Maggie. Baroness Thatcher of Kesteven.

von Heino Bosselmann

Margaret Thatcher hat sie gewissermaßen durchgezogen, ihre Variante der konservativen Revolution –...

indem sie das damals Moderns­te gegen alle Wider­stän­de wag­te, mit­ten im urde­mo­kra­ti­schen Groß­bri­tan­ni­en, fast im Stil eines Lord Pro­tec­tor. Ja, man kann dar­über sehr geteil­ter Auf­fas­sung sein, so wie man es gegen­über star­ken Cha­rak­te­ren, an denen sich die Geis­ter schei­den, oft ist, aber in einem dürf­te Über­ein­stim­mung bestehen:

Die Art, wie sie durch­zog, was ihr gebo­ten schien, unter­schied sich in Kon­se­quenz und Rück­sichts­lo­sig­keit signi­fi­kant von der Sprech­bla­se­rei und trä­gen Lau­heit der sozi­al­de­mo­kra­tisch-keyne­sia­nis­ti­schen Jahr­zehn­te der Nach­kriegs­zeit. Des­we­gen gehört die „iron lady“zu jenen weni­gen Figu­ren, der selbst ihre Geg­ner Respekt zol­len – im Sin­ne des ein­fachs­ten aller Kom­pli­men­te: Alle Achtung!

Die Stär­ke des poli­ti­schen Kon­ser­va­tis­mus war von jeher das „Nein“, viel­leicht mehr als das „Ja“ und ganz anders als das unsäg­li­che „Jein“ im Sin­ne von „Ja, aber“. Und rech­ter Kon­ser­va­tis­mus unter­schei­det sich von ultra­rech­tem Radi­ka­lis­mus wie die küh­le unbe­stech­li­che Ratio­na­li­tät der Lady vom über­hitzt emo­tio­na­len Fana­tis­mus der Eife­rer, die oft genug nicht bereit sind, selbst den Kopf hin­zu­hal­ten. Wir dürf­ten die Stim­me der Lady noch im Ohr haben, als sie sich selbst im Unter­haus, die­ser bis heu­te wohl engs­ten und kon­fron­ta­tivs­ten Büh­ne für ech­te Debat­ten, die rhe­to­ri­sche Fra­ge vor­leg­te, ob Groß­bri­tan­ni­en je von Euro­pa aus regiert wer­den soll­te: No, no, no! Und dazu ein Ges­tus, der an poli­ti­schem Ernst eben­so­we­nig zu wün­schen übrig ließ wie über­haupt an beein­dru­cken­der Humor­lo­sig­keit, die jedoch geschicht­lich mit­un­ter gebo­ten ist, auch wenn die Spaß- und Medi­en­ge­sell­schaft einen sol­chen Typus Mensch, eine sol­che Frau zumal, kaum ver­ste­hen dürf­te. – Erin­nern wir uns: Poli­tik und Talk­show waren damals noch getrenn­te Berei­che; mehr als das nur geist­rei­che Bon­mot zeig­te die cou­ra­gier­te Aus­sa­ge Wir­kung; geschätzt wur­de, wer einen Stand­punkt hat­te und den ver­tei­dig­te – auch als Geg­ner. Und Tole­ranz galt noch als etwas ganz ande­res als Opportunismus.

Viel Feind, viel Ehr’! – Der Falk­land­krieg im Som­mer 1982, obgleich auf den fer­nen und kal­ten Süd­at­lan­tik beschränkt, war weder für die Bri­ten noch für die Argen­ti­ni­er Thea­ter­don­ner, son­dern furcht­bar wie Krie­ge sind. Und in der Här­te im Vor­feld unter­schätzt! In sei­ner Kür­ze deck­te er das furcht­ba­re Spek­trum des Ster­bens zu Land, zu Was­ser und in der Luft gänz­lich ab. Obgleich gera­de die­ser Ver­gleich auf bei­den Bei­nen hinkt: Sie stand ihn durch wie ein Chur­chill. Wäh­rend die argen­ti­ni­sche Jun­ta so erschüt­tert war, daß das Land 1983 zur Demo­kra­tie zurückkehrte.

Nicht alles, im Gegen­teil, sehr weni­ges, erschien ihr ver­han­del­bar. Selbst in bezug auf die deut­sche Ein­heit blieb sie bei ihrer ableh­nen­den Posi­ti­on. Mar­gret That­cher war kei­ne Dis­kurs­ethi­ke­rin, son­dern eine Dezi­sio­nis­tin und gera­de dar­in – very bri­tish! Wenn man dabei in Rech­nung stellt, daß die Geschich­te Eng­lands viel län­ger ist als das zwan­zigs­te Jahr­hun­dert. Gemein­sam mit Ronald Rea­gan schlug sie die letz­ten Schlach­ten des Kal­ten Krie­ges, indem sie – wie er – aufs Gan­ze ging und gegen­über der Sowjet­uni­on ein tech­ni­sches K. o. erzielte.

Die radi­ka­le Ent­fes­se­lung der Markt­kräf­te, die Dere­gu­lie­rung, ins­be­son­de­re der Finanz­in­dus­trie, die gesam­te soge­nann­te Neo­li­be­ra­li­sie­rung des Kapi­ta­lis­mus, geschult an Fried­rich von Hay­ek und Mil­ton Fried­man, hat heut­zu­ta­ge für man­chen einen unan­ge­neh­men Klang, aber die­se Revo­lu­ti­on befrei­te damals offen­bar aus einer depres­si­ven Stim­mung von Sta­gna­ti­on, erlös­te von der Erstarrt­heit in stän­di­schem Den­ken, sorg­te für Durch­zug in den trau­ri­gen Gewerk­schafts­knei­pen und eröff­ne­te dem Chan­cen, der sich bewe­gen wollte.

Bei der rigo­ro­sen Pri­va­ti­sie­rungs- und Sanie­rungs­po­li­tik blie­ben vie­le und blieb vie­les auf der Stre­cke. Aber hin­zu­neh­men, daß Opfer zu den Risi­ken, ja zum Schick­sal im Zuge des Fort­schritts und über­haupt zum Geschick des all­ge­mein Mensch­li­chen gehö­ren, genau das ist kon­ser­va­tiv in der Hal­tung und revo­lu­tio­när im Mut. Es ist dies die Klar­heit, wel­che auf die Ver­schwom­men­heit der auf Kaschie­rung des natur­ge­mäß Ver­schie­de­nen ange­leg­ten Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­ge­set­ze, Inklu­si­ons­pro­gram­me und sons­ti­gen Trös­te­rei­en eben­so ver­zich­tet wie auf die ver­lo­ge­ne Pro­pa­gan­da, das poli­tisch Demo­kra­ti­sche kön­ne das öko­no­misch Kapi­ta­lis­ti­sche voll­kom­men kom­pen­sie­ren, so wie die Gesamt­schu­le angeb­lich von vorn­her­ein jede Unge­rech­tig­keit zwi­schen Men­schen weger­zie­he. Nein, alles, was Ver­än­de­rung erzwingt, hat sei­nen Preis und kommt nicht ohne Janus­köp­fig­keit aus.

