Der Traum einer Reconquista (Gesammelte Raspailiana)

Die Junge Freiheit widmet sich diese Woche gleich in mehreren Beiträgen dem französischen Schriftsteller Jean Raspail, dem Autor von "Das Heerlager der Heiligen",...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

der auch auf Sezes­si­on im Netz schon des öfte­ren zu Gast war.  Lei­der wur­de bis­her nur ein klei­ner Teil sei­nes Wer­kes ins Deut­sche über­setzt. Dar­um möch­te ich heu­te ein paar aus­ge­wähl­te und, wie ich mei­ne, inspi­rie­ren­de “Ras­pai­lia­na” zusam­men­tra­gen. Die Fran­zö­sisch­kun­di­gen kön­nen anschlie­ßend auch auf Ras­pails sehr schön gemach­ter Netz­sei­te weiterstöbern.

* Ras­pails lite­ra­ri­sches Schaf­fen umspannt inzwi­schen sie­ben Jahr­zehn­te und rund 40 Bücher. Er begann mit Rei­se­be­rich­ten über sei­ne Expe­di­tio­nen nach Süd­ame­ri­ka. Dem folg­ten wei­te­re Rei­sen unter ande­rem in den Nahen Osten, nach Japan, Hong­kong, Afri­ka, die Kari­bik, die USA und die Mon­go­lei. Dabei zeig­te er ein beson­de­res Inter­es­se für aus­ster­ben­de, ver­ges­se­ne und abge­dräng­te Völ­ker, denen er vor allem in sei­nem Buch “La Hache des Step­pes” (Das Beil der Step­pe, 1974) ein Denk­mal setzte:

… die wei­ßen Ainos von Japan, die Gil­ja­ken von Sacha­lin, die Katho­li­ken der Kata­kom­ben von Kyūs­hū, die halb­gött­li­chen Urus der Anden, die West­go­ten von Langue­doc, die Bewoh­ner der Kari­bik, die Taí­nos und Lukay­en der Antil­len, die Gua­naquis des Ama­zo­nas, die Nach­kom­men der napo­leo­ni­schen Husa­ren, die sich in die rus­si­schen Wäl­der geflüch­tet hat­ten, die über­le­ben­den Hun­nen der kata­lau­ni­schen Felder .…

* Bereits 1958 erschien sein ers­ter Roman “Le Vent de Pins”, der 1960 unter dem Titel “Miya­mo­to und die ehren­wer­ten Frem­den” ins Deut­sche über­tra­gen wur­de. Wei­te­re Über­set­zun­gen: “Das Heer­la­ger der Hei­li­gen” (1985), “Sie waren die ers­ten” (1986), über “Tra­gö­die und Ende der Feu­er­land­in­dia­ner” und das “roya­lis­ti­sche” moder­ne Mär­chen “Sire” (2005).

* Letz­te­rer Roman kann durch­aus als per­sön­li­ches Bekennt­nis des Autors gele­sen wer­den. Die­ser äußer­te sich dazu folgendermaßen:

Der Roya­lis­mus, den ich ver­tre­te, ist kei­ne poli­ti­sche Posi­ti­on, son­dern eine ethi­sche, phi­lo­so­phi­sche und reli­giö­se. Der Roya­lis­mus ist eine schö­ne und vor­neh­me Idee, die das Bes­te befrie­digt, das in uns ist: den Hero­is­mus, den Sinn für das Hei­li­ge und für das Ideal.

Die roya­lis­ti­sche Idee wird nie­mals über­holt sein, denn sie ist ewig. Im heu­ti­gen Frank­reich gibt es nie­man­den, der die Kon­ti­nui­tät der Nati­on ver­kör­pert. Ich glau­be, daß man einen König lie­ben kann, einem König treu sein kann … aber nie­mals einem Prä­si­den­ten einer Republik.

Ist Ihr Roya­lis­mus nicht eine Form des Dandyismus?

Wenn Sie mit Dan­dy­is­mus die Beja­hung des Ein­zel­nen gegen­über der Mas­se ver­ste­hen, dann bin ich tat­säch­lich ein Dandy.

*Den moder­nen Indi­vi­dua­lis­mus hält Ras­pail aller­dings für eine Illusion:

Ihre Roman­hel­den sind Ein­zel­gän­ger, Indi­vi­dua­lis­ten, die sich dem Gesetz der Her­de ent­zie­hen und sich gegen die Idee des “Kol­lek­ti­ven” erhe­ben. Haben Sie nicht den Ein­druck, daß das Indi­vi­du­um heu­te “König” ist, daß eine gewal­ti­ge Ato­mi­sie­rung im Gan­ge ist und daß das Kol­lek­tiv ver­schwun­den ist?

