Hofer und Schopenhauer ganz authentisch

Wir haben es mit Trump und Hofer zu tun, und beide haben einen ungeheuren Willen,...

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

nicht bloß das Prä­si­den­ten­amt in den USA oder in Öster­reich zu erlan­gen, son­dern einen Umbruch zu tra­gen als Sym­bol­fi­gu­ren. Hofer hat die Wahl ver­lo­ren, aber er ist ja nicht aus der Welt und hat etwas Ent­schei­den­des ausgelöst.

Bei­den ist voll bewußt, daß es ums Sym­bol­sein geht, inso­fern agie­ren sie nicht allein als Par­tei­po­li­ti­ker mit Pro­gramm, son­dern als Schau­spie­ler. Und das wäh­len­de Publi­kum nimmt sie als Schau­spie­ler wahr. Peter Slo­ter­di­jk, der olle Bär­beiß, wer­tet das in der ZEIT Nr. 49 defä­tis­tisch als den Poli­ti­kern abge­schau­ten “Zynis­mus” der Wäh­ler, die bekom­men, was sie wün­schen, näm­lich Schauspieler.

Mei­nungs­um­fra­gen erhe­ben beharr­lich, wel­chem Poli­ti­ker oder wel­cher Par­tei das Volk “ver­traue”. Dabei könn­te es sein, daß sie einem ver­gan­ge­nen Para­dig­ma ver­trau­en. Ver­trau­en “beruht auf Täu­schung”, bemerk­te Luh­mann schon 1968, “eigent­lich ist nicht soviel Infor­ma­ti­on gege­ben, wie man braucht, um erfolgs­si­cher han­deln zu kön­nen. Über die feh­len­de Infor­ma­ti­on setzt der Han­deln­de sich wil­lent­lich hin­weg.” Die Wäh­ler wis­sen kaum etwas über die zur Wahl ste­hen­den Poli­ti­ker, und wenn, dann inter­es­sie­ren sie sich dafür, war­um der eine einen Spitz­na­men hat und der ande­re hum­pelt. Das Sym­bo­li­sche ist den Wäh­lern (impli­zit) ohne­hin klar, “Ver­trau­en” ist kein per­sön­li­ches Emp­fin­den, son­dern ein reflek­tier­tes Nichtwissen.

Nichts ist ver­drieß­li­cher, als wenn man, mit Grün­den und Aus­ein­an­der­set­zun­gen gegen einen Men­schen strei­tend, sich alle Mühe gie­bt, ihn zu über­zeu­gen, in der Mei­nung, es bloß mit sei­nem Ver­stan­de zu thun zu haben, – und nun end­lich ent­deckt, daß er nicht ver­ste­hen WILL; daß man es also mit sei­nem WILLEN zu thun hat, wel­cher sich der Wahr­heit ver­schließt und muthwil­lig Miß­ver­ständ­nis­se, Schi­ka­nen und Sophis­men ins Feld stellt, sich hin­ter sei­nem Ver­stan­de und sei­nem vor­geb­li­chen Nicht­ein­se­hen verschanzend.

(Arthur Scho­pen­hau­er: Die Welt als Wil­le und Vor­stel­lung, Bd. II, S. 262)

Wer aber stellt sich hier offen­bar dumm und tut im Fal­le Hofer so, als wäre die­ser ein ganz Gewief­ter, auf den das ver­trau­ens­se­li­ge Volk bloß her­ein­fie­le? Das kann nur jemand sein, dem das “Para­dox des Schau­spie­lers” (Dide­rot) unbe­kannt ist, oder jemand, der sel­ber trickst. Der Schau­spie­ler ist eben der­je­ni­ge, der “über sehr viel Urteils­kraft ver­fügt”, ein küh­ler und unbe­tei­lig­ter Beob­ach­ter ist, der “alles abge­wo­gen, abge­stimmt, ein­stu­diert, im Kopf zurecht­ge­legt” hat, und nicht der Emp­find­sa­me, der authen­ti­sche Heul­krämp­fe oder Lie­bes­schau­er auf der Büh­ne erleidet.

Dide­rots Schau­spie­ler lebt vom Para­dox, unecht zu sein (dafür ist er ja eben Schau­spie­ler!) und glei­cher­ma­ßen echt zu sein (eine insze­niert wir­ken­de Insze­nie­rung kommt nicht an beim Publi­kum). Seit dem 16. Jahr­hun­dert ist aus mora­lis­ti­schen Über­le­gun­gen zum “schö­nen Schein” klar, daß Echt­heit eine Kunst ist.

Mora­lis­tik­re­zep­ti­on hat eine lan­ge kon­ser­va­ti­ve Geschich­te und kommt erst ganz spät im lin­ken Lager an, näm­lich mit Ber­tolt Brecht. Und da ist Echt­heit als nicht­ent­frem­de­ter mensch­li­cher Aus­druck noch immer uto­pi­sches Ziel, und alle not­ge­drun­ge­ne Künst­lich­keit den Ver­hält­nis­sen geschuldet.

Eigent­lich bedarf es heu­te kei­ner beson­ders schwie­ri­gen anthro­po­lo­gi­schen Begrün­dung mehr, um zu sehen, daß Poli­ti­ker Rol­len­spie­ler sind und wir alle dies wis­sen und den bes­se­ren Dar­stel­ler küren. Daß zur Rol­le das “Mensch­li­che” gehört (mit Hund, Kat­ze, Fami­lie, Lieb­lings­es­sen und Jugend­sün­den) liegt am Para­dox des Schau­spie­lers, der dar­stel­len muß, kei­ner zu sein.

In der Süd­deut­schen Zei­tung folgt man dem öster­rei­chi­schen FALTER blind­lings in des­sen Auf­de­cker­fu­ror hin­ein und ver­mu­tet gemein­sam Arges: Nor­bert Hofer beflei­ßi­ge sich des NLPs. Er sei ein Schau­spie­ler. Beweis­vi­de­os zei­gen, wie er auch noch öffent­lich und unver­hoh­len sei­ne Rol­len spiele.

Neu­ro­lin­gu­is­ti­sches Pro­gram­mie­ren” ist nichts mehr und nichts weni­ger als eine Psy­cho­tech­nik, die Füh­rungs­per­so­nen in Coa­chings­emi­na­ren bei­gebracht wird. Den Dis­kus­si­ons­geg­ner abzu­len­ken, zu über­töl­peln, buch­stäb­lich beim Wort zu neh­men, Fra­ge­stel­lun­gen nicht zu akzep­tie­ren und umzu­bie­gen (Ref­raming), Kate­go­rien­feh­ler absicht­lich zu täti­gen, Schlag­wör­ter wie­der­holt zu plat­zie­ren, Ver­glei­che und Bezü­ge zu insi­nu­ie­ren und kör­per­sprach­lich unab­läs­sig zu wis­sen, was man tut, ist der Sinn eines NLP-Trai­nings zu “mensch­li­cher Höchstleistung”.

“NLP ist das Stu­di­um, wie wir durch unse­re men­ta­len Model­le, unse­re Gedan­ken und Vor­stel­lun­gen unser Leben im wört­li­chen Sinn “kon­stru­ie­ren””, heißt es auf der öster­rei­chi­schen Sei­te. Selt­sam, daß NLP als höher­ge­dreh­ter ange­wand­ter sozi­al­wis­sen­schaft­li­cher Kon­struk­ti­vis­mus bei Medi­en­leu­ten plötz­lich kom­plett unter­lau­fen wird und sie so tun, als wäre jeg­li­che Kon­stru­iert­heit der Kom­mu­ni­ka­ti­on bös­ar­ti­ge Unaufrichtigkeit.

