Schreibtisch, Garten, Alltag (XI): Doppelte Lektüre

Säen, wachsen lassen, dann dazwischensäen: Das geht, wenn man die richtigen Gesellschaften bildet. Gelungenes Beispiel von...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

die­sem Jahr: Mais bis Anfang Juli auf­wach­sen las­sen, dann an jeden Sten­gel zwei, drei Stan­gen­boh­nen ste­cken – sat­tes Ergeb­nis, sicht­bar nur für jene, die nicht nur das wahr­neh­men, was offen­sicht­lich ist.

Mit Kositza zu einem aus­führ­li­chen Gespräch bei einem Schrift­stel­ler, der aufs Wort und auf den rei­fen Klang der Spra­che den aller­größ­ten Wert legt. Kamen irgend­wann nach Mit­ter­nacht auf einen Zustand zu spre­chen, von dem ich hoff­te, daß er ein­ge­tre­ten sei, und den ich nun an Bei­spie­len bestä­tigt fand: Etli­che Intel­lek­tu­el­le, Mei­nungs­ma­cher, Feuil­le­to­nis­ten in die­sem Land absol­vie­ren ein dop­pel­tes Lektürepensum.

Der Schrift­stel­ler kam von sich aus auf die­sen Sach­ver­halt zu spre­chen, weil wir kurz die long- und die short­list der für den dies­jäh­ri­gen Deut­schen Buch­preis nomi­nier­ten Titel durch­gin­gen. An Ver­la­gen: 3x Suhr­kamp, je 1x Rowohlt, Beck sowie Jung&Jung. Die­se Bücher sei­en auf der Lis­te, weil es ein Kar­tell gebe, sag­te der Schrift­stel­ler (der sich selbst übri­gens über man­geln­de Auf­merk­sam­keit nicht bekla­gen kann!). Er wis­se aber, daß die Rezen­sen­ten, die Feuil­le­ton-Macher, sol­che Bücher nur läsen, weil es der Tag und der Betrieb von ihnen erwar­te­ten. Die Bespre­chun­gen und Kom­men­ta­re – und zwar nicht nur die über Bücher – fie­le dann “im Rah­men des Erwart­ba­ren” aus, plu­ra­lis­tisch also inner­halb eines Draht­zauns, eines Ver­öf­fent­li­chungs- und Wertungslagers.

Dann aber, nach dem Appell (zurück in den Unter­künf­ten, wo man end­lich Ruhe habe), wür­de die zwei­te, die ande­re Lek­tü­re her­vor­ge­kramt und ver­schlun­gen, “wäh­rend die Ker­zen bis zu den Man­schet­ten hin­un­ter­bren­nen.” Jeder, wirk­lich jeder, der etwas auf sich hal­te, habe natür­lich sei­nen Jün­ger, Davila, Schmitt, Geh­len gele­sen, jeder wis­se, was “das Eigent­li­che” (Iris Hanika) sei und daß Deutsch­land sich abschaf­fe. “Jede Sei­te ist die Fal­sche” (Micha­el Klo­novs­ky) – das sei ein All­ge­mein­platz, nur Idio­ten wüß­ten nicht um das Thea­ter, das gespielt wür­de, über Enge, den Mief, die Kaser­nie­rung des Geis­tes in der tota­li­tä­ren Demokratie.

— Man zieht per­plex von dan­nen nach sol­chen Gesprä­chen und mus­tert zuhau­se die Abon­nen­ten­kar­tei, die ja nicht zur regel­mä­ßi­gen Lek­tü­re gehört. Und sie­he da: Die­ser – und jener auch, und weil Kositza ein deut­lich bes­se­res Gedächt­nis hat für Namen, die in der Feuil­le­ton­welt eine ers­te, zwei­te oder drit­te Gei­ge spie­len, fin­det sie noch viel mehr Leser, von denen wir nun wis­sen, daß sie eine dop­pel­te Lek­tü­re pflegen …

Selt­sa­mes Land, das in man­cher Hin­sicht und trotz aller gegen­tei­li­gen Beteue­run­gen die Wald­gän­ger gera­de­zu züchtet.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (12)

Nils Wegner

25. September 2012 09:32

Es ja auch nur allzu verständlich, daß man als »Arbeiter der Stirn« im heutigen Pressebetrieb seine privaten »zwischenräume« bitter nötig hat, um nicht vollends geistig zu verkümmern.

Dennoch: Wie wir wissen, kann man durchaus auch daheim literarische Dissidenz betreiben und dennoch tagsüber im MiniWahr die Realität so zurechtbiegen, wie es dem »Höheren Wohl« zu entsprechen scheint.

