Aseptische Revolten – Über die neuen Romane von Matthias Politycki und Uwe Tellkamp

pdf der Druckfassung aus Sezession 12 / Januar 2006

„Wer in seinem Herzen Demokrat ist, der muß nun schleunigst...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

unde­mo­kra­tisch den­ken, nicht von der Mit­te, son­dern vom Rand der Gesell­schaft her, der muß Min­der­hei­ten zurück an die Macht brin­gen, zum Woh­le des­sen, was dann viel­leicht sogar mal wie­der in eine ech­te Demo­kra­tie über­ge­hen könn­te. Mitt­ler­wei­le sind wir näm­lich auch im grö­ßer gewor­de­nen Deutsch­land fäl­lig … für eine neue gesell­schaft­li­che Revo­lu­ti­on. Dies­mal aller­dings für eine eli­tä­re, jen­seits des alten Lager­den­kens und ange­zet­telt nicht etwa bloß von einer task force im Becken­bau­er-For­mat, son­dern im Sin­ne von Pla­tons Kon­zept einer Herr­schaft der Besten.“

Der­je­ni­ge, der hier aus­führ­lich und nicht ohne Pathos aus rech­ter Sicht zu Wort kam, heißt Mat­thi­as Poli­ty­cki. Er ist frei­er Schrift­stel­ler, 1955 gebo­ren, und lebt in Ham­burg und Mün­chen (weil kaum ein frei­er Schrift­stel­ler in nur einer ein­zi­gen Stadt lebt). Im Okto­ber erschien Poli­ty­ckis Roman Herr der Hör­ner, und man ver­meint wäh­rend und nach der Lek­tü­re die­ses dicken Buchs zu ver­ste­hen, war­um sein Autor nach einer Revi­ta­li­sie­rung unse­res lah­men Kul­tur­krei­ses lechzt.
Herr der Hör­ner spielt auf Kuba, Haupt­fi­gur ist ein Durch­schnitts­deut­scher, der wäh­rend eines Urlaubs in Sant­ia­go de Cuba im Schweiß einer Sal­sa-Tän­ze­rin ein leben­di­ge­res Leben wit­tert als jenes, wel­ches er dann tat­säch­lich ein hal­bes Jahr spä­ter abbricht, um die Tän­ze­rin wie­der­zu­se­hen. Wäh­rend er jagt, ist er selbst längst Wild, aus­er­se­hen als Opfer in einem der geheim­bün­di­schen Kul­te des schwar­zen Teils Kubas.
Es fällt auf: Poli­ty­ckis Kuba ist nicht das Land der letz­ten kom­mu­nis­ti­schen Uto­pie, auch nicht der Fleck, auf dem sich die edlen Wil­den auf die Füße tre­ten. Es ist ein har­tes, schnel­les Land, oft uner­träg­lich für den, der aus Deutsch­land kom­mend dort zu leben ver­sucht wie jene, die ihr gan­zes Leben lang so leben müs­sen. Und trotz­dem wird Kuba zur Sucht: vital, abrupt, geheim­nis­voll, nicht aus­ge­leuch­tet, gie­rig, vol­ler Kampf ums nack­te Dasein, nicht ums ange­zo­ge­ne Mehr-Sein.
Seit eini­ger Zeit steckt Poli­ty­cki in die­sem Sin­ne vol­ler Kuba, wenn er gesell­schafts­kri­ti­sche Bei­trä­ge in der Pres­se ver­öf­fent­licht. Das lan­ge Ein­gangs­zi­tat stammt aus einem Arti­kel mit dem vita­len Titel Jungs, nehmt den Fin­ger aus dem Arsch, es gibt Arbeit, der im Juli 2004 unter leicht gekürz­ter Über­schrift im Tages­spie­gel erschien. Es geht dar­in um einen psy­chisch Kran­ken und phy­sisch Aus­ge­laug­ten: „Deutsch­land wird zur Zeit in allen Dis­zi­pli­nen gede­mü­tigt, als Insas­se Deutsch­lands lebt man halb­ge­duckt vor­an, mit der Gewiß­heit, daß es selbst nach der nächs­ten Wahl nicht bes­ser wer­den wird.“
Ein ande­rer Bei­trag, der Essay Wei­ßer Mann – was nun?, erschien vor weni­gen Mona­ten in der Zeit (36 / 2005). Eine Kost­pro­be? „Die Bru­ta­li­tät des vita­len Lebens, kei­ner­lei Rück­sicht auf die mora­li­schen und ästhe­ti­schen Stan­dards eines Alten Euro­pä­ers neh­mend, die­se unge­brems­te Wild­heit des Wil­lens, die sich nicht sel­ten in schie­rer Gewalt­an­wen­dung Bahn brach – durf­te ich sie als Man­gel an Kul­tur ver­ach­ten? … Mit­un­ter war ich so rest­los beschämt von die­ser Erup­ti­on phy­si­scher Macht, daß ich mir ein­zu­re­den such­te, in mei­ner wei­ßen Haut die epo­cha­le Erschöp­fung der gesam­ten Alten Welt zu spü­ren.“ Dies ist haut­nah aus Kuba berich­tet und in einem jener Gehir­ne vol­ler Gebro­chen­heit reflek­tiert, das von einem deut­schen, einem zur Wehr­lo­sig­keit erzo­ge­nen Kör­per auf schma­lem Hal­se balan­ciert wird.
Bei­de Zita­te – jenes über das not­wen­dig Unde­mo­kra­ti­sche und die­ses über die Bra­chia­li­tät – las­sen sich leicht zusam­men­set­zen: Der Wes­ten und Deutsch­land benö­ti­gen, um ihre mora­li­schen und ästhe­ti­schen Nor­men zu ret­ten, etwas von der Vita­li­tät zurück, die in Län­dern wie Kuba erleb­bar ist, die sich jedoch als uner­träg­lich für jeden erweist, der im Wes­ten, in Deutsch­land sei­ne Hei­mat hat. Poli­ty­cki möch­te das Gebil­de, in dem er so leben kann und darf, wie er lebt, wie­der­be­lebt sehen, dosiert aggres­siv im welt­wei­ten Kampf, der längst ein Kampf im Innern gewor­den ist. Und es scheint ihm die­ser Kampf nicht die Zeit für kur­ze Legis­la­tur­pe­ri­oden zu sein, auch nicht die Zeit für das unend­li­che Geschwätz der auf den Pöbel schie­len­den Medi­en- und Erregungsdemokratie.

