Der Mann stutzt – Über Tanzbären und Zuchtbullen

50pdf der Druckfassung aus Sezession 50 / Oktober 2012

Neulich ein absurder Traum: Ich gelangte mit den Töchtern auf Kriegsgelände. Überall tote Männer. Sie lagen herum, seltsam lasziv aufeinandergeschichtet. Wir spürten kein Entsetzen, auch kein Mitgefühl, eher Ekel, wir hatten die Aufgabe, das Feld zu bereinigen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ver­spreng­te Trup­pen­tei­le oder Frei­schär­ler schreck­ten uns nicht. Wir merk­ten schnell: die posie­ren mit lächer­li­chen Waf­fen. Wir waren mit Flie­gen­klat­schen bewaff­net und fühl­ten uns sicher. Alle Toten wie­sen Ein­schuß­lö­cher an der glei­chen Stel­le auf – an den Ohr­läpp­chen. Dadurch, daß dort Haut fehl­te, waren die Män­ner leich­ter, wir konn­ten sie weg­tra­gen. Es waren Hunderte.

Nach dem Auf­wa­chen war klar, woher der Traum rühr­te. Tags zuvor hat­te uns in der Werk­statt ein Gesel­le abkas­siert, und wäh­rend des Vor­gangs flüs­ter­te mei­ne Toch­ter: »Wenn ich durch das Ohr­läpp­chen von dem Mann sehe, kann ich genau unser Auto erken­nen!« Der Typ hat­te kei­nes­wegs abge­fah­ren gewirkt, son­dern bie­der und tüch­tig. Zum Abschied hat­te er uns ein Cock­pit-Spray geschenkt, mit per­sön­li­cher Emp­feh­lung. Damit wür­den wir den Innen­raum unse­res VW-Bus­ses blitz­blank krie­gen. Er schwor auf das Zeug!

Die soge­nann­ten Fleisch­tun­nel, die das Ohr­läpp­chen­loch auf bis zu zwei­ein­halb Zen­ti­me­ter deh­nen und in einem brei­ten Milieu (Schü­ler, jun­ge Arbeits­lo­se, Hand­wer­ker, Arbei­ter) heu­te eine Stan­dard­op­ti­on dar­stel­len, sind eilig den Weg gegan­gen, den etwa knall­bun­te Sträh­nen im Frau­en­haar in einer län­ge­ren zeit­li­chen Distanz zurück­ge­legt haben. Bis Mit­te der acht­zi­ger Jah­re grif­fen allein sol­che Gestal­ten zur Farb­tu­be, die tief in Sub­kul­tu­ren ver­an­kert waren. Spä­ter zogen kes­se Gym­na­si­as­tin­nen oder ande­re Frau­en auf Pro­fil­su­che nach: Wein­rot und lila gesträhn­tes Haar ist mitt­ler­wei­le eine gän­gi­ge Wahl jen­seits des Faschings. Elf­jäh­ri­ge tra­gen es, Kir­chen­tags­be­su­che­rin­nen, Bank­an­ge­stell­te, Haus­frau­en. Der­ar­ti­gem gilt längst kein zwei­ter Blick mehr. Die Sache hat­te Vor­gän­ger. Ähn­lich ging es mit dem Biki­ni, dem Mini­rock, dem Nasen­pier­cing. Oder, im wei­te­ren Rück­blick: dem tail­len­lo­sen Kleid der Reform­be­we­gung oder der Frauenhose.

Die Geschich­te der Frau­en­mo­de ist lang, viel­fäl­tig und vol­ler Pro­vo­ka­tio­nen, die rasch den Sta­tus des Her­aus­for­dern­den ver­lo­ren und popu­lär wur­den. Frau schmückt sich, um zu gefal­len. Oft: um Män­nern zu gefal­len. Auch wenn die Geschich­te des heu­te femi­nis­tisch zum Trend hoch­ge­schrie­be­nen man repel­ling (Frau­en­mo­de, die Män­ner erwie­se­ner­ma­ßen gräß­lich fin­den wie Harems­ho­sen oder Schul­ter­pols­ter) wei­ter zurück­reicht als bis zur berüch­tig­ten lila Latz­ho­se, galt doch weit­ge­hend: Frau putzt sich, pflegt die Ober­flä­che, drückt sich in der Klei­dung aus. Die Frau reprä­sen­tier­te Jahr­tau­sen­de das modi­sche und modisch weit­aus vola­ti­le­re Geschlecht.