Den­noch merk­te Johan Schloe­mann gera­de zu Recht an, daß es eben frag­wür­dig sei, ob zwi­schen Markt und kon­ser­va­ti­ver Moral, wie Mrs. That­cher annahm, kein Wider­spruch bestün­de. Wört­lich schließt er mit der Jahr­zehn­te spä­ter beden­kens­wer­ten The­se: „Der moder­ne Kon­ser­va­tis­mus – in sei­ner schein­bar har­mo­ni­schen Ver­bin­dung von ver­läß­li­chen, tra­di­tio­nel­len Wer­ten, natio­na­lem Patrio­tis­mus, För­de­rung des pri­va­ten Unter­neh­mer­tums und glo­ba­li­sie­rungs­of­fe­ner libe­ra­ler Wirt­schafts­po­li­tik zer­stört genau das anstän­di­ge Leben, das er zu bewah­ren behauptet.“

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (30)

Vulture

12. April 2013 08:34

Na Herr Bosselmann, Sie wollen es mal wieder herausfordern zum fruehen morgen? Gleich bricht hier der Sturm der Entruestung ueber die Verherrlichung einer solchen Antideutschen los. Wie dem auch sei, ich finde ihren Artikel gut. Bis auf den letzten Abschnitt bezueglich des Zitats dieses Herrn Schloemann: Dieselbe Art der Begriffsvernebelung wie sie ja von hier aus sonst immer gern attackiert wird.
Was fuer ein Markt denn? Der Gemuesemarkt am Donnerstag steht im Widerspruch zur konservativen Moral? Bitte Ross und Reiter benennen. Wie kommt es denn dass die Partikularinteressen bestimmter Akteuere ("Markt"-teilnehmer) sich am Ende, wenn auch getarnt, in politischen Agenden wiederfinden? Wer macht das, der Markt?

Heino Bosselmann

12. April 2013 08:55

Lieber "Vulture", Sie werden Recht behalten, ja. 1.)Zu Ihrem zweiten Teil und zum Schloemann-Zitat, obwohl mir das hier nicht Hauptsache war: M. E. läuft unter Konservativen ohnehin die Debatte, ob dem Markt alles überlassen bleiben sollte, von öffentlichen Angelegenheiten bis Hoheitsaufgaben des Staates. Ich verteufele den Markt nicht. Nur sind seit den Achtzigern eine Menge Menschen geboren, die gar nichts anderes mehr kennen als die "reine Marktlogik". Sind sie krank, kommen sie nicht ins Krankenhaus, sondern in eine Firma, die sich wohl Gesundheitsfragen widmet, nicht jedoch als "gesellschaftlichem Gut", sondern marktorientiert – Therapie als Ware, der Patient als Kunde. Daran ist vieles in Ordnung und vermutlich effizient. Man wird aber darüber nachdenken dürfen; so wie man darüber nachdenken kann, was Bildung verliert und gewinnt, wenn sie vermarktwirtschaftlicht wird. – Wenn Margret Thatcher den verschnarchten Staatsfirmen und vor allem den Gewerkschaftlern damals den Marsch blies, so war das offenbar ein Erfordernis für das stagnierende England der Siebziger. Heute mögen durchaus andere Fragen stehen. 2.) Mehr als antideutsch war die Lady eine nationalistische Engländerin. Und darin ein starkes Beispiel.

Sascha

12. April 2013 10:16

Der politische Konsens der heutigen Einheitspartei - in all ihren Fraktionen, von der FDP bis zur Linken - ist mehr Staat. Insofern ist konservativ vor allem erstmal ein Nein zu mehr Staat.

Dass bei Privatisierungen durch den Staat vor allem politiknahe Kreise profitieren, die die ehemaligen Staatsmonopole billig einkaufen und dann ausnutzen, während der Markt etwas mehr Zeit braucht, um wirksam zu werden (denn dazu muss erstmal Konkurrenz entstehen), ganz zu schweigen davon, dass es oft riesige Unterschiede gibt zwischen dem, was Markt ist, und dem, wo Politiker Markt draufschreiben, ist natürlich ein Problem. Allerdings nicht für die Politik, denn die nutzen das natürlich aus, um dann wieder nach mehr Staat als Lösung für Probleme zu schreien, die der Staat erst hervorbringt. Nur für die Bürger, für die das Spiel bedeutet, dass die Gewinne privatisiert werden aber die Verluste der Steuerzahler bezahlt.

Und was die Bildung betrifft - da geht es nicht um "Vermarktwirtschaftung" sondern um Freiheit. Die Homeschooling-Bewegung ist eine klar konservative Bewegung, der spezifische deutsche Schulzwang eine Erfindung der Linken (in der nationalsozialistischen genau wie in der sozialistischen Version).

Stockholm-Syndrom

12. April 2013 10:46

"Sie stand ihn durch wie ein Churchill."

Neben der kindischen Chauvinistin Thatcher, die allein durch den durch nichts gerechtfertigten Britenrabatt bis heute 85 Milliarden Euro Zahlungen an den EU-Haushalt "gespart" hat, (die - wer wohl - ausgleichen mußte?) jetzt hier auch noch das Märchen vom tapferen Churchill abzufeiern, ist schon stark.

Der Mann hat durch seine siegesgewisse Kriegspolitik mehrere Millionen deutsche Leben auf dem guten Gewissen.

Das paßt übrigens zum Zitat der Woche aus der JF, von Marcus Schmidt zur Alternative für Deutschland:

"So sah sich Parteichef Lucke erst Anfang der Woche ... dem massiven Vorwurf (!) ausgesetzt, in der AfD gebe es 'mitunter populistische Tendenzen, am rechten Rand (!) zu fischen'."

Ja, der böse rechte Rand... Da wehrt sich der Lucke natürlich. Toll, oder?

