Autorenportrait Alain de Benoist

pdf der Druckfassung aus Sezession 27/Dezember 2008

sez_nr_274von Michael Böhm

Alain de Benoist gilt als „Meisterdenker" der „Nouvelle Droite" - der „Neuen Rechten" -, aber eigentlich hat er sich nie wirklich in diesem Begriff erkannt. Zwar hat sich diese Zuweisung etabliert, um die Ideenformation um den französischen Philosophen zu beschreiben. Es gibt wohl kein neueres Werk zur Geschichte der politischen Ideen, das nicht diese „Vordenker"-Position bemüht. Ebenso ist es aber eine Tatsache, daß de Benoist nie auf die Idee gekommen wäre, solches Etikett sich zu eigen zu machen - die Frage, wo er sich politisch-ideologisch verortet, hat ihn nie interessiert. „Persönlich", so erklärte er etwa im Vorwort zu seinem 1977 erschienenen Buch Vu de droite (Von rechts gesehen), „läßt mich die Frage, ob ich rechts oder links bin, vollkommen gleichgültig. Zur Zeit sind die Ideen, die in diesem Buch verteidigt werden, rechts; sie sind jedoch nicht notwendigerweise rechts. Ich könnte mir sehr gut Situationen vorstellen, in denen sie links sind." Genau wie dieses sibyllinische Urteil verblüffen auch die unterschiedlichen Positionen, die Alain de Benoist im Laufe seines intellektuellen Lebens eingenommen hatte: In seinem ersten Buch Salant devant l'opinion (1963) ergreift er leidenschaftlich Partei für die Kämpfer der Organisation armée secrète, die sich de Gaulles Aufgabe von Algerien widersetzten. Zwanzig Jahre später wendet er sich gegen jede Form des Kolonialismus, einschließlich des kulturellen. Während er als Student das Konzept einer „nationalistischen Ethik" entwirft, ist er gegen Ende des 20. Jahrhunderts ein Verfechter der übernationalen Reichsidee und versteht sie als Alternative zum Brüsseler Zentralismus. Und operiert er noch in der Mitte der 1960er Jahre mit rassebiologischen Argumentationen, so verurteilt er zehn Jahre später „ohne Ausnahme alle Rassismen" und beschwört den Reichtum der verschiedensten Identitäten und Kulturen.


Gewiß, Intel­lek­tu­el­le kön­nen inner­halb von weni­gen Jah­ren manch­mal die unter­schied­lichs­ten Stand­punk­te ein­neh­men. Doch erfolg­te das bei Alain de Benoist im Unter­schied zu ande­ren stets unter dem Zei­chen eines unbe­ding­ten Prin­zips: dem Anti-Ega­li­ta­ris­mus, der Ableh­nung der Gleich­heits­leh­re. Sie durch­zieht alle sei­ne dok­tri­nä­ren Posi­tio­nen bis heu­te, und sie läßt sei­ne Refle­xio­nen der­zeit auch als Aus­druck eines „rech­ten Den­kens” erschei­nen – sein rät­sel­haf­tes Wort wird dadurch erhellt. Ungleich­heit als das Grund­prin­zip der mensch­li­chen Natur, ja des Lebens schlecht­hin – das war gemein­hin akzep­tier­te Maxi­me all derer, die seit dem Jah­re 1789 die Kon­se­quen­zen der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on zu revi­die­ren gedach­ten: von den ers­ten Ver­tei­di­gern des Anci­en Régime bis hin zu Hit­ler und Mus­so­li­ni. Doch ist de Benoist, obgleich väter­li­cher­seits von aris­to­kra­ti­scher Her­kunft, weder ein mon­ar­chis­ti­scher Reak­tio­när noch ein Apo­lo­get des Faschis­mus. Sein Anti-Ega­li­ta­ris­mus ist zutiefst ästhe­ti­scher Natur und durch­zo­gen von einem phil­an­thro­pi­schen Ethos: Seit nun­mehr über vier­zig Jah­ren wid­met er sich in sei­nem publi­zis­ti­schen Schaf­fen dem Kampf für den Erhalt der Ver­schie­den­heit der Welt und gegen die Reduk­ti­on des Man­nig­fal­ti­gen auf das Eine. „Das Glück bei einer Rei­se”, sag­te er ein­mal, „ist, noch ver­schie­de­ne, ver­wur­zel­te Lebens­ge­pflo­gen­hei­ten zu beob­ach­ten; ist, die Völ­ker in ihrem eige­nen Rhyth­mus zu sehen: Völ­ker, mit einer ande­ren Haut­far­be, mit einer ande­ren Kul­tur, mit einer ande­ren Men­ta­li­tät – und zu wis­sen, daß sie stolz dar­auf sind. Ich glau­be, daß das den Reich­tum der Welt bil­det und daß der Ega­li­ta­ris­mus dabei ist, ihn zu töten”.

