Machtspiele

pdf der Druckfassung aus Sezession 14 / Juli 2006

Mit dem „Willen zur Macht“ hat Nietzsche eines der wirkmächtigsten Schlagworte des 20. Jahrhunderts geprägt und dabei den Versuch unternommen, das Wesen der Macht als ein ambivalentes zu beschreiben: „Das fruchtbarste und gründlichste Verlangen des Menschen, sein Trieb nach Macht – man nennt diesen Trieb ‚Freiheit’ – muß am längsten in Schranken gehalten werden.“ Da der „Wille zur Macht“ eine Grundtatsache des Lebens ist, heißt das, wider die eigene Natur zu handeln. Nietzsche sieht jedoch neben der Maßlosigkeit der Macht noch eine andere Seite. Macht hat das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen. Und so kann die Geschichte als eine Reihe von Rechtfertigungsversuchen gelesen werden. Ein Unternehmen, das immer problematisch geblieben ist, weil es keine einheitliche Instanz gibt, vor der man sich zu rechtfertigen hat.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Maß­lo­sig­keit und Recht­fer­ti­gung sind The­men, die Paul Ber­mans neu­es­tem Buch Idea­lis­ten an der Macht. Die Pas­si­on des Josch­ka Fischer (Mün­chen: Sied­ler 2006, 283 S., geb, 19.95 €) eigent­lich Beach­tung fin­den müß­ten. Lei­der ist Ber­man kein Den­ker, son­dern einer, der ger­ne Geschich­ten erzählt. Und wie vie­le Ame­ri­ka­ner erzählt er uns eine mög­lichst ein­fa­che Geschich­te, die ihre Plau­si­bi­li­tät im eige­nen Erleb­nis aus­rei­chen begrün­det sieht. Die Geschich­te geht so: Es war ein­mal ein böses Unge­heu­er, genannt US-ame­ri­ka­ni­scher Impe­ria­lis­mus, gegen das eine gan­ze Gene­ra­ti­on von ideo­lo­gisch trau­ma­ti­sier­ten Jugend­li­chen, weil Papa Nazi oder Nazi-Opfer war, auf­be­gehr­te. Nach­dem das Unge­heu­er hand­zahm gemacht war und die Rebel­len, genannt die „Neu­en Lin­ken“, mit ihm, zur Freu­de aller, zusam­men regier­ten, schos­sen auf ein­mal lau­ter klei­ne Unge­heu­er aus dem Dun­kel der Zeit, eine Hor­de von Faschis­ten, die sich auf die Fah­nen geschrie­ben hat­ten, die hol­de Ein­mü­tig­keit zwi­schen Macht und Ver­nunft zu zer­stö­ren. Auf ein­mal war wie­der klar, daß das Böse doch nicht tot war und man die Welt von eini­gen Fins­ter­lin­gen zu befrei­en habe. Die Demo­kra­ti­sie­rung konn­te wei­ter­ge­hen. So in etwa liest sich Ber­mans pathe­ti­sches Resü­mee einer Gene­ra­ti­on. Eigent­lich will Ber­man wohl dar­auf hin­aus, daß Idea­lis­ten, wenn sie an der Macht sind, auch die Rea­li­tät wahr­neh­men. Das ist einer­seits natür­lich rich­tig, wenn es um die eige­ne Rea­li­tät, das heißt die nächs­te Wahl geht. Mit Real­po­li­tik hat das aller­dings nichts zu tun, im Gegen­teil: Ber­mans Buch ist eine ein­zi­ge Recht­fer­ti­gung von Moral­po­li­tik, die das Mot­to „Nie wie­der Ausch­witz“ immer dann aus­packt, wenn kei­ne ande­ren Grün­de ange­ge­ben wer­den können.
