Europa in der postamerikanischen Welt

pdf der Druckfassung aus Sezessíon 26/Oktober 2008

sez_nr_262von Karlheinz Weißmann

Während des Konfliktes zwischen Rußland und Georgien hat Elmar Brok, MdEP und Vorsitzender der außen-, sicherheits- und europapolitischen Kommission der CDU, eine Analyse der „Schwäche der EU" vorgelegt. Das allein wäre keiner Erwähnung wert, aber Brok verweist auch auf die problematischen Rahmenbedingungen für jeden Versuch, an diesem Zustand etwas zu ändern, bedingt nicht nur durch die Aggressivität Moskaus, sondern auch durch „pure amerikanische Interessenpolitik", die die „Einkreisung" Rußlands ebenso rücksichtslos betrieben habe wie die Umwandlung der NATO in ein global operierendes Militärbündnis. Brok weist außerdem darauf hin, daß die USA Irritationen zwischen Alt- und Neumitgliedern der EU „reichlich ausgenutzt" hätten. Das bezieht sich vor allem auf die Rückendeckung, die die Staaten Ostmitteleuropas von amerikanischer Seite erhielten, wenn es darum ging, Vorbehalte gegenüber einer weitergehenden Annäherung zwischen der Union und Rußland zu stärken. Das alles, so Brok, sei Teil der Unübersichtlichkeit einer „multipolaren Welt", in der es aber nicht um „Vergangenheitsbewältigung" gehen könne, sondern nur um „Interessenwahrung", und die verlange: eine gemeinsame „Energiesicherheitspolitik" und „Nachbarschaftspolitik" und daß eine „Definition gemeinsamer Interessen der EU sowie der EU mit Rußland gefunden" werde.


Man kann die Stel­lung­nah­me Broks als Über­gangs­phä­no­men betrach­ten. Er spricht zwar immer­hin offen von „Mul­ti­po­la­ri­tät” und gibt der „Neu­en Welt­ord­nung” unter allei­ni­ger Füh­rung der USA den Abschied, aber gleich­zei­tig fin­den sich Res­te der alten „Werte”-Rhetorik, mit der man müh­sam zu ver­ber­gen sucht, daß es im Grun­de um poli­ti­sches Kal­kül, natio­na­les Pres­ti­ge und Macht­fra­gen geht, was wie­der­um bedeu­tet, daß die Vor­stel­lung, man wer­de durch Dis­kus­si­on, Kon­sens­bil­dung und die För­de­rung wirt­schaft­li­cher Bezie­hun­gen neue Sta­bi­li­tät gewin­nen, naiv oder unehr­lich erscheint. Will man es freund­li­cher for­mu­lie­ren, dann könn­te man auch sagen, daß Brok ver­sucht, das Selbst­ver­ständ­nis Euro­pas als eines „post­mo­der­nen Impe­ri­ums” zu retten.
Der Begriff stammt von Robert Kagan, der im Früh­jahr sein Buch The Return of Histo­ry and the End of Dreams (deut­sche Fas­sung: Die Demo­kra­tie und ihre Fein­de. Wer gestal­tet die neue Welt­ord­nung?, Ber­lin: Sied­ler 2008) ver­öf­fent­lich­te und dar­in ein Sze­na­rio für die Ent­wick­lung der Welt­po­li­tik ent­warf. Es han­delt sich – wie der Titel schon anzeigt – um eine Absa­ge an Fuku­ya­mas The­se vom „Ende der Geschich­te”, aber stär­ker noch um eine Kri­tik an Hun­ting­tons Kon­zept vom „Kampf der Kul­tu­ren”. Nach Mei­nung Kagans sind die gro­ßen Kon­flik­te nicht durch zivi­li­sa­to­ri­sche, etwa reli­giö­se, Unter­schie­de bedingt, son­dern durch Geo­po­li­tik und Verfassungsordnung.