Daß Alain de Benoist zu einem antie­ga­li­tä­ren Den­ker wur­de, hat viel mit der gesell­schaft­li­chen Situa­ti­on zu tun, in die er hin­ein­wuchs: 1943 in Tours gebo­ren, ist er ein Kind der Tren­tes Glo­rieu­ses – jener „drei­ßig glor­rei­chen” Jah­re for­cier­ter Moder­ni­sie­rung, in denen seit 1945 aus dem Bau­ern­land Frank­reich eine Indus­trie­na­ti­on wer­den soll­te. Die Kon­se­quen­zen die­ses Struk­tur­wan­dels waren für das Land enorm: In den Tren­tes Glo­rieu­ses geriet das gesam­te sozia­le und kul­tu­rel­le Gefü­ge Frank­reichs in Bewe­gung, in ihnen bil­de­ten sich in den Städ­ten völ­lig neue Lebens­for­men her­aus, es ver­schwan­den vie­le bäu­er­li­che Tra­di­tio­nen; die moder­ne Mas­sen­kul­tur ent­stand und das einst stol­ze Bür­ger­tum ging in einer „neu­en Mit­te” auf. Es war das Zeit­al­ter der „Nivel­lie­rung”, das für Frank­reich her­ein­brach – bereits Nietz­sche hat­te in ihm die Unmög­lich­keit einer wah­ren Kul­tur erkannt. Alain de Benoist, müt­ter­li­cher­seits aus einer alten Bau­ern­fa­mi­lie stam­mend, setzt sich schon früh gedank­lich dazu in Oppo­si­ti­on: Als Kind las er nicht Alex­and­re Dumas oder Jules Ver­ne, wie vie­le sei­ner Alters­ge­nos­sen, son­dern die Mär­chen der Gebrü­der Grimm und die Ili­as des Homer. Es war die Viel­falt, die ihn magisch anzog, das spi­ri­tu­el­le Uni­ver­sum der Mythen und Legen­den – sein gro­ßes Lebens­the­ma klang hier bereits an. Spä­ter soll­te er es bei der Lek­tü­re von Charles Maur­ras wie­der­fin­den, dem Theo­re­ti­ker der Mon­ar­chie, der gegen den moder­nen Ega­li­ta­ris­mus die poly­the­is­ti­sche For­men­welt des grie­chi­schen Hei­den­tums setz­te. Und noch viel spä­ter, als jun­gem Mann, begeg­ne­te es ihm bei Lou­is Rou­gier und Geor­ges Dumé­zil, bei­des Gelehr­te, die auch in ihren Schrif­ten die kul­tu­rel­le Man­nig­fal­tig­keit des anti­ken Paga­nis­mus rühm­ten. Aber vor allem ist es Fried­rich Nietz­sche, der sein Den­ken bis heu­te prägt: Seit Alain de Benoist im Alter von 13 Jah­ren die Genea­lo­gie der Moral des deut­schen Phi­lo­so­phen gele­sen hat­te, beglei­te­te ihn des­sen Idee, daß es das Chris­ten­tum gewe­sen war, das den Ega­li­ta­ris­mus über die Welt gebracht hatte.