Das Ver­dikt, daß »allein der Cha­rak­ter zäh­le«, dürf­te zwar weit häu­fi­ger von weib­li­chem Mun­de aus­ge­spro­chen wor­den sein, doch hat sich frau die­se For­mel selbst kaum je zu eigen gemacht. Sie schnürt sich, zwängt sich, rich­tet sich zu, ohne Rück­sicht auf Zweck­mä­ßig­keit und, bewah­re!, Bequem­lich­keit. Zup­fen, bräu­nen, blei­chen, ondu­lie­ren, ver­grö­ßern, ver­klei­nern, ent­fer­nen: Wer schön sein will, muß lei­den – und wann in der Mensch­heits­ge­schich­te lit­ten je Män­ner, von höfi­schen und eli­tä­ren Min­der­hei­ten­phä­no­men abge­se­hen, unter Mode­dik­ta­ten? Paa­rungs- und Hei­rats­ver­hal­ten rich­te­te sich kaum je nach der Schön­heit des Man­nes, umge­kehrt wird ein Schuh draus.

Zei­ten ändern sich. Viel­leicht auch, weil längst mehr Frau­en als Män­ner stu­die­ren und das Hei­ra­ten oder Anbän­deln »nach oben« kein rein weib­li­ches Phä­no­men mehr sein dürf­te. Der Osten der Repu­blik ist dabei aber­mals Avant­gar­de: Kom­bi­na­tio­nen nach dem Mus­ter Maurer/Oberärztin sind hier seit Jahr­zehn­ten gang und gäbe. Wir fin­den heu­te auf sei­ten der Män­ner einen Kör­per­pfle­ge- und Kör­per­ge­stal­tungs­kult, der als Mas­sen­phä­no­men his­to­risch sei­nes­glei­chen sucht. Der modi­sche Mann stutzt, epi­liert, waxt, zuckert sich mit gebo­te­ner Hin­ge­bung die Haa­re unter­halb des Kop­fes (69 Pro­zent der Män­ner ent­haa­ren sich Geni­tal­be­reich, Ober­kör­per und/oder Ach­seln; ande­re Berei­che müs­sen zum Zwe­cke nach­fol­gen­der Täto­wie­rung eben­falls haar­los sein); er läßt sich zum rei­nen Schmu­cke Löcher ins Fleisch ste­chen, schie­ßen oder stan­zen, deren Wund­rän­der dann peni­bel gepflegt wer­den müssen.

Wir haben seit Jah­ren par­al­lel zu spe­zi­el­len Männer‑, Fett­ab­bau- und Mus­kel­auf­bau­diä­ten einen sprung­haft ange­stie­ge­nen Anteil Eßge­stör­ter, also buli­mi­scher oder mager­süch­ti­ger Män­ner. Wir haben einen Fuß­ball­bun­des­trai­ner, der einen Her­ren­hem­den­schnitt popu­lär gemacht hat und der für eine Kos­me­tik­mar­ke wirbt. Wir lesen regel­mä­ßi­ge Bericht­erstat­tung über sai­so­na­le Her­ren-Hau­te-Cou­ture in bür­ger­li­chen Leit­me­di­en. Wir ver­fol­gen den bei­spiel­haf­ten Auf­stieg eines andro­gy­nen phil­ip­pi­ni­schen »Mode­blog­gers« namens Bryan­boy und zahl­lo­ser Nach­fol­ger sowie die Gene­se eines neu­en Traum­be­rufs für Jun­gen als »Män­ner­mo­del« – wet­ten, daß es bald ein ent­spre­chen­des Fern­seh­for­mat gibt? Wir fin­den Män­ner­ma­ga­zi­ne, die sich kos­me­ti­schen Fra­gen stär­ker wid­men als her­kömm­lich geschlechts­be­zo­ge­nen The­men wie Sex, Sport und Fahr­zeu­gen. Über allem bemer­ken wir eine tief­grei­fen­de Kom­mer­zia­li­sie­rung und Demo­kra­ti­sie­rung des einst höfi­schen Gefil­den vor­be­hal­te­nen The­mas der Män­ner­mo­de und der männ­li­chen Körpermodifikation.