Raskolnikow

25. September 2012 11:27

Jemand,

der profitiert, kann nicht Waldgänger sein. Der hält sich abseits! (Am besten mit den Händen in der Tasche ...)

Die lächeln, wo es stinkt, verdienen diese Bezeichnung nicht! "Intellektuelle, Meinungsmacher, Feuilletonisten", die die obbesagten Capazitäten lesen und dennoch mitmachen, nenne ich Lügner, Feiglinge, Halbe ... Das ist es, was die geistig-seelische Ausrottungsmaschine namens liberale Demokratie "geradezu züchtet"!

Schade, dass Sie das (scheinbar) anders sehen ...

Gott sei Dank, kein Duplicitätsleser:

R.

Nachtragsfrage: Ist das ein typischer Zug von Berufsklugen und professionellen Lesern - diese Zweigesichtigkeit? Manchmal scheint´s mir so ...

antwort kubitschek:
natürlich, lieber raskolnikov, kann ichs auch kaum glauben. aber nichts menschliches ist uns fremd, oder?

eulenfurz

25. September 2012 12:15

Die DDR-Bürger sind es gewohnt: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Man wußte, was die Obrigkeit hören wollte, und man wußte, daß öffentlich Allgemeinplätze und Lippenbekenntnisse geäußert werden müssen, um aus dem Kollektiv nicht verstoßen zu werden.

Doch ist die Propaganda heute weitaus subtiler: Sie hat das Ziel, statt propagandistischer Phrasen besser Empfindungen anzutrainieren, also viel tiefer in die Psyche einzudringen. Der emotional Dressierte glaubt, seine Handlungen aus eigener Entscheidungsfreiheit zu treffen.

Saxnot

25. September 2012 12:36

»Es gehört selbst zu meinem Glücke, kein Hausbesitzer zu sein, schrieb Nietzsche bereits in der Fröhlichen Wissenschaft. Dem müßte man heute hinzufügen: Es gehört zur öffentlichen Moral, nicht bei sich selber zu Hause zu sein. Darin zeigt sich etwas von dem schwierigen Verhältnis, in dem der einzelne zu seinem geistigen Eigentum sich befindet, solange er überhaupt noch etwas besitzt. Die Kunst bestünde darin, in Evidenz zu halten und auszudrücken, daß das Eigene einem nicht mehr gehört, in dem Sinne, daß der mainstream so stark ist, daß kein Individuum mehr das Recht hat, an die Sezession, an das Prinzip der Beschränkung sich zu klammern.
Daß man aber dennoch geistiges Eigentum haben muß, wenn man nicht in jene Abhängigkeit und Not geraten will, die dem blinden Fortgang des mainstreams zugute kommt.
Aber die Thesis dieser Paradoxie führt zur Destruktion, einer lieblosen Nichtachtung der Dinge, die notwendig auch gegen die Menschen sich kehrt, und die Antithesis ist schon in dem Augenblick, in dem man sie ausspricht, eine Ideologie für die, welche mit schlechtem Gewissen das ihre behalten wollen. Es gibt kein richtiges Leben im falschen.«

Inselbauer

25. September 2012 14:18

Ich hab in der Verlagsbranche schon Feministinnen kennen gelernt, die Jünger lesen, es dort auch so, dass viel "unter dem Vorwand der Medienanalyse" gelesen wird. Der Übergang zwischen Ideologiekritik und ideologischem Doppelleben ist doch immer fließend. Schauen Sie sich zum Beispiel die Auswahl für den heurigen Aspekte-Literaturpreis an: Da sind Debütantinnen dabei, die ganz unverhohlen die "Texte" mit nacktem Fleisch oder mit selbstgebastelten Modellflugzeugen bewerben (oder mit beidem...) Es kann mir doch keiner erzählen, dass ein alter Lektor, der als Junger mit Bernhard oder Handke gearbeitet hat, das privat durchliest.

OJ

25. September 2012 16:12

Vielleicht liegt diese Doppelbödigkeit mitunter auch daran, dass man zwar inhaltlich mit den vordergründig Verschmähten auf einer Linie ist, sich aber dann doch nicht mit jenen gemein machen möchte, für die "Arbeiter der Stirn" und ähnliche Ausdrücke - aus welchen Gründen auch immer - Bonmot-Charakter haben. Mal drüber nachdenken!

Boreas

25. September 2012 16:33

"Säen, wachsen lassen, dann dazwischensäen: Das geht, wenn man die richtigen Gesellschaften bildet. Gelungenes Beispiel von diesem Jahr: Mais bis Anfang Juli aufwachsen lassen, dann an jeden Stengel zwei, drei Stangenbohnen stecken – sattes Ergebnis, sichtbar nur für jene, die nicht nur das wahrnehmen, was offensichtlich ist."