Ja, was glau­ben unse­re guten Men­schen aus der Medi­en­bran­che denn, was Poli­ti­ker so berufs­mä­ßig tun? Über­mä­ßig zur Schau gestell­te jour­na­lis­ti­sche Nai­vi­tät dürf­te zum Gegen­teil des­sen füh­ren, was der Jour­na­list bezweckt: die Leser sol­len glau­ben, daß Hofer durch rhe­to­ri­sche Tricks und Knif­fe sei­ne poli­ti­schen Geg­ner und mit­hin sei­ne Wäh­ler hin­ters Licht führt, und daß dies a.) ande­re Poli­ti­ker nicht täten, und b.) man das in der Poli­tik irgend­wie eigent­lich nicht darf.

Es gibt tat­säch­lich FALTER-Leser, die auf die­sen Trick her­ein­fal­len und sich dar­in bestä­tigt füh­len, daß vor Hofer nicht ein­dring­lich genug gewarnt wer­den kann (aus den Kom­men­ta­ren: “Hin­ter der Mas­ke ist ein sehr guter Spott (sic!). Wer­de es wei­ter schi­cken. Scha­de, dass so vie­le Men­schen in unse­ren Land auf Herrn Hofer reinfallen.”)

Flam­boy­an­te Nai­vi­tät ist ein wirk­lich gefin­kel­tes Stra­te­gem: so zu tun, als wüß­ten wir nicht alle, daß Poli­ti­ker Rhe­to­ri­ker sind, um dem poli­ti­schen Geg­ner den Gebrauch von Rhe­to­rik als sol­cher vor­zu­wer­fen, den eige­nen Kan­di­da­ten dem­ge­gen­über als “echt” hin­zu­stel­len und auch noch mit der­sel­ben Flie­gen­klap­pe die eige­ne poli­ti­sche Stra­te­gie des Dumm­tuns zu verscheuchen.

Hofers Puls-4-Inter­view mit Corin­na Mil­born ist ein gutes Bei­spiel für die ihm zur Last geleg­te NLP-Tech­nik. Die Inter­viewe­rin beherrscht sel­ber per­fekt die Tech­nik des Insi­nu­ie­rens, d.h. des laten­ten Unter­stel­lens durch Anklin­gen­las­sen, insze­niert sich indes als beson­ders auf­rich­tig, indem sie “die Fra­gen der Zuse­her” nur wie ein unschul­di­ges Medi­um wie­der­gibt. Beson­ders oft klingt bei ihr die Nazi­un­ter­stel­lung an. Sich da nicht zu recht­fer­ti­gen ist das ein­zig Klu­ge, das er tun kann.

Hofer kann nur kon­tern, indem er “reframed”, d.h. das Sprach­spiel des Inter­view­ers nicht mit­spielt, son­dern eine ande­re Fra­ge stellt oder so tut, als näh­me er die Fra­ge wört­lich, weil sie so absurd ist. Auch in ver­gan­ge­nen Inter­views kam er bei Nazi­vor­wür­fen gedul­dig lächelnd mit dem Satz: “Ich bin Jahr­gang 1971!” – was natür­lich nicht heißt, daß die “Gna­de der spä­ten Geburt” ihn nun von jeder Beschäf­ti­gung mit dem The­ma Drit­tes Reich ent­bin­det, son­dern es soll vor Augen füh­ren, daß der Schnap­p­au­to­ma­tis­mus der Jour­na­lis­ten ins Lee­re gehen kann, denn wört­lich genom­men kann ein Jahr­zehn­te spä­ter Gebo­re­ner kein Nazi sein.

Die Inter­viewe­rin meint indi­gniert: “Herr Hofer, Sie wis­sen genau, was ich mei­ne!” – ja eh, no na net, aber er w i l l es nicht mei­nen müs­sen! Scho­pen­hau­ers Dif­fe­ren­zie­rung trifft hier: “daß man es also mit sei­nem WILLEN zu thun hat, wel­cher sich der Wahr­heit ver­schließt und muthwil­lig Miß­ver­ständ­nis­se, Schi­ka­nen und Sophis­men ins Feld stellt.” Daß Hofer nicht ver­ste­hen will, ist indes kein so “abscheu­li­cher” Fall, wo “der Wil­le die Mas­ke des Ver­stan­des vor­nimmt”, wie Scho­pen­hau­er sagt, son­dern ein Ins­recht­set­zen der Wahr­heit durch den Ver­stand, der sich des Wil­lens bedient.

Der KURIER, ich wies neu­lich schon ein­mal bei­läu­fig dar­auf hin, läßt den “Kul­tur­wis­sen­schaft­ler” Wal­ter Oetsch Hofers Rhe­to­rik eben­falls mit Vide­os ana­ly­sie­ren. Wer ist die­ser Exper­te, der Hofers Eris­tik so gekonnt ana­ly­sie­ren und fast schwär­mend als “ganz ele­gant” bezeich­nen kann?

Ganz klar, einer vom Fach. Oetsch ist Öster­reichs NLP-Ober­gu­ru, so weit her kann es mit der mora­li­schen Ver­werf­lich­keit die­ser psy­cho­lo­gi­schen Metho­de dann wohl kaum sein, man kann sie, wie jede Metho­de, ganz pas­sa­bel Gut/­Bö­se-über­grei­fend einsetzen.

In der Süd­deut­schen schließt der zitier­te Arti­kel damit, daß die NLP-Aka­de­mien Scho­pen­hau­ers “Eris­ti­sche Dia­lek­tik” expli­zit leh­ren, obwohl Scho­pen­hau­er sie doch sel­ber als “abscheu­lich” ver­wor­fen habe. Sein Ver­wer­fen der Gesprächs­tech­ni­ken der “Eris­tik” ist ziem­lich ver­strickt, so ein­fach ist sei­ne Ableh­nung nicht, wie Karin Jan­ker in ihrem Arti­kel dort meint. In Kapi­tel II “Zur Logik und Dia­lek­tik” der Parer­ga und Para­li­po­me­na kon­stru­iert er fol­gen­de Situation:

Frü­her ein­mal sei er Anhän­ger der Eris­tik gewe­sen, und habe aus Inter­es­se an den immer wie­der­keh­ren­den “Schli­chen und Knif­fen” ange­fan­gen, eine rein for­ma­le Schau­samm­lung der­sel­ben anzu­le­gen. Die­se Samm­lung sei auf etwa 40 Exem­pla­re ange­wach­sen, und inklu­si­ve der pas­sen­den rhe­to­risch-dia­lek­ti­schen Gegen­mit­tel zu einem gan­zen Kom­pen­di­um gewor­den, der “Eris­ti­schen Dia­lek­tik” von 1830.

Er führt in sei­ner fik­ti­ven “Revi­si­on” die­ser Fin­ten­samm­lung sogar auf, wel­che phi­lo­so­phi­schen Schrif­ten, die der Rhe­to­rik gewid­met sind, von Aris­to­te­les bis Kant, ihm hier­bei nichts genützt hät­ten, so daß er sie ganz authen­tisch habe ver­fas­sen müssen.

Daß ihm nun, 1851, die gan­ze Eris­tik “wider­lich” gewor­den sei, sei­ner “Gemüths­ver­fas­sung nicht mehr ange­mes­sen”, er sie aber trotz­dem recht aus­führ­lich zitiert (aus­führ­lich genug jeden­falls, um dar­aus eine NLP-Trai­nings­ein­heit zu destil­lie­ren), ver­ste­he ich als Kunst­griff Schopenhauers.

