Walter Bauer: Die Stimme. Geschichte einer Liebe

Walter Bauer: Die Stimme. Geschichte einer Liebe, Düsseldorf 2014. 128 S., 18,90 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Wal­ter Bau­er (1904–1976) war ein äußerst pro­duk­ti­ver Schrift­stel­ler. Der Mer­se­bur­ger kam aus ein­fa­chem Haus, wur­de Leh­rer, begann früh mit dem Schrei­ben. Im Drit­ten Reich konn­te Bau­er unge­hin­dert publi­zie­ren. Als Wehr­machts­sol­dat geriet er in Kriegs­ge­fan­gen­schaft und leb­te spä­ter in Süd­deutsch­land. 1952 emi­grier­te er nach Kanada.

Die Stim­me ist der Mono­log eines Man­nes namens Richard – ein Alter ego des Autors. Einem stumm blei­ben­den Gegen­über berich­tet er von sei­ner Ankunft und ers­ten Zeit in Toron­to. Das Buch ist 1961 erst­mals erschie­nen. War­um wäre es für uns interessant?

Zum einen aus Grün­den der lite­ra­ri­schen Qua­li­tät. Bau­ers Spra­che ist poe­tisch und ver­dich­tet, es gibt kei­nen fal­schen Ton. Eine hohe Kunst, anrüh­rend zu schrei­ben ohne Rühr­se­lig­keit, nach­denk­lich zu schrei­ben, ohne den Nach­denk­li­chen zu geben! Zum ande­ren ist das zeit­ge­schicht­li­che Kolo­rit bestechend. Bau­er kam aus einem Land, das wie­der brumm­te. Auch, weil die Tüch­ti­gen von damals erneut den Motor am Lau­fen hiel­ten – oft bruchlos.

Bau­ers Gedan­ken dazu sind lei­se und ohne Ankla­ge, er klagt allen­falls sich selbst an, er sieht sich als einen aus Brueg­hels »Zug der Blin­den«, aller­dings als einen »mit Augen«: »Ich war betei­ligt«. Nun kann er nicht mehr mit im Getö­se der Zeit, auch nicht mit der Küh­le und Sach­lich­keit der neu­en Intel­lek­tu­el­len in der alten Hei­mat. Er hat sich in eine geschichts­lo­se Stadt geret­tet »ohne Echo, ohne Schat­ten«. »Ich war in Sibi­ri­en«, schreibt Bau­er – »bedeu­tet das noch etwas? Für den Betrof­fe­nen sicher­lich; nicht für einen anderen.«

Erst recht nicht in Toron­to, wo sich Gestran­de­te aller Her­ren Län­der ver­din­gen, gemein­sam schwei­gen, ent­we­der dem mono­to­nen Ein­sam­keits­druck erlie­gen oder dar­aus eine unzer­stör­ba­re Här­te gewin­nen. Richard bleibt »stumm, es ent­sprach mei­ner Situa­ti­on«. Die Ver­gan­gen­heit wütet im Erzäh­ler wie eine Krank­heit, die ihn im »gehei­men ver­gif­tet und aus­ge­höhlt« hat. Richard geht stump­fen Hilfs­ar­bei­ten nach, das Rol­len und Stamp­fen der Maschi­nen tut ihm gut.

Er redet nicht, schaut nur: auf Bill aus Grie­chen­land, der viel­leicht einst Odys­seus gehei­ßen hat, auf den Ukrai­ner, der sich immer noch so bewegt, »als gin­ge er über die Som­mer­fel­der der Ukrai­ne, über die ich gezerrt wor­den war«. Über­all sind »Split­ter der alten Welt«, »Blät­ter, von ihren Bäu­men abge­ris­sen.« Die Stim­me, die Richard aus sei­ner Welt­ver­lo­ren­heit weckt, ist die einer Frau, die auf einer Plat­te Gedich­te von Chris­ti­na Ros­set­ti spricht. Über den Kon­takt mit die­ser Spre­che­rin, die er lie­ben wird, beginnt Richard den Zau­ber der eige­nen Spra­che zu erken­nen, die er »ver­las­sen hat­te, ohne sie je in Wahr­heit ver­las­sen zu können.«

Spä­ter lernt er den Ruß­land­deut­schen Wag­ner ken­nen, der ihm bei­brin­gen wird: »Es gibt kei­ne Ver­las­sen­heit; es gibt nur die Ver­las­sen­heit des­sen, der sich sel­ber auf­gibt, weil er nur Abgrün­de sucht. Was kommt dabei her­aus? Er kriecht, der Nar­ziß des Lei­dens.« Eine groß­ar­ti­ge Wiederentdeckung!

Wal­ter Bau­ers Die Stim­me kann man hier bestel­len.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.