Die Hoffnung steigt und alles Gute kommt von Westen.

Unke

12. April 2013 10:51

Ein paar Dinge scheinen mir noch erwähnenswert

1. Das war damals die Zeit, als nicht jedes Quartal darüber sinniert wurde, welche Steuer erhöht oder welche neue Abgabe eingeführt werden müsse, sondern als pünktlich zum Jahreswechsel die (Spitzen-)Steuersätze regelmäßig gesenkt wurden. Und die Staatsverschuldung ging rasant zurück (so dass später John Major und Gordon Brown wieder aus dem vollen Schöpfen und Wählerstimmen auf Pump kaufen konnten). Jaja, damals gab es noch Hoffnung.

2. Die überfälligen Privatisierungen (British Leyland, anyone?) und Deregulierungen wurden von einer sehr kompetenten Behörde, der MMC (Monopoly & Mergers Commission) begleitet; Hayek wurde sozusagen in die Praxis umgesetzt. Die MMC war eine Behörde, die ich damals etwas genauer beobachtet und bewundert habe.
Was viele Volldödel vergessen (oder heutzutage einfach nicht wissen) ist, dass das Desaster um die privatisierten Wasserversorger und Bahnen erst nach Thatchers Weggang in die Wege geleitet wurden.
(Hinweis zu „Dödel“: wenn die Journaille schäumt und die üblichen Verdächtigen sich zum „Protest“ zusammenrotten kann man zuverlässig davon ausgehen, dass da jemand Politik fürs Volk macht)

3. Es waren die eigenen konservativen Partei“freunde“, die sie bei erstbester Gelegenheit aus dem Amt gejagt hatten (und, natürlich, das kommunistische Medienestablishment, allen voran die BBC mit ihrem geradezu pathologischen Hass auf Thatcher). Bis Mitte der 90er war auch z.B. die FT lesenswert, seitdem ist sie ein linkes NWO- Schmierblatt und huldigt(e) „Nu Labour“.
Proletarische Aufsteiger haben sie natürlich geliebt, z.B. Julie Burchill.
Sicherlich ist es richtig, dass im Endeffekt die Politik Thatchers der Financialisation Vorschub geleistet hat. Hier gilt dasselbe wie weiter oben: der Beschwerdeführer möge sich an den OxBridge-Abschaum seines Vertrauens wenden;-)

Könnte noch diverses Andere anführen (habe ihre zweibändige Autobiographie gelesen, z.B.), aber man soll ja nicht immer vom Hunderdsten ins Tausendste kommen.

Heino Bosselmann

12. April 2013 10:54

@Unke: Sehr wesentlich und substantiell. Vielen Dank für die Anmerkungen.

JeanJean

12. April 2013 10:57

Tatsächlich machte Margret Thatcher zwei entscheidende Fehler. Sie unterschätzte die Notwendigkeit des kulturellen Nährbodens, der die Marktteilnehmer prägen muss, denn Freiheit braucht informierte und moralische Bürger und sie reformierte die Nationale Krankenversorgung nach marktwirtschaftlichen Vorgaben, statt sie aufzulösen.

Der NHS hat sich zu einer Megabehörde aufgeblasen, "diversifiziert" und von Political Correctness durchtränkt bis in die letzte Pore, der sich unter planwirtschaftlichen Bedingungen in eine Todesmaschine verwandelt hat, über die wertes vom unwerten Leben geschieden und unter staatlicher Aufsicht gemordet wird.

Seine Verherrlichung bei den Olympischen Spielen zeigte die Zentrale Rolle, nicht nur als Arbeitgeber, sondern auch als Gesellschaftsmodell und Machtinstrument, wie auch den erzieherischen Charakter dieses Monstrums auf.

Genau dort, beim NHS, wird deutlich, dass der Markt nur funktioniert, sich verbessert und erzieht, wenn echte Konkurrenz besteht, was heute weltweit die Ausnahme bildet. Ein Fehler Thatchers, der sich furchtbar rächt.

Die "reine Marktlogik" hat sich spätestens seit Roosewelts New Deal aus dem einst freien Amerika verabschiedet und einer zunehmend in Richtung der global zentralisierten Planwirtschaft schreitenden Herrschaft der politischen und Wirtschaftseliten Eliten Platz gemacht-

Ein Blick in die Theorie / Ideologie der "Nachhaltigkeit", die ja heute als das einzig zulässige Modell der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Führung, Entwicklung und Lebensweise ist, das komplett mit eigener Moral und Werteordnung, daherkommt, zeigt deutlich, dass im Westen der Korporatismus die Marktwirtschaft abgelöst hat. Mit allen Folgen der Verwahrlosung , Korruption, seiner undurchdringlichen Hierarchie und einem pseudo moralischen Rigorismus, der zwangsläufig in die Unfreiheit führt.

Margret Thatcher, die letzte Patriotin, hat ihrem Land ein wenig Zeit geschenkt, sich für oder gegen die Freiheit zu entscheiden. Wir wissen heute, wer das Rennen gemacht hat - zuförderst die Masseneinwanderung, an zweiter Stelle die "Bildungsreformen" haben den einst freiheitsliebenden Briten endgültig das Rückrat gebrochen.

Trotz all ihrem Mut, mit dem sie den Hassern aus Gewerkschaften, intellektuellen Eliten und dem BBC Mob entgegentrat, hat sie ihr Land nicht retten können.

Sie ist vermutlich die letzte führende europäische Politikerin, die das Modell der nationalstaatlichen Demokratie als Wurzel der Freiheit begriff und verteidigte.

Heino Bosselmann

12. April 2013 11:04

@Stockholm-Syndrom: Der politische Gegner – in der Sachlichkeit Carl Schmitts gesehen – ist nicht nur Gegner in bezug auf uns, sondern ebenso Typus und Charakter an sich selbst. Indem er seine Sache vertritt und durchkämpft, darf man ihn wohl – in Fairneß – als Muster auffassen. Ein anderes ist, sich dazu politisch konkret zu verhalten.

Importprimat

12. April 2013 11:12

Sehr geehrter Herr Bosselmann,

in der Welt-Online beschreibt Alan Posener Frau Thatcher als Ikone der Liberalen.

Kern: There is no such thing as society.