Ein klei­nes mora­li­sches Fei­gen­blatt, und schon darf man die fie­ses­ten Tricks preis­ge­ben, Machia­vel­li ope­rier­te ähn­lich, indem er alles getreu­lich mit­no­tier­te, was ein tugend­haf­ter Fürst (dem das Lehr­büch­lein vom Fürs­ten ja die­nen soll) bloß n i c h t tun dürfe.

Schon Scho­pen­hau­ers Fin­ten­samm­lung von 1830 ist nicht schlicht böse (auch wenn er spä­ter so tut), son­dern rech­net mit der Schau­spie­ler­na­tur des Men­schen, der ver­fal­le­nen Welt, in der es der Rabu­lis­tik bedarf, selbst um das Gute durchzusetzen.

Viel weni­ger irrt wer, mit zu fins­term Bli­cke, die­se Welt als eine Art Höl­le ansieht und dem­nach nur dar­auf bedacht ist, sich in der­sel­ben eine feu­er­fes­te Stu­be zu verschaffen.

Nor­bert Hofers Wahl­nie­der­la­ge bedeu­tet nun kei­nes­falls den Sieg der Authen­ti­zi­tät über die Schau­spie­le­rei, son­dern legt zum Min­des­ten eines offen: wenn die Grü­nen nun tri­um­phie­ren und glau­ben, Van der Bel­len hät­te mit Ver­trau­ens­wür­dig­keit und ernst­haf­ter Rede über das fin­ten- und fal­len­stel­len­de Smi­le­mons­ter gesiegt, dann ist ihre flam­boy­an­te Nai­vi­tät eine noch viel grö­ße­re Fin­te und Fal­le. Wenn sie sie dem Wahl­volk stel­len, kön­nen sie ziem­lich rasch selbst hineinfallen.

Van der Bel­len ver­sprach den Jung­wäh­lern: “Sie sind die künf­ti­gen Eli­ten” und “Sie müs­sen wis­sen, wie wich­tig offe­ne Gren­zen für Ihr spä­te­res Leben sind.”

“Offe­ne Gren­zen” wer­den einen rie­sen­gro­ßen Impact auf die Jun­gen haben, da kann man sich sicher sein, wenn man Scho­pen­hau­ers eris­ti­sche Maxi­me Nr. 2, “Hom­ony­mie” beher­zigt – unter glei­chem Namen wird Gegen­tei­li­ges gesagt. Wir wer­den uns noch “wun­dern” (Nor­bert Hofer) müssen.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (19)

Sven Jacobsen

6. Dezember 2016 19:21

Ein anregender Text aus bewährter Feder. Mittlerweile wird jede Wahl nicht nur Europas im Zeichen des Gegensatzes zwischen dem linksliberalen Establishment einerseits bzw. einem übrigens ziemlich heterogenen Lager andererseits ausgedeutet. Da der begleitende Wahlkampf schärfer wird, nimmt es nicht wunder, dass beide Seiten ihre Munitionierung immer vielseitiger vornehmen. Die beschriebenen Videoanalysen haben z.B. den Zweck, mit gewissermaßen wissenschaftlichen Weihen aufzudecken, was wir nun wirklich schon lange wussten: dass Politiker überzeugen wollen und müssen. Schlimm finde ich eine andere Entwicklung. Aus gegebenem Anlass sei auf den umfassenden freiwilligen Verzicht auf Kritik verwiesen, mit dem jetzt Geschlossenheit demonstriert und Überzeugung im wahrsten Sinne des Wortes herbeigeklatscht werden soll. Angela Merkel bekam heute elf Minuten Ovationen sowie fast 90% beim Parteitag der CDU. Eine Farce, wenn man bedenkt, dass innerparteiliche Oppositionelle über die Medien einen „scharfen Gegenwind“ ankündigten. In Alexander Solschenizyns "Archipel GULAG" wird beschrieben, wie bei einer Bezirksparteikonferenz in der Stalin-Ära der Direktor einer Papierfabrik nach elf (!) Minuten Dauerklatscherei fix und fertig als Erster aufhören muss und deshalb verhaftet wird. Damit soll hier natürlich nicht angedeutet werden, dass wir heute in identischen Umständen leben würden (was blanker Blödsinn wäre), wohl aber, was für einen Personenkult die Menschen wider besseren Wissens betreiben und wie gering die Fähigkeit geworden ist, Konflikte auszutragen.

Winston Smith 78699

6. Dezember 2016 19:55

@ Sommerfeld

Sie haben sich aber ganz schön geärgert, willkommen im Club. In der BRD nimmt man täglich einen tiefen Zug von solchem Ausgeliefertsein der immer dreisteren Lüge - ja und eben auch von genau diesem perfiden Kram, den Sie da mal an einem Beispiel analysieren, den man aber kaum anders als mit solchem Aufwand erklären kann. Wir Michel hier haben längst zu zählen aufgehört. Ihnen und Ihren Landsleuten Sellner und Lichtmesz wünsche ich umso mehr von der erstaunlichen Frische weiterhin.

Irgendwo eint unser und Euer Ausgesetztsein einer ordinären Dauerbeleidigung doch nun die Österreicher wieder tiefer mit den Deutschen als irgendwelche Allianzen von Elitenkaspern an der Oberfläche: wir sitzen jetzt im selben Narrenschiff, unterschieden zusehends vor allem noch durch andere Wahltermine.

Bei diesem Schopenhauer bin ich gestern zufällig über Beckett gelandet und fand seinen Irrationalismus passend zu meiner (nun andauernd hier geäußerten) Kritik an der Hoffnung, man könne mit einer solchen Obrigkeit noch nach irgendwelchen zivilen Regeln in einen Diskurs treten.

NLP ist übrigens ein gutes Stichwort für das, worauf ich mit diesem Brandom hinauswill. Von ihm oder mittels seiner Beiträge soll meiner Meinung nach die Wittgensteinsche Sprachphilosophie (mit der Lehre von z.B. Bedeutung=Gebrauch und den Sprachspielen) bzw. die Austin-Ayer-Schule der Ordinary-Language-Philosophie in eine Richtung der Normativitätskunde gezogen werden, und zwar mit einem bösen Ziel.

Dieses "ought" (das überzeugte Sollen) und hierzu eine bestimmte Umdichtung von "Rationalität" sind wohl für Brandom wichtig, und ich vermute als Hypothese, daß die Kenntnisse über das Funktionieren von so etwas wie einem hochkomplexen (Sellarsschen) Geflecht von Referenzen nicht nur der Bedeutungen der Wörter selbst, sondern auch der Normen, Aufforderungen, Empfindungen von Notwendigkeit etc. benutzt werden sollen, um vor allem intelligente junge Leute (z.B. Studenten) in eine sanfte Befehlshörigkeit gegenüber der pseudolinken NWO-Ideoologie hineinzuschwurbeln, während sie selbst noch der pseudointellektuellen Meinung sind, alles zu hinterfragen und frei zu diskutieren.

Die drehen sich damit in sehr weiten Schleifen von subtilen und kaum expliziten Glaubenssätzen über das Sollen und Müssen und über Richtig und Gut und Schlecht und Böse und sogar noch über die Wörter selbst und die Rollen und das Gewicht von Argumenten (Toulmin!) - so weit, dass sie die Zirkularität dieser referentiellen Schleifen innerhalb ihres Ideologiegeflechts nicht mehr erfassen können. Damit sind sie die Edelvariante der Antifa und Brandom ersetzt ihnen dazu das billige Bier. Leider habe ich keinen Livekontakt mehr mit dem Akademischen und kann nur aus den skurrilen Anfängen heraus spekulieren, über die ich mich sehr gewundert habe.