Auf dem Umschlag von Kagans Buch hat man eine Kari­ka­tur vom Ende des 19. Jahr­hun­derts wie­der­ge­ge­ben, die den rus­si­schen Bären und den bri­ti­schen Löwen im Angriff auf den chi­ne­si­schen Man­da­rin zeigt. Das ist inso­fern auf­schluß­reich, als Kagan meint, daß tat­säch­lich das post­kom­mu­nis­ti­sche Ruß­land, die USA in der Nach­fol­ge Groß­bri­tan­ni­ens und Chi­na die Geschi­cke der Welt bestim­men wer­den. Er ver­weist aus­drück­lich auf die Kon­ti­nui­tät der rus­si­schen Macht­po­li­tik und zitiert Putin mit dem Satz, der Kol­laps der Sowjet­uni­on sei „die größ­te geo­po­li­ti­sche Kata­stro­phe des Jahr­hun­derts” gewe­sen. Den Rekurs auf die impe­ria­le Tra­di­ti­on des Lan­des hält Kagan für eben­so selbst­ver­ständ­lich wie die Ver­su­che, die mili­tä­ri­sche Stär­ke durch eine geschick­te Nut­zung der natür­li­chen Res­sour­cen – vor allem soweit sie der Ener­gie­ge­win­nung die­nen – aus­zu­bau­en. Die­se Stra­te­gie ähne­le der­je­ni­gen Chi­nas, des­sen Demü­ti­gung wei­ter zurück­lie­ge als die Ruß­lands, das nichts­des­to­trotz sei­nen Auf­stieg betrei­be, unter Wah­rung von auto­kra­ti­scher Struk­tur, För­de­rung des Natio­na­lis­mus, der aus­drück­lich auch auf die vor­kom­mu­nis­ti­sche Zeit zurück­grei­fe, und die rück­sichts­lo­se Moder­ni­sie­rung des Lan­des, die vor allem die Öff­nung für kapi­ta­lis­ti­sche Metho­den bewir­ke. Chi­na gehe es dabei nicht nur um die Sta­bi­li­sie­rung des Sys­tems, son­dern auch um ein „Sen­dungs­be­wußt­sein”, dem­zu­fol­ge das Land ein natür­li­ches Recht habe, an der Neu­ge­stal­tung der inter­na­tio­na­len Ord­nung aktiv mit­zu­wir­ken. Die­ses Ziel zu errei­chen, sei im Fal­le Chi­nas ungleich wahr­schein­li­cher als im Fall der ande­ren asia­ti­schen Staa­ten mit Groß­macht­po­ten­ti­al: Japan, Indi­en oder Iran.
Dem Auf­stieg Ruß­lands und Chi­nas kön­nen die USA aus Sicht Kagans wenig ent­ge­gen­set­zen. Das Land habe sei­ne Posi­ti­on als ein­zi­ge Super­macht nach dem Zusam­men­bruch des Kom­mu­nis­mus schlecht genutzt. Zwi­schen 1989 und 2001 gab es mehr ame­ri­ka­ni­sche Mili­tär­in­ter­ven­tio­nen als jemals zuvor, und Washing­ton nahm weder auf die UN noch auf sei­ne Ver­bün­de­ten irgend­wel­che Rück­sicht. Die Reak­ti­on der frü­he­ren Außen­mi­nis­te­rin Alb­right ange­sichts der Kri­tik an die­sem Ver­hal­ten – „Wir ste­hen höher und sehen wei­ter in die Zukunft als jedes ande­re Land” – sei Aus­weis einer gefähr­li­chen Arro­ganz, die die Illu­si­on erzeu­ge, man kön­ne die eige­ne Hege­mo­nie nut­zen, um ande­re Groß­mäch­te in einen welt­wei­ten „Krieg gegen den Ter­ror” zu zwin­gen. Die Zusam­men­ar­beit mit Ruß­land und Chi­na sei aber immer eine Illu­si­on gewe­sen, weil deren Füh­run­gen von geo­po­li­ti­schen Inter­es­sen­la­gen aus­gin­gen, die wenig oder nichts mit den ideo­lo­gi­schen Vor­ga­ben Washing­tons zu tun hatten.
