Günter Grass und die schuldstolze Agitprop

Günter Grass ist wieder rückfällig geworden. Damit ist nicht der moralische Zeigefinger gemeint, den er sowieso immer ausgestreckt hält,...

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

son­dern sein merk­wür­di­ger Zwang, Gedich­te schrei­ben zu müs­sen. Unter „Gedicht“ kann man eine gan­ze Men­ge ver­ste­hen. Ob es aller­dings reicht, einen sehr kur­zen Text durch eini­ge Umbrü­che zu struk­tu­rie­ren, um dar­aus ein Gedicht zu machen, ist zwei­fel­haft. Wenn Hei­ner Mül­ler auf die­se Wei­se „dich­te­te“, kamen dabei wenigs­tens Unter­halt­sa­mes und Nach­den­kens­wer­tes heraus.

Bei Grass ist es Agit­prop gewor­den, die auf eine Wei­se platt daher­kommt, daß man nie­mals auf die Idee käme, daß es sich beim Autor um einen Nobel­preis­trä­ger han­delt. (Gut, Dario Fo ist auch einer, aber der ist wenigs­tens nicht humor­frei.) Dabei geht es weni­ger um den Inhalt (Iran/Israel etc.), son­dern um die mär­ty­rer­haf­te Form der Dar­bie­tung: „Was gesagt wer­den muß“ – und sich kei­ner traut, weils kei­ner sagen darf. Nur Gün­ter traut sich, er nimmt alle Last auf sich, um stell­ver­tre­tend für alle Deut­schen die Wahr­heit zu sagen. Er ist ein Mär­ty­rer. Dan­ke, Gün­ter, wir wer­den Dei­ner gedenken.

Auf den ers­ten Blick geben ihm die Reak­tio­nen auf sein „Gedicht“ sogar recht: Hen­ryk M. Bro­der holt die größ­te Keu­le raus, die er fin­den kann und nennt Grass den „Pro­to­ty­pen des gepfleg­ten Anti­se­mi­ten“ und alle fol­gen ihm: Grass war immer Nazi, damals in der Waf­fen-SS und spä­ter als Lin­ker, wor­über soll man sich da noch wun­dern. Daß Grass nur ein Pro­to­typ des gepfleg­ten Mora­lis­ten ist, fällt dabei kaum jeman­den auf. In sei­nem „Gedicht“ heißt es ja, daß er Sor­ge um den Welt­frie­den hat, ein Freund Isra­els ist und über­haupt nur das Gute beför­dern hel­fen will.

Ganz in die­sem Sin­ne äußert sich aus­ge­rech­net ein SPD-Poli­ti­ker aus Meck­len­burg-Vor­pom­mern, der den „reflex­haft erho­be­nen Vor­wurf des Anti­se­mi­tis­mus“ kri­ti­siert und (Ach­tung, Ach­tung!) die­sen Reflex „so stark im deut­schen Schuld­stolz ver­an­kert“ sieht, daß Grass´ Freund­schaft zu Isra­el nicht wahr­ge­nom­men wird. (Die Schuld­stolz-Stu­die des IfS scheint es also bis in den Schwe­ri­ner Land­tag geschafft zu haben.)

Ist Grass also wirk­lich ein Mär­ty­rer, der es auf sich genom­men hat, als Anti­se­mit (der schlimms­ten aller Zuschrei­bun­gen) zu gel­ten, um die Wahr­heit zu sagen? Wohl kaum. Der Ver­such, ihn zur Stre­cke zu brin­gen, wird schei­tern: Grass hat wich­ti­ge Ver­bün­de­te in Poli­tik und Medi­en (sonst wäre das „Gedicht“ gar nicht gedruckt wor­den) und, da hat Bro­der recht, nicht weni­gen spricht die simp­le Logik aus der See­le. Wenn sei­ne Bigot­te­rie in Sachen per­sön­li­cher Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung ihm nichts anha­ben konn­te (er for­der­te von ande­ren Auf­klä­rung, schwieg aber selbst), wird das hier wohl erst recht nicht geschehen.

Zumal Grass in einem ganz wich­ti­gen Punkt auf Linie ist. So heißt es in dem „Gedicht“:

War­um aber schwieg ich bislang?

Weil ich mein­te, mei­ne Herkunft,

die von nie zu til­gen­dem Makel behaf­tet ist,

ver­bie­te, die­se Tat­sa­che als aus­ge­spro­che­ne Wahrheit

dem Land Isra­el, dem ich ver­bun­den bin

und blei­ben will, zuzumuten.

Nun wird er mit sei­ner Her­kunft kaum sei­ne kaschu­bi­sche, son­dern sei­ne deut­sche Abstam­mung mei­nen. Und der „nie zu til­gen­de Makel“ ist ver­mut­lich die Schuld gegen­über den Juden, mit der alles Deut­sche behaf­tet ist und blei­ben wird. Das Wort „Her­kunft“ legt in die­sem Zusam­men­hang nahe, daß der Makel ver­erb­bar und somit eher gene­tisch ver­an­lagt ist. Also kann Grass nichts für die­sen Makel und kann eben doch die Wahr­heit sagen (zumal er ja lan­ge im Sin­ne des Makels gehan­delt hat). Und, so wird man sagen kön­nen, Grass trägt die­sen Makel der Schuld nicht ohne Stolz. Er gibt sei­nem „Gedicht“ erst den rich­ti­gen Sound.

 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.