Wenn das Indi­vi­du­um König ist, dann gibt es kein König­reich… ich glau­be nicht an den Indi­vi­dua­lis­mus von heu­te. Über­all wer­den sich die Men­schen von Tag zu Tag ähn­li­cher. Die Gesin­nun­gen sind strom­li­ni­en­för­mig, es gab nie­mals soviel Kon­for­mis­mus wie heu­te. Ich mei­ne damit nicht ein­mal die “poli­tisch Kor­rek­ten” und ihre Phra­sen­dre­sche­rei. Es ist sehr schwie­rig, sich all die­sen Din­gen und dem krie­che­ri­schen Kol­lek­ti­vis­mus des Den­kens ent­ge­gen­zu­stel­len, weil dann sofort die Wäch­ter des uni­ver­sel­len Gewis­sens im Chor über einen her­fal­len. Das Indi­vi­du­um zieht sich in sich selbst zurück, aber auf eine ego­is­ti­sche Wei­se. Es zieht sich in sich selbst zurück, aber es gleicht sei­nem Gegen­über aufs Haar. Das ist ja der Witz dar­an! Die Denk­struk­tu­ren sind über­all gleich.

* Jean Ras­pail ist ein dezi­dier­ter Mann der Rech­ten. Wel­che Hal­tung er damit ver­bin­det, kann man unter ande­rem in sei­nem berühm­tes­ten Roman “Das Heer­la­ger der Hei­li­gen” nach­le­sen. Die deut­sche Über­set­zung von 1985 hat lei­der ein paar Pas­sa­gen aus­ge­las­sen und ande­re unge­nau über­setzt. Ich habe den Text ergänzt:

Die ihre Tra­di­tio­nen wirk­lich lie­ben, neh­men sie nicht all­zu ernst. Sie zie­hen scher­zend in den Krieg, weil sie wis­sen, daß sie für etwas kaum Greif­ba­res ster­ben wer­den, das ihrer Fan­ta­sie ent­sprun­gen ist, das halb Humor, halb Hum­bug ist. Oder viel­leicht sub­ti­ler aus­ge­drückt: hin­ter die­ser Fan­ta­sie steckt eine aris­to­kra­ti­sche Scheu, die sich nicht die Blö­ße geben will, für eine Idee zu kämp­fen, dar­um ver­steckt sie sich hin­ter herz­zer­rei­ßen­dem Horn­ge­blä­se, hin­ter hoh­len Phra­sen und nutz­lo­sem Gold­flit­ter, und erlaubt sich damit das höchs­te Ver­gnü­gen, das Leben für eine rei­ne Mas­ke­ra­de zu opfern. Das hat die Lin­ke nie ver­stan­den, und dar­um ist ihre Ver­ach­tung so vol­ler Haß. Wenn sie auf die Fah­ne spuckt, auf eine Gedenk­flam­me pißt, sich über alte Säcke in Bas­ken­müt­zen lus­tig macht, oder beim Anblick von weiß­ge­klei­de­ten Hoch­zeits­paa­ren “Frau­en­be­we­gung!” brüllt, um nur ein paar Bei­spie­le zu brin­gen, dann nimmt sie sich selbst furcht­bar ernst, und wenn sie sich sehen könn­te, wür­de sie mer­ken, daß sie jenen gleicht, die sie als “pom­pö­se Arsch­lö­cher” beschimpft.

Die wah­re Rech­te ist nie­mals so ver­bis­sen. Dar­um wird sie von der Lin­ken so geh­aßt, etwa so wie der Hen­ker einen Ver­ur­teil­ten haßt, der auf dem Weg zum Gal­gen Wit­ze macht. Die Lin­ke ist ein Brand, der ver­zehrt und zer­stört, und sich dabei tie­risch-töd­lich ernst nimmt. (Sogar ihre Fei­ern sind, dem äuße­ren Anschein zum Trotz, eine grau­si­ge Sache, wie etwa die Mario­net­ten­pa­ra­den von Nürn­berg und Peking.) Die Rech­te ist eine flat­tern­de Flam­me, die fröh­lich tanzt, ein Irr­licht in einem düs­te­ren ver­brann­ten Wald.

