Unversöhnlich – Elie Wiesel zum 80.

pdf der Druckfassung aus Sezession 25/August 2008

sez_nr_254von Michael Wiesberg

Weltweit gilt der Holocaust-Überlebende, US-Schriftsteller und überzeugte Zionist Elie Wiesel, der in diesen Tagen 80 Jahre alt wird, als einer der wichtigsten Künder und Deuter des Holocaust. Umfangreich sind die Ehrungen, die ihm zuteil geworden sind: 1986 erhielt er sogar den Friedensnobelpreis. In der Presseerklärung des Komitees hieß es aus diesem Anlaß, daß Wiesel, der ein „Botschafter der Menschheit" sei, eine machtvolle Botschaft des „Friedens, der Versöhnung und der menschlichen Würde" gegeben habe. 2005 erhielt er den Dignitas Humana Award der St. John's School of Theology Seminary, Minnesota, USA. Am 30. November 2007 wurde er in London in den Ritterstand erhoben, und zwar in Anerkennung seines Einsatzes zur Schaffung einer „Holocaust education" im Vereinigten Königreich.


Immer wie­der hat Wie­sel, so zum Bei­spiel in Die Mas­sen­ver­nich­tung als lite­ra­ri­sche Inspi­ra­ti­on, dar­auf hin­ge­wie­sen, daß über eine Situa­ti­on (gemeint ist Ausch­witz), wel­che jen­seits jeder Beschrei­bung lie­ge, nicht gespro­chen, son­dern nur geschwie­gen wer­den könne.
Des­sen unge­ach­tet ergriff er in der Fol­ge aber immer wie­der das Wort in allen Fra­gen, die den Holo­caust, sei­ne Aus­le­gung und vor allem sei­ne mora­li­schen Kon­se­quen­zen für die Mensch­heit heu­te betref­fen. Der US-Poli­to­lo­ge Nor­man Fin­kel­stein quit­tier­te die­ses Ver­hal­ten mit der pro­vo­ka­ti­ven Rück­fra­ge: „Wenn Schwei­gen die ein­zi­ge Ant­wort ist, war­um berech­nen Sie dann pro Vor­trag 25.000 Dol­lar? Und was lernt man aus dem Schwei­gen? Ich mei­ne, das ist rei­ner Unsinn.” Kri­tik, wie die hier von Nor­man Fin­kel­stein geäu­ßer­te, hat dem Renom­mee von Wie­sel kei­nen Abbruch getan, im Gegen­teil. Offen­sicht­lich gibt es Grün­de, war­um Wie­sel dem berühm­ten Witt­gen­stein­schen Dik­tum – „Wovon man nicht spre­chen kann, dar­über muß man schwei­gen.” – nicht gefolgt ist. Die­se Grün­de lie­gen, er hat es oft genug betont, in sei­ner Bio­gra­phie begründet.
Elie Wie­sel wur­de am 30. Sep­tem­ber 1928 als Elie­zer Wie­sel im rumä­ni­schen Sighet gebo­ren. Er wuchs in einer ortho­do­xen Gemein­de her­an, sei­ne Jugend endet aber mit der Beset­zung Ungarns durch die Deut­schen am 19. März 1944. Im Mai 1944 begin­nen die Depor­ta­tio­nen, und Wie­sel wird mit sei­ner Fami­lie nach Ausch­witz-Bir­ken­au gebracht. Sei­ne Mut­ter und sei­ne jün­ge­re Schwes­ter kom­men in Ausch­witz um. Zwei Schwes­tern Wie­sels über­le­ben das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger. Wie­sel selbst kommt zusam­men mit sei­nem Vater in das Arbeits­la­ger Mona­witz-Buna. Anfang 1945, die Rote Armee rückt Ausch­witz immer näher, wird Wie­sel mit sei­nem Vater nach Buchen­wald trans­por­tiert. Sein Vater stirbt, kurz bevor die Ame­ri­ka­ner das KZ erreichen.

