Frischer Wind aus Kent

von Felix Springer

Ein Parlamentarier, der sich in der Lage sieht, eine mitreißende Rede zu halten, sich geschmackvoll zu kleiden oder eine korrekte Spesenabrechnung vorzulegen, fällt auf.

Man hat sich dar­an gewöhnt, in den Kam­mern vol­ler Roths, Dittrichs, Hum­mes und Glos-Typen geis­tig, cha­rak­ter­lich und kör­per­lich fehl­ge­form­te Sou­ve­rä­ni­täts­ope­ra­to­ren agie­ren zu sehen.

Die­ser Miß­stand tritt im Euro­päi­schen Par­la­ment am trau­rigs­ten zuta­ge: auf jedem Brüs­se­ler Pols­ter­ses­sel­chen ein abge­scho­be­ner Cha­ris­mak­rüp­pel, den es von den hei­mi­schen Bevöl­ke­run­gen fern­zu­hal­ten gilt, der aber schon zu fest im Par­tei­en­di­ckicht ver­wach­sen ist, als daß man ihn ein­fach fal­len­las­sen könn­te. Parteiasylanten.

Um so erfri­schen­der das Auf­tre­ten des bri­ti­schen Abge­ord­ne­ten Nigel Fara­ge von der United King­dom Inde­pen­dence Par­ty (UKIP): Anders als die über­wie­gen­de Mehr­heit sei­ner poli­ti­schen Geg­ner hat er sein Man­dat nicht des­halb inne, weil er in der Hei­mat zum Alt­öl der Par­tei­ma­schi­ne gehört. Und anders als die­se beharrt er nicht des­halb dar­auf, weil ihn der hohe Lebens­stan­dard reizt, den Diä­ten und Pen­si­on einem Par­la­men­ta­ri­er sichern. „Mei­ne Kol­le­gen und ich sind kei­ne Berufs­po­li­ti­ker“, sagt er. „Ich bin ein Mann aus der Wirt­schaft – mit der Poli­tik habe ich ange­fan­gen, weil ich merk­te, daß nie­mand mich repräsentiert.“

Fara­ge unter­schei­det sich von dem, was man sonst aus Bun­des­tag und Euro­pa­par­la­ment kennt: Elo­quent, sehr genau und kon­se­quent in dem, was er denkt, sagt und tut, ver­kör­pert er einen Eli­te­ty­pus, von dem man mei­nen konn­te, daß selbst sein Schat­ten bereits ver­schwun­den sei. Fara­ge wird nicht müde, die Funk­tio­nä­re der EU dar­auf hin­zu­wei­sen, daß sie nicht ein­mal ihren eige­nen Ansprü­chen genü­gen kön­nen, daß ihr stän­di­ges Geschwa­fel von Demo­kra­tie sich in den immer glei­chen Phra­sen erschöpft und daß, wer sich stän­dig selbst fei­ert, wenigs­tens irgend­wann schon mal was geleis­tet haben sollte.

Die Begrif­fe der „poli­ti­schen Klas­se“, der sich ja auch bei uns eta­bliert, und des „post­de­mo­kra­ti­schen Zeit­al­ters“ benutzt er häu­fig. Er spricht von der „Frei­heit der euro­päi­schen Völ­ker“, trat gegen den Ver­trag von Lis­sa­bon ein und macht sich über die Selbst­be­die­nungs­men­ta­li­tät der Brüs­se­ler Beam­ten lus­tig. Für Tumult im Euro­päi­schen Par­la­ment  sorg­te er zu Beginn letz­ten Monats, als er in Anleh­nung an den „eiser­nen Vor­hang“ die EU als „eine eiser­ne Faust über Euro­pa“ bezeich­ne­te und damit die bei­den Völ­ker­ker­ker EU und SU neben­ein­an­der stell­te. Dies, nach­dem er bereits im ver­gan­ge­nen Novem­ber dar­auf hin­ge­wie­sen hat­te, daß die neue EU-Außen­mi­nis­te­rin Ash­ton in ihrem gesam­ten Leben noch nie in ein öffent­li­ches Amt gewählt wor­den ist und in dem sehr begrün­de­ten Ver­dacht steht, Orga­ni­sa­tio­nen aus dem Umfeld der soge­nann­ten „Frie­dens­be­we­gung“ und KP mit Geld des sowje­ti­schen Geheim­diens­tes finan­ziert zu haben.

