Foibe – 10. Februar

In Deutschland ist kaum bekannt, daß auch Italien seine Vertriebenengeschichte hat, die nicht minder "umstritten" ist und zumindest bis vor wenigen Jahren noch einem massiven Tabu unterlag.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Die Kon­tro­ver­sen über die deut­schen und ita­lie­ni­schen Ver­trie­be­nen wei­sen vie­le Par­al­le­len auf, wobei sich in Ita­li­en (wie bei so vie­len geschichts­po­li­ti­schen The­men) zuneh­mend eine “revi­sio­nis­ti­sche” Ten­denz durchsetzt.

Zwi­schen 1943 und 1960 ver­lie­ßen bis zu 350.000 Ita­lie­ner die istri­schen und dal­ma­ti­ni­schen Land­stri­che, die seit 1918 zum Zank­ap­fel zwi­schen Ita­li­en und Jugo­sla­wi­en gewor­den waren. Istri­en wur­de 1919 durch den Ver­trag von St. Ger­main Ita­li­en zuge­schla­gen, wäh­rend Dal­ma­ti­en Bestand­teil des neu­ge­grün­de­ten “König­reichs der Slo­we­nen, Kroa­ten und Ser­ben” wur­de. Das ita­lie­ni­sche Dan­zig hieß Fiume, und wur­de 1919/20 vor­über­ge­hend von Gabrie­le d’An­nun­zi­os Ardi­ti besetzt, ehe es 1924 zu Ita­li­en kam.

Wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs radi­ka­li­sier­te sich die Situa­ti­on. Aus­ge­rech­net die ultra­na­tio­na­lis­ti­schen Usta­scha kol­la­bo­rier­ten mit Mus­so­li­ni bei der Beset­zung Dal­ma­ti­ens, der dort – eben­so wie in Istri­en seit den zwan­zi­ger Jah­ren – eine aggres­si­ve Ita­lia­ni­sie­rungs­po­li­tik in Gang setz­te.  Bald waren die Küs­ten­stri­che in den bal­ka­ni­schen Par­ti­sa­nen­krieg zwi­schen Usta­scha, Faschis­ten, Wehr­macht und Tito-Anhän­gern ver­strickt. Ihren schreck­li­chen Höhe­punkt erreich­te die Eska­la­ti­on schließ­lich in den berüch­tig­ten “Foi­be-Mas­sa­kern”, die zum Groß­teil nach der Kapi­tu­la­ti­on der Repu­blik von Salò am 25. April 1945 statt­fan­den. Die Täter waren kroa­ti­sche und slo­we­ni­sche Tito-Par­ti­sa­nen, die Opfer über­wie­gend ita­lie­ni­sche Zivi­lis­ten. Die Lei­chen wur­den in Mas­sen in die Karst­höh­len (=Foi­be) gewor­fen. Wie über­all in sol­chen Fäl­len (in Deutsch­land wäre Dres­den das jüngs­te Bei­spiel), kur­sie­ren erheb­lich von ein­an­der abwei­chen­de Opfer­zah­len mit einem Spiel­raum vom 5.000  bis 30.000 Ermordeten.

Wie die deut­schen Ver­trie­be­nen gehör­ten die istrisch-dal­ma­ti­schen esu­li und Foi­be-Opfer nach dem Krieg zu den Ver­lie­rern der Geschich­te, deren Schick­sal her­un­ter­ge­spielt und ver­tuscht wur­de. Wäh­rend aller­dings die deut­schen Ver­trie­be­nen in den ers­ten Jahr­zehn­ten nach dem Krieg allein schon auf­grund ihrer Zahl eine beträcht­li­che Rol­le  im öffent­li­chen Bewußt­sein der Bun­des­re­pu­blik spiel­ten, waren die ita­lie­ni­schen Ver­trie­be­nen ungleich iso­lier­ter.  Die inter­na­tio­na­le Diplo­ma­tie schwieg eben­so wie die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei Ita­li­ens, die nicht zuletzt dank des Mythos der Resis­ten­za einen star­ken Stand im Lan­de behaup­te­te und kein Inter­es­se an einer The­ma­ti­sie­rung der inner­kom­mu­nis­ti­schen Wider­sprü­che hat­te (der Bru­der des kom­mu­nis­ti­schen Dich­ters Pier Pao­lo Paso­li­ni hat­te sich nach 1943 den Par­ti­sa­nen ange­schlos­sen und war zusam­men mit einer Grup­pe Kame­ra­den von Tito-Anhän­gern ermor­det wor­den. Das hin­der­te Paso­li­ni nicht, ihn spä­ter als anti­fa­schis­ti­schen Mär­ty­rer zu sti­li­sie­ren.)  Und nicht zuletzt hat­te der ita­lie­ni­sche Staat kein all­zu gro­ßes Inter­es­se dar­an, die Ver­gan­gen­heit, ins­be­son­de­re die faschis­ti­sche Vor­ge­schich­te in Jugo­sla­wi­en, aufzurollen.