Ber­mann hat den Vor­teil, daß er Ame­ri­ka­ner ist und somit auch als Lin­ker ziem­lich genau weiß, daß Moral­po­li­tik den eige­nen Vor­teil nicht aus den Augen ver­lie­ren soll­te. Nor­bert Axel Rich­ter ver­fügt über die­se ange­bo­re­ne Gna­de nicht. Und so ist sein Buch Gren­zen der Ord­nung. Bau­stei­ne einer Phi­lo­so­phie des poli­ti­schen Han­delns nach Pless­ner und Fou­cault (Frank­furt a. M. und New York: Cam­pus 2005, 251 S., kt, 29.90 €) vom Wunsch­den­ken bestimmt. Er ent­wi­ckelt dar­in, jeden­falls der eige­nen Auf­fas­sung nach, ein Kon­zept des „erfin­dungs­rei­chen poli­ti­schen Kon­flikt­han­delns“, das irgend­et­was mit Iro­nie zu tun haben soll. Rich­ter will dar­auf hin­aus, daß bei fest­ge­fah­re­nen Kon­flik­ten, die nicht lös­bar schei­nen, sich in bei­den Lagern Grup­pen (Ver­tre­ter der Zivil­ge­sell­schaf­ten) ver­sam­meln, die unter dem Kon­flikt lei­den. Die­se set­zen sich dann hin und han­deln alles aus: Schö­ne Idee eines Men­schen, der offen­sicht­lich noch nie einen Ent­schei­dungs­pro­zeß, der über Bana­li­tä­ten hin­aus­geht, beob­ach­tet hat. Selbst wenn man akzep­tiert, daß es in jeder Kon­flikt­par­tei ver­hand­lungs­be­rei­te Per­so­nen gibt, so exis­tie­ren aber auch immer wel­che, die ihnen des­we­gen nach dem Leben trach­ten. Es ist viel­leicht nicht schön, gehört aber zum Men­schen, daß er „das eige­ne Dasein frag­los für das bes­se­re hält“ (Karl Jas­pers). Dar­über kann man reden, wenn es kei­nem weh­tut. Sobald sich aber die Fra­ge „Frei­heit oder Skla­ve­rei?“ stellt, wird der „Wil­le zur Macht“ doch obsie­gen, falls die „Ver­haus­schwei­nung“ es nicht schon getan hat. Dem Autor muß man zugu­te hal­ten, daß er es gewagt hat, sein Modell an einem kon­kre­ten Fall zu erläutern.

Die­sen Weg der kon­kre­ten Anwen­dung phi­lo­so­phi­scher Über­le­gun­gen geht ein ande­res Buch nicht. Byung-Chul Han fragt Was ist Macht? (Stutt­gart: Reclam 2005, 148 S., kt., 4.60 €) und ver­sucht, sys­te­ma­tisch zu ant­wor­ten. Schön unter­glie­dert wird eine soli­de Aus­le­gung von ver­schie­de­nen Phi­lo­so­phen zu sys­te­ma­ti­schen Ein­zel­aspek­ten der Macht gebo­ten. Sei­ne Ant­wort auf die Fra­ge nach der Saman­tik der Macht lau­tet abschlie­ßend: „Eine abso­lu­te Macht wäre die, die nie in Erschei­nung trä­te, die nie auf sich hin­wie­se, die viel­mehr mit der Selbst­ver­ständ­lich­keit ganz ver­schmöl­ze.“ Damit Macht nicht abso­lut wird, heißt es an ande­rer Stel­le weni­ger sys­te­ma­tisch, müs­se ein Ort der Macht exis­tie­ren, der über den Natio­nal­staat hin­aus­geht. Abso­lu­te Macht set­ze im Gegen­satz zur „nack­ten Gewalt“ eine kom­mu­ni­ka­ti­ve Ver­mitt­lung vor­aus, die schwer­lich zu haben ist, wenn die Macht nie in Erschei­nung tritt. Poli­tik, so heißt es wei­ter, sei „eine Pra­xis der Macht und Ent­schei­dung“. Hin­ter­grund ist dabei, daß Macht stra­te­gi­sches Han­deln zur Maxi­mie­rung der eige­nen Frei­heit sei, Poli­tik aber vor allem in einen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­pro­zeß bestehe, der auf einen Kom­pro­miß hin­aus­lau­fe, einer Ent­schei­dung, die man einem Schieds­rich­ter überläßt.