Vielen Dank an SiN für das Freischalten dieser doch ziemlich spekulativen und abstrakten Überlegungen: wie gesagt schaffe ich das nicht allein, zumindest nicht in der Zeit, und haue die Idee hiermit einfach immer wieder in Fetzen raus, in der Hoffnung, jemand finde etwas daran. (Der Tavistock-Experte hier scheint Grambauer zu sein. Auf dessen Meinung warte ich weiterhin.)

Caroline Sommerfeld

6. Dezember 2016 22:10

Angela Merkel bekam heute elf Minuten Ovationen sowie fast 90% beim Parteitag der CDU. Eine Farce, wenn man bedenkt, dass innerparteiliche Oppositionelle über die Medien einen „scharfen Gegenwind“ ankündigten.

@ Jacobsen: Das ist dies hier, das Video fand ich auch noch klasse zusammengeschnitten - und der SED-Vergleich ist nicht nur Ihnen aufgefallen.
@ Winston: ich will's schon die ganze Zeit wissen, was Ihnen da vorschwebt, kenne nur Brandom, Toulmin und Co. allzu schlecht. Also bitte die Version für die philosophische Hausfrau, stellen wir uns ganz dumm, Modell für dieses Experiment könnten einige Journalisten sein. So tun, als könnte man nichts als selbstverständlich voraussetzen, jedes Insinuieren zieht nicht ... also los von Null an.

Der Gutmensch

6. Dezember 2016 22:38

@Sven Jacobsen

Damit soll hier natürlich nicht angedeutet werden, dass wir heute in identischen Umständen leben würden (was blanker Blödsinn wäre) wohl aber, was für einen Personenkult die Menschen wider besseren Wissens betreiben und wie gering die Fähigkeit geworden ist, Konflikte auszutragen.

In der Tat, es ist besorgniserregend, dass die Menschen sich weder damit konfrontieren, worum es wohl bei den Auseinandersetzungen in Syrien gehen mag (welche Akteure zugange sind, wessen Interessen auf dem Spiel stehen), noch wie sich das wohl auf unsere Auffassung von Asyl auswirken wird (wie kann man das noch regeln), noch darum, welche Grenzen man vernünftiger Weise schützen sollte und was es bedeutet, wenn das misslingt. Zur Frage, wer hier die Verantwortung trägt, wird nicht einmal die Verfassung konsultiert. Jeder ernsthafte Gedanke wird offenbar abgewehrt, als seien die Leute alle ihre eigenen NLP-Agenten; nur eine Priorisierung ist erkennbar: Hoffentlich gelingt es mir, die Schuld so zu verteilen, wie sie in den letzten 70 Jahren verteilt wurde! Von außen dagegen zu argumentieren, führte nur zu "verdrießlichen" Ergebnissen. Das muss jeder in seinem eigenen Kopf klar kriegen.

der Gehenkte

6. Dezember 2016 22:49

@ Winston Smith 78699

Caroline Sommerfeld nimmt mir das Wort aus dem Mund. Analytische Philosophie ist nun mal in Europa nicht so der Renner und hier im Club wohl erst recht nicht.

Mich würde vor allem interessieren, als weißes Blatt in Brandom-Dingen, woher Sie die Überzeugung eines "bösen Ziels" nehmen. Wo wäre sein Interesse zu verorten, junge Akademiker derart zu beeinflußen, wie Sie es hier andeuten? Denn das klingt doch, wenn ich es recht verstehe, nach einem sehr sinistren Plan, der wiederum so funktionabel nicht sein kann, wenn er so einfach zu durchschauen ist.

Was würden Sie empfehlen?

Andu Kulu

7. Dezember 2016 11:50

"Daß ihm nun, 1851, die ganze Eristik „widerlich“ geworden sei, seiner „Gemüthsverfassung nicht mehr angemessen“, er sie aber trotzdem recht ausführlich zitiert [..] Ein kleines moralisches Feigenblatt, und schon darf man die fiesesten Tricks preisgeben"

Das klingt so negativ, die "fiesesten Tricks preisgeben" ist eben ein Weg, sie dem Unbedarften bewusst zu machen, auch um sich dagegen wehren zu können. Ich sehe das als große Leistung Schopenhauers.

Ich halte es auch für eine Schwäche von Hofer, wenn er zu solchen Kniffen greifen muss, immerhin kann man zur Verteidigung anführen, dass er massiv in der Defensive ist.

Aber mit NLP und Co überzeugt man schlecht. Besser wären Rückfragen, wie "was verstehen sie unter Nazi und wieso meinen Sie, ich könnte einer sein?" denn damit macht man das Symbolgeklingel offensichtlich und bringt die Fragerin in die Defensive.

"Machiavelli operierte ähnlich, indem er alles getreulich mitnotierte, was ein tugendhafter Fürst (dem das Lehrbüchlein vom Fürsten ja dienen soll) bloß n i c h t tun dürfe"

Liebe Frau Sommerfeld, woraus leiten Sie denn das ab?

Ich habe das Buch gelesen. Bereits im Vorwort steht:
"So nehmt denn, erlauchter Herr, diese kleine Gabe in dem Sinne an, in dem ich sie überreiche. Wenn Ihr sie eifrig lest und darüber nachdenkt, so werdet Ihr darin meinen heißen Wunsch finden, daß Ihr zu der Größe gelangt, zu der Euch das Glück und Eure übrigen Eigenschaften bestimmen."

Das erste Artikel ist überschrieben mit:
"Über die Arten der Herrschaft und die Mittel, sie zu erlangen"

Keinerlei Subtilität. Das Buch ist ein Bewerbungsschreiben, weil M. wieder an den Hof zurückwollte. Es ist sehr gut und klar beobachtet, lediglich die Absicht (Erringung persönlicher Macht) schreckt ab. Andererseits war Monarchie seinerzeit halt Stand der Dinge.

Noch ein schöner Auszug zur Tugend (Kapitel 15):
"Ich weiß wohl, daß ein jeder zugeben wird, wie löblich es wäre, wenn ein Fürst von all den obengenannten Eigenschaften nur die besitzt, welche für gut gelten; da aber die Art der Menschennatur es nicht verstattet, sie alle zu besitzen, noch sie ungeschmälert zu pflegen, so muß er klug genug sein, um den üblen Ruf derjenigen Eigenschaften zu meiden, durch welche er die Herrschaft verlieren könnte; vor den Lastern aber, welche seine Herrschaft nicht gefährden, muß er sich nach Möglichkeit hüten; vermag er dies aber nicht, so kann er sich ohne viel Rücksicht darin gehen lassen. Auch kann er unbesorgt den üblen Ruf derjenigen Laster auf sich nehmen,
ohne die er schwerlich seine Stellung behaupten kann, denn alles in allem genommen, findet man vermeintliche Tugenden, bei deren Befolgung man untergeht, und scheinbare Laster, bei denen man Sicherheit und Wohlbefinden erlangt."

Caroline Sommerfeld

7. Dezember 2016 17:06

@ Andu Kudu

Es ist eben genau ein Zeichen von defensiver Schwäche, wenn man rückfragt: "Was verstehen Sie denn unter Nazi?" - denn dann wird der Gegner einen Teufel tun und nun zu definieren beginnen, sondern er spürt die Schwäche und landet den nächsten Stich, garantiert, weil er merkt, man ist "getriggert".