Män­ner­mo­den gibt es frag­los eben­falls seit je. Sie äußer­ten sich weit weni­ger detail­ver­liebt, datier­ten nach Epo­chen statt nach Sai­sons, mani­fes­tier­ten grob Sta­tus­un­ter­schie­de. Wir wis­sen von Spitz­hü­ten, engen Her­ren­schüh­chen, Män­ner­kor­setts im Bie­der­mei­er, den »Scham­kap­seln« und aus­ge­stopf­ten Wäm­sern der frü­hen Neu­zeit. Es gab Mode­nar­ren außer­halb der ver­än­der­li­chen Kon­ven­tio­nen, man titu­lier­te sie »Stut­zer«. Den gemei­nen Mann aus dem Volk berühr­ten sol­che extra­or­di­nä­ren Her­rich­tun­gen nicht. Ein­mal mehr darf die Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on als Ach­sen­zeit her­hal­ten: Nicht nur die revo­lu­tio­nä­ren Sans­cu­lot­ten rebel­lier­ten durch ihre matro­sen­ähn­li­chen Röh­ren­ho­sen gegen den Stil der Zeit, zugleich tra­ten die ers­ten Punks der Neu­zeit ins Bild, die Incroya­bles. Sie rich­te­ten ihr Augen­merk dar­auf, daß der Frack betont schlecht saß, das Haar zott­lig fiel, die Wes­te falsch geknöpft war und die Stul­pen schlam­pig über die Stie­fel fielen.

Was genau ist neu an dem Manns­bild, das sich aus­gie­big der Her­rich­tung sei­ner äuße­ren Form wid­met? Das »Schö­ne« taugt nicht zur Umschrei­bung. Männ­li­che Schön­heits­nor­men wech­seln und lie­gen letzt­lich im Auge des Betrach­ters. Mal galt für eine Mehr­heit der Schnau­zer als attrak­tiv, mal der Brust­pelz, mal der Parka, mal das Sak­ko, einst die schnei­di­ge Uni­form. »Gepflegt­heit« trifft es auch nicht, weil einer­seits ein unge­wa­sche­ner, müf­feln­der Mensch nie posi­tiv bewer­tet wur­de und ande­rer­seits selbst die hygie­nischst ver­sorg­ten Pier­cings in Ohr, Augen­braue oder Brust­war­ze nicht als spe­zi­el­le Aus­wei­se eines Gepflegt­seins gel­ten kön­nen. Neu am Kör­per­stil der jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen ist der Drang nach Kör­per­mo­di­fi­ka­tio­nen, die künst­lich zuge­fügt wur­den. Nen­nen wir ihn den Geschön­ten Mann.

Wir kön­nen uns die Gene­se des Geschön­ten Man­nes als Weg in Etap­pen vor­stel­len, wobei sich die Schrit­te über­la­gern: Demo­kra­ti­sie­rung, Kom­mer­zia­li­sie­rung, Entfunktionalisierung/Entfremdung des geschlecht­li­chen Fak­tors, Homo­se­xua­li­sie­rung und Andro­gy­ni­sie­rung, letzt­lich die Glo­ba­li­sie­rung, die mit einer Retri­ba­li­sie­rung einhergeht.