Mit die­sem geis­ti­gen Gepäck, das ange­sichts der gesell­schaft­li­chen Erschüt­te­run­gen Kom­men­tar und Bewäl­ti­gungs­stra­te­gie zugleich bedeu­te­te, stu­dier­te Alain de Benoist ab 1960 Recht, Phi­lo­so­phie und Reli­gi­ons­wis­sen­schaf­ten an der Pari­ser Sor­bon­ne. Als Stu­dent enga­gier­te er sich auf der Sei­te der poli­ti­schen Rech­ten für Algé­rie fran­çai­se: in der Fédé­ra­ti­on des Étu­di­ants Natio­na­lis­tes, der Ver­ei­ni­gung natio­na­lis­ti­scher Stu­den­ten. Aber es war kei­ne kolo­nia­le Atti­tü­de, die ihn dazu bewog, son­dern jene Bau­ern­men­ta­li­tät, die sei­ne Mut­ter in der Fami­lie wach­hielt und die mahnt, daß Ter­ri­to­ri­um nicht auf­zu­ge­ben ist. Gepaart mit Nietz­sches Spott über den „fla­chen Uti­li­ta­ris­mus” der moder­nen Zeit erschien ihm de Gaulles Poli­tik absurd, der für ein moder­nes Frank­reich Alge­ri­en in die Unab­hän­gig­keit ent­ließ. In die­ser Zeit, in der letz­ten Pha­se des Alge­ri­en­krie­ges, ent­stan­den sei­ne ers­ten phi­lo­so­phi­schen Tex­te, so der Essay Pour une éthi­que natio­na­lis­te – „Für eine natio­na­lis­ti­sche Ethik”. Dar­in wird die tra­gi­sche Span­nung zwi­schen Apol­lon und Dio­ny­sos, die der deut­sche Phi­lo­soph in der grie­chi­schen Tra­gö­die erkann­te und die er als Vor­aus­set­zung einer wirk­li­chen Kul­tur begriff, dem kaum Zwan­zig­jäh­ri­gen zum Leit­mo­tiv der Algé­rie-fran­çai­se-Par­ti­sa­nen. Sie wider­spricht dem Ega­li­ta­ris­mus, da sie an Kampf und Ungleich­heit appel­liert, sie ist anti­uti­li­ta­ris­tisch – und dadurch ästhe­tisch. Die­se tra­gisch-heroi­sche Welt­sicht bestimm­te von nun an sein intel­lek­tu­el­les Schaf­fen, sie inspi­rier­te spä­ter sei­ne gene­rel­le Kri­tik an der moder­nen Kul­tur und im beson­de­ren die des Libe­ra­lis­mus – jener Ideen­for­ma­ti­on, in der die Auf­klä­rer des 18. Jahr­hun­derts den Gedan­ken der Frei­heit mit dem der Gleich­heit ver­meng­ten. Und: Sie gibt ihn als einen Reprä­sen­tan­ten der „Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on” zu erken­nen – bis heu­te fühlt sich Alain de Benoist die­ser Strö­mung am meis­ten verpflichtet.