Frau Thatcher hat demnach genau das Kit gefressen, der die Gesellschaft zusammenhielt. Die Folgen sind die Gesellschaftlichen zustände, die hier oft kritisiert werden. Für Kulturkonservative im Königreich ist die Frau der Advocatus Diaboli. Wenn wir vom Finanzplatz London sprechen, sprechen wir von ihr. Die maximale ökonomische Verwertung der Human Resources und Gleichberechtigung der Kapitalquellen, im Dienste einer materiell besseren Welt. Ich weiß nicht, ob Frau Thatcher unter Konservativ das gleiche verstehen würde wie Sie. Ich persönlich sehe Sie auch wie Herr Posener als Revolutionärin des Liberalismus, konservativ nur in ihrem Patriotismus (was im Vergleich zu hiesigen „Konservativen“ ja bereits eine ganze Menge ist).
„Nein, alles, was Veränderung erzwingt, hat seinen Preis und kommt nicht ohne dramatische Janusköpfigkeit aus.“ So was Ähnliches sagt auch der Integrationsbeauftragte auf die Probleme der bunten Republik angesprochen. Nur in Zynisch. In Thatchers Haltung finden sich viele von Ihnen geschätzte Eigenschaften, die sind aber nur dann konservativ, wenn Liberal/Links nur Karikaturen sind (bitte sprechen Sie mich nicht auf die reale Verfassung dieser Denkrichtungen an, mir geht es als Linksliberalen schlecht genug).
Ihr liebster Spruch war TINA: „there is no alternativ“. Durch ihre Willensstärke hat sie genau das Gegenteil bewiesen: Es gibt eine Alternative zu einem apathischem Leben. So man denn was bewegen will. Sie ist auch der Beweis, das links/rechts Koordinaten das Denken nicht mehr adäquat beschreiben. Dazu haben Sie vor ein paar Tagen einen lesenswerten Artikel geschrieben.

JeanJean

12. April 2013 11:43

@Importprimat,

Gut, dass Sie das entsprechende Zitat, dass ich in meinem Kommentar mitgedacht, aber nicht reingeschrieben habe, nachliefern!

@Unke,

und auch Ihren Teil zu den "Parteifreunden" kann ich unterschreiben. Leider finde ich den Artikel in meinem Acrchiv nicht mehr, in dem beschrieben wird, dass Thatcher sich bei ihrem Amtsantritt über das Wesen der EU noch nicht im Klaren war - die entscheidenden Dokumente bekommen Politiker erst mit der Amtsübernahme.

So wird ihr rascher und kompletter Wandel von einer EU Verfechterin, zur EU Kritikerin nachvollziehbar.

Bei unseren Politikern läuft das anders. Kommen sie in die Lage, die entscheidenden Wesenszüge des Glob Gov zu kapieren, werfen sie sich nieder und fangen an die Bevölkerung des reaktionären Denkens und der Dummheit zu bezichtigen.

So kommen die Kriterien zur Identifizierung und Behandlung von "Nazis" und der institutinalisierte Antirassismus, großteils aus den abgenickten, normativen Dokumenten und Vorschlägen der UN / EU /Glob Gov Labore.

Man kann die Wandlung der Politiker nach Amtsantritt langsam als Wettrennen betrachten. Wer kriecht am schnellsten? Wer verrät sein Volk mit Begeisterung und wer hat noch Bauchweh dabei.

Wie anders war da Thatcher!

Sara Tempel

12. April 2013 11:56

Ihre Hervorhebung der guten Seiten der "eisernen Lady" ist sicher eine Hilfe im Bemühen die vielfältigen Facetten der jüngsten Geschichte zu begreifen. Mir war diese Frau, die sich in einer von männlichen Umgangsformen bestimmten Politik so kämpferisch durchsetzte, nie sympathisch; ich möchte sie aber gerecht beurteilen. Wenn sie unseren Kanzler Kohl so knallhart über den Tisch zog, muss das auch an dessen Unfähigkeit gelegen haben. Maggie hat Englands Interessen gut vertreten, Kohl die der Deutschen schlecht! Mit der überstürzten Wiedervereinigung wollte er sich selbst ein Denkmal setzen, nicht seinem Volk dienen oder gar konservative Werte vertreten, denen hat er nur geschadet. Er machte die CDU zu einer Partei, die ihre Politik von den USA und England, bzw. immer mehr von der EU, bestimmen lässt. Deutschland verliert so den letzten Rest an Souveränität, in England gibt es viel stärkeren Widerstand gegen die EU (s. UKIP und Nigel Farage)!
Eine Wiedervereinigung, in der eine Treuhand Firmen "abwickelte", anstatt das Know-how der DDR-Unternehmen zu erhalten und mit neuen Strukturen zu modernisieren, war zwar einfach und schnell, aber nicht intelligent.
Die Verweigerung einer Einführung des Euro war eine sehr weitblickende Entscheidung, mit der Thatcher ihrem Land wohl am meisten gedient hat!

Toni Roidl

12. April 2013 13:07

Liebe Sara Tempel,

»... das Know-how der DDR-Unternehmen zu erhalten ...« Hahaha, der war gut!

Zur Ehrenrettung Thatchers: Die Frau war sicher ein grauenvoller Charakter. Aber man muss sich mal vorstellen, dass die britische Druckergewerkschaft noch in den 80ern für die Beibehaltung des Bleisatzes (und gegen die Einführung des Fotosatzes) gestreikt hat! Da braucht es "eiserne" Leute!

Inselbauer

12. April 2013 14:14

Diese Dame mit ihren stinkigen Kniestrümpfen ist zu einem Fetisch solcher Leute geworden, die sich mit großer symbolischer Geste dem "Konservatismus" zuwenden. Der einzige Unterschied zu Schröder sind die marginalen programmatischen Differenzen im Kulturbereich; beide haben kleine, ekelhafte Kommandooperationen am Arsch der Welt als gerechte Kriege verkauft und glorreiche wirtschaftliche Reformen umgesetzt, die ohnedies überfällig waren. Schröder ist mir ein wenig sympathischer, weil er mit seinen bürokratischen Sozialingenieuren den Einsatz des Polizeiknüppels wenigstens in Grenzen halten konnte. Es ist deprimierend, eine solche Figur im Nachhinein als starke Persönlichkeit zu überhöhen, das war meine Tante auch, als Schnaps-Brennerin und Rodel-Weltmeisterin.