Nach sei­ner Befrei­ung stellt sich für Wie­sel die Fra­ge der Neu­ori­en­tie­rung. Er ent­schei­det sich, nach Frank­reich zu gehen und lebt zunächst in einem Lager für „dis­pla­ced per­sons”, stu­diert die Tho­ra und den Tal­mud. 1948 schreibt er sich in Paris an der Sor­bon­ne für das Stu­di­um der Phi­lo­so­phie, Psy­cho­lo­gie und Lite­ra­tur ein. Er beginnt, für die Zeit­schrift Zion im Kampf, dem publi­zis­ti­schen Sprach­rohr der in Paläs­ti­na akti­ven, ter­ro­ris­ti­schen zio­nis­ti­schen Unter­grund­be­we­gung Irgun, zu schrei­ben. Die Irgun, 1937 gegrün­det, kämpft in Paläs­ti­na gegen die bri­ti­sche Man­dats­re­gie­rung und gegen die Ara­ber, für die Errich­tung eines unab­hän­gi­gen jüdi­schen Staates.
Zu einem Wen­de­punkt im Leben Wie­sels wird die Bekannt­schaft mit dem beken­nen­den Katho­li­ken und Lite­ra­tur-Nobel­preis­trä­ger Fran­çois Mau­riac, den er Mit­te der 1950er Jah­re ken­nen­lernt. Laut Wie­sel hat die­ser ihn moti­viert, nun doch über sei­ne Erleb­nis­se in deut­schen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern zu schrei­ben. Ergeb­nis die­ser Bekannt­schaft ist die welt­weit publi­zier­te, „auto­bio­gra­phi­sche” Erzäh­lung Die Nacht zu begra­ben, Eli­scha, die 1958 auf fran­zö­sisch erscheint und für die Mau­riac ein Vor­wort bei­steu­ert. Die Nacht soll­te, wenn auch nicht direkt nach Erschei­nen des Buches, Wie­sels lite­ra­ri­schen Durch­bruch bedeuten.
1956 geht Wie­sel für die israe­li­sche Zei­tung Jedi’ot Acha­ro­nat als Kor­re­spon­dent in die USA, wo er als Bericht­erstat­ter bei den Ver­ein­ten Natio­nen tätig ist. Er beginnt, in regel­mä­ßi­ger Fol­ge Bücher zu ver­öf­fent­li­chen. 1963 über­sie­delt er voll­stän­dig in die USA. 1972 über­nimmt er eine Pro­fes­sur für Phi­lo­so­phie, Juda­is­tik und Lite­ra­tur in New York und 1978 eine Pro­fes­sur für jüdi­sche Stu­di­en an der Uni­ver­si­tät Bos­ton. 1979 wird er zum Vor­sit­zen­den des Holo­caust Memo­ri­al Coun­cil bestimmt, der im sel­ben Jahr von US-Prä­si­dent Jim­my Car­ter ins Leben geru­fen wur­de. 1986 erhält er, wie erwähnt, auch auf Vor­schlag von Mit­glie­dern des Deut­schen Bun­des­ta­ges, den Frie­dens­no­bel­preis. In einer Pres­se­mit­tei­lung des deut­schen Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Peter Peter­sen vom 15. Okto­ber 1986 heißt es hier­zu unter ande­rem: „Aus sei­nen per­sön­li­chen grau­en­haf­ten Erfah­run­gen hat sich Prof. Wie­sel seit Jah­ren für die Ver­söh­nung ein­ge­setzt aus der Über­zeu­gung, daß ein zwei­tes [sic] Holo­caust – wo auch immer in der Welt – nur ver­mie­den wer­den kann, wenn der ers­te nicht ver­ges­sen wird.”
Die­se Begrün­dung eines deut­schen Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten erstaunt, weil Wie­sel des öfte­ren klar gemacht hat, daß der Begriff „Ver­söh­nung” für Deut­sche bes­ten­falls ein­ge­schränkt gel­te. Als etwa US-Prä­si­dent Ronald Rea­gan und Bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl Hand in Hand auf einem Sol­da­ten­fried­hof in Bit­burg die Gefal­le­nen ehr­ten (dar­un­ter auch Ange­hö­ri­ge der Waf­fen-SS), ver­ur­teil­te Wie­sel die­sen Ver­söh­nungs­akt scharf als ein fal­sches Sym­bol. Auch die Hal­tung des beken­nen­den Zio­nis­ten Wie­sel zu den Paläs­ti­nen­sern ist ein bered­tes Zeug­nis dafür, wie frag­wür­dig Wie­sels Bot­schaft des „Frie­dens, der Ver­söh­nung und der mensch­li­chen Wür­de” ist. Von der New York Times zu den Mas­sa­kern in den Paläs­ti­nen­ser­la­gern Sabra und Scha­ti­la in der Regi­on Bei­rut (1982), die sich qua­si unter den Augen israe­li­scher Sol­da­ten abspiel­ten, befragt, gehör­te er zu den weni­gen US-Ame­ri­ka­nern, die kei­ner­lei Bedau­ern zeig­ten. „Ich den­ke, wir soll­ten das nicht kom­men­tie­ren”, gab er zu Protokoll.

