Speere schleudern, Speere spitzen

pdf der Druckfassung aus Sezession 39 / Dezember 2010

Das Eigentümliche an der redaktionellen Arbeit für die Sezession...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

ist leicht erklärt: Sezes­si­on erscheint so sel­ten und ist so weit vor jeder Tages­po­li­tik ange­sie­delt, daß die Arbeit an ihr nicht von Trends, Moden oder poli­ti­schen Kli­ma­schwan­kun­gen bestimmt wird.Der Blick auf den nun­mehr zu Ende gebrach­ten Jahr­gang 2010 zeigt: Ein »Faschismus«-Heft (Febru­ar) hät­te auch zwei Jah­re frü­her oder spä­ter erschei­nen kön­nen, »Sex­po­li­tik« (Juni) lag als Idee schon län­ge­re Zeit in der Schub­la­de und rück­te anläß­lich der neu­er­li­chen Gen­der-Wahn-Schü­be und der Debat­te um den Kin­des­miß­brauch an die Stel­le der ange­kün­dig­ten »Geo­po­li­tik«. Für das Okto­ber-Heft dann dik­tier­te uns die Groß­wet­ter­la­ge nur den Titel, nicht den Inhalt. Jene »Alter­na­ti­ven nach 45« oder »Alter­na­ti­ven von rechts« sind wie geplant The­ma des Hef­tes – die Redak­ti­on ent­schied sich erst kurz vor Druck­be­ginn für das Stich­wort »Kon­ser­va­tiv «, weil Roland Kochs anma­ßen­de Begriffs­be­set­zung nicht unbe­ant­wor­tet blei­ben soll­te: Sein Buch mit dem Titel Kon­ser­va­tiv hat mit dem Sinn die­ses Wor­tes nichts zu tun.

Mitt­ler­wei­le muß man fra­gen: Was war da einst mit Kochs Buch? Es ist doch schon wie­der ver­schwun­den aus der CDU-inter­nen Debat­te (die gar kei­ne rich­ti­ge war). Wenn es hoch­kommt, sind ein paar tau­send Exem­pla­re von die­sem Pro­fi­lie­rungs­ver­such ver­kauft wor­den – weni­ger jeden­falls als von Karl­heinz Weiß­manns Das kon­ser­va­ti­ve Mini­mum. Das Sezes­si­on-The­men­heft »Kon­ser­va­tiv« aber gilt, wenn wir den Leser­zu­schrif­ten glau­ben dür­fen, als eines unse­rer bes­ten, als gül­ti­ger Über­blick über das, was nach 1945 an kon­ser­va­ti­ven Strö­mun­gen viru­lent war und es teil­wei­se noch ist.
Wir erzäh­len, wir klä­ren, wir erin­nern, wir deu­ten, wir fas­sen zusam­men, wir tra­die­ren, wir hal­ten fest: So arbei­tend haben wir für 2011 die drei The­men­hef­te bestimmt und den Kern­be­stand der Arti­kel notiert (sie­he neben­ste­hend): im Febru­ar »Islam«, im Juni »Carl Schmitt« (die Rei­he unse­rer per­so­nen­be­zo­ge­nen Hef­te fort­set­zend: Speng­ler, Elia­de, Jün­ger, Lorenz), im Okto­ber »Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on« – ein Pro­gramm, das sich nicht recht­fer­ti­gen muß und das auch dann ange­mes­sen bleibt, wenn bei­spiels­wei­se im Früh­som­mer das Finanz­sys­tem zusam­men­bricht oder bei vor­ge­zo­ge­nen Wah­len die Grü­nen ihre ers­te Bun­des­kanz­le­rIn stel­len. Sol­ches zunächst zu kom­men­tie­ren und in sei­ner momen­ta­nen Bedeu­tung auf­zu­wer­ten, bleibt Tages- und Wochen­zei­tun­gen, Maga­zi­nen und Trend­ver­la­gen vorbehalten.