John Haase

12. April 2013 14:50

Obwohl mir persönlich Thatchers Persönlichkeit und Tatkraft durchaus sympathisch sind, gelange ich dennoch zu einer eher negativen Bewertung ihres Wirkens. Tatsächlich denke ich, daß sie in den meisten Fällen zumindest langfristig ohne es zu merken genau das Gegenteil von dem erreicht hat was sie wollte. Insofern paßt der Vergleich mit Churchill ganz gut, der sich ebenfalls mit aller Kraft in einen Feind verbiß der keiner war, nur um dann auch nach dem eigenen Siege noch schlechter dazustehen als zuvor. Bei Churchill war dieser scheinbare Feind Deutschland: man beachte, daß das jahrhundertealte britische Empire die Nazis bloß um 30 Jahre überlebte, und das bei großzügiger Rechnung.

Thatcher hingegen übernahm bereits ein heruntergekommenes Land: die Briten waren wie der ganze andere Westen auch durch eine kulturelle Revolution gegangen, zusätzlich lag die Industrie am Boden, nicht zuletzt auch deswegen weil die alten Märkte in den Kolonien weggebrochen waren. Streik nach Streik nach Streik fügten ihr noch mehr Schaden zu.

Thatcher sah diese industrielle Krise als eine rein wirtschaftliche und so war auch die Lösung entsprechend. Das Ergebnis der Reformen war aber nicht die Rettung der Industrie sondern ihre weitgehende Abschaffung. Die Folgen davon drücken noch heute auf das Land: für die Arbeiter war die Industrie ja sowohl Broterwerb als auch Identitätsstiftung gewesen. Beides fiel nun weg. Die Frage des Broterwerbs wurde in den folgenden Jahrzehnten einigermaßen gelöst, die Frage der Identitätsstiftung hingegen nicht einmal gestellt: so wurde die Lebenswelt einer ganzen Gesellschaftsschicht zerstört, aus Stahlarbeitern, Mechanikern und Bergleuten wurden Supermarktkassierer, Kellner und nicht selten auch kulturell verwahrloste Dauerarbeitslose.

Bei einer anderen, noch entscheidenderen Frage sieht die Bewertung nicht viel besser aus: die Masseneinwanderung wurde unter Thatchers Führung nicht einmal gemildert und schon gar nicht beendet. Wikipedia gibt zwar für Deutschland einen höheren Ausländeranteil als für Großbritannien an, aber wer schon einmal in Großbritannien war wird einen statistischen Taschenspielertrick als Grund hierfür im Verdacht haben. Bei meinem letzten Aufenthalt in London dauerte es jedenfalls zwei Tage bis ich zum erstenmal einen britischen Akzent vernahm. Davor alle möglichen anderen: polnische Rezeptionistin, verschleierte (!) Verkäuferin, ein Taxifahrer der mich aus dem Auto heraus auf italienisch nach dem Weg fragte und als besonderes Highlight: deutsche Bauarbeiter.

All dies ist nicht nur, aber auch Thatchers Schuld. There is no society anymore indeed!

Sicherlich hat sie auch große Verdienste: der Falklandkrieg war richtig, ebenso ihre harte Linie gegenüber der Sowjetunion. Bezüglich ihrer Wirtschaftsreformen kann man zurecht einwenden, daß die alte Wirtschaftsordnung sowieso nicht mehr zu halten war und untergehen mußte.

Dennoch hat sie es auf wesentlichen Gebieten versäumt den Kampf überhaupt aufzunehmen. Wie alle anderen konservativen Köpfe in Europa auch glaubte sie, wenn man nur die Wirtschaft in Ordnung bringen könnte, so würde die geistig-moralische Wende schon folgen. Sozial- und Kulturpolitik wurde als "Gedöns" der politischen Linken überlassen, die schließlich in Großbritannien mehr noch als anderswo den vollständigen Sieg davongetragen hat. Dies hat Thatcher nicht nur nicht verhindert, sondern mit ihrer einseitig ökonomischen Politik sogar noch gefördert. Der heutige Zustand des Landes und seiner Institutionen ist auch ihr Werk.

Nun, eine bemerkenswerte Frau war sie in jedem Falle. Unbestreitbar ist auch ihr ohne Zweifel tapferer Widerstand gegen den Zeitgeist. Wenn man den schier grenzenlosen Haß den sie selbst heute noch auf sich zieht sieht, kann man nicht anders als sie zu bewundern. Sie war eine leidenschaftliche und große Britin.
Möge sie in Frieden ruhen.

Sara Tempel

12. April 2013 15:53

Lieber Toni Roidl,
es freut mich von Herzen, dass ich Sie zum Lachen gebracht habe! Das ist ja noch besser, als wenn ich Sie nur zum Nachdenken angeregt hätte.- Und jetzt kommt noch eine Steigerung: Ich selbst würde sofort für die Wiedereinführung des Bleisatzes streiken oder demonstrieren, denn dieser steht für gute alte Qualität im Buchdruck!
Hoffnungslos reaktionär?

Waldgänger

12. April 2013 18:23

Herr Bosselmann und Schloeman weisen ganz zu Recht auf den entscheidenden Knackpunkt hin:

„Der moderne Konservatismus – in seiner scheinbar harmonischen Verbindung von verläßlichen, traditionellen Werten, nationalem Patriotismus, Förderung des privaten Unternehmertums und globalisierungsoffener liberaler Wirtschaftspolitik zerstört genau das anständige Leben, das er zu bewahren behauptet.“

... jedenfalls dann, wenn die globalisierungsoffene liberale Wirtschaftspolitik zum Herrn im Hause wird. Und das ist geschehen.

Während früher davon ausgegangen werden konnte, dass Marktwirtschaft und Konservatismus miteinander harmonieren, ist das heute - da unsere rheinische bzw. soziale Marktwirtschaft sich in einen globalisierten Radikalkapitalismus verwandelt hat - eben nicht mehr der Fall.

Der moderne Kapitalismus zerstört die gesellschaftlichen Werte und Grundlagen, die der Konservative schätzt.

Das ist natürlich eine Erkenntnis, die insbesondere älteren Konservativen sehr schwer verdaulich ist ... ! Es ist aber so.

So ist der ungeliebte Neoliberalismus der Brüsseler Behörden auch eine Folge der von Thatcher und Reagan Anfang der 1980er Jahre durchgeführten Deregulierungspolitik ...

Insofern ist Thatcher zwar für die 1980er Jahre als Konservative zu sehen, nicht jedoch als jemand, der konservative Positionen nachhaltig gesichert hätte.
Ich sehe sie anhaltend kritisch.