Im Zuge der Demo­kra­ti­sie­rung hat sich die alte, ver­hält­nis­mä­ßig star­re Drei­tei­lung nach Ober‑, Mit­tel- und Unter­schicht auf­ge­löst. Bis in die Nach­kriegs­zeit waren Klei­dung und Her­kunft noch rela­tiv sim­pel zuor­den­bar und, wenn auch je modisch wan­del­bar, fest­ge­legt. Wer jen­seits der Unter­schicht hät­te sich vor 40 Jah­ren eine Täto­wie­rung zufü­gen las­sen? Wer außer­halb der Hand­wer­ker­zünf­te einen Ohr­ring ste­chen las­sen? Wer, wenn nicht Hono­ra­tio­ren­söh­ne, ein Klei­dungs­stück eigens fer­ti­gen lassen?

Auch die moder­ne Unter­glie­de­rung in sozi­al-mora­li­sche Milieus nach Émi­le Durk­heim hat sich über­lebt. Die letz­te Etap­pe der Demo­kra­ti­sie­rung hat eine schran­ken­lo­se Durch­läs­sig­keit ermög­licht. Sie hat mas­sen­haft stu­die­ren­de Arbei­ter­kin­der, aus­ge­stie­ge­ne Bil­dungs­bür­ger­söh­ne und im wesent­li­chen unge­bun­de­ne Indi­vi­du­al-Per­for­mer her­vor­ge­bracht, und hat jed­we­de stand­ge­mä­ße Klei­dungs- und Kör­per­norm auf­ge­löst oder hin­ter­trie­ben. Gera­de in Stil­fra­gen bie­tet sich die nach mar­ke­ting­tech­ni­schen Gesichts­punk­ten vor­ge­nom­me­ne Ein­tei­lung in Sinus-Milieus an. Die­se vor­der­grün­dig für Wer­be­zwe­cke geschaf­fe­ne und seit drei Jahr­zehn­ten lau­fend aktua­li­sier­te Ziel­grup­pen­seg­men­tie­rung bil­det den Gesell­schafts­wan­del mus­ter­gül­tig ab. In unse­rer Zeit, die geprägt ist von einer Ero­si­on kla­rer Fami­li­en­struk­tu­ren, von einer Pola­ri­sie­rung nach Wohl­stand statt nach Bil­dung und von einem breit­ge­fä­cher­ten Frei­zeit­an­ge­bot, stellt das indi­vi­du­el­le Kon­sum­ver­hal­ten (und eben nicht wie frü­her Blut, Tra­di­ti­on und Aus­bil­dung) das wesent­li­che Distink­ti­ons­merk­mal dar.

Das namens­ge­ben­de Sinus-Insti­tut unter­schei­det neben gleich­sam »bestands­wah­ren­den« Gesell­schafts­grup­pen wie den immer noch breit­ver­tre­te­nen kon­ser­va­ti­ven und tra­di­tio­na­lis­ti­schen Milieus etwa zwi­schen »hedo­nis­ti­schen« (spaß- und erleb­nis­ori­en­tier­ten), »sozi­al­öko­lo­gi­schen«, »expe­di­ti­ven« (avant­gar­dis­ti­schen, künst­le­ri­schen), »pre­kä­ren« Milieus und dem der ton­an­ge­ben­den »libe­ra­len Bil­dungs­eli­te«. In die­sen Milieus fin­den wir Men­schen grup­piert, die sich in ihrer Hal­tung und Lebens­wei­se ähneln. Die ein­zel­nen Krei­se über­schnei­den sich mehr oder weni­ger stark. Was die je zuge­hö­ri­ge Klei­dungs­re­gel, die Kör­per- und Gesich­ter­mo­den angeht, dient die libe­ra­le Bil­dungs­eli­te, stark ver­tre­ten in Wer­bung und Jour­na­lis­mus, als Laut­spre­cher und Syn­the­si­zer der unter­schied­li­chen Trends. Hin­zu kommt die Son­der­klas­se des Bou­le­vards, der stil­prä­gen­den Gesell­schaft aus Film‑, Fern­seh- und Geldadelgrößen.

