Südafrika in Skandinavien

Auch ich möchte an dieser Stelle nochmal Werbung für die neue, wichtige Studie des IfS über Südafrika machen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Wer dar­aus kei­ne his­to­ri­sche und poli­ti­sche Lek­ti­on zu ler­nen imstan­de ist, dem ist nicht mehr hel­fen.  Denn es geht hier natür­lich nicht um Lan­des- und Geschichts­kun­de, die “nice to know” ist, son­dern um Din­ge, die das Schick­sal des Wes­tens ins­ge­samt betreffen.

Denn Süd­afri­ka ist die Zukunft, unse­re euro­päi­sche Zukunft.  Dabei soll­ten wir uns bewußt wer­den, daß die­ser Pro­zeß an allen Ecken und Enden des euro­päi­schen Kon­ti­nents ein­ge­setzt hat: Es wird bald nir­gends mehr, in kei­nem ein­zi­gen Land Euro­pas, eine Zuflucht oder freie Zonen geben, in der sich nicht diessel­ben Pro­ble­me, Sze­na­ri­en und Städ­te­bil­der zei­gen. Mit der Glo­ba­li­sie­rung des Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus wird auch der Ras­sis­mus glo­ba­li­siert, zum ubi­qui­tä­ren Pro­blem gemacht.

Daß ich hier nicht über­trei­be, mag ein Arti­kel zei­gen, der ursprüng­lich in der lin­ken nor­we­gi­schen Zei­tung Klas­se­kam­pen erschie­nen ist und auf den ich hier in einer eng­li­schen Über­set­zung gesto­ßen bin.

Erin­nern Sie sich noch an Nor­we­gen und Schwe­den? Die Län­der im hohen Nor­den, wo die blon­den, groß­ge­wach­se­nen Men­schen her­kom­men, mit den dich­ten Wäl­dern, den Fjor­den und dem hohen Lebensstandard?

Klas­se­kam­pen hat dar­über fol­gen­des zu berich­ten (Über­set­zung und Aus­wahl von mir; es lohnt sich, den gan­zen Arti­kel zu lesen):

“Ich habe nie­mals jeman­den ‘Neger’ oder ‘Schwar­zer’ oder ähn­li­ches genannt. Ande­rer­seits waren es wir Wei­ße, über die her­ab­las­send gespro­chen wur­de. Es war schlecht, weiß zu sein, das Chris­ten­tum und die nor­we­gi­sche Kul­tur war schlecht und wur­de oft beschimpft”, erzählt Mari Mor­ken (16) und rat­tert die Beschimp­fun­gen run­ter: “Weis­si, Kar­tof­fel, wei­ßer Käse.”

Nach drei Jah­ren konn­te sie es nicht mehr ertra­gen. Sie zog von ihrer Schu­le in Grorud­da­len zu einer Schu­le im Wes­ten. Jeden Mor­gen nimmt sie die U‑Bahn zur ande­ren Sei­te der Stadt, um den Beschimp­fun­gen und dem schlech­ten Klas­sen­um­feld zu ent­kom­men. Wo sie nun hin­geht, ist es gut, gute Noten zu haben, und sie fällt nicht auf, weil sie hell­häu­tig ist. Vor­her hat­te sie sich dunk­le Sträh­nen ins mit­tel­blon­de Haar gemacht. Heu­te färbt sie es etwas hel­ler. Sie befin­det sich auf dem Weg, ihr Nor­we­ger­tum “zurück­zu­er­obern”, und sie ist froh dar­über, blond sein zu dür­fen, ohne als “Hure” oder als “bil­lig” beschimpft zu werden.

“Ah, Mäd­chen, blon­de Hure!”

Mit die­sen Wor­ten wur­de ‘Jose­phi­ne’ am ers­ten Schul­tag in einer von Ein­wan­de­rern domi­nier­ten Gegend in den süd­li­chen Vor­or­ten Stock­holms begrüßt. Jose­phi­ne war ziem­lich vor den Kopf gesto­ßen, denn abge­se­hen von ihrer Haar­far­be, gab es nichts an ihrer Erschei­nung, das auf Pro­mis­kui­tät schlie­ßen lie­ße.  Sie benutz­te kein Make-Up und trug völ­lig neu­tra­le Klei­dung. Es war allein ihre Haar­far­be, die sie als “Hure” brandmarkte.

‘Jose­phi­ne’ ist eine der Befrag­ten von Maria Bäck­man, die eine eth­no­gra­phi­sche Stu­die über die süd­li­che Vor­stadt von Stock­holm erstellt hat, wo die Schwe­den 20% der Bevöl­ke­rung aus­ma­chen. Sie sind also zur Min­der­heit gewor­den. (…) Sie ist die ers­te Schwe­din, die eth­ni­sche Schwe­den als Min­der­heit erforscht hat. Eine ähn­li­che Stu­die gibt es in Nor­we­gen noch nicht.

“In den Vor­or­ten wird das unsicht­ba­re Schwe­den­tum sicht­bar. Eth­ni­sche Schwe­den erle­ben, daß sie auf­grund ihrer Kul­tur und Reli­gi­on defi­niert wer­den, ähn­lich wie Min­der­hei­ten mit einem ande­ren Hin­ter­grund”, sag­te Bäck­man zu Klas­se­kam­pen.

In ihrer Stu­die kon­zen­trier­te sie sich auf schwe­di­sche Mäd­chen. Sie erle­ben, daß sie mit der Vor­stel­lung einer frei­en schwe­di­schen Sexua­li­tät in Ver­bin­dung gebracht wer­den, was in den dicht von Ein­wan­de­rern besie­del­ten Vor­städ­ten nicht unbe­dingt als etwas Posi­ti­ves ange­se­hen wird. Die Stra­te­gie der Vor­stadt­mäd­chen war also, ihr Schwe­disch­sein herunterzuspielen.