Czimmer

12. April 2013 18:27

Seit dem Ende der Kolonialzeit ist Grossbritanniens Stern stetig im Sinkflug. Diesen Niedergang konnte letztendlich auch Thatcher mit ihrem marktradikalen Nihilismus nicht aufhalten. Er hat ihn nur beschleunigt, weil er die Substanz einer Gesellschaft zerstört. Ohne seine Londoner Banken wäre Großbritannien wahrscheinlich heute ein gescheiteter Staat. Tausende von Kameraaugen sichern einen sozialen Frieden, den es schon längst nicht mehr gibt, wie die "riots" 2011 gezeigt haben. Und außenpolitisch? Ist man Handlanger des großen Bruders aus Übersee - eine gute Methode, um seine riesige Unterschicht beschäftigt zu halten. Ist es eine konservative Tugend, eine Gesellschaft komplett zu spalten, die Mittelschicht zu dezimieren? Was Thatcher in England getrieben hat, war ein irres liberales Experiment, das gründlich schiefgegangen ist. Dann doch lieber die behagliche Bundesrepublik der Achtziger...

Olaf

12. April 2013 18:38

Maggies Parole in Richtung EU lautete:"I want my money back"
Deutsche Politclowns sagen immer nur:"How much may we spend, please"
Die Briten habens gut.

Ohne Führerschein

12. April 2013 22:11

Es geht nicht darum Frau Thatcher zu glorifizieren, sondern sie als das anzuerkennen, was sie war: Ein für die Politik ungewöhnlich aufrechter Charakter, der kompromisslos für seine Überzeugungen kämpfte.

Frau Thatcher ist in den linksliberalen deutschen Medien nicht gut gelitten, div. Fiesitäten hat man versucht ihr im Rahmen der Bericherstattung anzudichten - Intrigantentum zählt nicht dazu.

Sie war schon in ihrer Regierungszeit ein anachronistischer Dinosaurier, keiner hatte ihr substantiell etwas entgegenzusetzen, die lauwarm-kriecherische Konsenspolitik war in der EU bereits Usus als sie ihr "Money back" wollte - sonst hätte sie es nicht bekommen.

Zwar liegt Frau Thatchers Haltung zu Deutschland auch mir schwer im Magen, das hält mich aber nicht davon ab ihr Anerkennung (ungleich Unterwürfigkeit) zu zollen. Man sollte sich davor hüten andere für die eigene Schwäche verantwortlich zu machen, dadurch macht man sich nur noch kleiner als man ohnehin schon ist. Lieber einen ehrlichen Feind als einen falschen Freund.

Wünschen wir uns nicht alle einen Charakter vom Schlage einer Thatcher, der sich vor die versammelte Mannschaft in Brüssel stellt und mit drastischem Gestus auf den Tisch haut und sein Geld zurück verlangt?

Man vergleiche eine Merkel mit Thatcher! Selbst ihr Erbe David Cameron, der derzeit den Aufstand in Sachen EU probt, hat nicht mal ansatzweise "die Eier" die eine Frau Thatcher an den Tag legte. Auf deutscher Seite würde ich maximal noch F.J. Strauß als jemanden betrachten der es charakterlich mit ihr aufnehmen konnte.

Kleine Annektdote zu Strauß aus Stoibers Erinnerungen:

[...] als KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow Strauß beim Empfang fragte, ob er zum ersten Mal in Russland sei, soll Strauß erwidert haben: "Nein. Aber beim ersten Mal bin ich nur bis Stalingrad gekommen."

Offenes Visier - ist es nicht das, was hier immer wieder gefordert wird?

Die Briten Frau Thatcher kein Staatsbegräbnis gönnen - dabei war sie es, welche die letzten erfolgreichen Schlachten für Großbritanien schlug. Vielleicht gibt es das "europäische Volk" ja doch schon, in Deutschland würde es in einem vergleichbaren Fall nicht anders aussehen, man traut sich ja nichtmal z.B. einem Heino das Bundesverdienstkreuz zu verleihen, stattdessen erhält der "Kinderliebhaber" Cohn-Bendit dieser Tage den Theodor-Heuss-Preis verliehen.

Dr _Maus

13. April 2013 09:45

In Stil und Haltung war und ist sie grossartig und unübertroffen , man sehe sich nur folgenden Schnipsel an und vergleiche das mit heutigen Gefuehlspolitikern vom Typus Kraft https://m.youtube.com/#/watch?v=QiMs165tVdw&desktop_uri=%2Fwatch%3Fv%3DQiMs165tVdw

F451

13. April 2013 13:01

Hier kann man mal wieder schön den deutschen Objektivitätsfimmel beobachten. Was interessiert es mich als Deutschen, was Fr. Thatcher angeblich alles für Großbritannien getan hat oder nicht? Es war eine antideutsche XXX, möge sie in der Hölle schmoren!

Unke

13. April 2013 13:50

@John Haase
Ihre Einschätzung teile ich großenteils. Jedoch ein paar Anmerkungen:

Thatchers Persönlichkeit und Tatkraft

Was gerne vergessen wird: Thatcher war ja bereits unter Edward Heath, einem sozialistischen Nennkonservativen (Tory), Ministerin. Die Wende zum "Marktradikalismus" machte sie erst während der darauf folgenden katastrophalen Regierungsperiode von Harold Wilson unter Labour. Wenn man alte TV- Aufzeichnungen von damals anschaut mit all den Hayek- Jüngern (und Jünglingen), die damals in Thatchers Umfeld ein- und ausgingen geht einem ob der Aufbruchstimmung noch heute das Herz auf...
Die Sicherheit im Urteil und ihr Erfolg insgesamt ist m.E. stupend, aber natürlich hat sie auch Fehler gemacht; das ist aber angesichts der (Über-)Zahl ihrer (gerade auch innerparteilichen) Feinde gar nicht anders zu erwarten. Was etwa ihr "Schatzkanzler" (Finanzminister) Eddie Lawson getrieben hat ist ihr Zeit ihres Lebens nie wirklich aufgegangen (wahrscheinlich, weil sie sich ein derartiges Ausmaß an Illoyalität gar nicht vorstellen konnte).

Eine Anekdote an all die konservativen Thatcher-Hasser hierzulande: zu Beginn des 1. Irak-Feldzuges gab es Presseberichte, wonach die neuen Challenger- Kampfpanzer für den Wüsteneinsatz untauglich seien.
Darauf hin hatte Thatcher die Chefs von Vickers Armstrong etc. in die Downing Street kommen lassen und sie per Unterschrift persönlich verpflichtet, dass die Dinger auch funktionieren. Mir hatte das damals imponiert. Kann sich jemand so etwas auch nur ansatzweise beim dicken Kohl vorstellen...?