Dar­an soll­te wir mun­te­ren Reak­tio­nä­re immer den­ken, auf daß uns nicht der Sinn für Humor ver­lo­ren gehe …

* In “Das Heer­la­ger der Hei­li­gen” äußert ein Cha­rak­ter, er sei “kein Christ”, son­dern “Katho­lik” – “Ich hal­te an die­sem fei­nen Unter­schied fest.” Das erin­nert an Charles Maur­ras, und trifft wohl auch auf den Autor selbst zu. Der Satz ist so tief- und abgrün­dig wie eine “Scho­lie” von Nicolás Gómez Dávila, des­sen Apho­ris­men­samm­lun­gen Ras­pail nicht umsonst zu sei­nen “Liv­res amis” zählt. Die nicht aus­zu­lo­ten­de Pro­ble­ma­tik kann hier nur ange­schnit­ten wer­den; sie bleibt nach wie vor ein Sta­chel im Fleisch jedes Kon­ser­va­ti­ven, der es sich mit der christ­li­chen Gret­chen­fra­ge nicht zu leicht macht.

Im “Heer­la­ger” ist ein säku­la­ri­sier­tes Chris­ten­tum bis hin­auf zum Papst zu einem der Haupt­schul­di­gen an der inne­ren Zer­mür­bung und Auf­wei­chung des Abend­lan­des gewor­den. Redu­ziert auf eine über­stei­ger­te huma­nis­ti­sche Ethik, pro­pa­giert es einen extre­men Altru­is­mus und Ega­li­ta­ris­mus, der am Ende von krie­che­ri­scher Feig­heit und geis­ti­ger Selbst­kas­tra­ti­on kaum mehr zu unter­schei­den ist.

Im Vor­wort zum “Heer­la­ger” schrieb Ras­pail im Hin­blick auf die Umver­tei­lungs­krie­ge der Zukunft: “Es scheint mir jedoch, daß sich uns nur eine Alter­na­ti­ve bie­tet: den schick­sals­er­ge­ge­be­nen Mut auf­zu­brin­gen, arm zu sein, oder den ent­schlos­se­nen Mut wie­der­zu­fin­den, reich zu sein. In bei­den Fäl­len wird sich die christ­li­che Nächs­ten­lie­be als ohn­mäch­tig erwei­sen.”  Im “Heer­la­ger” taucht zu Beginn eine Mytho­lo­gie auf, in der “Bud­dha und Allah” mit­samt dem viel­köp­fi­gen Pan­the­on der Hin­dus den “klei­nen Gott der Chris­ten” vom Kreuz holen, aus des­sen Holz das Leit­schiff der “Arma­da der letz­ten Chan­ce” gezim­mert wird. “Ich schen­ke euch mein Reich”, spricht er, ehe er beim Ver­such, übers Was­ser zu lau­fen, jäm­mer­lich ertrinkt.

Ras­pails Kri­tik an der hyper­tro­phen, das Reli­gi­ös-Sakra­le nivel­lie­ren­den Ethik des moder­nen Chris­ten­tums (Arnold Geh­len wür­de von “Hyper­mo­ral” und “Huma­ni­ta­ris­mus” spre­chen) hat dabei iro­ni­scher­wei­se auf­fäl­li­ge Par­al­le­len zu Nietz­sches klas­si­scher Pole­mik “Der Anti­christ”, die das “Mit­lei­den” mit den “Schwa­chen und Miß­ra­te­nen” zum lebens­feind­li­chen, “nihi­lis­ti­schen” Affekt schlecht­hin erklär­te. Auch Dávila hielt Nietz­sche im Hin­blick auf das Chris­ten­tum eher für einen Pro­phe­ten als für einen Zeit­dia­gnos­ti­ker: sei­ne Atta­cke tref­fe nicht das Chris­ten­tum sei­ner Zeit, son­dern das unse­rer Zeit.

Dabei läßt Ras­pail aller­dings kei­nen Zwei­fel dar­an, daß aus sei­ner Sicht eher das von Nietz­sche ange­grif­fe­ne (also das heu­ti­ge, zeit­geist­kon­for­me, “huma­ni­tä­re”) Chris­ten­tum selbst jener “Anti­christ” ist, der in der “Mas­ke des Erlö­sers” (Geh­len) kommt. “Das Heer­la­ger der Hei­li­gen” zitiert Moti­ve der christ­li­chen Heils­ge­schich­te als böse Per­si­fla­ge, spielt iro­nisch mit Moti­ven aus der Apo­ka­lyp­se des Johannes.