Kagan hält das für ver­ständ­lich, betont aller­dings, daß die Geo­po­li­tik nicht mate­ria­lis­tisch auf­ge­faßt wer­den dür­fe, im Sin­ne eines abso­lu­ten Deter­mi­nis­mus. Raum­la­ge und Ver­fas­sungs­form böten aber zusam­men­ge­nom­men die sichers­te Pro­gno­se im Hin­blick auf die poli­ti­sche Ori­en­tie­rung eines Staa­tes. Das wie­der­um bedeu­te, daß es kein glo­ba­les „Kon­zert” der Mäch­te geben wer­de, bes­ten­falls ein „demo­kra­ti­sches”, das die USA, Japan und Indi­en, aber auch die EU umfas­se. Der wird in sei­ner Abhand­lung sonst kaum Beach­tung geschenkt, wenn­gleich er dem Kon­zept eines „post­mo­der­nen” Impe­ri­ums mit Sym­pa­thie gegen­über­steht. Gleich­wohl erscheint ihm die Uni­on als „geo­po­li­ti­sches Rät­sel” [94], denn deren Füh­rer neig­ten immer wie­der dazu, die gebo­te­ne Soli­da­ri­tät mit den Ver­ei­nig­ten Staa­ten zu opfern, um eige­ne kurz­fris­ti­ge Inter­es­sen zu verfolgen.

Die­se Ein­schät­zung steht im Wider­spruch zu dem, was Kagan selbst als Kri­tik der ame­ri­ka­ni­schen Außen­po­li­tik for­mu­liert hat, erklärt sich aber aus sei­ner Bio­gra­phie, zu der die lang­jäh­ri­ge Tätig­keit im Sta­te Depart­ment gehört, aber auch die Prä­gung durch die Erfah­run­gen des Kal­ten Krie­ges und die kur­ze Zeit des ame­ri­ka­ni­schen Macht­mo­no­pols nach des­sen Ende.
Wahr­schein­lich muß man auf die­sen Hin­ter­grund eine gewis­se pes­si­mis­ti­sche Grund­ein­schät­zung zurück­füh­ren. Kagan hält einen Krieg zwi­schen den auto­kra­ti­schen und den demo­kra­ti­schen Mäch­ten zwar nicht für zwangs­läu­fig, glaubt aber eben auch nicht an eine Art von glo­ba­lem Inter­es­sen­aus­gleich oder eine voll­stän­di­ge Durch­set­zung des west­li­chen Modells. Man müs­se öko­no­mi­sche Inter­es­sen berück­sich­ti­gen, aber „Natio­nen sind kei­ne Rechen­ma­schi­nen” [80], und in vie­ler Hin­sicht wür­den die Bezie­hun­gen zwi­schen Staa­ten im 21. Jahr­hun­dert wie­der Mus­tern des 19. Jahr­hun­derts ähneln. In vie­lem berührt sich die­se Argu­men­ta­ti­on mit der­je­ni­gen von Fareed Zaka­ria, des­sen jüngs­tes Buch gera­de unter dem Titel The Post-Ame­ri­can World erschien. Auch er weist die Grund­an­nah­men von Fuku­ya­ma und Hun­ting­ton zurück, hält den Isla­mis­mus nicht für die Haupt­be­dro­hung, hebt die Bedeu­tung eines neu­en „Natio­na­lis­mus” und der macht­po­li­ti­schen Aspek­te her­vor. Bei­de set­zen außer­dem den rela­ti­ven Macht­ver­lust der Ver­ei­nig­ten Staa­ten und den „Auf­stieg des Res­tes” vor­aus. Aller­dings ist das