Entartete Kunst?

Jede Zeit hat ihren Geschmack und ihren Stil. Damit ist auch immer ein Urteil darüber verbunden, ...

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

… was nicht als dazu­ge­hö­rig, son­dern als ent­ar­tet betrach­tet wird. Nun könn­te man davon aus­ge­hen, daß in Zei­ten des any­thing goes eben alles geht: Drip pain­ting, Fett­ecken und Kada­ver zer­le­gen. Wenn es so wäre, hät­te ich damit kein Pro­blem. Es gibt aber Din­ge, die nicht gehen. Und das sind Din­ge, die einem im ers­ten Moment nicht als absei­tig auf­fal­len wür­den, bei­spiels­wei­se das Wand­bild “Chem­nitz – Stadt der Moder­ne” von Ben­ja­min Jahn-Zscho­cke.

Die­ses Bild, das die Cafe­te­ria eines Chem­nit­zer Berufs­schul­zen­trums schmü­cken soll­te, wur­de bis­lang nicht ent­hüllt. Seit der Fer­tig­stel­lung im Sep­tem­ber ist es ver­han­gen, jetzt soll es ent­fernt wer­den. In einem Schrei­ben des Bür­ger­meis­ters Bert­hold Brehm an den Künst­ler heißt es:

[…] die Stadt Chem­nitz ist Eigen­tü­me­rin des Grund­stücks […], das mit dem Beruf­li­chen Schul­zen­trum für Wirt­schaft I bebaut ist. Sie haben eine Wand im Spei­se­saal die­ser Berufs­schu­le ohne Wis­sen der Grund­stücks­ei­gen­tü­me­rin und ohne hier­zu befugt zu sein mit einem groß­form­ti­gen far­bi­gen Wand­bild […] bemalt.

Die gegen den Wil­len der Grund­stücks­ei­gen­tü­me­rin erfolg­te Bema­lung stellt eine Beein­träch­ti­gung des Eigen­tums­rechts dar, zu deren Dul­dung die Stadt Chem­nitz nicht ver­pflich­tet ist. Die Stadt Chem­nitz wird des­halb in Aus­übung ihres Besei­ti­gungs­an­spruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB das Wand­bild ent­fer­nen lassen.

Davon wur­den bis­lang weder die Schu­le noch der För­der­ver­ein, der das Bild in Auf­trag gege­ben hat­te, infor­miert. In Zei­ten, in denen die Eltern von Schul­lei­tern ange­bet­telt wer­den, die Unter­richts­räu­me ihrer Kin­der selbst zu strei­chen, könn­te man den­ken, daß sich die “Eigen­tü­me­rin” freut, wenn der För­der­ver­ein für so etwas auf­kommt. Aber weit gefehlt.

Über die­ses Bild wur­de seit der Fer­tig­stel­lung gestrit­ten (eine Doku­men­ta­ti­on ent­hält die Druck­aus­ga­be der Sezes­si­on 27 im Bild­teil). Der Grund ist nicht sofort ersicht­lich. Es han­delt sich um eine soli­de Arbeit eines jun­gen Künst­lers, der damit an sei­ne schwer bom­ben­kriegs­ge­schä­dig­te Stadt erin­nern woll­te. Daß die Arbeit sich sti­lis­tisch etwas an den DDR-Rea­lis­mus anlehnt, dürf­te in Zei­ten der Ost­al­gie eher auf Zustim­mung stoßen.

Es sind zwei Din­ge, die die Ent­fer­nung ver­an­laßt haben, die nichts mit dem Eigen­tums­recht der Stadt zu tun haben: Die Tat­sa­che, daß der Künst­ler Frak­ti­ons­mit­ar­bei­ter bei PRO Chem­nitz ist (ehem. REP/DSU) und, da das nicht straf­bar ist, daß sich auf dem Bild ein sog. Kel­ten­kreuz befin­den soll, was aber auch ein sti­li­sier­ten Lili­en­kreuz (wie es die Markt­hal­le krön­te) sein könn­te. Eine loka­le Pres­se­kam­pa­gne gegen das Bild erzeug­te schließ­lich den not­wen­di­ge Druck, um den Bür­ger­meis­ter zum Han­deln zu bewegen.

Was ist das jetzt? Eine Pro­vinz­pos­se? Ein Lehr­stück über die “Herr­schaft des Ver­dachts”? Oder einer wei­te­rer Schritt in Rich­tung “DDR light”? In jedem Fall ist es ein bered­tes Zeug­nis dafür, daß Kunst auch heu­te noch “ent­ar­tet” sein kann.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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