Zu Schopenhauer: mein Reden! Es ist genau sein geniales Verdienst, dem Leser die Finten und Kniffe en detail vorzudefinieren, und sich dabei eben der simulatio zu bedienen: ich tu so, als wäre mir das alles ein fürchterlicher Greuel, damit das mal geklärt ist für die moralischen unter den Lesern, und dann kann ich in aller Ruhe erzählen, auch "die fiesesten Tricks". Auf so einem "Vertrag" mit dem Leser beruht übrigens auch so manche grausame, perverse oder ekelerregende Literatur.
Zu Macchiavelli: das was Sie zitieren, ist nicht bloß "ein schöner Auszug zur Tugend", sondern die Antwort auf Ihre Frage. Die vielen üblen Laster und Fehler und Grausamkeiten und Irrtümer - Macchiavelli zählt massig Einzelbeispiele auf - alle dienen mehr oder minder direkt dem strategischen Erfolg. Deswegen müssen sie benannt und beschrieben werden, auch wenn er immer zuerst davon abrät, und dann das "Aber" hinterherbringt.

So mußt du milde, treu, menschlich, aufrichtig sowie fromm scheinen und es auch sein, aber du mußt geistig darauf vorbereitet sein, dies alles, sobald man es nicht mehr sein darf, in sein Gegenteil verkehren zu können. Man muß nämlich einsehen, daß ein Fürst, zumal ein neu zu Macht gekommener, nicht all das befolgen kann, dessentwegen die Menschen für gut gehalten werden, da er oft gezwungen ist - um seine Herrschaft zu behaupten - gegen die Treue, die Menschlichkeit, die Barmherzigkeit und die Religion zu verstoßen. Daher muß er eine Gesinnung haben, aufgrund deren er bereit ist, sich nach dem Wind des Glücks und dem Wechsel der Umstände zu drehen und (...) vom Guten so lange nicht abzulassen, wie es möglich ist, aber sich zum Bösen zu wenden, sobald es nötig ist.

(Kap. XVIII).

Der Gutmensch

7. Dezember 2016 19:17

@ Andu Kulu und Caroline Sommerfeld

Was hier besprochen wird, sind die -zig Varianten der Diskursverweigerung. Schopenhauer schrieb von der Kunst, Recht zu behalten - nicht davon, irgendein Recht zu erlangen. Man kann also mit diesen Mitteln, wie auch immer sie heute genannt werden, schlichtweg nicht aus der Defensive kommen, sondern sich nur dahinter verschanzen; das allerdings sehr wirksam.

Aber ich denke, diese Taktiken sind in bestimmten Kreisen altbekannt; kein Krimineller, der nicht dem Verhör auszuweichen gedenkt. Um dem beizukommen, müsste man erstmal das Setting schaffen; d. h. die Diskurshoheit übernehmen. Wer fragt, führt - das stimmt schon. Aber wenn man es mit einer Unterstellung zu tun hat, muss das dann natürlich eine Gegenfrage sein und gerade keine Nachfrage. Oder man wechselt die Ebene und benennt die Taktiken des anderen, wie das ja auch vorgeführt wird. Im übrigen ist Beharrlichkeit am eigenen Thema Trumpf.

Aber am Ende des Tages ist aber jeder, der etwas politisch erreichen möchte, auf die Presse angewiesen und es handelt sich hier ohnehin um Scheingefechte. Die Presse hört das Gras schon wachsen; wenn also die Bürger nicht mehr lesen oder nicht mehr einschalten, dann befragen sie die neue Richtung erst angriffslustig (der hier beschriebene Wechsel in die Metaebene ist ein Anfang) dann sachlich, schließlich freundlich und gegen Ende peinlich unterwürfig. Die Entwicklung kann man aber nicht erzwingen, man kann sie nur beobachten und mit Glück sein Zeitfenster abpassen.

Schopenhauer hilft einem unterdessen, sich den Schuh nicht noch anzuziehen und den Fehler nicht immer bei sich zu suchen. Das entbindet einen aber nicht davon, sich zu überlegen, warum der andere keine Sachargumente präsentiert, sondern sich in Dominanzgesten flüchtet. Da gibt es vieles, das einfach nicht präsentabel ist und wer politisch irgendwann mal irgendwo hinkommen möchte, muss da nunmal sensibel sein und sich das Nachhaken häufig verkneifen. An anderen Stellen wiederum kann man das Ausweichen in der Sache durchaus als billigen Trick zur Machterhaltung brandmarken - aber dafür muss man sich, wie gesagt, in der Sache sehr gut auskennen; den anderen einfach abzulehnen, reicht nicht aus.

Insgesamt ist zu konstatieren: Mit Moral alleine kommt man genauso wenig weiter, wie mit Verderbtheit; es hat beides seinen Platz. Eins konstituiert, das andere verteidigt. Die Frage ist, wann und wo nichts Gutes mehr mit schlechten Mitteln verteidigt wird. Wer sie beantworten kann, ist der nächste Fürst.

Johannisthaler

7. Dezember 2016 20:30

Etwas Konkretes zur medialen Präsentation Hofers: Ich beziehe mich auf das Wahlkampfvideo, das M. Sellner auf seiner Facebookseite verlinkt hat. Der Text hat mich schon zu Beginn so angeödet, daß ich Abschnitte übersprang. Interessant wurde es auch an anderen Stellen nicht und zum Schluß kam eine Szene mit albernem Konfettiregen, als ob jeden Tag Fasching wäre, wenn Hofer Präsident wird. Wenn ich Österreicher wäre und keine klare konservative Einstellung hätte, dann hätte dieses Video meine Wahlentscheidung negativ beeinflußt. Obwohl ich mich nicht von Propaganda lenken lassen will, bleibt doch der Aspekt wirksam, auf welchem Niveau mir der Kandidat vorgestellt wird.

Andudu

7. Dezember 2016 21:17

@Caroline Sommerfeld
"Es ist eben genau ein Zeichen von defensiver Schwäche, wenn man rückfragt: „Was verstehen Sie denn unter Nazi?“ – denn dann wird der Gegner einen Teufel tun und nun zu definieren beginnen, sondern er spürt die Schwäche und landet den nächsten Stich, garantiert, weil er merkt, man ist „getriggert“. "

Nicht der Gegner ist zu überzeugen, sondern das Publikum! Und dieses spürt überwiegend, wer aufrichtig ist und wer rabulistisch (genau das ist der Grund für die aktuelle Linksflucht und Lügenpresse-Rufe). Im Zweifel ist es besser als ein (aufrichtiges) Opfer zu erscheinen.

Eristrische Angriffe auf eine seriöse Ebene zu lenken (oder beim Versuch wenigstens den Manipulateur zu blamieren), ist eine Kunst. Ich beherrsche sie im Schriftlichen ganz gut, allerdings wäre ich vor der Kamera vermutlich ein zitterndes Nervenbündel :-) Von daher kann ich da niemandem Vorhaltungen machen.

Ich meine nur, man sollte den Gegner in diesem Punkt nicht kopieren, weil man nicht gewinnen kann, wenn man Manipulationen und Lügen kopiert. Es mag eine Weile dauern, aber irgendwann bricht es einem selbst dann auch das Genick. IMMER versuchen, aufrichtig und sachlich zu bleiben! Immer! Sonst geht der ganze krude Wahnsinn einfach in die nächste Runde...

Andudu

7. Dezember 2016 21:34

@Der Gutmensch

"Wer fragt, führt – das stimmt schon. Aber wenn man es mit einer Unterstellung zu tun hat, muss das dann natürlich eine Gegenfrage sein und gerade keine Nachfrage. Oder man wechselt die Ebene und benennt die Taktiken des anderen, wie das ja auch vorgeführt wird. Im übrigen ist Beharrlichkeit am eigenen Thema Trumpf."