Nach der erfolg­lo­sen Algé­rie-fran­çai­se-Kam­pa­gne betei­lig­te er sich bis 1967 am „natio­nal-euro­päi­schen” Auf­bruch der fran­zö­si­schen Rech­ten, er arbei­te­te als Jour­na­list bei ihren Zei­tun­gen und unter­stütz­te ihre Wahl­kam­pa­gnen. Doch blieb er dort auch immer eine Aus­nah­me­erschei­nung: Als ein an phi­lo­so­phi­schen Fra­gen inter­es­sier­ter jun­ger Mann ver­schlang er uner­müd­lich die ver­schie­dens­ten Lek­tü­ren, er schrieb in einem fort und er erstaun­te durch sei­ne sub­ti­len Gedan­ken – selbst in ras­se­bio­lo­gi­schen Argu­men­ta­tio­nen rede­te er der kul­tu­rel­len Viel­falt das Wort. Im Janu­ar 1968 grün­de­te er zusam­men mit ande­ren ehe­ma­li­gen Algé­rie-fran­çai­se-Akti­vis­ten den Grou­pe­ment de recher­che et d’ étu­des pour la civi­li­sa­ti­on euro­pé­en­ne (GRECE) – die „Stu­di­en­grup­pe für die euro­päi­sche Zivi­li­sa­ti­on”. Es war der ers­te Dis­kus­si­ons­klub der poli­ti­schen Rech­ten in Frank­reich nach 1945 – und es war der Ver­such, ihr nach den Nie­der­la­gen, die sie seit dem Ende des Alge­ri­en­krie­ges erlitt, über­haupt wie­der poli­ti­schen Ein­fluß zu ver­schaf­fen. Der GRECE soll­te jedoch kei­ne vor­ran­gig poli­ti­sche Bewe­gung sein, viel­mehr ver­such­te er durch Zeit­schrif­ten und Bil­dungs­pro­jek­te die lin­ke Deu­tungs­ho­heit in der Gesell­schaft zu bre­chen. „Meta­po­li­tik”, so heißt seit Joseph de Maist­re die­ses Kon­zept – und auch heu­te noch füh­len sich ihm die GRE­CE­is­ten ver­bun­den. Im Febru­ar 1968 erschien die ers­te Num­mer der Theo­rie­zeit­schrift Nou­vel­le Éco­le, vier Jah­re spä­ter folg­te das eher aktu­ell und lite­ra­risch ori­en­tier­te Maga­zin Elé­ments – bei­de Orga­ne berei­chern noch heu­te die fran­zö­si­sche Pres­se­land­schaft durch unkon­ven­tio­nel­le The­men und Sicht­wei­sen. Alain de Benoist wur­de rasch zum Prot­ago­nis­ten die­ser „neu­en Kul­tur” der Rech­ten. Kraft sei­ner intel­lek­tu­el­len Aus­strah­lung ver­moch­te er auch ange­se­he­ne Wis­sen­schaft­ler und Schrift­stel­ler für sie zu gewin­nen: Bereits zu Beginn der 1970er Jah­re ver­zeich­net die Lis­te des Patro­nats­ko­mi­tees von Nou­vel­le Éco­le illus­tre Namen: unter ande­ren den Nobel­preis­trä­ger Kon­rad Lorenz, die Mit­glie­der der Aca­dé­mie Fran­çai­se Thier­ry Maul­nier und Pierre Gaxot­te, oder auch Jean Cau, den ehe­ma­li­gen Sekre­tär von Jean-Paul Sartre.