So blieb das Andenken an die “Foi­be-Mas­sa­ker” auf loka­le Ver­trie­be­nen­ver­bän­de und rech­te bis neo­fa­schis­ti­sche Krei­se beschränkt, in letz­te­ren natür­lich mit einer scharf anti­kom­mu­nis­ti­schen Stoß­rich­tung. Für vie­le Ita­lie­ner hat die Foi­be-The­ma­tik heu­te immer noch den Ruch des Pro­fa­schis­ti­schen und der anti­kom­mu­nis­ti­schen Pro­pa­gan­da. Ähn­lich wie die deut­sche Anti­fa bekämpft die extre­me Lin­ke Ita­li­ens das The­ma als unzu­läs­si­gen “Opfer­my­thos”. Dabei hat sie längst den Anschluß an eine nicht mehr rück­gän­gig zu machen­de Trend­wen­de verpaßt.

Zu einem inter­es­san­ten Moment kam es, als sich im Febru­ar 2009 der ehe­ma­li­ge Rot­bri­ga­dist Vale­rio Moruc­ci den Schwarz­hem­den der “Casa Pound” in Rom zum Gespräch stell­te. Die Jungle World berichtete:

Nach über einer Stun­de ergreift Moruc­ci selbst das Wort. Sein Auf­takt über­rascht: »Ich bin hier als euer Feind.« Doch der bedäch­ti­ge Ton ver­rät, daß es ihm nicht um Kon­fron­ta­ti­on geht. Das Bekennt­nis ist viel­mehr ein rhe­to­ri­scher Ein­stieg zur nach­fol­gen­den mea cul­pa: »Es tut mir leid, zu einer poli­tisch-mili­tä­ri­schen Grup­pe gehört zu haben, die den Feind dis­kri­mi­niert, sei­ne Iden­ti­tät aus­ge­löscht, ihn zum Unter­men­schen erklärt und schließ­lich zer­quetscht hat.« Und wei­ter: Die Logik die­ses »ideo­lo­gi­schen Ras­sis­mus« habe den Kampf in den sieb­zi­ger Jah­ren zu einer »eth­ni­schen Säu­be­rung« wer­den las­sen. End­sta­ti­on die­ser Ent­hu­ma­ni­sie­rung sei­en – und hier schlägt Moruc­ci uner­war­tet eine his­to­ri­sche Kaprio­le von den Kämp­fen der sieb­zi­ger Jah­ren zurück zum anti­fa­schis­ti­schen Befrei­ungs­krieg – die Ver­nich­tungs­la­ger und die foibe.

Soviel Rela­ti­vie­rung der Bür­ger­kriegs­lo­gik berei­te­te der Autorin des zum Teil “anti­deut­schen” Blat­tes Unbehagen:

Mit die­ser Gleich­set­zung hat Moruc­ci tat­säch­lich eine wich­ti­ge anti­fa­schis­ti­sche Unter­schei­dung auf­ge­ho­ben. Weni­ge Tage vor dem von den Post­fa­schis­ten ein­ge­führ­ten und von den Neo­fa­schis­ten mit Auf­mär­schen gefei­er­ten natio­na­len Gedenk­tag für die Opfer der Rache­ak­te der Par­ti­sa­nen in Istri­en und Dal­ma­ti­en wiegt die­ses Zugeständ­nis schwer. Daß in den Karst­höh­len (it. foi­be) vor allem ehe­ma­li­ge faschis­ti­sche Kriegs­ver­bre­cher getö­tet wur­den, die zwei Jahr­zehn­te lang die sla­wi­sche Bevöl­ke­rung dis­kri­mi­niert und aus­ge­löscht hat­ten, bleibt in Moruc­cis Ser­mon unerwähnt.

Natür­lich waren die Opfer der “Foi­be” über­wie­gend eben nicht “faschis­ti­sche Kriegs­ver­bre­cher”, son­dern Zivi­lis­ten bis hin zu Frau­en, Kin­dern und Grei­sen, die wie auch die deut­schen Opfer der “wil­den Ver­trei­bun­gen” von der Gewalt­spi­ra­le der kol­lek­ti­ven Ver­gel­tung ver­schlun­gen wur­den. Es han­del­te sich hier um eine “eth­ni­sche Säu­be­rung”, nicht anders als jene, die sich wäh­rend der jugo­sla­wi­schen Krie­ge der neun­zi­ger Jah­re einer scho­ckier­ten Welt­öf­fent­lich­keit darboten.

