Die „Parallel-Polis“

Derzeit deuten die Stellungnahmen ranghoher Eliten zur EU-Krise darauf hin, daß die zentralistische Brüssel-Bürokratie noch weiter ausgeweitet ...

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

und das Finanz­pro­blem ein­fach eine Ebe­ne höher gehievt wird. Die EU dür­fe nicht nur eine Wäh­rungs­uni­on sein, son­dern müs­se auch sozi­al- und wirt­schafts­po­li­tisch eine Ein­heit bil­den, so der Tenor. Ein­her­ge­hend mit die­ser supra­na­tio­na­len Ori­en­tie­rung gera­ten die Kom­mu­nen immer mehr in die Bre­douil­le. Ist dies aber viel­leicht sogar eine Chan­ce für einen Neuanfang?

Was pas­siert eigent­lich, wenn die ers­ten Kom­mu­nen zur offe­nen Oppo­si­ti­on über­ge­hen, sich aus ihrer Zwick­müh­le befrei­en wol­len und noch dazu die Unter­stüt­zung der eige­nen Bür­ger für die­sen Son­der­weg erhal­ten? Und was für Kon­se­quen­zen hät­te es, wenn bedeu­ten­de Unter­neh­mer den „fis­ka­li­schen Bür­ger­krieg“ (Peter Slo­der­di­jk) aus­ru­fen; wohl­wis­send, daß sie eine brei­te Gefolg­schaft der Bür­ger hin­ter sich haben?

Der ehe­ma­li­ge tsche­chi­sche Prä­si­dent Václav Havel hat 1978 einen bemer­kens­wer­ten Essay geschrie­ben, in dem er der Mög­lich­keit von vor­po­li­ti­schen Par­al­lel­struk­tu­ren nach­geht, die letz­ten Endes sogar ein post­de­mo­kra­ti­sches Zeit­al­ter ein­läu­ten könn­ten. Sein Ver­such, in der Wahr­heit zu leben, appel­liert an das gemein­schaft­li­che Emp­fin­den der Men­schen, die wie­der „auf der Basis der eige­nen Iden­ti­tät“ leben wollen:

Der urei­gens­te Raum, der Aus­gangs­punkt für alle Bestre­bun­gen der Gesell­schaft, sich dem Druck des Sys­tems zu wider­set­zen, ist das Gebiet des „vor­po­li­ti­schen“, da die „Par­al­lel­struk­tu­ren“ ja nichts ande­res als ein Raum des ande­ren Lebens sind, eines Lebens, das im Ein­klang mit sei­nen eige­nen Inten­tio­nen ist und das sich selbst im Ein­klang mit die­sen Inten­tio­nen strukturiert.

Bis hier­her könn­te man mei­nen, Havel berei­te den Weg für eine Zer­split­te­rung der Gesell­schaft. Wenn jede Schicht bzw. jedes poli­ti­sche Lager sich nur noch mit sich selbst beschäf­tigt und kom­pro­miß­los auf die eige­nen Ziel­vor­stel­lun­gen pocht, kommt es zu vie­len klei­nen Nischen, die alle die kri­ti­sche Mas­se, die not­wen­dig ist, um Macht aus­zu­üben, nicht über­schrei­ten. Havel stellt sich das aber anders vor:

Die „Par­al­lel-Polis“ ist weg­wei­send und hat einen Sinn nur als Akt der Ver­tie­fung der Ver­ant­wor­tung für das Gan­ze und dem Gan­zen gegen­über, als Ent­de­ckung des geeig­nets­ten Stand­orts für die­se Ver­tie­fung, kei­nes­wegs also als Flucht vor und aus der Verantwortung. (…)

Ich glau­be an Struk­tu­ren, die sich nicht an der „tech­ni­schen“ Sei­te der Macht­aus­übung ori­en­tie­ren, son­dern an dem Sinn ihrer Aus­übung; an Struk­tu­ren, die mehr durch das gemein­sa­me Gefühl, daß bestimm­te Gemein­schaf­ten sinn­voll sind, als durch gemein­sa­me Ambi­tio­nen zur Expan­si­on nach „außen“ gefes­tigt werden. (…)

Es dür­fen in kei­nem Fall Struk­tu­ren sein, die ihre Auto­ri­tät auf längst ent­leer­te Tra­di­tio­nen stüt­zen (wie die tra­di­tio­nel­len poli­ti­schen Mas­sen­par­tei­en), sie müs­sen sich auf ihre kon­kre­te Auf­ga­be in der Situa­ti­on stüt­zen. Bes­ser als ein sta­ti­scher Kom­plex for­ma­li­sier­ter Orga­ni­sa­tio­nen, sind Orga­ni­sa­tio­nen, die ad hoc ent­ste­hen, vol­ler Begeis­te­rung für ein kon­kre­tes Ziel, und sich nach der Errei­chung des Ziels auflösen.

In die­sem Sin­ne ent­spre­chen NGOs wie Green­peace oder attac nicht den Vor­stel­lun­gen Havels, weil sie ein dif­fu­ses, glo­ba­les Ziel anstre­ben und sich nicht den kon­kre­ten Auf­ga­ben vor Ort stel­len. Viel­mehr wünscht er sich Orga­ni­sa­tio­nen, die durch per­sön­li­che Bezie­hun­gen zusam­men­ge­hal­ten wer­den und die Auf­ga­be anpa­cken, die zur Zeit getan wer­den muß. Dabei sind für den mehr­mals für den Frie­dens­no­bel­preis vor­ge­schla­ge­nen Tsche­chen sowohl poli­ti­sche als auch wirt­schaft­li­che Ein­hei­ten denkbar.

Sind nicht die­se infor­mel­len, unbü­ro­kra­ti­schen, dyna­mi­schen und offe­nen Gemein­schaf­ten, die­se gan­ze „par­al­le­le Polis“, eine Art Keim oder sym­bo­li­sches Mikro­mo­dell jener sinn­vol­len „post­de­mo­kra­ti­schen“ poli­ti­schen Struk­tu­ren, die eine bes­se­re Ord­nung der Gesell­schaft begrün­den könnten?

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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