Fehlt noch der Kürbis denn aller guten Dinge sind 3. Diese Pflanzensymbiose kam mir einst als Knabe bei der Lektüre des DDR-Indianerbuchklassikers "Blauvogel" von Anna Jürgens unter.

Wie Buchpreise ausgekungelt werden, weiß man ja spätestens nach gepflegter Kempowski-Tagebuchlektüre...

kempowski

25. September 2012 16:52

Säen, ernten, Kürbisse.
Hach ist das schnuckelig hier!
Man vermisst garnicht das Altermedia down ist.

Inselbauer

25. September 2012 20:50

Lieber OJ, ja, es stimmt, wenn man darüber nachdenkt, muss man natürlich zugeben, dass einem so manches gefällt, wozu man nicht stehen kann. Die Literatur hat halt etwas mit Menschen zu tun, un man mag ja auch so manchen, den man nicht Herrn Kubitschek oder gar Herrn Schilling vorstellen möchte (...) es ist natürlich albern und eitel. Man kann sich auch den Spaß machen, das zum Broterwerb zu machen, und, sofern man unschöne Wortwiederholungen zu vermeiden versteht, als Nationalist femiistischen Kram schreiben. "Servus, und es ist alles egal", wie der alte Bernhard schreibt.

antwort kubitschek:
halten Sie mich und schilling mal nicht für altbackene weinheber-abendlektüre-torwächter. sie kennen meinen bücherschrank nicht, und nicht den von schilling, der übrigens gnadenlos ist in seiner abneigung gegen gesinnung ohne qualität. und: er wars nicht, von dem ich in meinem textchen schrieb.

Inselbauer

25. September 2012 21:32

Sehr verehrter Herr Kubitschek, dafür halte ich Sie nicht! Außerdem lese ich Weinheber am Abend gerne. Selber habe ich den Weg der offenen Bewusstseinsspaltung gewählt und schreibe linke Scheisse, mindestens 15 Seiten täglich. Das war es, nichts gegen Sie und Herrn Schilling.

Raskolnikow

26. September 2012 06:42

Herrje,

aber nichts menschliches ist uns fremd, oder?

Natürlich haben sie wieder Recht, und noch darüber hinaus; denn selbst das vermeintlich Un-menschliche ist uns vertrauter als wir glauben ...

Aber seien Sie nachsichtig mit mir, ich habe die letzten zwei Nächte nicht geschlafen, denn MEIN Mais macht mir Sorgen. Erst keine Maschinen bekommen, dann regnet es, die Zwischenfrüchte wollen auch gedrillt sein und heute nacht regnet es schon wieder.

Heimlich beneide ich Sie in Ihrem Ugrino mit ihren lavendelduftigen Sorgen und Bohnen in der Maisepidermis ...

Eigentlich habe ich gar nichts zu sagen, nur der starke Mocca in Combination mit dem nachnächtlichen Courvoisier schreibt aus mir.

Aber die geliebten Substanzen vertreiben auch den Ekel vor den, von Ihnen, lieber Kubitschek, beschriebenen, Duplicitätsintellektuellen.

Ich mag Euch alle wirklich gern! (Besonders die K. u. K. - Landwirtschaftsepisoden liegen mir am Herzen!)

Gummibestiefelte Hacken zusammenschlagend, verbleibt,

R.

Meier Pirmin

26. September 2012 09:06

Zu den Weinheber-Lesern gehörte auch Reinhold Schneider in seinem schönsten Buch "Winter in Wien", einer rabiat-melancholischen Abrechnung mit der Pax Americana. Ein wichtiger Grundsatz des Feuilletons, mit ganz wenigen Ausnahmen lautet ferner: Catholica non leguntur. Wobei freilich die Guten unter den Katholen, denen sich Jünger zuletzt auch angeschlossen zu haben scheint, gegen den Strich blöken wie seinerzeit schon Meister Eckhart. Die beste literarische Zeitschrift dieser Art waren "Die weissen Blätter" von Karl Ludwig von und zu Guttenberg, wo neben Bergengruen, Ida Friederike Görres, die Schwester von Coudenhove-Kalergi auch die Protestanten Jochen Klepper und Rudolf Alexander Schröder und die Brüder Bonhoeffer publizierten, ferner der Vater des Terroristen Andreas Baader. Heimlicher Patron dieser Autoren war Adalbert Stifter. Die Zeitschrift wurde 1944 angeblich mangels Papierlieferungen eingestellt, hielt sich konsequent an das Jünger-Motto:"Zensur verfeinert den Stil."

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