Lebenswelt einer ganzen Gesellschaftsschicht zerstört

Da haben Sie recht, schaut man sich englische Tourist(inn)en an. Egal ob Teneriffa oder Val d’Isere: die Proletarier von der Insel sind nicht zu übersehen (und sorgen für Schlagzeilen in der BILD à la „Engländer veranstalten Blowjob-Wettbewerbe auf griechischen Inseln!“).
Das betrifft jedoch lediglich das Erscheinungsbild der eingeborenen englischen Unterschicht. Es gab und gibt 2 Faktoren, die eigentlich jedem Briten auskömmliche Beschäftigung garantieren (sollten):

1. Das Aufblähen des staatlichen Sektors seit 1990.
Mittlerweile sind im Stammland des Kapitalismus, in Schottland, mehr als 50% der Arbeitnehmer beim Staat beschäftigt. Eine Schande, nebenbei. A propos nebenbei: warum ist Nordirland seit einiger Zeit so friedlich…? Kunststück, dort sind 80%(!) beim Staat beschäftigt. Pork barrel politics nennt man so etwas.

2. Die Expansion des Finanzsektors
London war immer schon Weltfinanzzentrum. Diesen Status hat es auch in der Nachkriegsperiode halten können; und zwar, indem man von dort die explosive (Papier- bzw. Zwangs-)Geldschöpfung der Notenbanken post-Bretton Woods bewirtschaftet hat.
So kommt es, dass auch heute noch das Mittelklasse-Bübchen aus dem Vortort (Essex Man) in der Finanzindustrie unterkommt (und von der City of Londonaus den Rest der Welt terrorisieren hilft).
Außerdem –und auch das spricht gegen die Verelendungsthese- taten sich mit dem „Big Bang“ von 1986 auch für viele „practical men“ lukrative get-rich-quick- Möglichkeiten auf; berühmt etwa die Vielzahl der „Dockers“ (ehemalige Hafenarbeiter mit dem charakteristischen Akzent), die sich in den Brokerbüros tummelten.

@Czimmer

marktradikalen Nihilismus

Aber menschlich wärmender Sozialismus ist allemal schöner, gell?
Die pöhsen ökonomischen Gesetze. Oder, wie Honecker seinem Politbürokollegen Mittag in den Siebzigern vorwarf: „Günter, Du machst mir meine schöne Sozialpolitik kaputt!“
Auch der Rest Ihrer Ausführungen ist, mit Verlaub, faktenfreier Unsinn.

@Waldgänger
Brüsseler Behörden?
Neoliberal?
Brüssel als Ergebnis von Thatcher?
Werter Waldgänger, welche Kräuter rauchen Sie so beim Spazierengehen?

Waldgänger

13. April 2013 14:54

@ Unke ........ Widerspruch

Ich glaube, Sie haben mich zu oberflächlich gelesen oder sind womöglich altersbedingt zu sehr in alten Denkmustern verhaftet, nach denen Marktradikalismus und Deregulierung automatisch für Konservative gut seien.
Das war einmal!
Lesen Sie BENOIST !

Oder Sie verstehen unter "konservativ" lediglich, dass Sie wohlhabend sind oder werden können.
So gesehen müssten Sie heute eigentlich zufrieden sein.

Auch habe ich keineswegs geschrieben, dass die Brüsseler Behörden ein Werk von Thatcher seien, sondern dass der dort gepflegte globalisierte Neoliberalismus auch ein Resultat der Politik von Reagan und Thatcher ist.
Und dass die Deregulierung der Finanzmärkte seeeehr viel mit unseren altuellen Problemen zu tun hat, das ist ja offensichtlich.

Hesperiolus

13. April 2013 15:27

Das Fundament und den sehr individuellen Habitus viktorianischer Charakter-Werte möge man an ihr achten, an einen unheiligen und widersetzlichen Zweck vergeudete Mittel. Denn wie man "konservativ" und "Revolution" bei der Thatcherite Revolution zusammenbringen mag, nicht nur Bosselmann oben, auch in heutiger FAZ K-P Schwarz, bleibt mir schleierhaft, war sie doch eine rasende Modernisiererin, die England nicht englischer gemacht (oh merrie olde England!), sondern cool Britannia den Weg bereitet hat und das ideologische Umfeld des Thatcherismus, mit Hayek, Friedman, Rand, Weltbank, IMF, Reagan und Greenspan, hat doch mit KR im weitesten Sinne diametral nichts zu tun - oder habe ich da etwas falsch verstanden? Ihren €-phoben Patriotismus hat die Geschichte bestätigt, ihre PC-Inkorrektheiten bleiben gegenüber den kontinentalen Sozialingenieurismen sympathisch, haben UK indes eingeholt. Geistesverwandte Spielarten von KR jenseits des Kanals verbinde ich dann schon eher mit organic farming und reaktionären Ausschlägen im Social Toryism. Sympathischer als diese manifeste Kleinbürgerin, deep England, arts and crafts usw.. Ihr gegenüber preussischem Sozialismus der kr-Gedankenwelt eher wikingerhafter Kapitalismus hat doch mit "uns" nicht zu tun? Mit Ludwig Klages Achim von Arnims "daß Deutschland nicht so verwirtschaftet werde" im Ohr, weiss ich ihrer Vision keine Kränze zu winden! Amüsante Stelle, Verfasser und Verlag unverdächtig, Simon Jenkins: Thatcher & Sons. A Revolution (keine conservative) in Three Acts 2006: Thatcher was no lover of old institutions, be they constitutional, intellectual, cultural or sporting. The only Religion to which she showed unquestioning respect was Judaism. Her court was strongly jewish... Wogegen mir ein anderer Insel-Konservativer einfällt, John Manners: Let wealth and commerce, laws and learning die, But leave us still our old Nobility.. So mag sie unverdenkbar im Sinne jüdischer Publizistik eine ger zedek sein, doch keine Konservative Revolutionärin, wie könnte sie?!