Sze­na­rio, das Zaka­ria ent­wirft, deut­lich opti­mis­ti­scher als das Kagans. Die Ursa­che dafür liegt in dem Gewicht, das er den wirt­schaft­li­chen Fak­to­ren zuweist. Sei­ner Mei­nung nach deu­ten alle Indi­ka­to­ren auf eine posi­ti­ve Gesamt­ent­wick­lung. Die Ver­flech­tung der Staa­ten in bezug auf Waren- und Kapi­tal­ver­kehr, die Aus­wir­kun­gen der „Drit­ten öko­no­mi­schen Revo­lu­ti­on”, bewirkt durch die glo­ba­le Ver­füg­bar­keit nicht nur von Gütern und Geld, son­dern auch von Dienst­leis­tun­gen, das alles bewir­ke eine dau­ern­de Auf­wärts­be­we­gung. Von den gro­ßen Ver­hei­ßun­gen der 1990er Jah­re habe sich jeden­falls die bewahr­hei­tet, daß alle wirt­schaft­li­chen Pro­ble­me über Markt­me­cha­nis­men zu lösen sei­en. Der Auf­stieg Chi­nas und Indi­ens, mit­tel­fris­tig auch der­je­ni­ge Bra­si­li­ens, hän­ge mit der Ent­schei­dung zusam­men, voll- oder halb­so­zia­lis­ti­sche Kon­zep­te auf­zu­ge­ben und die Spiel­re­geln des Kapi­ta­lis­mus zu akzep­tie­ren. Auch Ruß­land wer­de letzt­lich die­sem Weg fol­gen, wenn­gleich sei­ne auto­kra­ti­sche Struk­tur dem grö­ße­re Hin­der­nis­se ent­ge­gen­stel­le als das bei­spiels­wei­se in Chi­na der Fall sei.

In Zaka­ri­as Optik erscheint Chi­na als ein beson­ders auf­schluß­rei­ches Bei­spiel für den rela­ti­ven Ver­lust an Anzie­hungs­kraft des ame­ri­ka­ni­schen Modells. Mit deut­li­cher Bewun­de­rung spricht er von den Durch­griffs­mög­lich­kei­ten der Eli­te – die nur noch pro for­ma kom­mu­nis­tisch, de fac­to aber tech­no­kra­tisch und natio­na­lis­tisch ori­en­tiert sei -, wenn es dar­um geht, Ent­wick­lungs­hin­der­nis­se aus dem Weg zu räu­men oder eine lang­fris­ti­ge Poli­tik zu betrei­ben. Sei­ne Hei­mat Indi­en erscheint zwar sym­pa­thi­scher, was die inne­re Ver­fas­sung betrifft, aber gleich­zei­tig auch chao­ti­scher und jeden­falls unge­eig­net für ein zen­tra­lis­ti­sches, halb­dik­ta­to­ri­sches Regime. Die­se Cha­rak­te­ri­sie­rung ver­weist auf eine wei­te­re Beson­der­heit der Argu­men­ta­ti­on Zaka­ri­as, der anders als Kagan ein eher prag­ma­ti­sches Ver­hält­nis zu Ver­fas­sungs­ord­nun­gen hat. Sei­ner Mei­nung nach ist die Frei­heit des Mark­tes ein ungleich bes­se­rer Garant für die Frei­heit des Indi­vi­du­ums als die in einer Kon­sti­tu­ti­on ver­brief­te Lis­te von Frei­heits­rech­ten. Er nennt die­se Hal­tung „libe­ral”, und sei­ne Begeis­te­rung für das ame­ri­ka­ni­sche Modell resul­tiert aus der Wahr­neh­mung, daß die­ses „libe­ra­len” Vor­stel­lun­gen am nächs­ten kommt.