Meint es Mat­thi­as Poli­ty­cki aber wirk­lich so ernst, wie er es zuwei­len sagt? Wenn er in einem Inter­view sagt, daß wir (wir!) im Grun­de „ein rund­erneu­er­tes Wer­te­sys­tem, eine rund­erneu­er­te Moral und einen voll­kom­men neu­en Glau­ben“ bräuch­ten, dann kön­nen wir (wir!) sicher sein: Die in Kuba erlern­te Bra­chia­li­tät – unbe­dingt not­wen­dig für die gefor­der­te Rund­erneue­rung – wäre in mora­lisch-ästhe­ti­scher Hin­sicht nichts für ihn, käme sie in Deutsch­land zur Ent­fal­tung. Rund­erneue­run­gen aber sind nie asep­tisch, und wer über die Umkeh­rung der Ver­hält­nis­se nach­denkt, soll­te die Drecks­ar­beit im Blick behal­ten. Sein Kuba-Aus­flug nun hat ja trotz aller Här­te-Wahr­neh­mun­gen etwas von der gro­ßen Flucht an sich, die Intel­lek­tu­el­le allent­hal­ben antre­ten, wenn ihnen in Deutsch­land etwas nicht mehr paßt. Poli­ty­ckis Flucht­ver­such führ­te wenigs­tens nicht in die Tos­ka­na. Und außer­dem ist er zurück­ge­kehrt, um zu erzäh­len, was er in der Frem­de gese­hen und gelernt hat. Über sich? Über uns? Über den „Wei­ßen Mann“? Das ist nicht so wich­tig. Wich­tig ist die Art und Wei­se, wie da einer geht und wie­der­kehrt. Denn wenn Poli­tykki gin­ge, um heim­zu­fin­den, wäre das viel.
So sind also sei­ne intel­lek­tu­el­len Töne will­kom­men, und in einem drit­ten Text heißt es über die Auf­ga­be der Autor­schaft heu­te, sie soll­te dem Gebot eines „rele­van­ten Rea­lis­mus“ fol­gen. Auf die­se For­de­rung nach einer rele­van­ten gesell­schafts­po­li­ti­schen Betei­li­gung der schrei­ben­den Zunft, die Poli­ty­cki gemein­sam mit drei Kol­le­gen wie­der­um in der Zeit (26 / 2005) stell­te, ant­wor­te­te unter ande­rem Uwe Tell­kamp: Die Auf­ga­be des Schrift­stel­lers sei es, gute Bücher zu schrei­ben. Alles ande­re sei irrelevant.
Tell­kamp (Jahr­gang 1968) sprach so, weil er eini­ge Mona­te zuvor – im März 2005 – sei­nen ers­ten Roman, Der Eis­vo­gel, vor­ge­legt hat­te und von Tei­len der Kri­tik ob des­sen poli­ti­scher Rele­vanz in der Luft zer­ris­sen wur­de: „Ver­stö­rend“ und „umstrit­ten“ waren belieb­te Voka­beln für das, was Tell­kamp in einer Mischung aus Fas­zi­na­ti­on und Ekel ange­sichts einer Ver­än­de­rung der Ver­hält­nis­se aus rech­tem (hier: neu­rech­tem) Geist nie­der­ge­schrie­ben hatte.
Der Inhalt ist rasch erzählt: Wig­go Rit­ter, ein jun­ger Mann mit abge­schlos­se­nem Phi­lo­so­phie­stu­di­um, sucht ange­sichts der geis­ti­gen Sack­gas­se Deutsch­land zunächst intel­lek­tu­el­le, dann poli­ti­sche Alter­na­ti­ven im rech­ten Lager. Er ist hoch­in­tel­li­gent, von Hau­se aus reich, schlag­fer­tig, eli­tär und kom­pro­miß­los. Er trifft auf Mau­ritz Kalt­meis­ter, einen eli­tä­ren Faschis­ten sei­nes Alters, der als