Vor allem aber setz­te Alain de Benoist sei­ne eige­ne Ideen­ar­beit fort. Intel­lek­tu­ell gereift, erkann­te er tie­fe­re Zusam­men­hän­ge und zog grö­ße­re Ana­lo­gien: Anti­christ­li­che Vor­be­hal­te und euro­päi­sche Begeis­te­rung fan­den ihren Kon­tra­punkt in Geor­ges Dumé­zils Über­le­gun­gen zur tri­funk­tio­na­len Ideo­lo­gie der Indo­eu­ro­pä­er, eben­so bezog er Carl Schmitts Theo­rie des Poli­ti­schen dar­auf und ent­wi­ckel­te sei­ne eige­ne Kri­tik des Libe­ra­lis­mus, die weit über Schmitt hin­aus­geht. Mit den kul­tur­re­la­ti­vis­ti­schen Ansät­zen von Clau­de Lévi-Strauss sowie den Theo­rien der phi­lo­so­phi­schen Anthro­po­lo­gie über­wand er sei­ne ras­se­bio­lo­gi­schen Argu­men­ta­tio­nen und fand zum „dif­fe­ren­tia­lis­ti­schen Anti­ras­sis­mus” – eine logi­sche Kon­se­quenz in sei­ner intel­lek­tu­el­len Ent­wick­lung, da ein sol­cher Stand­punkt die Ver­schie­den­heit nicht ver­neint, son­dern von ihr aus­geht. Über­haupt ent­wi­ckel­te er wäh­rend der 1970er Jah­re ein kohä­ren­tes Welt­bild – trotz sei­nes Hangs zu enzy­klo­pä­di­schen Syn­the­sen, die ihn auch als typisch fran­zö­si­schen Den­ker erschei­nen las­sen. Kom­mu­nis­mus, Sozia­lis­mus, Libe­ra­lis­mus – all das, so de Benoist, sei­en nur „Spiel­ar­ten” der „aktu­el­len Sub­ver­si­on”. Die gesam­te Moder­ne begriff er als Ver­fall­sepo­che – samt ihrem Öko­no­mis­mus und der Gleich­gül­tig­keit gegen­über gewach­se­nen Wer­ten, samt ihrem uni­ver­sa­len Anspruch, der schon tota­li­tä­ren Cha­rak­ter habe und samt ihrer Wur­zel: dem Chris­ten­tum und sei­ner Idee von der Gleich­heit aller Men­schen vor Gott. Es war eine philan­ti­ke Dok­trin, für die Alain de Benoist warb, ein geis­ti­ges „Zurück zu den Grie­chen” – in ihrer poly­the­is­ti­schen Welt erkann­te er eine Alter­na­ti­ve für Gegen­wart und Zukunft.

Unter­des­sen kam das „meta­po­li­ti­sche” Pro­jekt nicht nur in den eige­nen Zeit­schrif­ten vor­an: Seit 1970 schrie­ben Alain de Benoist und eini­ge sei­ner Freun­de in bür­ger­li­chen Blät­tern wie Spec­ta­cle du mon­de und Valeurs actu­el­les; 1977 wur­de de Benoist auch Redak­teur beim Maga­zi­ne des tra­di­ti­ons­rei­chen Figa­ro. Noch etwas erhöh­te den Bekannt­heits­grad der neu­en Kul­tur: 1977 erhielt Alain de Benoist für sein Buch Vu de droi­te den Grand Prix de l’Es­sai der Aca­dé­mie fran­çai­se. Der Lin­ken, nach wie vor die Deu­tungs­macht in der fran­zö­si­schen Gesell­schaft, blieb das nicht ver­bor­gen. Seit Sol­sche­ni­zyns Archi­pel Gulag war sie in ideo­lo­gi­scher Ver­wir­rung begrif­fen, schon lan­ge regier­te die repu­bli­ka­ni­sche Rech­te, und 1981 stan­den Prä­si­dent­schafts­wah­len an. Im Som­mer 1979 kam es zu einer Pres­se­kam­pa­gne gegen den GRECE und Alain de Benoist. Als „Nazi­werk­statt” titu­lier­te man den Intel­lek­tu­el­len­klub, als faschis­tisch die Ideen sei­ner Prot­ago­nis­ten. Das bür­ger­li­che Lager ver­such­te sich abzu­gren­zen und schlug damit ein neu­es Kapi­tel der Ideen­ge­schich­te auf: Man habe, so ver­si­cher­ten sei­ne Jour­na­lis­ten, nichts gemein mit dem GRECE und Alain de Benoist, die­se sei­en eine gänz­lich neue Kraft auf der poli­ti­schen Rech­ten – eine „Nou­vel­le Droi-te”, eine „Neue Rechte”.
