Ellen Kositza: Die Einzelfalle. Warum der Feminismus ständig die Straßenseite wechselt

Eine Rezension von Wiggo Mann

Ellen Kositza: Die Ein­zel­fal­le. War­um der Femi­nis­mus stän­dig die Stra­ßen­sei­te wech­selt, Schnell­ro­da: Antai­os 2016. 160 S., 13 €

Mit­hu Mela­nie San­y­al: Ver­ge­wal­ti­gung. Aspek­te eines Ver­bre­chens, Ham­burg: Edi­ti­on Nau­ti­lus 2016. 240 S., 16 €

»Köln, Sil­ves­ter 2015«: Bei­den hier zu bespre­chen­den Büchern ist gemein, daß sie sich nicht in der Haupt­sa­che um jene noto­ri­sche Nacht dre­hen, daß sie die »Vor­fäl­le« aber als einen Angel­punkt neh­men. Bei­de Autorin­nen sind weib­lich, west­deutsch sozia­li­siert, ähn­li­chen Jahr­gangs, Müt­ter. Bei­de haben sich in vor­an­ge­gan­ge­nen Publi­ka­tio­nen mit der rezen­ten Geschlech­ter­po­li­tik aus­ein­an­der­ge­setzt. San­y­al, Kul­tur­wis­sen­schaft­le­rin, tat das eher hand­fest (ihr Buch Vul­va. Die Ent­hül­lung des unsicht­ba­ren Geschlechts, 2009, wur­de breit rezi­piert), Kositza eher sub­lim; hier wäre an ihr Büch­lein Gen­der ohne Ende (4. Auf­la­ge 2016) zu den­ken oder an zahl­rei­che Lang­ar­ti­kel zu den The­men Femi­nis­mus, Mut­ter­schaft und sexu­el­le Lebensformen.

Bei­de Autorin­nen den­ken »quer« zum Main­stream, bei­de schrei­ben alert und unter­halt­sam; allein die Lese­rich­tung unter­schei­det sich. Begin­nen wir mit der gewohn­ten Aus­rich­tung: von links. San­yals Buch wäre ähn­lich umfang­reich wie Kositz­as, wenn hier nicht knapp 60 Sei­ten Lite­ra­tur, Fuß­no­ten und Regis­ter hin­zu­kä­men. Kositz­as Buch ent­behrt all des­sen, was man scha­de fin­den kann, aller­dings: Zumal bei­de Schrif­ten dich­te Essays sind und kei­ne wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten, ist der Mehr­wert gering. San­yals Ver­ge­wal­ti­gung weist ein deut­li­ches Gefäl­le auf: Sind über die Hälf­te der neun­zehn Kapi­tel ein Lese­ge­winn, baut das Buch zum Ende hin ab, weil es sich ideo­lo­gisch ver­strickt. Durch die Richter*in, Soziolog*in und Täter*in muß man ohne­hin durch, sol­che Sprach­re­ge­lun­gen gehö­ren zu den links­ge­strick­ten Maschen. Eine Grund­the­se von San­y­al lau­tet, daß der Ver­ge­wal­ti­gungs­dis­kurs »eine der letz­ten Bas­tio­nen und Brut­zel­len für Geschlech­ter­zu­schrei­bun­gen« sei. Las­sen wir San­y­al ihren Spleen, daß es »Mann« und »Weib« nicht gäbe, pro­fi­tie­ren wir den­noch von ihren Fund­stü­cken und Analysen!