Unke

13. April 2013 15:28

@Waldgänger
Ich verstehe Sie durchaus.
Allerdings ist das, was Sie als "Neoliberalismus" bezeichnen eine Verunglimpfung, (unbewusst?) übernommen aus dem grünlinken Intellektüllenmilieu. Hören Sie z.B. einem Tom Koenigs zu, der spricht und meint genau dasselbe wie Sie.
So gesehen ist Neoliberalismus eben kein Marktradikalismus. Die EU bedeutet
- HÖHERE Steuern
- STÄRKERE Regulierung
- MEHR Staat
- eine autonome Funktionärsclique (vgl. EUdSSR), die das alles organisiert und vorantreibt
etc.
Inwiefern ist das marktradikal? Es ist das genaue Gegenteil!
Sie nennen es Neoliberalismus, ich nenne es (International-)Sozialismus. Vermutlich meinen wir das Gleiche.

Im Übrigen bezeichne ich mich selbst als Anarcho-Libertärer mit konservativem Einschlag (meine Haltung zu Religion und Personenfreizügigkeit differiert von der Radikallibertärer).

Keats

13. April 2013 15:53

Die Thatcher hätte es gehaßt, wenn jemand so aus der Verantwortung für sein Handeln entlassen wird.

1968 hat Enoch Powell die Briten eindringlich vor den Gefahren der Masseneinwanderung gewarnt und ist damit kurzfristig zum beliebtesten Politiker geworden. Seine Parteifreunde, die Tories, haben ihn kaltgestellt. Von 1970 bis 1997 waren diese Konservativen an der Macht, mit einer kurzen Unterbrechung (1974-1976). Sie brauchten keinen Koalitionspartner, hatten keinen Labour-dominierten Bundesrat, der ihnen Knüppel zwischen die Beine hätte werfen können. Sie hatten keine Entschuldigung.

Ein Buchhalter mag beweisen, wie profitabel die Politik der Thatcher für die Firma Great Britain und ihre Aktionäre gewesen ist. Für einen Internet-Rechten lief alles großartig, bis Blair das Land urplötzlich in ein Höllenloch für die Emma Wests verwandelt hat.

Die Thatcher hat von 1979 bis November 1990 sehr dominierend die Politik ihres Landes bestimmt, natürlich trägt sie eine Mitverantwortung für dessen katastrophalen heutigen Zustand. Weder war sie eine heimliche Sozialistin, noch hat sie sich von Linken beeinflussen lassen. Sie ist das beste Beispiel dafür, daß die Zerstörung der europäischen Völker eben kein Projekt von Linken, "Kulturmarxisten" und Taxifahrern ist und wenig mit der speziellen deutschen Geschichte zu tun hat, sondern von allen Parteien und herrschenden Eliten vorangetrieben wird.

Petrus Urinus Minor

13. April 2013 17:10

@ Keats

"Sie ist das beste Beispiel dafür, daß die Zerstörung der europäischen Völker eben kein Projekt von Linken, „Kulturmarxisten“ und Taxifahrern ist und wenig mit der speziellen deutschen Geschichte zu tun hat, sondern von allen Parteien und herrschenden Eliten vorangetrieben wird".

Ich danke Ihnen für diese Klarstellung!

Waldgänger

13. April 2013 17:11

@ keats

Sie ist das beste Beispiel dafür, daß die Zerstörung der europäischen Völker eben kein Projekt von Linken, „Kulturmarxisten“ und Taxifahrern ist und wenig mit der speziellen deutschen Geschichte zu tun hat, sondern von allen Parteien und herrschenden Eliten vorangetrieben wird.

Muss Ihnen leider zustimmen.
D.h., Linke und Kulturmarxisten wollen es auch, aber es liegt eben leider ebenso in der immanenten Logik eines globalisierten(!) Kapitalismus.

.............

@ unke

Stimme Ihnen zu, dass die EU vieles gleichzeitig ist und dass es da natürlich auch Elemente der Regulierung gibt.

Mit "libertär", so muss ich gestehen, kann ich nicht viel anfangen.

Unter "marktradikal" verstehe ich Verhältnisse, in denen die dem Kapitalismus innewohnenden Gesetzmäßigkeiten und Folgen kaum noch durch einen regulierenden Staat (vgl. "rheinischer Kapitalismus" / "soziale Marktwirtschaft") abgefedert werden.

Zusätzlich ist zu unterscheiden, ob diese marktradikalen Verhältnisse in einem nationalen (und etwas abgeschirmten) Wirtschaftsraum zur geltung kommen oder wie heute in einem globalen Wirtschaftsraum.
Letzteres ist problematischer.

Weiterhin ist zu unterscheiden, ob es sich noch um einen Produktivkapitalismus handelt oder bereits um einen Finanzmarktkapitalismus. Auch hier ist letzteres problematischer.

Dr. Schneider

18. April 2013 07:59

An Thatcher scheiden sich die Geister, aber sie scheiden sich schlecht.

Das hat auch die Diskussion hier gezeigt. Thatcher legt eine Front genau dort, wo keine liegen soll. Sie taugt weder als Identifikationsobjekt noch als Feindbild.

Ihrer asozialen Wirtschaftspolitik, die die Gesellschaft entkernt hat, muß jeder vernünftige Mensch und jeder Deutsche widersprechen. Dieses gegen das eigene Volk gerichtete, hyperindividualistische (narzißstische?) Prinzip ist im Grunde DAS Antideutsche an ihr.

Das allerdings hat nun den Widerspruch von Kräften erregt, die genauso Widerspruch verdienen. Die Logik „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ funktioniert hier nicht.
Abgesehen davon verkörpert sie natürlich eine Reihe von Sekundärtugenden, die Respekt abnötigen, ebenso wie ihr außenpolitisches Eintreten für ihr Land.

Wir Deutschen bräuchten heute einen Politiker, der genauso konsequent antibritisch (und anti-EU) wäre, wie sie einst antideutsch war.

Kurz und gut: Man sollte nicht zuviel auf ihr Herumreiten. Bosselmanns Panegyrik hat mich ein wenig irritiert.
Ich würde sagen: Bismarck statt Thatcher.

Heino Bosselmann

18. April 2013 08:32

@Dr. Schneider. Vielen Dank. "Panegyrik." – Trauen Sie mir eine kritische Grundhaltung durchaus zu. Als die Lady in Downing Street einzog, lernte ich in den Zeiten des Kalten Krieges KK-Kalaschnikow schießen, und als der Falkland-Krieg tobte, schrieb ich in einem dem historischen Untergang geweihten Land mein Abitur. Gewissermaßen begleitete mich die Dame. Auch insofern wollte ich in diesem Moment so verfahren: Über gerade Verstorbene nur Gutes. – Etwas konservativ von mir. Das sei zugegeben.

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.