Der Anti­christ sitzt in Form einer gro­tes­ken Miß­ge­burt auf den Schul­tern eines fal­schen Pro­phe­ten aus dem Mor­gen­land, wäh­rend das gro­ße “Tier” der Medi­en­het­ze und ‑mani­pu­la­ti­on mit tau­send kor­rup­ti­ven Sil­ber­zun­gen und Gehirn­wa­schun­gen regiert. Der Wes­ten erwar­tet sei­nen ver­meint­li­chen Mes­si­as, über des­sen wah­re Natur er sich bis zuletzt Illu­sio­nen macht, mit einer fieb­ri­gen Heils­er­war­tung. Als die­ser aber am Mor­gen des Oster­sonn­tags ein­trifft, bringt er nur Pest, Panik und Tod, wie die apo­ka­lyp­ti­schen Reiter.

* Das gibt es nur in Frank­reich (seufz): 2009 erschien eine drei­bän­di­ge Comic-Adap­ti­on von Ras­pails Roman  “Sept Cava­liers” (1993), der Teil eines mehr­bän­di­gen Zyklus über das fik­ti­ve fran­ko-ger­ma­ni­sche Adels­ge­schlecht der “Pik­ken­dorffs” ist. Der Autor selbst hat dar­in einen Gast­auf­tritt als alter Patri­arch der Fami­lie. Die Hand­lung spielt in einem ima­gi­nä­ren Euro­pa des 19. Jahr­hun­derts. Sie weist trotz des sehr unter­schied­li­chen Sujets deut­li­che Bezü­ge zu “Heer­la­ger der Hei­li­gen” auf.

Sei­ne Hel­den tre­ten gegen eine geheim­nis­vol­le Macht an, die dem Land sei­nen “Traum” und sei­ne “See­le”, die nach Ras­pail allein “die ent­schei­de­nen Kämp­fe gewinnt”, geraubt hat, wodurch es dem inne­ren Zer­fall, der Deka­denz, dem Gene­ra­tio­nen­haß und Bür­ger­krieg aus­ge­setzt wird: ein “eiser­nes Zeit­al­ter”, ein “Kali-Yuga” ist ange­bro­chen. Zu den sie­ben Rei­tern gehört ein jun­ger katho­li­scher Pries­ter, der lie­ber schießt, als dem Feind die ande­re Wan­ge hin­zu­hal­ten. Als es zu ers­ten töd­li­chen Schar­müt­zeln mit Frei­schär­lern kommt, faßt er einen Gedan­ken, den wir schon zuvor gehört haben: “Wahr­lich, die christ­li­che Barm­her­zig­keit wird zur schwie­ri­gen Auf­ga­be werden…”

Die roman­ti­sche Ober­flä­che der Geschich­te ist trü­ge­risch: hin­ter den far­bi­gen Aben­teu­ern, den pit­to­res­ken Cha­rak­te­ren, der (recht expli­zi­ten) Ero­tik, den wil­den Land­schaf­ten lau­ert eine abgrün­di­ge, pes­si­mis­ti­sche Welt­sicht, die jedoch vom Gegen­bild einer “kon­ser­va­ti­ven Uto­pie” aus­ge­wo­gen wird.

 

Gezeich­net hat die her­vor­ra­gen­de, von Ras­pail selbst enthu­si­as­tisch begrüß­te Comics-Adap­ti­on der 1957 gebo­re­ne Jac­ques Ter­pant.  Sein Stil erin­nert zum Teil, und wohl nicht von unge­fähr, an den legen­dä­ren Zeich­ner Pierre Jou­bert (1910–2002), des­sen Illus­tra­tio­nen man­cher auf­merk­sa­me Leser viel­leicht schon in der Sezes­si­on und in diver­sen Publi­ka­tio­nen von Karl­heinz Weiß­mann bemerkt hat.

Jou­berts Schaf­fen ist eng mit der Pfad­fin­der­be­we­gung ver­bun­den. Einen gewis­sen “jugend­be­weg­ten” Geist atmen auch vie­le Roma­ne Ras­pails, wie etwa “Sire”.  Die­ser durch­zieht auch wei­te Stre­cken von “Sept Cava­liers”, sein düs­te­rer Grund­ton und so man­che nicht ganz jugend­freie Sze­ne machen die Serie jedoch eher zu einer Lek­tü­re für Erwachsene.