Nachfrage vs. Gegenfrage. Ich weiß nicht, wenn man sich selbst nicht als "Nazi" empfindet, warum sollte man das nicht nachfragen? Die Moderatorin wird zwangsweise ins Rudern geraten. Wenn ihre Darstellung unlogisch wird, fragt man weiter nach usw.

Ich bin nicht sicher, ob das im TV funktioniert, ich war nie dort. Allerdings stellt sich mir immer die Frage: wenn man weiß, dass einem dort das Wort im Mund herumgedreht wird und man ständig in der Defensive gehalten wird, warum geht man dann hin? Wenn nicht der geringste Gewinn zu erwarten ist, erspart man sich das doch? Damit überzeugt man doch niemanden.

Oder geht es tatsächlich nur darum, dass der Name wenigstens hin- und wieder mal offiziell erwähnt wird?

der Gehenkte

7. Dezember 2016 23:23

@ Winston Smith 78699

Die „Threadkaperung“ ist ja von der Verfasserin autorisiert worden und gehört ohnehin zum erweiterten Rahmen des Textes …

Mir scheint, Sie sprechen hier ganz Wesentliches an. Die Links sind ein Augenöffner. Die schiere Menge der Argumente ist erschlagend. Aber Sie haben recht: Man müßte sich durch diesen Wust durcharbeiten und eine Art Systematik linker (Un)Logik erstellen.

Aber – ein großes „Aber“ - die gleiche Arbeit sollte auch als Selbstkritik geleistet werden, womit ich erneut bei einem Punkt bin, den ich hier schon mehrfach – resonanzlos – anzusprechen versuchte. Einige Autoren und Foristen glauben an die Macht der Selbstsetzung. „Hier stehe ich und kann nicht anders.“ Das ist ehrenwert und mutig, aber selten richtig oder besser: korrekt. Kaum eine Diskussion ohne großes Wundern über absurdes linkes Denken – den Balken im eigenen Auge sieht man meist nicht. Dabei kann nur logische Stringenz (im Idealfall) gewinnen.

Gerade unter diesem Gesichtspunkt wäre die Auseinandersetzung zwischen Kubitschek und Stahlknecht so bedeutsam gewesen. Eben lese ich die „Spurbreite“ und bin phasenweise überwältigt von dieser faszinierenden Bestimmtheit und Kälte der Argumentation bei spürbarer Wärme im Herzen - im Buch wirkt das noch mal stärker als auf dem Bildschirm. Trotzdem spricht es nur „unsereins“ an – man könnte also erfragen, was – vom Wille zum Nichtverstehen abgesehen – in diesen Argumentationen noch so unscharf ist, daß Opponenten ihre Vor-Urteile bestätigt finden. So einer wie Dietmar Dath etwa, der müßte doch aufschließbar sein oder aufschließen können … und Stahlknecht, soweit eine so kurze Veranstaltung diesbezüglich sinnvoll ist, schien mir ein geeigneter Gegner.

Sie scheinen sich in die Materie bereits eingedacht zu haben – legen Sie doch mal was vor und stellen es zur Diskussion. Ich kenne ein, zwei Leute, die das hören wollen.

Stil-Blüte

8. Dezember 2016 01:42

Eine Frage in die Runde:

Die hochdotierte deutsche Philosophie, die fähig ist, Abstraktes präzise auszudrücken, lebte mindestens bis Heidegger vor allem von der deutschen Sprache.
Nun registriere ich, daß es völlig anders ist. Neue Begriffe stammen aus dem Englischen, werden aus dem Englischen zitiert. Sogar deutsche Wissenschaftler äußern sich unbekümmert auf Englisch.

Wann hat das eingesetzt? Und warum? Wann begann wer zu erkennen, daß die deutsche Sprache nicht mehr zur Analyse, Abstraktion, Logik taugt? Wann und warum hat die englische Sprache die Führung übernommen?

Monika

8. Dezember 2016 09:31

Liebe Stil-Blüte,

Ich schätze Ihre Beiträge zur Sprachpflege sehr. Vielleicht hilft Ihnen folgender Beitrag weiter:
https://www.philosophie.uni-hd.de/imperia/md/content/fakultaeten/phil/philosophischesseminar2/kemmerling/a73.pdf
Aber: Schopenhauer sollte man schon " ganz authentisch" lesen.
Ein zeitlicher Einschnitt der "Sprachänderung" war sicher die Bologna-Reform.

Der_Jürgen

8. Dezember 2016 10:49

@Stil-Blüte

"Sogar deutsche Wissenschaftler äussern sich unbekümmert auf Englisch."

Meist wohl der Not gehorchend, nicht dem eignen Triebe. Mit der Niederlage von 1945 büsste logischerweise auch die deutsche Sprache ihre frühere internationale Bedeutung immer mehr ein, genau wie die französische, obgleich Frankreich formell zu den Siegermächten gehörte. Ein Chemiker, Mathematiker oder Biologe, der weltweit gelesen werden will, muss zwangsläufig auf Englisch publizieren, so wie ein dänischer oder holländischer Wissenschaftler vor dem Zweiten Weltkrieg in der Regel auf Deutsch (oder vielleicht schon damals auf Englisch) publizierte, weil seine Schriften sonst ausserhalb Skandinaviens bzw. Hollands keine Leser gefunden hätten.

Wenn Sie Mediziner sind und eine Entdeckung gemacht haben, die Sie für so wichtig halten, dass auch der Inder und der Japaner sie lesen sollten, dürfen Sie nicht auf Deutsch veröffentlichen. Dies bedeutet keineswegs, dass die deutsche Sprache "nicht mehr zur Analyse, Abstraktion, Logik taugt", sondern stellt eine unvermeidliche Konzession an die Realitäten dar.

Mit einer Missachtung der eigenen Sprache hat das nichts zu tun. Ich finde es allerdings beschämend, dass an vielen deutschen Universitäten Kurse auf englisch abgehalten werden. Von einem ausländischen Studenten, der in Deutschland studiert, müsste man erwarten und verlangen, dass er die Landessprache lernt. Kurse in englischer Sprache sollte es in Deutschland im Prinzip lediglich im Fachgebiet Anglistik geben, oder von Gastlektoren, die nur für ein oder zwei Semester kommen und in dieser Zeit kein vorlesungsreifes Deutsch lernen können.

Die Franzosen verteidigen ihre eigene Sprache zwar etwas hartnäckger als die Deutschen, knicken aber auch immmer mehr ein.

Damn it!