poli­ti­scher Akti­vist eines finan­zi­ell poten­ten Krei­ses aus Indus­tri­el­len, Groß­bür­gern und Adli­gen an der poli­ti­schen „Wie­der­ge­burt“ Deutsch­lands arbei­tet. Beglei­tet wird Mau­ritz stets von sei­ner Schwes­ter Manue­la, und bei­de zusam­men sind in etwa das genaue Gegen­teil des­sen, was gemein­hin als „rech­te Sze­ne“ in Deutsch­land ver­kauft wird: gebil­det, dis­zi­pli­niert, sport­lich, sen­si­bel, gepflegt, unbe­stech­lich, ein­sam, leidend.
Und kalt: Vor allem Mau­ritz Kalt­meis­ter ist von schnei­den­der Käl­te, wenn er im Ver­lauf des Romans die Ein­zel­tei­le einer rech­ten Gesell­schafts­kri­tik refe­riert und sei­ne Schlüs­se dar­aus zieht: Ret­tung wer­de nur ein Ter­ror brin­gen, der den Staat erschüt­te­re und ihn an sei­ne Auf­ga­be gemah­ne, sei­ne Staat­lich­keit durch­zu­set­zen. Ter­ror mit Selbst­op­fer ist also der Schluß­punkt des Den­kens aus dem Geis­te der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on, und daß am Ende der groß­bür­ger­li­che Unter­stüt­zer­kreis dem ein­sa­men Atten­tä­ter in den Rücken fällt, gehört zwin­gend mit dazu.
Wünscht sich Tell­kamp einen Mau­ritz Kalt­meis­ter? Für einen Autor ist das irrele­vant, er hat ja „erfun­den“. Näher läge ihm wohl Wig­go Rit­ter, der in den ent­schei­den­den Momen­ten stets die ethi­sche Not­brem­se zieht. Aber ins­ge­samt ist Tell­kamp so fas­zi­niert von sei­nen Roman­fi­gu­ren, daß er sie wech­sel­wei­se von allem abgrenzt, was ihn ekelt. Dies wird nir­gends deut­li­cher als dort, wo Mau­ritz ein Skin­head-Grüpp­chen samt Kampf­hund in der U‑Bahn mit­tels asep­ti­scher, fern­öst­li­cher Schlag­kunst erle­digt: Plum­pe Nazis will der Faschist nicht, wenns um die Wie­der­ge­burt geht. Auch in der Kon­fron­ta­ti­on von Geld­ge­bern und Tätern sind die Sym­pa­thien klar ver­teilt: Der Indus­trie­ma­gnat, der Staats­se­kre­tär, der Bischof, die Grä­fin – alle alt­kon­ser­va­ti­ven Grup­pen sind ver­tre­ten und haben allen­falls die Auf­ga­be, den jun­gen Sol­da­ten den Nach­schub an die Front zu kar­ren. Daß der Etap­pe selbst dies nicht gelingt, gehört zu den tie­fen Ein­sich­ten, die Tell­kamp in ein Milieu gewann, mit dem er zumin­dest Berüh­rung gehabt haben muß: Zu authen­tisch sind sei­ne Schilderungen.
Zwei Schrift­stel­ler also schau­en hin­ein in den Raum, aus dem allein noch eine Rege­ne­ra­ti­on der Ver­hält­nis­se kom­men kann. Tell­kamps Figu­ren wer­den deut­li­cher als Poli­ty­cki in sei­nen Essays. Das eine aber ist Kunst, das ande­re ein öffent­li­ches Nach­grü­beln im poli­ti­schen Deutsch­land. Selt­sam, daß sich kei­ner die­sen Poli­ty­cki zur Brust nimmt!

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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