Zaka­ria glaubt des­halb auch, daß Ame­ri­ka die Mög­lich­keit habe, dem Schick­sal zu ent­ge­hen, dem noch jede impe­ria­le Ord­nung zum Opfer gefal­len sei: die feh­len­de Inte­gra­ti­on der Beherrsch­ten, die Zwangs­läu­fig­keit der Rebel­li­on, wenn das Gefühl der Ent­frem­dung zu stark wer­de. Nach Mei­nung Zaka­ri­as sind die USA durch die Anwer­bung begab­ter Ein­wan­de­rer auf dem Weg, die­ser Gefahr zu ent­kom­men. Beein­dru­ckend sind jeden­falls die Zah­len, die er nennt, wenn es um den Anteil jun­ger Asia­ten unter den Absol­ven­ten der mathe­ma­ti­schen, tech­ni­schen und natur­wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en­gän­ge geht; die Wei­ßen, so sei­ne etwas höh­nisch klin­gen­de Bemer­kung, woll­ten sich den Anstren­gun­gen der sci­en­ces längst nicht mehr unter­wer­fen. Zaka­ria ver­weist auch dar­auf, daß die Gebur­ten­ra­te der wei­ßen Ame­ri­ka­ner genau­so nied­rig ist wie die in den meis­ten euro­päi­schen Staaten.
Deren Nie­der­gang erscheint für ihn unauf­halt­sam ange­sichts der demo­gra­phi­schen Tat­sa­chen. Zwar müs­se man gegen­wär­tig noch mit der EU als Fak­tor rech­nen, aber bis zur Mit­te des 21. Jahr­hun­derts wer­de deren Bedeu­tung immer wei­ter zurück­ge­hen. Den Wei­ßen wer­de so oder so die unan­ge­neh­me Wahr­heit vor Augen geführt, daß die „Grö­ße” eines Staa­tes tat­säch­lich mit sei­ner „Grö­ße” – im Hin­blick auf Flä­che und Bevöl­ke­rung – zusam­men­hän­ge. Wenn die Zukunft Staa­ten wie Ruß­land, Chi­na und Indi­en gehö­re, dann könn­ten die USA ihre rela­ti­ve Macht­stel­lung nur wah­ren, wenn sie als „ehr­li­cher Mak­ler” – Zaka­ria rekur­riert aus­drück­lich auf Bis­marck und des­sen Ver­wen­dung des Begriffs – auf­trä­ten, die Bezie­hun­gen zwi­schen den Mäch­ten mode­rier­ten und die Glo­ba­li­sie­rung in ihrem Inne­ren spie­gel­ten, so daß sie alle zur Ver­fü­gung ste­hen­den Poten­tia­le nut­zen könnten.

Wenn­gleich Zaka­ria behaup­tet, dem Fak­tor „Kul­tur” eine erheb­li­che Bedeu­tung zuzu­mes­sen, so wird doch an die­ser Stel­le eine gene­rel­le Schwä­che sei­ner Argu­men­ta­ti­on deut­lich: Trotz sei­nes hef­ti­gen Leug­nens sieht er im Men­schen nur den homo oeco­no­mic­us, Staat, Reli­gi­on, Welt­an­schau­ung, Über­lie­fe­rung, wer­den dar­an gemes­sen, ob sie des­sen Ent­fal­tung dien­lich sind oder nicht, sie haben kei­nen Eigen­wert und ihr Anspruch auf Gel­tung ist ohne Belang. Das hat ein­mal mit einem – von Zaka­ria selbst beklag­ten – typisch ame­ri­ka­ni­schen Man­gel zu tun: dem Feh­len ver­tief­ter his­to­ri­scher Kennt­nis. Es geht aber auch um eine Art Stretch­li­mou­si­nen-Poli­to­lo­gie, die die Din­ge nur aus gro­ßer Distanz und „von oben” betrach­tet, kei­nen Blick für die Ver­wer­fun­gen hat und im letz­ten glaubt, daß nichts den „Fort­schritt” aufhält.