* Last not least ein paar Aus­zü­ge aus aktu­el­len Inter­views mit Jean Raspail.

Die in mei­nen Roman ent­wi­ckel­te Visi­on wird ohne Zwei­fel bis 2050 Wirk­lich­keit gewor­den sein. Die Mehr­heit der Demo­gra­phen ist sich über den unaus­weich­li­chen Cha­rak­ter die­ses Phä­no­mens einig, der auch ande­re Län­der Euro­pas betrifft. Die besag­ten sicht­ba­ren Min­der­hei­ten wer­den in der Mehr­heit sein, und es wer­den die soge­nann­ten “Fran­zo­sen des Stamms” sein, die in der Min­der­heit sein wer­den. Gan­ze Land­stri­che wer­den von Fran­zo­sen außer­eu­ro­päi­scher Her­kunft bevöl­kert sein.

(…)

Man wird mir sagen, daß Frank­reich aus ver­schie­de­nen, nach­fol­gen­den Ein­wan­de­rungs­wel­len ent­stan­den ist. Das stimmt, aber die Ein­wan­de­rung der vori­gen Jahr­hun­der­te setz­te sich aus Ein­wan­de­rern euro­päi­scher Her­kunft zusam­men, die sich nach zwei oder drei Gene­ra­tio­nen in das fran­zö­si­sche Modell inte­griert hat­ten. Nun ent­puppt sich das repu­bli­ka­ni­sche Modell der Inte­gra­ti­on seit weni­ger als einem Jahr­zehnt als unwirk­sam. Man för­dert das Anwach­sen des Kom­mu­ni­ta­ris­mus, der Anein­an­der­rei­hung von Grup­pen, die auf der Bewah­rung ihrer eth­ni­schen, reli­giö­sen, kul­tu­rel­len Unter­schie­de behar­ren, die sich in dem natio­na­len Zement des “Wir wol­len zusam­men leben”, wie ihn Ren­an betont hat, nicht wie­der­erken­nen wol­len. Für unse­re Gou­ver­nan­ten, die so tun, als wäre das ein Fort­schritt, habe ich nur Spott übrig. Viel­mehr sehen wir uns mit einer Rück­kehr zur Stam­mes­bil­dung kon­fron­tiert, die mir das Gegen­teil der Zivi­li­sa­ti­on zu sein scheint. Man hat in letz­ter Zeit viel vom Wesen der fran­zö­si­schen Iden­ti­tät gespro­chen, von den Gren­zen unse­rer Auf­nah­me- und Assi­mi­la­ti­ons­fä­hig­keit, und nun hat man die gan­ze Debat­te wie­der begra­ben, weil der Big Other mit der Stirn gerun­zelt hat.

(…)

Ich war nie ein poli­tisch enga­gier­ter Schrift­stel­ler, aber ich habe nie­mals, und auch heu­te nicht, mei­ne Ansich­ten ver­bor­gen. Ich wür­de mir wün­schen, daß das “Heer­la­ger der Hei­li­gen” dem Leser die Augen über all die Lügen und Illu­sio­nen öff­net, die unser öffent­li­ches Leben vergiften.

Valeurs actu­el­les, 10. 2. 2011

Wir leben seit lan­ger Zeit in einer Welt, in der die Poli­ti­ker und Mei­nungs­ma­cher zwei­er­lei Spra­chen spre­chen: die eine öffent­lich und pro­kla­ma­to­risch, die ande­re pri­vat und ver­stoh­len, als hät­ten sie ein dop­pel­tes Gewis­sen, eines, das sie wie eine Fah­ne zur Schau tra­gen, ein ande­res, das sich ins Gebüsch der anrü­chi­gen Ideen zurück­ge­zo­gen hat, die man nur vor einem klei­nem Publi­kum zu äußern wagt. Da sind auch viel Dumm­heit und Unauf­rich­tig­keit mit im Spiel. Wenn bei­spiels­wei­se ein Chi­rac ohne mit der Wim­per zu zucken von einem Euro­pa spricht, “des­sen Wur­zeln genau­so mus­li­misch wie christ­lich sind”, ist man sprachlos.

