“Wer sich rechtfertigt, …”

"... klagt sich an“, lautet ein Sprichwort, das uns nahelegt, die eifrigen Begründer ihres Tuns mißtrauisch zu beäugen.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Wenn Andrew Sul­li­van, einer der ein­fluß­reichs­ten ame­ri­ka­ni­schen Blog­ger, uns in der aktu­el­len Aus­ga­be des “Mer­kur” wis­sen läßt, war­um er bloggt, ist also Vor­sicht gebo­ten. Zusam­men­ge­faßt lau­tet die Ant­wort unge­fähr: Weil Blog­gen so vor­läu­fig, so leben­dig, so ego­zen­trisch, so umgangs­sprach­lich, so gren­zen­los, so kom­mu­ni­ka­tiv, so kor­ri­gier­bar, so ver­netzt, so ver­linkt, so unmit­tel­bar – mit einem Wort so post­mo­dern ist. Das klingt aller­dings ziem­lich trost­los. Wer will schon per­ma­nent und über­all von Vor­läu­fig­kei­ten ange­rem­pelt werden?

Für Infor­ma­ti­ons­süch­ti­ge mag es attrak­tiv sein, sich stän­dig mit Din­gen zu kon­fron­tie­ren, die sich wenig spä­ter schon wie­der ganz anders dar­stel­len. Der Rest dürf­te dazu gar kei­ne Zeit haben, es sei denn, es han­delt sich um mor­bi­de Blog­ger, die eben das zu ihrem Lebens­sinn erho­ben haben.

Als “Blog­ger avant la lett­re” bringt Sul­li­van Pla­ton, Pas­cal, Karl Kraus und Mon­tai­gne ins Spiel. Ein wich­ti­ger Hin­weis dar­auf, daß Blog­ger nicht gleich Blog­ger ist. Wenn wir jetzt nicht ver­ges­sen, daß zu Pla­tons Gespräch immer Sokra­tes gehört, der die Kunst beherrsch­te, im Gegen­über eine Erkennt­nis zu wecken, daß wir es bei Pas­cal mit dem Rin­gen um Gott zu tun haben, daß Karl Kraus’ Rigo­ro­si­tät durch Genia­li­tät gedeckt war und daß Mon­tai­gne sei­ne Essais an der kon­kre­ten sinn­li­chen Erfah­rung aus­rich­te­te, wis­sen wir, wor­an wir uns nicht ori­en­tie­ren dür­fen: an der “lau­nen­haf­ten Kako­pho­nie” (Sul­li­van) einer mode­rier­ten oder nicht mode­rier­ten Kommentarfunktion.

Dahin­ter steckt nicht die Furcht, daß unse­re “Anhän­ger unge­fil­tert gar nicht mehr so ‘wahr, gut und schön’ aus­se­hen”, son­dern das Wis­sen, daß der Mensch von sich aus nicht dazu neigt, wahr, gut und schön zu sein. Daß es sich dabei nicht um unab­wend­ba­res Schick­sal han­deln muß, mag als Trost für all jene geeig­net sein, die mit uns nach vor­ne schauen.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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