Sarrazin lesen – eine Bücherschau

Vor fünf Monaten hat Thilo Sarrazin mit seinem Bestseller Deutschland schafft sich ab eine Debatte über die Zukunft...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

unse­res Lan­des und – auf einer grund­sätz­li­chen Ebe­ne – über die Mei­nungs­frei­heit aus­ge­löst. Die­se Dop­pel­dis­kus­si­on ver­hilft seit­her rechts­kon­ser­va­ti­ven Wirk­lich­keits­be­schrei­bun­gen (Deut­schen­feind­lich­keit, Inkom­pa­ti­bi­li­tät bestimm­ter Aus­län­der­grup­pen, Ungleich­heit der Men­schen usf.) zur öffent­li­chen Wahrnehmung.

Sar­ra­zin hät­te aber auch unter die Räder kom­men kön­nen. Wer den Mei­nungs­kampf in den Medi­en nach­voll­zie­hen will, kann zu der Arti­kel­samm­lung Sar­ra­zin. Eine deut­sche Debat­te grei­fen und dar­in – neben vie­len unwich­ti­gen Tex­ten – die bei­den FAZ-Bei­trä­ge von Frank Schirr­ma­cher stu­die­ren. Sie leh­ren den Oppor­tu­nis­mus mäch­ti­ger Jour­na­lis­ten und die Kunst des Sprun­ges ans ret­ten­de Ufer.

Denn als Sar­ra­zin nach sei­ner Äuße­rung über das „Juden-Gen“ kurz vor dem Abschuß stand, woll­te Schirr­ma­cher staats­tra­gend voll­stre­cken. Er faß­te alles Denun­zia­to­ri­sche in einem ver­nich­ten­den Bei­trag zusam­men – und muß­te danach fest­stel­len, daß er aufs fal­sche Pferd gesetzt hat­te: Wis­sen­schaft­ler, jüdi­sche Intel­lek­tu­el­le, tau­sen­de Buch­käu­fer und Leser­brief­schrei­ber spran­gen Sar­ra­zin zur Sei­te, bestä­tig­ten sei­ne Fak­ten und tru­gen die Ent­rüs­tung über den Umgang mit ihm ins Inter­net. Schirr­ma­cher reagier­te knapp drei Wochen spä­ter, griff Mer­kel direkt an und setz­te sich an die Spit­ze eines Kamp­fes um die Mei­nungs­frei­heit: „Der Jour­na­lis­mus ist nicht dafür da, an den Ruf­mord gren­zen­de Pro­zes­se zu muni­tio­nie­ren …“. Was für eine Volte!

Der bespro­che­ne Band doku­men­tiert auch die Bei­trä­ge Bert­hold Koh­lers zur Debat­te. Im Gegen­satz zu sei­nem Her­aus­ge­ber-Kol­le­gen Schirr­ma­cher trat er von Anfang an mit ein­deu­ti­gen Stel­lung­nah­men an die Sei­te Sar­ra­zins. Die­ser Kampf um die Deu­tungs­ho­heit im Innern der FAZ ist ein The­ma des Bei­trags „Öffent­li­che, ver­öf­fent­lich­te, qua­si­öf­fent­li­che Mei­nung“, den Karl­heinz Weiß­mann für das Son­der­heft Sar­ra­zin lesen unse­rer Zeit­schrift ver­faßt hat. Es erschien im Okto­ber ver­gan­ge­nen Jah­res als ers­te ernst­zu­neh­men­de Sekun­där­li­te­ra­tur über Sar­ra­zins Buch und doku­men­tiert unter ande­rem in einer aus­führ­li­chen Chro­nik, auf wel­che Wei­se höchst­ran­gi­ge Poli­ti­ker zunächst an der Ver­hin­de­rung der Debat­ten um Sar­ra­zin arbeiteten.

Mit ihrer Dezem­ber-Aus­ga­be hat die Zeit­schrift hier&jetzt auf gutem Niveau nach­ge­zo­gen. Die intel­lek­tu­el­len Natio­na­lis­ten um den NPD-Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten Arne Schim­mer wei­sen auf einen inter­es­san­ten Berüh­rungs­punkt hin: Sar­ra­zin hat beim The­ma Ver­er­bung und IQ-Ent­wick­lung Argu­men­te und Unter­su­chun­gen des Intel­li­genz­for­schers Volk­mar Weiss zitiert. Weiss wie­der­um refe­rier­te auf Vor­schlag der NPD im säch­si­schen Land­tag als Sach­ver­stän­di­ger zum The­ma „Deut­sche Zukunft oder Volks­tod“ (Juli 2005).

Die­ser Text ist in hier&jetzt doku­men­tiert sowie durch ein Gespräch mit Weiss ergänzt. Klug und recht scho­nungs­los im Blick auf die Volks­ro­man­tik der eige­nen Par­tei ist außer­dem der Bei­trag von Thors­ten Thom­sen. Er unter­zieht die The­sen und Vor­schlä­ge Sar­ra­zins einer genau­en “Prü­fung von rechts“, erteilt einem natio­na­len Sozia­lis­mus ohne Leis­tungs­grun­die­rung eine Absa­ge und kommt zu dem Schluß, daß die Rech­te „sar­ra­zi­nis­ti­scher“ wer­den müs­se. Die­ser Ana­ly­se gegen­über bleibt der sozia­lis­ti­sche Natio­na­list Jür­gen Schwab gera­de­zu lang­wei­lig, der – wie immer – den Arbeits­markt abschaf­fen will und Sar­ra­zin als „Ober­schich­ten­pa­trio­ten“ markiert.

Emp­feh­lens­wert ist auch Zur Sache Sar­ra­zin, das wis­sen­schaft­li­che Bei­trä­ge ver­sam­melt. Hin­ge­wie­sen sei auf die Ana­ly­se des Main­zer Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wis­sen­schaft­lers Hans Mathi­as Kepp­lin­ger, der die Skan­da­li­sie­rung Sar­ra­zins und ihr Schei­tern bei­spiel­haft auf­schlüs­selt und das Zusam­men­spiel von Poli­tik und Medi­en nicht nur als eine Art Gesetz­mä­ßig­keit dar­stellt, son­dern zu einer Gefahr für die Mei­nungs­frei­heit erklärt. Eine wie stets mate­ria­lis­ti­sche Ana­ly­se der Unat­trak­ti­vi­tät Deutsch­lands im glo­ba­len Anwer­be­wett­be­werb aka­de­mi­scher Spit­zen­kräf­te stammt aus der Feder Gun­nar Hein­sohns und ist eben­so depri­mie­rend wie der grund­sätz­li­che Abschied vom Abend­land, den Wal­ter Laqueur in Anleh­nung an sein Buch über Die letz­ten Tage von Euro­pa noch ein­mal ausspricht.

Inter­es­sant an Zur Sache Sar­ra­zin ist nicht zuletzt der Her­aus­ge­ber Jür­gen Bel­lers. Er hat zeit­gleich ein schma­les Bänd­chen mit dem schlich­ten Titel Kon­ser­va­tiv! zusam­men­ge­stellt: Heft 1 der Schrif­ten des Faches Inter­na­tio­na­le Poli­tik an der Uni­ver­si­tät Sie­gen. Die­se Rei­he möch­te „auf­zei­gen, daß das, was als sozi­al-lib­erla­le Kul­tur-hege­mo­nie gilt, nicht das ein­zi­ge sein kann und auch längst nicht mehr ist“, und beschäf­tigt sich fol­ge­rich­tig auch mit der Sezes­si­on – zwar ein biß­chen ängst­lich noch, aber doch gründlich.

Götz Kubitschek

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