lich ist, von den Las­tern zu las­sen. Und das nicht ein­fach durch eine abschre­cken­de Stra­fe, die noch Kant für jeden emp­fahl, der mein­te, er kön­ne nicht anders, son­dern durch Ein­sicht. Den­noch ist, wie Sof­sky betont, das Pro­jekt der Ver­bes­se­rung geschei­tert. Wor­an liegt das? Zwei­fel­los an der Natur des Men­schen, die offen­bar einen Hang zum Las­ter und nicht zur Tugend hat. Wenn dies ver­ges­sen wird, nimmt der Ansporn ab, sich um das Gute zu bemü­hen, weil der Mensch sich in der ruhi­gen Gewiß­heit wiegt, von Natur aus zum Guten zu ten­die­ren. Nicht umsonst, so Sof­sky, gehört Leicht­gläu­big­keit »zu den Grund­la­gen moder­ner Demo­kra­tie«. Auch sie ist ein Laster.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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