Sezes­si­on ist dem »Dik­tat der Welt« (Ador­no) nicht im sel­ben Maße unter­wor­fen: Was wir beden­ken und ver­öf­fent­li­chen, kann nicht unmit­tel­bar benutzt und damit ver­nutzt wer­den, und wir sind uns sicher, daß unse­re Abon­nen­ten und Gele­gen­heits­le­ser Sezes­si­on auf­blät­tern, um durch die Ober­flä­che auf den Grund zu kommen.
Ja nun: Das klingt alles ein biß­chen zu fern, zu wald­gän­ge­risch, zu abge­wandt und zu des­il­lu­sio­niert (»den­noch die Schwer­ter halten«/ Gott­fried Benn usw.). Das Jahr 2010 wird uns allen doch als denk­wür­di­ges Jahr in Erin­ne­rung blei­ben, als Jahr, in dem wir uns jäh und elek­tri­siert dem »Dik­tat der Welt« unter­war­fen, wenigs­tens für ein paar lan­ge Wochen. Denn als der Som­mer schon bei­na­he kei­ner mehr war, Mit­te August, ver­öf­fent­lich­ten Bild und Spie­gel Vor­ab­dru­cke aus Thi­lo Sar­ra­zins Buch Deutsch­land schafft sich ab, und plötz­lich begann »unser Wei­zen zu blü­hen«, wie wir hier zu sagen pfle­gen: Die Sar­ra­zin-Stu­die des Insti­tuts für Staats­po­li­tik (immer­hin Her­aus­ge­ber der Sezes­si­on und zur Hälf­te mit der Redak­ti­on iden­tisch) hat sich 10 000 Mal inner­halb von sechs Wochen ver­kauft, The­men wie »Deut­schen­feind­lich­keit«, »Über­frem­dung« oder »Par­tei­grün­dung von rechts« sind dis­ku­ta­bel geworden.
Wir wuß­ten, daß wir die­sen Moment nicht unge­nutzt ver­strei­chen las­sen durf­ten, und haben inner­halb weni­ger Wochen das Son­der­heft »Sar­ra­zin lesen« erstellt – frü­her als jede ande­re Insti­tu­ti­on, die uns wich­ti­gen Aspek­te der Debat­te abde­ckend, in ein­ge­spiel­ter Zusam­men­ar­beit zwi­schen Redak­ti­on, Autoren, Satz und Druck. »Ein­ge­spielt« – das ist nichts Selbst­ver­ständ­li­ches, das ist der Beweis für unse­re Arbeits­fä­hig­keit auch unter Druck, für Auf­bau­ar­beit und Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren. Das ist viel, das kön­nen wir nach jah­re­lan­ger Erfah­rung mit auf­tre­ten­den und wie­der ver­schwin­den­den Ver­la­gen, Zeit­schrif­ten, Pro­jek­ten, Initia­ti­ven sehr wohl beurteilen.
Wir packen zu, spit­zen zu, sto­ßen zu, wir sind nicht aus der Welt, nicht im Elfen­bein­turm, ste­cken nicht in der Aus­sichts­lo­sig­keit eines »eher­nen Zeit­al­ters« fest: Zum Selbst­zweck tritt der Zweck, die­ser »Dop­pel­cha­rak­ter der Bil­dung« (wie­der­um Ador­no) scheint auf, wir tun etwas, wol­len etwas, hal­ten etwas für mög­lich. Goe­the hat die Archi­tek­tur sei­nes Dra­mas über den urdeut­schen Faust-Stoff nach dem Prin­zip von Systole und Dia­s­to­le des Herz­schlags ange­legt: Anspannung/Endspannung, Ausstoßphase/Füllungsphase, Spee­re schleudern/ Spee­re spit­zen — so kann es wei­ter­ge­hen, und viel­leicht kommt es doch so, daß – soll­te der Euro das nächs­te Jahr nicht über­ste­hen – wir das Fül­lungs- und Sub­stanz­heft »Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on« zuguns­ten eines Anspan­nungs­und Aus­stoß-Hef­tes verschieben.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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