Zur Enschul­di­gung der heu­ti­gen lin­ken wie rech­ten Poli­ti­ker, oder genau­er gesagt, um so etwas wie mil­dern­de Umstän­de ein­zu­räu­men, muß man erken­nen, daß die­se augen­blick­lich ihr sozia­les Todes­ur­teil unter­zeich­nen wür­den, wenn sie anfin­gen, gegen den Strom der Meu­ten zu schwim­men, gegen die Medi­en, Men­schen­recht­ler, Ober­leh­rer, Mutua­lis­ten, Publi­zis­ten, Juris­ten, Links-Chris­ten, Seel­sor­ger, Psy­cho­lo­gen und was weiß ich noch.

Denn hier steht ihnen eine fürch­ter­li­che Pha­lanx gegen­über, die der Brust unse­rer eige­nen Nati­on ent­sprun­gen ist, und die sich den­noch mit vol­ler Inbrunst in den Dienst des “Ande­ren” gestellt hat: Big Other. Eine Hydra aus guten Absich­ten und Mani­pu­la­tio­nen, ein huma­ni­tä­rer Brei, der sich aus allen Sor­ten von mensch­li­chem Elend nährt. Dem Bei­spiel von Orwells Alp­traum fol­gend, sieht und über­wacht uns der Big Other. Er ist das Kind der herr­schen­den Den­kungs­art, er hat die mit­lei­di­gen See­len für sich gewon­nen, er streut den Zwei­fel unter den Aller­klügs­ten, nichts ent­geht ihm. Schlim­mer noch, er läßt nichts durch­ge­hen. Und die guten Men­schen fol­gen ihm wie sei­ne Stadt­vä­ter, betäubt, rand­voll mit engels­glei­chen Gewiß­hei­ten, zugleich aber in ins­ge­hei­mer Furcht vor dem Ter­ror sei­ner Druck­mit­tel, wenn sie es wagen soll­ten, sich von sei­nen abso­lu­ten Wahr­hei­ten zu ent­fer­nen. So hat er den “Fran­zo­sen des Stam­mes” den Hals umge­dreht, um das Gelän­de freizuräumen. (…)

“Das gemisch­te Frank­reich” ist eine his­to­risch-seman­ti­sche Betrü­ge­rei, die uns ein unver­schäm­tes Amal­gam auf­zwingt, die Ein­wan­de­rung von außer­eu­ro­päi­schen Mas­sen, die kaum län­ger als fünf­zig Jah­re zurückreicht.

Es stimmt, daß Frank­reich das Pro­dukt einer super­ben und güns­ti­gen Mischung auf gal­lo-roma­ni­scher Grund­la­ge ist, aus Fran­ken, Bur­gun­dern, Wikin­gern, West­go­ten und so wei­ter, aus Elsäs­sern, Bas­ken, Kata­la­nen, Juden aus Elsaß-Loth­rin­gen, Bre­to­nen, Pro­ven­ça­len und so wei­ter, aus Ita­lie­nern, Spa­ni­ern, Polen, Por­tu­gie­sen. Das ist das Euro­pa, das es zu sich ein­ge­la­den hat. Das sind sie, die “Fran­zo­sen des Stam­mes”! Und wenn sie heu­te wie­der erwa­chen? Wenn sie gegen die süß­li­chen Ukas des Big Other revol­tie­ren, gegen sei­nen trä­gen Kon­for­mis­mus, sei­nen uni­ver­sel­len Tota­li­ta­ris­mus im Diens­te des “Ande­ren”?

Was ist das “Ande­re”?

Das was nicht zu unse­rer Reli­gi­on gehört, zu unse­rer Kul­tur, zu allem, das die Grund­la­gen unse­rer Zivi­li­sa­ti­on bil­det, und des­sen mas­sen­haf­te Anwe­sen­heit den Bau unse­res Lan­des zutiefst ver­än­dern wird.

Träu­men Sie, wie der Cid, von einer Reconquista?

“Das Heer­la­ger der Hei­li­gen” endet mit der Beschrei­bung einer tota­len Öff­nung der Gren­zen, was den Erzäh­ler an den melan­cho­li­schen Satz eines alten Prin­zen Bibes­co erin­nert: “Der Fall von Kon­stan­ti­no­pel ist ein Unglück, das uns erst letz­te Woche zuge­stos­sen ist.” Nun gut, das ist es. Ich bin zutiefst in die­sem Land ver­wur­zelt, und ich sehe vol­ler Schmerz, wie es an allen Ecken und Enden in sei­ne Ein­zel­tei­le zer­legt wird. Ein Traum von einer Wie­der­erobe­rung? Ja, davon spre­che ich.

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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