In die­ser Hin­sicht besteht ein deut­li­cher Unter­schied zu Kagan. Des­sen ers­ter Satz lau­tet „The world has beco­me nor­mal again”, und sei­ne Vor­stel­lung von Nor­ma­li­tät hat einen kon­ser­va­ti­ven Grund­zug: er setzt eine „unwan­del­ba­re Natur” des Men­schen vor­aus und eine „end­lo­se Kon­kur­renz der Natio­nen und Völ­ker”. Kagan zählt tat­säch­lich zu den füh­ren­den Köp­fen der ame­ri­ka­ni­schen „Neo­kon­ser­va­ti­ven” und berät den repu­bli­ka­ni­schen Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten McCain; umge­kehrt gehört Zaka­ria zu den Unter­stüt­zern Oba­mas. Sowe­nig man des­halb in Kagan einen Befür­wor­ter der bis­he­ri­gen Außen­po­li­tik sehen kann, sowe­nig darf man Zaka­ria als nai­ven Anhän­ger des neu­en Mes­si­as betrach­ten. Bei­der Bücher sind nicht nur als aktu­el­le Par­tei­nah­men zu ver­ste­hen, eher als grund­sätz­li­che Posi­ti­ons­be­stim­mun­gen für die Ära nach Bush. Wenn in dem Zusam­men­hang Euro­pa kaum noch Bedeu­tung bei­gemes­sen wird, so muß man dar­in ein Indiz für die Ver­schie­bung der macht­po­li­ti­schen Gewich­te sehen, die sich in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten vollzogen.
Eine ange­mes­se­ne Reak­ti­on dar­auf von euro­päi­scher Sei­te gibt es nicht, das kann man wis­sen seit den pein­li­chen Auf­wal­lun­gen, zu denen die „Ach­se” Paris-Ber­lin-Mos­kau geführt hat. Soweit sich die Eli­ten des alten Kon­ti­nents nicht in frucht­lo­sen Kla­gen erge­hen oder auf eine Nische im Welt­staa­ten­sys­tem hof­fen, um in Ruhe ihren Geschäf­ten nach­zu­ge­hen, bleibt es beim Aus­ma­len von Wol­ken­ku­ckucks­hei­men. Alan Posen­ers Buch Impe­ri­um der Zukunft fällt unter die­se Kate­go­rie und ist des­halb so sehr viel schwä­cher als die Ver­öf­fent­li­chun­gen von Kagan und Zaka­ria. Der Ver­fas­ser greift nur die mitt­ler­wei­le wohl­wol­len­de­re Betrach­tung von Impe­ri­en auf und schlägt dem­entspre­chend eine euro­päi­sche Reichs­bil­dung vor. Das ist im ein­zel­nen durch­aus sym­pa­thisch und beglei­tet von Über­le­gun­gen, die man län­ger nicht vor­ge­tra­gen bekam, aber bei den gro­ßen Pro­ble­men weicht Pose­ner aus. Sein „sanf­ter Impe­ria­lis­mus” bleibt in bezug auf die Klä­rung der poli­ti­schen Exis­tenz­be­din­gun­gen dif­fus. Sein „grö­ße­res Euro­pa” ist ein Kon­glo­me­rat von EUAlt­mit­glie­dern im Kern, Neu­mit­glie­dern, Asso­zi­ier­ten, Bei­tritts­wil­li­gen und schließ­lich allen, die den Euro als Leit­wäh­rung betrach­ten. Woher der Zusam­men­halt, den Pose­ner – unter Rück­griff auf den ara­bi­schen Begriff „Asa­bi­ya”! – beschwört, kom­men soll, bleibt sein Geheim­nis, und die ent­schei­den­den Fra­gen, das heißt die im eigent­li­chen Sinn poli­ti­schen, blei­ben unbe­ant­wor­tet: Wer stellt das Reichs­volk? Wie ist der euro­päi­sche Raum abzu­gren­zen? Wel­che Dok­trin wäre ihm gemäß?

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