Offen­sicht­lich hält Elie Wie­sel nichts, was gesche­hen kann, für ver­gleich­bar mit dem, was in Ausch­witz geschah. Wenn das „Böse” nicht mehr über­trof­fen wer­den kön­ne, dann fehl­ten die Wor­te, um es zu beschrei­ben. Es negiert laut Wie­sel alle Ant­wor­ten und kann nicht erklärt oder ver­an­schau­licht wer­den. Ergo ist das Böse, das im Holo­caust sei­nen Aus­druck fand, ein­zig­ar­tig und unver­gleich­lich. Wie­sel weiß sich mit die­ser Sicht­wei­se nicht allein: Abra­ham Fox­man, der Lei­ter der Anti Defa­ma­ti­on League, stell­te ganz auf die­ser Linie fest, daß der Holo­caust nicht ein­fach ein Bei­spiel eines Völ­ker­mords sei, son­dern „ein fast erfolg­rei­cher Angriff auf das Leben der erwähl­ten Kin­der Got­tes und des­halb auf Gott selbst”. Der Har­vard-Phi­lo­soph Robert Nozick sieht den Holo­caust auf einer Stu­fe mit der Erb­sün­de nach christ­li­chem Ver­ständ­nis: „Ich glau­be, daß der Holo­caust ein Ereig­nis wie der Sün­den­fall ist, wie ihn das tra­di­tio­nel­le Chris­ten­tum auf­faß­te, etwas, daß die Situa­ti­on und den Sta­tus der Mensch­heit radi­kal und dras­tisch ändert.”
Das sind bei­spiel­haf­te Bele­ge für die Auf­fas­sung des ita­lie­ni­schen Publi­zis­ten Ser­gio Roma­no, der in sei­nem hef­tig dis­ku­tier­ten Buch Brief an einen jüdi­schen Freund fest­stellt: „Für einen Teil des Juden­tums ist der Holo­caust nicht nur das zen­tra­le Ereig­nis des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts, viel­mehr mani­fes­tiert sich durch ihn das Böse in der Geschich­te, und zwar das Böse selbst – eine Art ‚Gegen­gott‘, den es mit­tels Gedenk­ver­an­stal­tun­gen, Mahn­ma­len, Muse­en, Zeug­nis­se der Betrof­fen­heit und Bit­ten um Ver­ge­bung stän­dig zu ban­nen gilt.”
Die­ser „Gegen­gott” des Bösen hat Wie­sel nach sei­ner Dar­stel­lung zunächst den Mund ver­schlos­sen, und er hat die Nicht­mit­teil­bar­keit der Holo­caust mit allen mög­li­chen Wen­dun­gen beschwo­ren: Sie „negie­re alle Ant­wor­ten”, sie „lie­ge außer­halb, wenn nicht jen­seits der Geschich­te”, sie „ent­zieht sich sowohl dem Wis­sen als auch der Beschrei­bung”, sie „kann weder erklärt noch ver­an­schau­licht wer­den”, sie mar­kie­re die „Zer­stö­rung der Geschich­te”, bezie­hungs­wei­se sei „eine Ent­ar­tung kos­mi­schen Aus­ma­ßes” und „das ulti­ma­ti­ve Ereig­nis, das ulti­ma­ti­ve Mys­te­ri­um, das nie ver­stan­den und mit­ge­teilt wer­den kann. Nur die­je­ni­gen, die dort waren, wis­sen, wie es war; die ande­ren wer­den es nie wissen”.
In sei­ner reli­giö­sen Bedeu­tung par­al­le­li­siert Wie­sel des Holo­caust als „der Offen­ba­rung bei Sinai eben­bür­tig”; Ver­su­che der „Ent­hei­li­gung” oder „Ent­mys­ti­fi­zie­rung” des Holo­caust sei­en, sagt er, eine sub­ti­le Form des Anti­se­mi­tis­mus. Wie­sel, so schluß­fol­gert zum Bei­spiel Peter Novick, habe mit sei­ner Her­vor­he­bung, „jeder Über­le­ben­de hat mehr zu sagen als alle His­to­ri­ker zusam­men, was gesche­hen war”, vie­le Juden über­zeugt, den Holo­caust als so etwas wie eine „Mys­te­ri­en-Reli­gi­on” zu behan­deln, in der Über­le­ben­de eine pri­vi­le­gier­te (pries­ter­li­che) Auto­ri­tät bei der Inter­pre­ta­ti­on des Mys­te­ri­ums hät­ten. Der Über­le­ben­de sei „ein Pries­ter gewor­den”, weil er „wegen sei­ner Geschich­te” hei­lig sei.