Auch die­ses Buch ist also von einem Idea­lis­mus bestimmt, der durch nichts gedeckt wird. Das hier vor­aus­ge­setz­te Ver­ständ­nis von Ent­schei­dung ist bereits eine Schwund­stu­fe, die dem auf­ge­klär­ten West­eu­ro­pä­er gut zu Gesichts steht, aber nicht ein­mal von sei­nen nord­ame­ri­ka­ni­schen Brü­dern und Schwes­tern geteilt wird. (Uns allen klin­gen noch die Wor­te vom „alten Euro­pa“ im Ohr, die Donald Rums­feld aus einer mit­lei­di­gen Ver­ach­tung her­aus gebrauch­te.) Ent­schei­dung war ein­mal ein Vor­gang, der „die zur Selbst­er­hal­tung nöti­ge Ori­en­tie­rungs­fä­hig­keit“ (Pana­jo­tis Kon­dy­lis) garan­tie­ren soll­te. Han sieht rich­tig, daß die Macht einen Ort haben muß, um nicht in Gewalt umzu­schla­gen. Doch die zwin­gen­de Begren­zung der Macht der ein­zel­nen Staa­ten durch einen posi­ti­ven trans­na­tio­na­len Macht­ort ist nicht ein­sich­tig. Bei­spie­le zei­gen, daß gera­de der Ort der Macht Ver­ant­wor­tung ermög­licht, die auf Glau­be oder Ver­nunft, einem abso­lu­ten ort, gegrün­det ist.
Daß die­ser Zusam­men­hang viel­leicht prak­tisch kaum noch eine Rol­le spielt und den­noch nicht ver­ges­sen ist, macht der jüngst von Otfried Höf­fe her­aus­ge­ge­be­ne Sam­mel­band Ver­nunft oder Macht? Zum Ver­hält­nis von Phi­lo­so­phie und Poli­tik (Tübin­gen: Fran­cke 2006, 275 S., kt, 19.90 €) deut­lich. Die Ent­ge­gen­set­zung, die im Titel liegt, wird von den bes­ten der Bei­trä­ger zurück­ge­wie­sen. Ver­nunft ist das, was den Men­schen vom ande­ren Sein trennt, die Mög­lich­keit den Ande­ren zu sehen, sei­ne und die eige­ne Bedürf­tig­keit und das gemein­sa­me Auf­ein­an­der­an­ge­wie­sen­sein ein­zu­rech­nen, aus dem Gefäng­nis der hand­greif­li­chen Rea­li­tät her­aus­zu­schau­en, eine „nega­ti­ve Nor­ma­ti­vi­tät“ (Hans-Joa­chim Gehr­ke), die um die Unvoll­end­bar­keit der Welt weiß und den­noch nicht resi­gniert. Dabei han­delt es sich um etwas ganz ande­res als nai­ves Gut­men­schen­tum, das gera­de nicht mit dem Ande­ren und sei­nem Macht­wil­len rech­net. „Neh­men wir die Reich­wei­te, die Ein­dring­lich­keit, die Beweg­lich­keit und ihre in der Kri­tik ange­leg­te Fähig­keit zur Fremd- und Selbst­kon­trol­le, dann ist die Ver­nunft die größ­te denk­ba­re Macht des Men­schen.“ (Vol­ker Ger­hardt) Die­se rich­ti­ge Ein­sicht ist zwie­späl­tig, weil die Wider­ver­nunft häu­fig eben­falls sehr mäch­tig ist. Ver­nunft ist aber kei­ne schlap­pe Bedenkträ­ge­rei, son­dern Ein­sicht in bestimm­te Not­wen­dig­kei­ten. Ver­nunft ist eine Stu­fe mensch­li­cher Mög­lich­kei­ten, die, ein­mal erlangt, nicht mehr durch Roman­tik hin­ter­gan­gen wer­den kann.
In Preu­ßen mach­te man sich über die Ver­fas­sung des Men­schen kei­ne Illu­sio­nen. So lieb­te Fried­rich der Gro­ße sei­ne Hun­de mehr als den Men­schen, weil sie, wie er sag­te, nie­mals undank­bar wären und ihren Freun­den die Treue hiel­ten. Ziel war das Mach­ba­re, nicht das Wünsch­ba­re: das Prin­zip Wirk­lich­keit, getra­gen vom „Traum“ der Ver­nunft, eine Welt der Nüch­tern­heit zu ermöglichen.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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