Fort­an war die­ser Begriff das Mar­ken­zei­chen der Strö­mung. Aber obwohl die Affä­re „Nou­vel­le Droi­te” auch inter­na­tio­na­les Auf­se­hen erreg­te, schwand ihre Brei­ten­wir­kung kurz dar­auf, und sie wur­de auf ein intel­lek­tu­el­les Milieu beschränkt. Durch das mora­li­sche Ver­dikt der Pres­se gerie­ten Spec­ta­cle du mon­de, Valeurs actu­el­les und vor allem Figa­ro-Maga­zi­ne unter Druck. Alain de Benoist und sei­ne Freun­de muß­ten die Redak­tio­nen ver­las­sen, und die „neue Kul­tur” ver­lor somit ihre wich­tigs­ten Medi­en. Trotz­dem ging de Benoist wei­ter auf dem Weg des non­kon­for­mis­ti­schen Den­kers. Nach wie vor über­schritt er unbe­irrt Denk­ver­bo­te, wofür er oft auch im eige­nen Lager bearg­wöhnt wur­de: Wäh­rend der 1980er Jah­re for­mu­lier­te er sei­ne Kri­tik an den Men­schen­rech­ten, die auch vie­le mar­xis­ti­sche Intel­lek­tu­el­le im Mun­de führ­ten: Als libe­ra­le Ideo­lo­gie mit uni­ver­sa­lem Anspruch legi­ti­mier­ten sie für ihn nur das öko­no­mi­sche Sys­tem des Wes­tens und sei­ne welt­wei­te Imple­men­tie­rung – und damit die Zer­stö­rung der ver­schie­de­nen Kul­tu­ren. Für ihn waren sie mora­li­sche Phra­se und poli­ti­sches Instru­ment, „die letz­te Ver­wand­lung des ega­li­tä­ren Dis­kur­ses”. Im „Recht der Völ­ker” sah Alain de Benoist dazu eine Alter­na­ti­ve, in jener Idee, die in den anti­ko­lo­nia­len und natio­na­len Frei­heits­be­we­gun­gen nach dem Zwei­ten Welt­krieg ent­stand – der eins­ti­ge Unter­stüt­zer von Algé­rie fran­çai­se wand­te sich so gegen neue For­men des Kolo­nia­lis­mus, ja gegen Kolo­nia­lis­mus über­haupt. Aber auch Euro­pa soll­te sich befrei­en von sei­nen uni­ver­sa­len, ega­li­tä­ren und libe­ra­len Glau­bens­sät­zen und von sei­nen Vor­mün­dern bei­der­seits des Eiser­nen Vor­hangs, um einen „Drit­ten Weg” zu suchen, jen­seits von Kapi­ta­lis­mus und Sozia­lis­mus. Wie die eins­ti­gen Kolo­nien soll­te es sei­ne Iden­ti­ät wie­der­ent­de­cken: Euro­pa und Drit­te Welt – nach de Benoist kämpf­ten sie den­sel­ben Kampf.

