NSDAP II

pdf der Druckfassung aus Sezession 29 / April 2009

Vermutlich brachte Tilman Jens in der FAZ als erster den Begriff der »Nebelkerze« ins Spiel, der später von einem Rezensenten des Tagesspiegels auf Günter Grass abgefeuert wurde. Jens kennzeichnete damit die Prosa des Bandes Jahrgang 1926/27. Erinnerungen an die Jahre unter dem Hakenkreuz, in der den prominenten Verbliebenen der Flakhelfer-Generation, unter ihnen Siegfried Lenz und Dieter Hildebrandt, die Chance eingeräumt werden sollte, freimütig über ihre Jugend im »Dritten Reich« Auskunft zu geben. Dem ging ein großes Aufdecken von Promi-Namen voraus; Parteigenossen, von denen es keiner gedacht hätte.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Das Ergeb­nis nann­te Jens »ent­täu­schend «: »Kei­ne Fra­gen. Kei­ne Brü­che. Ein letz­tes Mal wer­den Nebel­ker­zen gezün­det.« Nicht anders, nur ungleich schmerz­haf­ter ver­hielt es sich mit der Por­tal­fi­gur von Jens’ eige­nem Leben, sei­nem nun 86jährigen Vater Wal­ter Jens, von dem er in sei­nem Buch Demenz nun »Abschied« nimmt. Der eins­ti­ge Rhe­to­rik­pro­fes­sor lei­det seit 2004 an Demenz, die ihn der Spra­che und Erin­ne­rung beraub­te und ins Klein­kind­sta­di­um regre­die­ren ließ. Til­man Jens’ Buch ist nicht nur ein Abschied von dem Men­schen, der sein Vater einst war, es ist auch ein Abschied vom Bild des makel­lo­sen Mora­lis­ten und Bewäl­ti­gers, das sich die­ser jahr­zehn­te­lang ange­maßt hat. In einer dra­ma­tur­gisch stim­mi­gen Koin­zi­denz brach Jens’ Demenz kurz nach Bekannt­wer­den sei­ner NSDAP-Mit­glied­schaft aus. Jens, »der Feind bil­li­ger Aus­re­den, der unbeug­sa­me Advo­kat der Klar­heit«, der sich stets zum Anti­fa­schis­ten der ers­ten Stun­de sti­li­siert hat­te, reagier­te mit Aus­flüch­ten, ja Lügen auf die Ent­hül­lung. Til­man Jens ist klug genug, den eigent­li­chen Sün­den­fall des Vaters zu erken­nen: »War­um hat er (…) nie­mals über die Zeit des eige­nen Ver­führts­eins gere­det, geschrie­ben, obwohl ihn das The­ma, bei ande­ren, so umtrieb?«
Am Ende der quä­len­den Aus­ein­an­der­set­zung, die sich auf eine gan­ze Gene­ra­ti­on libe­ra­ler Mei­nungs­füh­rer erstreckt, steht die Erkennt­nis, daß es die »Berufs­an­klä­ger« selbst waren, die »erin­ne­rungs­feind­lich « (Wal­ter Jens) gewirkt haben. Jens, der ver­meint­li­che »Soli­tär und Ein­zel­gän­ger, der cou­ra­gier­te Nein-Sager« war ein Kon­for­mist des jus­te milieu, der den Rücken­wind des Zeit­geis­tes stets hin­ter sich wuß­te. Das im senio­ren­freund­li­chen Groß­druck gehal­te­ne Büch­lein sei­nes Soh­nes wirft ein bezeich­nen­des Licht auf den immer­grü­nen Kom­plex »Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung«, der weit davon ent­fernt ist, Alters­schwä­che zu zeigen.

(Til­man Jens: Demenz. Abschied von mei­nem Vater, Güters­loh: Güters­lo­her Ver­lags­haus 2009. 144 S., 17.95 €)

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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