San­y­al nennt Ver­ge­wal­ti­gung »das am meis­ten gegen­der­te Ver­bre­chen« und meint damit, daß sich die Täter- und Opfer­zu­schrei­bun­gen über die Jahr­hun­der­te (sie sagt: zu Unrecht) beto­niert hät­ten. Sie zitiert den römi­schen Dich­ter Ovid: »Sie wird viel­leicht dage­gen ankämp­fen und Unver­schäm­ter! sagen; sie wird aber im Kampf besiegt wer­den wol­len.« San­y­al gibt die hohe Zahl männ­li­cher Ver­ge­wal­ti­gungs­op­fer zu beden­ken (rund 240000 jähr­lich allein in ame­ri­ka­ni­schen Gefäng­nis­sen!) und hin­ter­fragt zugleich die The­se, ob Ver­ge­wal­ti­gung wirk­lich des­halb als ein so schlim­mes Ver­bre­chen gel­ten müs­se, weil dabei »See­le und Essenz der Frau« ange­grif­fen wer­den. Sie argu­men­tiert dabei vor­sich­tig – mit Rück­sicht auf die Gefüh­le von Opfern, also anders als die ham­mer­har­te Anti­fe­mi­nis­tin Camil­le Paglia, die gleich­falls vor einer Dra­ma­ti­sie­rung des Not­zucht­fal­les warn­te –, gibt aber zu beden­ken, daß betrof­fe­nen Frau­en bes­ser gehol­fen wäre, wenn eine Ver­ge­wal­ti­gung nicht als Ehr­ver­lust, son­dern als »sexua­li­sier­te Gewalt« gehan­delt wür­de. Sie kann das for­mi­da­bel begrün­den, redet sich aber in spä­te­ren Kapi­teln um Kopf und Kra­gen. Im Fal­le von »Köln« sei­en die Taten »ras­si­fi­ziert« worden.

Nach hin­ten läuft das Buch aus in der Wie­der­ga­be von Zei­tungs­ar­ti­keln und Stel­lung­nah­men femi­nis­ti­scher Denker*innnen. Das ist scha­de, weil bei­spiels­wei­se San­yals Dar­le­gun­gen über »Scham­kon­zep­te«, über das »Dampf­kes­sel­mo­dell« des 18. und 19. Jahr­hun­derts (heißt: Mann braucht Druck­aus­gleich) oder über »Not­zucht als Delikt gegen die All­ge­mein­heit« (Reichs­straf­ge­setz­buch­von 1871) in den vor­de­ren Kapi­teln emi­nent lesens­wert sind. Apro­pos »All­ge­mein­heit«, ein Wort, das auch wegen sei­ner Dop­pel­deu­tig­keit trifft. Wer spricht noch von All­ge­mein­heit, wo es um Indi­vi­du­en geht und – im Fal­le von sexu­ell moti­vier­ten Über­grif­fen durch Lan­des­frem­de – um gemei­ne »Ein­zel­fäl­le«?

Kositza hat spür­bar Freu­de dar­an, in einem bit­ter­sü­ßen Ton den berüch­tig­ten »Ele­phan­ten im Zim­mer« zu umschrei­ten, zu bestau­nen und zu mar­kie­ren und all jene Salon­teil­neh­mer zu bespöt­teln, die sich aus Grün­den der Dezenz oder einer dege­ne­rier­ten Mora­li­tät wei­gern, das gro­ße Tier über­haupt wahr­zu­neh­men. Das gro­ße Tier, es ist jene Spe­zi­es der Neu­an­kömm­lin­ge (wobei Kositza betont, daß nur der Name, nicht aber das Phä­no­men des Street harass­ment»neu« sei), die hier unbe­weibt, jung und äußerst selbst­be­wußt sich der­je­ni­gen zu bemäch­ti­gen ver­sucht, die im koran­grun­dier­ten Her­kunfts­land als »Huren« gese­hen wer­den. War­um schreit der Neo­fe­mi­nis­mus hys­te­risch auf, wenn ein Alt­her­ren­witz geris­sen wird, schweigt aber zu tät­li­chen Über­grif­fen, wenn sie von den hei­li­gen Stie­ren der mul­ti­kul­tu­rell erleuch­te­ten Lin­ken ver­übt wer­den? Ist das eine Seh­schwä­che (Kositza sagt: Sie sind nackt, haben aber die Augen tugend­haft ver­schlei­ert), eine Krank­heit oder ein­fach der Abgrund? Die Autorin – offe­nen Auges! – neigt zu letz­te­rer Sichtweise.

Trüb­sal wird den­noch nicht gebla­sen, son­dern ein über­aus flot­ter Marsch. Zu die­ser Musik läßt Kositza die For­sche­rin­nen der Cri­ti­cal whiten­ess und die lin­ken Gewalt­män­ner­ver­ste­he­rin­nen tan­zen. Sie kennt ihre Pappenheimer.

Ellen Kositz­as Die Ein­zel­fal­le kann man hier bestel­len, Mit­hu Mela­nie San­yals Ver­ge­wal­ti­gung fin­det sich hier.

 

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