Ist aus Alain de Benoist ein Lin­ker gewor­den? In der Tat dach­ten das vie­le Beob­ach­ter seit den 1980er Jah­ren, denn der „Dritte-Welt”-Diskurs und die Kon­sum­kri­tik waren vor­nehm­lich The­men lin­ker Öko­lo­gen. Auch sonst schien de Benoist mit dem geg­ne­ri­schen Lager zu sym­pa­thi­sie­ren: 1988 grün­de­te er sei­ne eige­ne Zeit­schrift Kri­sis, in die er lin­ke Intel­lek­tu­el­le zu Publi­ka­tio­nen ein­lud, und immer lau­ter pro­tes­tier­te er gegen die xeno­pho­ben Paro­len der extre­men Rech­ten. Er hat­te schon lan­ge ver­sucht, die Spal­tung zwi­schen links und rechts zu über­win­den, jene Unter­schei­dung, die seit der poli­ti­schen Moder­ne bestand und die er auf­he­ben woll­te, weil sie ana­chro­nis­tisch gewor­den war – nicht erst der Zusam­men­bruch des Kom­mu­nis­mus bestä­tig­te ihn dar­in. Ab jetzt ver­schwan­den in sei­nen Ver­öf­fent­li­chun­gen her­kömm­li­che ideo­lo­gi­sche Dif­fe­ren­zie­run­gen – aller­dings blieb der Aus­gangs­punkt antie­ga­li­tär, auch wenn die Inhal­te meist die waren, die vor allem die Lin­ke auf die poli­ti­sche Tages­ord­nung setz­te. In der Reichs­idee, einem rech­ten Topos schlecht­hin, ver­wirk­lich­te sich für ihn der mul­ti­kul­tu­rel­le Traum: durch plu­ra­lis­ti­sche Geset­zes­for­men in einer gesell­schaft­li­chen Struk­tur, die ver­schie­de­ne Kul­tu­ren bestärkt und inte­griert, ohne sie auf eine Iden­ti­tät zu ver­pflich­ten – das war ein Affront für die repu­bli­ka­ni­schen Grals­hü­ter juris­ti­scher Ega­li­tät und für die tra­di­tio­nel­len Natio­na­lis­ten. Aber genau­so ver­wirr­te er mit sei­nen Refle­xio­nen zur Öko­lo­gie, auch das eine Debat­te, die sonst nur fran­zö­si­sche Lin­ke führ­ten: Der ega­li­tä­re Libe­ra­lis­mus, so erklär­te er in sei­nem vor­erst letz­ten Buch, sei per se der Feind der Natur. Als säku­la­ri­sier­te Form des Chris­ten­tums voll­zie­he er des­sen Auf­er­ste­hungs­sym­bo­lik: durch sei­ne mone­tä­re Ver­nunft und den Fort­schritts­glau­ben – die eigent­li­chen Moto­ren der Markt­ge­sell­schaft. Ein „nega­ti­ves Wachs­tum” sei daher die ein­zi­ge Chan­ce, den Raub­bau an natür­li­chen Res­sour­cen zu been­den und eine Lebens­wei­se, die wie in der Anti­ke die Wirt­schaft in den Dienst des Men­schen stelle.
Das Chris­ten­tum und die Moder­ne – für de Benoist sind deren ideel­le Grund­la­gen ähn­lich. Ihre Deri­va­te, wie den Ega­li­ta­ris­mus oder die Unter­schei­dung zwi­schen links und rechts; gut und böse zuguns­ten eines alter­na­ti­ven Bil­des von Mensch und Gesell­schaft intel­lek­tu­ell zu über­win­den – das ist bis heu­te sein Ziel. Er hat es immer auf beson­de­re Wei­se ver­folgt: Unge­ach­tet aller Anfein­dun­gen war er stets kom­pro­miß­los, neu­gie­rig, streit­bar und bereit, sei­ne Posi­tio­nen zu über­den­ken und – wenn es sein muß­te – auch auf­zu­ge­ben. „Vom mora­li­schen Stand­punkt betrach­tet”, sag­te er ein­mal, „lie­be ich vor allem den Sinn für Nuan­cen, die Hin­ga­be des Selbst und die Groß­zü­gig­keit. Ich ver­ab­scheue nichts so sehr wie geis­ti­ge Enge, das Res­sen­ti­ment, das Stre­ben nach dem eige­nen Inter­es­se. Die Armut, gemes­sen an den Nöten unse­rer Epo­che, ist ein gro­ßer Reich­tum, sag­te Epi­kur. Ich glau­be – auf jeden Fall hof­fe ich das – immer einen frei­en Geist, eine tra­gi­sche See­le und ein rebel­li­sches Herz bewahrt zu haben”. Alain de Benoist, der „lin­ke Mann von rechts”, begeht am 11. Dezem­ber sei­nen 65. Geburtstag.

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