Fla­nie­ren zwei, drei Schau­spiel­be­rühmt­hei­ten mit fri­schem Voll­bart über den roten Tep­pich oder eine Erbin mit Taschen­ter­ri­er, wirkt das zuver­läs­si­ger auf die sub­al­ter­ne (aber sich kei­nes­falls als sol­che begrei­fen­de!) Mas­se als einst­mals ein Edikt des Fürs­ten. Das Gefühl, zwang­los und unbe­ein­flußt zu agie­ren, bleibt dabei unan­ge­tas­tet. Kei­ner wür­de ein­ge­ste­hen, er tra­ge Kapu­zen­pul­li, Horn­bril­le oder Jus­tin-Bie­ber-Tol­le des­halb, weil das in der gewähl­ten In-Group zu den Üblich­kei­ten zählt. Die Illu­si­on des »ganz per­sön­li­chen« Geschmacks bleibt erhal­ten. Vor­bei die Zei­ten, da ein Bür­ger­sproß allen­falls mit Anlei­hen aus dem Arbei­ter- oder Intel­lek­tu­el­len­mi­lieu einen zag­haf­ten Klas­sen­sprung vor­nahm. Heu­te darf er zwi­schen den Rol­len als zart­blei­cher Vega­ner, als Wickel­pa­pa mit Umhän­ge­ta­sche, als urba­ner Out­door­fe­ti­schist, als Trä­ger von San­da­len oder von T‑Shirts mit Bot­schaf­ten und vie­lem mehr wäh­len. Regres­si­on und Under­state­ment sind in ton­an­ge­ben­den Krei­sen dabei heu­te mehr en vogue als das sich nach »oben« stre­cken­de Gegen­teil, das durch den Auf­schnei­der und Hoch­stap­ler ver­kör­pert wurde.

In ähn­li­chem und teils über­schnei­den­dem Maße wie die Demo­kra­ti­sie­rung hat die Kom­mer­zia­li­sie­rung auf die indi­vi­du­el­le »Mach­bar­keit« der äußer­li­chen Man­nes­form hin­ge­wirkt. Der »gewal­ti­ge Waren­haus­zwin­ger« (Sieg­fried Kra­cau­er) ver­führt und droht: Die übli­che Män­ner­ho­se kos­tet zwi­schen 50 und 70 Euro, das ist extrem erschwing­lich. Und wer mag schon rum­lau­fen wie die Typen vom Vor­jahr, wenn die Mode der coo­len Jungs in den Maga­zi­nen und Bars heu­te einen völ­lig ande­ren Schnitt auf­weist? Und wo das Swit­chen zwi­schen Rol­len­mus­tern (tags Ban­ker­stil, anschlie­ßend Kiffer‑, Work­out- oder cord­las­ti­ger, nach unten aus­ge­stell­ter Hand­wer­ker­look) so frag­los funk­tio­niert? Sind es nicht 29,90 Euro pro Monat wert, den Kör­per im her­vor­ra­gend aus­ge­stat­te­ten Fit­neß­stu­dio ver­bes­sern zu dür­fen? Ein­ma­lig 80 Euro, um mona­te­lang zu duf­ten wie Film­star XY!

Mitt­ler­wei­le ist jeder sechs­te Kun­de beim Schön­heits­chir­ur­gen ein Mann. Da gibt es Mög­lich­kei­ten! Noch vor vier Jah­ren war es jeder zehn­te. Zwei Gene­ra­tio­nen zuvor, als die ästhe­ti­sche Chir­ur­gie durch­aus bereits brumm­te, hat­te die­ser Markt kaum männ­li­che Kli­en­ten. Aber nun: Bauch­straf­fung bei Erhal­tung und Neu­pla­zie­rung des Nabels ab 4000 Euro – soll­te man sich das nicht leis­ten? Wei­ter unten kann man sowie­so in jede Rich­tung model­lie­ren las­sen wie an einer Plastik.