Letz­te Woche brach­te Fara­ge sein Anlie­gen ein wei­te­res Mal auf­se­hen­er­re­gend auf den Punkt: Im Ple­num des Par­la­ments sprach er dem Prä­si­den­ten des Euro­päi­schen Rates, Her­man Van Rom­puy die demo­kra­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on ab und attes­tier­te die­sem das „Cha­ris­ma eines feuch­ten Wasch­lap­pens und das Auf­tre­ten eines nie­de­ren Bank­an­ge­stell­ten“. Er sprach an, daß der wich­tigs­te Pos­ten der EU von jeman­dem besetzt ist, den in ganz Euro­pa fak­tisch nie­mand kennt und, was noch viel schlim­mer ist, die­ser Mann auch weder gewählt ist noch daß die Wäh­ler irgend­ei­ne geset­zes­kon­for­me Mög­lich­keit haben, sich die­ser Per­son zu ent­le­di­gen. Das sind ja kei­ne Mei­nun­gen, son­dern Tat­sa­chen, die sich ein­fach nicht bestrei­ten las­sen – trotz­dem reagier­ten die anwe­sen­den Par­la­men­ta­ri­er der ande­ren Par­tei­en mit Buh­ru­fen und wüs­ten Schmä­hun­gen. Das wie­der­um läßt die Fra­ge auf­kom­men, wer in die­sem Par­la­ment eigent­lich der Stö­ren­fried ist: der Par­la­men­ta­ri­er, der sein Recht auf Oppo­si­ti­on wahr­nimmt oder der­je­ni­ge, der sei­nen poli­ti­schen Geg­ner niederlärmt?

Sicher kann man Fara­ge sei­nen Idea­lis­mus zum Vor­wurf machen. Sein Ziel, den Aus­tritt des Ver­ei­nig­ten König­reichs aus der Euro­päi­schen Uni­on oder eine tota­le Umstruk­tu­rie­rung und Demo­kra­ti­sie­rung Euro­pas durch Par­la­ments­ar­beit zu erzwin­gen, gleicht einer Sisy­phos­ar­beit. Nichts­des­to­trotz beein­druckt die Kon­se­quenz, mit der er sei­ne Über­zeu­gun­gen nach außen trägt, die Kom­pe­tenz, mit der er in Debat­ten regel­mä­ßig die argu­men­ta­ti­ve Über­le­gen­heit behält, die per­sön­li­che Inte­gri­tät, die ihn unan­greif­bar macht und die Ent­schlos­sen­heit, mit der er für die Frei­heit sei­nes Vol­kes arbeitet.

Beach­tens­wert ist die inte­gra­ti­ve Leis­tung von Fara­ge und sei­ner UKIP: Der Mann aus der Wirt­schaft gewinnt durch sei­ne öko­no­mi­sche Kom­pe­tenz die Sym­pa­thien der Natio­nal­li­be­ra­len, durch sei­nen ver­nünf­ti­gen Habi­tus die Stim­men der ent­täusch­ten Tories, zu denen er ursprüng­lich selbst gehör­te, durch sei­nen Wil­len zur Pro­vo­ka­ti­on die Auf­merk­sam­keit der Jugend, die die ver­fet­te­te Brüs­se­la­ge eigent­lich bloß lang­wei­lig fin­det, durch sein Voka­bu­lar die Zustim­mung der Rechts­in­tel­lek­tu­el­len, die es ja auch im Ver­ei­nig­ten König­reich gibt, und durch sei­ne kla­re Feind­be­stim­mung zumin­dest stil­les Ein­ver­neh­men der Natio­na­len und Völ­ki­schen, wobei die­se in der Mas­se eher der Bri­tish Natio­nal Par­ty ihre Stim­me geben, die weni­ger aka­de­misch auftritt.

Käme aus jeder Nati­on ein Fara­ge nach Brüs­sel, die­se Ers­te Büro­kra­tis­ti­sche Inter­na­tio­na­le sähe schon sehr bald ganz anders aus. Ein sehr infor­ma­ti­ves Inter­view mit Nigel Fara­ge fin­det sich hier.

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