Winston Smith 78699

8. Dezember 2016 11:53

@ Stil-Blüte

"Wann hat das eingesetzt?"
-----------------------------
Eindeutig mit der Auswanderung des Wiener Kreises und der Marburger bzw. von allem, was einen starken kommunistischen (z.B. Neurath) oder jüdischen (z.B. Cassirer, Buber, Reichenbach) Bezug hatte. Das soll nicht heißen, dass das Andere - sagen wir mal die Schule(n) Heidegger (Husserl) - Gadamer - Schmitt irgendwie schlecht gewesen wäre. Aber eine derartige Ballung von Top-Wissenschaftlern wie etwa in in Wien (mit Anhang in Berlin) hat es kaum jemals sonst gegeben. Dann nehmen Sie noch deren Überlappung mit den revolutionären Physikern und Mathematikern ihrer Zeit mit rein. (Es gibt die Anekdote, dass im US-amerikanischen Einwanderungsbüro zugleich sitzen: Einstein, Gödel, von Neumann - ich glaube, um den einreisewiligen Gödel zu entlasten, der es sich zur Irritation des Beamten aber nicht nehmen lassen wollte, die logische Möglichkeit für Totalitarismus bzw. Faschismus auch für deren Verfassung aufzuzeigen.) Dass übrigens ein Heisenberg oder ein Zuse aus leicht nachvollziehbaren Gründen nicht gehen mußten, heißt ja nicht, dass sie nicht gedanklich ebenso an der Bewegung beteiligt gewesen wären. Ich gehe soweit zu sagen, dass auch die Ayer-Austin-Schule natürlich an Wittgenstein groß wurde, ja dass seither die internationale - vor allem analytisch geprägte - Philosophie fast ausschließlich von dieser Emigration lebt. Bedenken Sie, dass die Wiener grob gesagt Logizisten waren und somit von vorneherein nicht besonders an der Muttersprache klebten (verglichen mit Heidegger etwa), aber nicht etwa weil sie im allgemeinen deutsch- oder kulturfeindlich gewesen wären (was vielleicht bei Neurath diskutabel sein könnte, nicht aber z.B. bei Schlick). Die Schlüsselfigur für den Dreh war vielleicht der als Schüler Freges wohl für Russell (und Whitehead, Turing usw.) und somit nach Oxford und Cambridge anschlußfähige Wittgenstein. Und im Ernst: hätten Sie dem Rudolf Carnap etwa ernsthaft geraten, in den USA auf deutsch zu arbeiten?

@ der Gehenkte

Danke für die Aufmunterung. Muß mich noch sammeln. Werde es versuchen.

der Gehenkte

8. Dezember 2016 13:18

@ Stil-Blüte

Es sollte doch eigentlich genügen, sich folgende Namen auf der Zunge zergehen zu lassen, um zu sehen, daß Deutsch nicht nur eine, sondern eine der Philosophiesprachen schlechthin ist: Meister Eckhart, Luther, Leibniz, Kant, Fichte, Hegel, Schelling, Marx, Schopenhauer, Nietzsche, Wittgenstein, Husserl, Heidegger – ein Großteil der Primärphilosophie der letzten Jahrhunderte wurde auf Deutsch geschrieben oder zumindest gedacht (Eckhart, Leibniz).

Das auszeichnende Merkmal der meisten dieser Denker ist, daß sie in der Sprache denken. Das ist in der englischen (Hobbes, Locke, Berkeley, Hume, Mill, Russel, Moore) und französischen (Descartes, Rousseau, Voltaire, Sartre) in diesem Ausmaße nicht der Fall – ausgenommen Derrida etc. (der wiederum in vielen Sprachen denkt).

In der deutschen Philosophie denkt nicht nur der Denker, sondern denkt auch die Sprache.

Die englische Sprache ist ob ihrer vergleichsweise einfachen Struktur sogar eher Metaphysik-feindlich und ich glaube, es ist kein Zufall, daß die Analytische Philosophie dort den Vorrang hat. Deutsche Philosophie ist Metaphysik- und Ontologie-lastig, der Hang zur Tiefe und Schwere liegt wesenhaft in der Sprache begründet. Englisch ist viel schneller – weshalb sich Krimis auf Englisch deutlich besser lesen als auf Deutsch.

Heidegger hat es auf den Punkt gebracht – man muß freilich sein Philosophieverständnis voraussetzen:

die griechische Sprache ist philosophisch, d.h. nicht: mit philosophischer Terminologie durchsetzt, sondern als Sprache und Sprachgestaltung philosophierend. Das gilt von jeder echten Sprache, freilich in je verschiedenem Grade. Der Grad bemißt sich nach der Tiefe und Gewalt der Existenz des Volkes und Stammes, der die Sprache spricht und in ihr existiert. Den entsprechenden tiefen und schöpferischen philosophischen Charakter wie die griechische hat nur noch unsere deutsche Sprache. (Vom Wesen der menschlichen Freiheit 50f.)

Daß man in anderen Sprachen anders denkt, weiß jeder, der sich mal in eine andere Sprache eingedacht hat. Es gibt auch unentdeckte Philosophie- oder Denksprachen, wie das Ungarische etwa, das unglaublich feine Differenzierungen zuläßt (von Neumann, Teller, Kemény Szilárd, Erdös, Köstler, Lukács ... deutlicher naturwiss. Überhang). Aber es ist die Sprache eines einstigen Nomadenvolkes und legt besonderen Wert auf Geschwindigkeiten, Entfernungen und Natur. Auch das Chinesische oder Japanische – so vermute ich – sind genuine Philosophiesprachen.

Daß sich in Akademia das Englische auch in der Philosophie durchsetzt, dürfte politisch begründbar sein. Stichwort Globalisierung und Hegemonie. Der allgemeine Sprachverfall (Normenverfall), also die Nichtbeherrschung der eigenen Sprache kommt hinzu, durch systemische Simplifizierung wie Rechtschreibreform unterstützt ...

Übrigens ein Grund, weshalb ich für die Zukunft schwarz sehe: Das Englische wird als Sprache nicht genügen, der Hyperkomplexität zu genügen. Eigentlich bräuchten wir Deutsch oder Ungarisch oder Chinesisch ... oder etwas entsprechend Künstliches als Weltsprache um dem “Sein“ und dem Zuwachs an Sein sprachlich gerecht werden zu können.

(Das alles selbstredend sehr grob geschnitzt)

Winston Smith 78699

8. Dezember 2016 14:52

@ der Gehenkte

Ich will es mit Thesen und Gedankenfetzen versuchen, denn hätte ich das Gefühl, einen Artikel hinzubekommen, würde ich ihn in Angriff nehmen. Für die Hausfrau ist das noch nicht, leider - dies wäre ja auch wie immer die Kür und man kriegt es erst hin, nachdem man etwas durchdrungen hat. Wenn ich es könnte, bräuchte ich nicht um Hilfe betteln.

1) Es geht nicht um die Person Robert Brandom oder dessen Ziele, sondern um einen methodischen Paradigmenwechsel innerhalb der "Analytischen Philosophie", welche international sowieso seit langem und in Deutschland seit spätestens den 2000ern (sichtbar an Neubesetzungen) so sehr dominiert, dass aus dem Munde von Kennern (vom alten Schlag) von der Scholastik der Gegenwart die Rede ist. (Auf Brandom, den ich zugegebenermaßen aus verschiedenen Gründen nicht mag, kam ich wieder durch einen Aufsatz zur Transhumanität, den ich im Strang zu Sommerfelds Artikel zur Rede von Michel H. verlinkt habe.)

2) Es geht gleichwohl nicht vor allem um Deutschland, sondern um das größere, weltweite Spiel - etwa auch um die Positionierung der angelsächsischen jungen Denkelite zu allerlei US-amerikanischen politischen Bewegungen, zusammenfaßbar grob im Programm der Obama-Clinton-Administration. Bevor ich's vergesse: hier gehören der Schleier des Nichtwissens von John Rawls und der Stil der unbekümmert oberflächlichen Vorlesungen von Sandel hin und daher auch der postmoderne Abschied vom gruselig schwerfälligen philosophischen "System" in einer leider schäbigen und leichtfertigen Weise, die einem frühen Systematik-Kritiker wie den späteren Wittgenstein natürlich unrecht tut, so man sich denn letztlich auf dessen Sprachkritik berufen sollte (und das tut man tatsächlich, auch zur Rechtfertigung der Senkung des schulischen Bildungsniveaus; ich war live dabei).