Die kapi­ta­lis­ti­sche, post-indus­tri­el­le Gesell­schaft hat klas­si­sche Män­ner­ar­bei­ten obso­let wer­den las­sen. Noch 1950 waren 25 Pro­zent der Beschäf­tig­ten in der Land­wirt­schaft tätig (bereits 1970 nur acht Pro­zent, heu­te sind Bau­ern weit­ge­hend Indus­tri­el­le, deren Ange­stell­te die Knöp­fe und Hebel bedie­nen), wei­te­re Mil­lio­nen schuf­te­ten unter Tage, mit schwe­ren Maschi­nen. Das mach­te schwie­li­ge Hän­de, stäm­mi­ge Waden und ein brei­tes Kreuz. Die Dienst­leis­tungs­ge­sell­schaft hat den Samt­pföt­chen­mann her­vor­ge­bracht, der Tas­ta­tu­ren bedient, auf denen eben­so­gut mani­kür­te Frau­en­hän­de tip­pen kön­nen (und dies auch tun). Die­je­ni­gen, die heu­te noch unter schmut­zi­ge Autos krie­chen, den Preß­luft­ham­mer hal­ten oder Müll­sä­cke auf­la­den, zäh­len nicht zur Kli­en­tel der mager­süch­ti­gen oder chir­ur­gie­af­fi­nen Wunsch­kör­per­träu­mer. Die Lust an künst­lich her­bei­ge­führ­ten Kör­per­mo­di­fi­ka­tio­nen ist in die­sem Milieu gleich­wohl vor­han­den. Der jun­ge Fach­ar­bei­ter, sel­ten mehr als 35 Stun­den pro Woche malo­chend, rasiert sich säu­ber­lich den gan­zen Kör­per, trägt schwer an den plugs in den Ohr­läpp­chen, nimmt einen gewis­sen Schmerz und Kos­ten auf sich, um Ober­arm und Waden täto­wie­ren zu las­sen, dito, was die Eigen­leis­tung beim Trai­ning, Eiweiß- und Ana­bo­li­ka­ver­zehr im Kraft­stu­dio angeht. Geschönt­heit hat ihren Preis, sonst wäre sie nichts wert!

Letzt­lich ist das eine mani­pu­la­ti­ve Abwand­lung der über­kom­me­nen anthro­po­lo­gi­schen Kon­stan­te, wonach der äuße­re Vor­schein klas­si­scher Männ­lich­keits­in­si­gni­en zu einem höhe­ren Paa­rungs- und Fort­pflan­zungs­er­folg führt: Kraft und Anstren­gung, auf denen in frü­he­ren Zei­ten die Mus­keln, die straf­fe Haut und die ver­we­ge­nen Kör­per­ma­le beruh­ten, sind heu­te ent­we­der eine bezahl­te Auf­trags­ar­beit, oder sie resul­tie­ren aus voll­stän­dig ent­frem­de­ter Arbeit, aus der Tech­nik des Sur­ro­gats: Wer an Mus­kel­ma­schi­nen im Stu­dio zerrt, erwirt­schaf­tet ja kein Pro­dukt, das über sein solip­sis­ti­sches Selbst hin­aus­gin­ge. Der eige­ne Kör­per ist nicht Mit­tel, son­dern Ziel.