Das Umden­ken in die­ser Sache und ihre all­mäh­li­che Über­füh­rung in den Main­stream kam im Lau­fe der neun­zi­ger Jah­re, dem Jahr­zehnt des gro­ßen “Rechts­rucks” Ita­li­ens, der bis heu­te andau­ert, und dann gleich in einer Wei­se, die in Deutsch­land unvor­stell­bar wäre, aber wohl eben­so frag­wür­dig ist. Wäh­rend sich TV-Fil­me wie “Die Flucht” (2007) und “Dres­den” (2006) der poli­tisch kor­rek­ten Ver­wäs­se­rung und weit­ge­hen­den Exkul­pa­ti­on der Täter ver­schrie­ben, prä­sen­tier­te das ita­lie­ni­sche Fern­se­hen mit dem Zwei­tei­ler “Il cuo­re nel poz­zo” (Das Herz im Brun­nen, 2005) eine hoch­emo­tio­na­le, aber auch sim­pel gestrick­te Auf­be­rei­tung, in der in mora­li­scher Schwarz­weiß-Zeich­nung gute und unschul­di­ge Ita­lie­ner gegen grund­los böse und mör­de­ri­sche Kroa­ten und Slo­we­nen aus­ge­spielt wurden.

Im Jahr zuvor wur­de der 10. Febru­ar (der Jah­res­tag des Frie­dens­ver­tra­ges zwi­schen Ita­li­en und den Sie­ger­mäch­ten des Welt­kriegs) von der ita­lie­ni­schen Regie­rung zum offi­zi­el­len Gedenk­tag an die Opfer der Foi­be und des dal­ma­tisch-istri­schen Exodus erklärt. Mot­to: “Io ricordo”, “Ich erin­ne­re mich.” Auch hier man­gel­te es an den für deut­sche Poli­ti­ker so typi­schen Selbst­an­kla­gen und Relativierungen.

Das war kei­nes­wegs auf die Ver­tre­ter der rech­ten Par­tei­en beschränkt.  Staats­prä­si­dent Gior­gio Napo­li­ta­no, ehe­ma­li­ger Sta­li­nist und Mit­glied der post-kom­mu­nis­ti­schen Par­ti­to Demo­cra­ti­co, etwa sprach in einer Gedenk­tag­re­de im Jah­re 2007 von einer “unver­zeih­li­chen Greu­el­tat gegen die Mensch­lich­keit, die in den Foi­be statt­ge­fun­den hat” und im Hin­blick auf die Tito-Par­ti­sa­nen von “blut­rüns­ti­gem Haß und Rase­rei” und “anne­xio­nis­ti­schen sla­wi­schen Ten­den­zen”. Deut­li­che Wor­te, die deut­sche Offi­ziö­se nicht ein­mal ange­sichts einer jen­seits direk­ter Gewalt­spi­ra­len statt­ge­fun­de­nen Bar­ba­rei wie des kalt kal­ku­lier­ten Mas­sen­mor­des von Dres­den über die Lip­pen brin­gen würden.

 

Zum Schluß noch zwei musi­ka­li­sche Ver­wei­se: Die “Foi­be” sind natür­lich von Anfang an belieb­tes The­ma der in den sieb­zi­ger Jah­ren auf­kom­men­den “Musi­ca Alter­na­ti­va”, der Musik der äußers­ten Rech­ten Ita­li­ens, gewe­sen. Den mili­tant zuge­spitz­ten Klas­si­ker “La Foi­ba di San Giu­lia­no” der Pio­nier­grup­pe Com­pa­gnia del­l’A­nel­lo aus dem Jahr 1978 kann man hier hören.

Eine weni­ger poli­ti­sier­te, poe­ti­sche­re Bear­bei­tung nahm dage­gen die Neo­folk-Kult­band Ian­va aus Genua auf. Der Gän­se­haut aus­lö­sen­de Song “Bora” fin­det sich auf dem außer­ge­wöhn­li­chen Album “Ita­lia: Ulti­mo Atto” (2009), das man hier bestel­len kann.

 

 

 

 

 

 

 

Bild­quel­le: www.10febbraio.it, Offi­zi­el­le Gedenk­sei­te zum 10. Februar

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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