“Vie­le haben ihr Haar gefärbt. Nicht unbe­dingt, weil sie wie Ein­wan­de­rer aus­se­hen wol­len, aber weil sie nicht so schwe­disch aus­se­hen wol­len”, sagt Bäckman.

“Ja, genau­so ist es!” Mari Mor­ken nickt ener­gisch, als wir ihr berich­ten, was Maria Bäck­man her­aus­ge­fun­den hat. (…) Wir tra­fen sie und ihre Mut­ter Kris­tin Peder­sen zu einem Gespräch über die Grün­de ihres Schul­wech­sels. Sie erzäh­len von sys­te­ma­ti­schen Schi­ka­nen und Beläs­ti­gun­gen, seit Mari mit 10–11 in die Puber­tät gekom­men ist, bis sie mit 13 die Schu­le wechselte.

Peder­sen ist immer noch wütend über die Unfä­hig­keit der Schu­le, den Fall zu behandeln.

“Sie haben Mari die gan­ze Ver­ant­wor­tung für die Situa­ti­on auf­ge­bür­det. Sie muß­te damit umge­hen, denn sie hät­te doch den star­ken Rück­halt der wei­ßen Mit­tel­klas­se. (…) Man sag­te ihr, daß es die Beläs­ti­ger sehr schwie­rig zuhau­se hätten.”

(…)

Obwohl die Schu­le ein Alp­traum war, mögen sie die Gegend, in der sie zuhau­se sind, und sie haben ein gutes Ver­hält­nis zu ihren paki­sta­ni­schen Nach­barn. Mari erin­nert sich an eine siche­re und freund­li­che Kind­heit. Sie ging in den ers­ten Jah­ren auch gern zur Schu­le. In der ers­ten Klas­se hat­te ein Drit­tel der Schü­ler einen nicht-nor­we­gi­schen Hin­ter­grund. Als sie ging, war kaum ein Drit­tel der Klas­se noch norwegisch.

(…)

Obwohl Mari nega­ti­ve Auf­merk­sam­keit von den Jungs bekam, war es eine Mäd­chen­ban­de aus einer Nor­we­ge­rin und drei paki­sta­ni­schen Mäd­chen, die sie nie­der­schmet­ter­te. “Die Mäd­chen begin­nen, die Rol­len der Jungs zu über­neh­men. Sie suchen nach Streit und Rau­fe­rei­en”, sagt Mari, die auch kör­per­lich atta­ckiert wurde.
(…)

Lan­ge Zeit wag­te sich Mari nicht in das Orts­zen­trum. Sie wuß­te, daß die Mäd­chen den älte­ren Jungs in den “A- und B‑Gangs” (Paki­sta­ni-Gangs), daß sie häß­li­che Din­ge über ihre Haut­far­be und Reli­gi­on gesagt hät­te. “Das pro­vo­ziert sie am meisten.”
(…)

Maria Bäck­mans Feld­stu­di­en außer­halb Stock­holms zei­gen, daß Mäd­chen sich neu­tral klei­den und ihre Weib­lich­keit her­un­ter­spie­len, um kei­ne Bli­cke und Auf­merk­sam­keit zu erre­gen. Sie fand auch her­aus, daß vie­le mit einem Kreuz aus­ge­hen, nicht unbe­dingt, weil sie so christ­lich sind, son­dern, weil es pein­lich ist, kei­ne reli­giö­se Iden­ti­tät zu haben.

(…)

Obwohl Mari sich nicht als Chris­tin ver­steht, sieht sie das Chris­ten­tum als “ihre Reli­gi­on”. “Wir haben mehr über ande­re Reli­gio­nen gelernt, als über unse­re eige­ne. Wir dach­ten, daß ande­re Reli­gio­nen auf­re­gen­der wären, aber unse­re eige­ne Reli­gi­on bekam nie die­sel­be posi­ti­ve Auf­merk­sam­keit”, sagt sie.

Erzie­hung, Bil­dung und Lebens­be­din­gun­gen sind die Schlüs­sel­be­grif­fe der staat­li­chen Anstren­gun­gen in Grorud­da­len. Mut­ter und Tocher haben bemerkt, daß es neue Erho­lungs­ak­ti­vi­tä­ten für die Jugend gibt, aber Mari ist fern­ge­blie­ben, weil sie sich in die­ser Gemein­schaft unwohl fühlt, und weil ihr die­se Akti­vi­tä­ten fremd sind.

Kris­tin Peder­sen denkt, daß das Pro­blem in der Ein­stel­lung der ver­ant­wort­li­chen Poli­ti­ker und der berufs­mä­ßig mit Inte­gra­ti­on Beschäf­tig­ten liegt.

“Sie müs­sen ver­ste­hen, daß wir uns dort, wo wir leben, als Min­der­heit füh­len. Es muß auch eine Min­der­hei­ten­per­spek­ti­ve für die nor­we­gi­schen Tei­le der Bevöl­ke­rung geben”, sagt sie.

Was die Leh­rer und die Schul­lei­tung in Grorud­da­len betrifft, so fin­det Peter­sen, daß sie geschult wer­den müs­sen, eine posi­ti­ve Umge­bung zu schaf­fen. “Sie haben sol­che Angst davor, als Ras­sis­ten gebrand­markt zu wer­den. Sie fürch­ten, in schwie­ri­ge Din­ge ver­wi­ckelt zu wer­den, und haben Angst, daß das gegen sie ver­wen­det wer­den könnte.”

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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