Daß das Modi­sche – abge­setzt vom natür­lich Attrak­ti­ven – sich nicht um sei­ne Funk­tio­na­li­tät schert, gehört seit je zur Nor­ma­li­tät des Trends. Neu ist zwei­er­lei: Die Funk­ti­on der All­tags­klei­dung als Schutz vor äuße­ren Ein­flüs­sen (Wet­ter, Schmutz, mecha­ni­sche Abwehr von arbeits­be­ding­ter Unbill) ist nahe­zu auf­ge­ho­ben. Hin­zu kommt die Ver­fei­ne­rung der Män­ner­mo­den hin zum dezi­diert unprak­ti­schen, pfle­ge­dürf­ti­gen »Plus«. Der Kör­per des vor­gest­rig als »gestan­den« gel­ten­den Man­nes war durch unter­schied­li­che Aus­wir­kun­gen ver­sehrt – hier eine Nar­be, ein Mal aus Krieg, Kampf oder Gefan­gen­schaft, dort die Schwie­len von der har­ten Arbeit. Opfer, Ent­beh­rung und Müh­sal hat­ten den Kör­per gestählt, Spu­ren hin­ter­las­sen. Heu­te tun es metal­le­ne Ring­lein, gegen Bezah­lung durch die Haut gesto­ßen, Feti­sche und Sym­bo­le zwei­ter Klas­se. Von der Deka­denz der Funk­ti­ons­lo­sig­keit zur dezi­dier­ten Behin­de­rung, der Ent­funk­tio­na­li­sie­rung gan­zer Kör­per­tei­le, ist es ein klei­ner Schritt: In Hosen, die nahe den Knie­keh­len hän­gen, kann man kein Ren­nen bestrei­ten, in schür­sen­kel­be­frei­ten Schnür­schu­hen schlecht aus­schrei­ten, mit dem Zeit­nach­teil eines obli­ga­to­ri­schen Kör­per­pfle­ge­pro­gramms kei­nen Vor­sprung gewin­nen, mit einer Schüt­tel­fri­sur, die den Kopf in eine koket­te Schief­hal­tung zwingt, kei­nen kla­ren Blick bewahren.

Das offen­kun­di­ge Feh­len des Zwecks und die direk­te Dys­funk­tio­na­li­tät der Moden ver­wei­sen direkt auf einen wei­te­ren, ele­men­ta­ren Punkt: die Auf­lö­sung, Ver­mi­schung und zuneh­men­de Frag­wür­dig­keit der geschlecht­li­chen Bedingt­heit. Wo der Sinn der geschlecht­li­chen Zuge­hö­rig­keit sich im Rah­men der repro­duk­ti­ven Selbst­be­stim­mung ent­ma­te­ria­li­siert hat, ist der Uni­sex-Stil und die Andro­gy­ni­sie­rung der Mode eine natür­li­che Fol­ge des Unna­tür­li­chen. Die kin­der­lo­se Frau und der Hosen­an­zug, sie erge­ben ein Paar, das längst kei­ne Kom­men­tar­spal­te mehr wert ist.

Das Vor­drin­gen homo­se­xu­el­ler Män­ner in die Pop­welt besorg­te ein übri­ges auf Sei­ten des ande­ren Geschlechts. Män­ner im heu­te hei­rats­üb­li­chen Alter sind auf­ge­wach­sen mit pop­kul­tu­rel­len Ido­len wie Limahl, Boy Geor­ge, den smar­ten, hell­stim­mi­gen Jungs von Wham!, Pet Shop Boys, Bron­ski Beat und Era­su­re, alle­samt schwul. Der Kör­per­kult der Schwu­len (den man in frü­he­ren Zei­ten als wei­bisch emp­fun­den hät­te) hat längst so weit aus­ge­grif­fen, daß Trans­for­ma­ti­ons­ter­mi­ni wie der des »Metro­se­xu­el­len« (leib­haf­tig gewor­den am behut­sam gepfleg­ten, doch defi­ni­tiv hetero­sexuellen Kör­per eines David Beck­ham) kei­ne Rol­le mehr spielen.