3) Der Hype um Brandom fällt zumindest zeitlich mit diesem Paradigmenwechsel zusammen (und seine Werke und Person werden in diesem Zuge beworben), durch den die Analytische Philosophie zur üblichen geisteswissenschaftlichen Schwafeldisziplin verkommen ist, als genau deren Antithese sie doch einst (siehe meinen Kommentar zum Wiener Kreis) einmal angetreten war. Unser Kommentator @ Irrlicht etwa ist ein harter Knochen und gehört noch in die Zeit vor der Verwässerung, als entweder Kenntnisse in Mathematik, Physik oder formaler Logik bzw. Informatik oder zumindest Respekt vor den harten Disziplinen unabdingbar dazugehörten, wie ein elitärer Sprachcode oder Auslesekriterium ähnlich dem legendären Spruch über dem Eingang von Platons Akademie.

4) Warum sind diese drei Punkte vorher wichtig? Dass seit spätestens dem Sommer 2015 von den deutschen Soziologen und Politiologen (ihren Professoren, Dozenten, Studenten) kein nennenswerter Widerstand kommt, mag meinetwegen am Ideologisierungsgrad der Fächer liegen und an akademisch-internem Konformitätsdruck. Bezeichnenderweise müssen ja mit beispielsweise Glaser oder Schachtschneider alte Haudegen wie Methusalixe auf Zaubertrank vorgeschickt werden, um das System an der richtigen Stelle zu kritisieren. Auch dass von den Frankfurtern und den Existenzialisten und vielleicht auch von irgendwelchen historischen Idealismusforschern nichts kommt, muss nicht verwundern. Dass aber von den Analytikern nichts kommt, welche von ihrer Denkschule her naturwissenschaftlich-mathematisch aufgeschlossen und logisch versiert sein (also Entwicklungen zuendedenken und von den Enden her zwingend argumentieren können) müßten - und daß sich deren Gedankengut mitsamt den wasserklaren, unverschwurbelten Argumenten heute auch international eher nur bei Videobloggern wie Molyneux findet ... dass nicht sie es sind, die auf Eibl-Eibesfeldt verweisen, sondern daß es dazu unseren Kommentator und IfS-Autor Andreas Vonderach braucht ...
dies mag ein Skandal sein, aber es ist für mich vor allem die auch international große Unbekannte im Ideologiezirkus. Dies versuche ich zu erklären.

5) eines noch für diesmal: es geht nicht um vordergründige politische Positionierungen oder einfache Glaubenssätze, wie ob man für Immigration oder dagegen ist oder für oder gegen die Wahrnehmung von Rassenunterscheiden und dergleichen, oder für oder gegen Obama oder Clinton oder Trump. Das macht es ja so schwierig zu fassen. Es geht um einen Verlust an Strenge gegenüber Begriffen, einen Verlust an Disziplin beim Argumentieren. Es geht darum, dass der innere Anspruch an Konsistenz oder Koheränz verkommen ist, mit dem man sich etwa fragt, ob die Art oder der Typ (nicht der Inhalt) des Argumentes von letzter Woche noch zum Typ oder der Art des Argumentes von heute passen: solange die Richtung stimmt, fragt dann u.U. weder an der Uni, noch in Sommerfelds Gruppe von Journalisten noch jemand kompliziert nach. Methodische (nicht politische) Systemtreue ist nämlich sowas von spießig. Dabei würde methodische systemtreue gegenüber diesem Regime allein schon reichen, ganz unabhängig von der politischen Ausgangsposition des Fragenden! Von der BILD verlangt man das ja nicht, aber vom Feuilleton der SZ schon eher und von einem Institut oder einem einschlägigen Philosophenverein ganz und gar.

6) Noch eines: Genau gegen den richtigen Gebrauch von Denkwerkzeugen - einem, der sich im Falle von essayistischer Sophisterei oder Eklektik dessen wenigstens selbst gewahr ist und dies redlicherweise auch augenzinkernd anzeigt, also einen kritischen Vorbehalt kennt - muß also zum Zwecke der mentalen Sabotage und Entfunktionalisierung der diplomiert kritikfähigen (und nicht als dummes Pack abstempelbaren) Denkelite vorgegangen werden. Um Denkrichtigkeit aber um Herz zu treffen, greift man am Besten deren Gralshüter an, die analytischen Philosohen. Damit sie es nicht merken macht man aus den Logikern ehemalige Logiker. (Vossenkuhl und Nida-Rümelin etwa gehören noch zur alten Schule: wenn auch selbst nicht als Logizisten auftretend, so doch in spürbarem Respekt vor den harten Denkdisziplinen, wie ihn außerhalb der Schule auch ein Sloterdijk und ein Safranski oder Henrich ganz selbstverständlich an den Tag legen, weil sie wissen, wo ihr Fach herkommt. Precht hingegen steht bereits für die methodische Verflachung - mag er es auf seinem Proseminarniveau vielleicht auch gut meinen - ich kenne ihn nicht und bitte um Entschuldigung, falls ich den Mann zu unrecht angreife.) Übrigens gibt es sehrwohl Physiker, Mathematiker und Techniker, die sich aus ihren eigenen Denkwerkzeugen und ihrem Wissen heraus gegen Merkel stellen - aber diese haben als vermeintliche Fachidioten ja kein Rederecht im meinungsbildenden politischen Feuilleton. Daher könnte genau die vermittelnde Instanz zwischen ihnen und der Geisteswissenschaft, ihr Sprachrohr gewissermaßen, die geeignete Zielscheibe sein, welche selbst ja auch anfälliger ist.

7) Hier also, im Kernbestand der Lehre von methodischer Richtigkeit und systematischer Letztbegründung, kann es sein, dass eine Verzerrung der Schule durch Besetzungen, Stipendien und Fördermittel und unter spezifischer Ausbeute von pragmatistischen Denkansätzen wie denen von Brandom und Toulmin ihre politischen Dienste tut. Toulmin etwa löst die Lehre vom Argument sowohl vom formallogischen Hintergrund als auch von der Idee, dass ein Argument eingebettet zu sein hat in ein gedankliches System, "demokratisiert" oder "entelitarisiert" oder "egalitarisiert" das Argumentieren also. Natürlich ist diese unspießige, locker-flockige Pragmatik didaktisch reizvoll und attraktiv, macht Lust und Laune, einfach mal so mitzuphilosophieren wie die Hipster in den Sandel-Vorlesungen mit Partycharakter. Das sage ich auch nicht gerne.

Nachwort: Warum aber sind die Philosophen so wichtig? Weil alle anderen in der Breite ihres Fachpersonals bereits versagt haben. Weil sie als letzte doch der Wahrheit verpflichtet sein müssen, weil in schwerer Stunde zuletzt immer auf sie gehört wird. Schierlingsbecher und Verbannung sollten doch zum Berufsethos gehören. Und, Gehenkter: Sie sagen zurecht, das sei eine sinistre Theorie. Wäre dieser Aufwand gerechtfertigt? Kann man so langfristig denken? Aber schauen wir uns doch mal um - was sehen wir? Völkerwanderung, drohende Weltkriege, "Clash of Civilisations" [Zivilisationsformen!- das ist im prinzipiellen Ausmaß jenseits noch der Systemkollisionen im letzten Weltkrieg] ... viele reden von der Endzeit.

Heinrich Brück

8. Dezember 2016 15:43

Die Diskussion in Magdeburg wäre eine Formatänderung geworden. Die Rahmenänderung der gewohnten Formate hätte als Rahmenerweiterung die üblichen Denkgewohnheiten politisch gehörig diskreditiert; und in diesen Spiegel sollte das Narrenschiff nicht schauen dürfen. Das Schnellrodaer Angebot liegt in der Denkverbotszone, was die Absage der Diskussion offen zugegeben und als Niederlage eingestanden hat.
Der Michel soll weiterhin die Talkshow genießen.
Englisch ist eine Besatzungssprache.

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.