Wäh­rend bei weib­li­chen Schön­heits­nor­men eine gene­ra­tiv bedeut­sa­me Kon­stan­te (die gro­ßen, weil näh­ren­den Brüs­te; eine aus­ge­präg­te Becken- und Hüft­re­gi­on, weil »gebär­freu­dig«) im stil­len stets wei­ter­wirk­ten und auch durch Mager­mo­del­trends nicht tot­zu­krie­gen ist, kann der andro­gy­ne, zar­te, schön­heits­be­wuß­te Mann durch­aus punk­ten. Oft wird behaup­tet, daß sol­che Vor­lie­ben dem Ein­fluß syn­the­ti­scher Hor­mon­ga­ben (»Pil­le«) zu ver­dan­ken sei­en. Zahl­rei­che Stu­di­en haben erge­ben, daß Frau­en rund um den Eisprung einer urwüch­si­ge­ren Männ­lich­keit (dem poten­ti­el­len Ver­sor­ger­typ also) zuge­tan sind, wäh­rend sie außer­halb jener Zei­ten – und gänz­lich unter Ein­fluß der eisprung­un­ter­drü­cken­den Pil­le – dem moder­nen Poser den Vor­zug geben. Schon weil eine inten­si­ve­re männ­li­che Affi­ni­tät zu Moden his­to­risch nicht belegt ist und gleich­zei­tig die heu­ti­ge gesell­schaft­li­che Akzep­tanz von homo­se­xu­el­len Män­nern ohne Bei­spiel ist, dürf­ten homo­se­xu­el­le Stil­re­geln heu­te als weg­wei­send gel­ten. Über die Hälf­te der armen mager­süch­ti­gen Män­ner ist homo­se­xu­ell ver­an­lagt; das Inter­net ist voll von der­ar­ti­gen Kummerkästen.

Die Kon­ta­gio­si­tät, das Anste­ckungs­po­ten­ti­al sol­cher Mode­krank­hei­ten, ist noto­risch. Die gän­gi­gen Über­lei­tungs­for­meln von sex zu gen­der leis­ten ein Wei­te­res. Die her­kömm­li­chen Asso­zia­tio­nen zum Bedeu­tungs­feld »Männ­lich­keit« sind fle­xi­bel geworden.

Der Groß­teil der neu­en Män­ner­mo­den ist mit­nich­ten haus­ge­macht. Mann ist sicht­bar welt­weit ver­netzt. Zahl­rei­che Aus­prä­gun­gen modi­scher Männ­lich­keit schöp­fen aus dem Fun­dus kul­tur­frem­der Üblich­kei­ten. Glo­ba­li­sie­rung (also Ent­gren­zung) und Re-Tri­ba­li­sie­rung (im Grun­de die sym­bo­li­sche Rück-Bil­dung von Stam­mes­kul­tu­ren) gehen somit ein­her. Bei der glo­ba­len Ori­en­tie­rung hat man nicht nur den letz­ten Schrei aus New York »auf dem Bild­schirm«, son­dern gleich­zei­tig For­men und Prak­ti­ken, die ihren Ursprung in ent­le­ge­nen Zei­ten und Räu­men haben. Die gän­gi­ge Ent­haa­rungs­pra­xis – bei bei­den Geschlech­tern – etwa ist isla­mi­sche Norm; Täto­wie­run­gen, Pier­cings und Bran­dings las­sen sich als Retro­kul­te deu­ten, die an Initia­ti­ons­ri­ten india­ni­schen, afri­ka­ni­schen und ozea­ni­schen Ursprungs erinnern.

Mann­bar­keits­ri­ten sind hier­zu­lan­de nicht vor­ge­se­hen, nicht ein­mal mehr harm­lo­se Zei­chen wie der uni­for­mie­ren­de Kurz­haar­schnitt des Rekru­ten. Tas­ta­tur und Schalt­he­bel ver­ur­sa­chen auch bei exzes­si­vem Gebrauch kei­ne schwie­li­gen Hän­de. Grü­beln allein macht kei­nen Cha­rak­ter­kopf. Die Les­bar­keit des Lei­bes, einst ein gleich­sam orga­ni­scher, in den Lebens­voll­zug ein­ge­bet­te­ter Vor­gang, wird heu­te auto­ma­ten­gleich her­ge­stellt. Klin­gen­de Mün­ze, bere­chen­ba­rer Schmerz, ver­han­del­ba­res Resul­tat. Lese­rich­tung und dürf­ti­ge Dechif­frier­lis­te sind gleich­sam mit­ge­ge­ben. Glat­te Lei­ber glät­ten die Welt. Durch den Ring gehört die Lei­ne, als Führstrick. Muß man sich auf­re­gen? Oder langweilen?

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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