Die Ent­rü­ckung des Holo­caust zu einer Art „Mys­te­ri­en-Reli­gi­on” hat unter ande­rem zur Fol­ge, daß aus Holo­caust-Muse­en „natür­li­che Ort[e] für inter­re­li­giö­se Got­tes­diens­te” wer­den; sie übten die Funk­ti­on aus, „sowohl dem Nicht­ju­den wie auch dem Juden unser jüdi­sches Erbe und unse­re jüdi­schen Bedürf­nis­se zu erklä­ren” (Blu Green­berg). Wie­sel streicht her­aus, daß die Über­le­ben­den des Holo­caust von Gott geret­tet wor­den sei­en, um Zeug­nis abzu­le­gen. Ent­spre­chend begrün­det Wie­sel die Been­di­gung sei­nes Schwei­gens und sei­ne Zeugenschaft.
Zeug­nis­se von Holo­caust-Über­le­ben­den bekom­men auf­grund der von Wie­sel behaup­te­ten „Pries­ter­schaft” eine mehr oder weni­ger sakro­sank­te Wei­he. Arno Wid­mann, der Feuil­le­ton­chef der Frank­fur­ter Rund­schau, deu­te­te die­se Ver­su­che der Sakra­li­sie­rung des Holo­caust wie folgt: „Wir sind – fast ohne es zu mer­ken – dabei, eine neue Reli­gi­on zu schaf­fen. Eine Reli­gi­on, die nicht nur ohne Gott aus­kommt, son­dern die Abwe­sen­heit Got­tes zum eigent­li­chen Fun­da­ment ihres Kul­tes macht. Es ist eine Reli­gi­on, in der es erst weni­ge Dog­men gibt. Aber das eine für jeden Mono­the­is­mus zen­tra­le Glau­bens­gut steht schon fest: die Einzigartigkeit.”
Ganz in die­sem Sin­ne wird auch Wie­sels auto­bio­gra­phi­sches Zeug­nis Nacht mit dem Attri­but der „Ein­zig­ar­tig­keit” belegt. Wie­sel tritt mit dem Anspruch auf, „Zeu­ge sei­ner selbst” und zugleich „Zeu­ge der Mensch­heit” zu sein. Fran­çois Mau­riac schrieb im Vor­wort zur fran­zö­si­schen Aus­ga­be, daß Nacht ein Buch sei, das „mit kei­nem ande­ren vergleichbar“ist. Daß die­ses Werk von Wie­sel zu einem Buch sui gene­ris gewor­den ist, dar­an könn­te Mau­riac, laut der For­schungs­er­geb­nis­se der Ber­ke­ley-Pro­fes­so­rin für jüdi­sche Kul­tur, Nao­mi Seid­man, erheb­li­chen Anteil gehabt haben. Pro­ble­ma­tisch ist Nacht unter ande­rem des­halb, weil in die­ses Werk, das als Tri­lo­gie ange­legt ist, immer wie­der „fik­tio­na­le”, sprich erfun­de­ne Pas­sa­gen ein­ge­baut wor­den sind. Geglie­dert ist es in die Tei­le Nacht, Mor­gen­grau­en und Tag, die Wie­sels Erleb­nis­se wäh­rend und nach dem Holo­caust reflek­tie­ren. Nacht the­ma­ti­siert Wie­sels Holo­caust-Erfah­run­gen (er spie­gelt sich in der Haupt­per­son „Eli­scha”), Mor­gen­grau­en beschreibt „Eli­schas” Leben als Irgun-Terrorist.
Wie­sel selbst hat unter­schied­li­che Hin­wei­se auf die Ent­ste­hungs­ge­schich­te sei­nes Buches gege­ben. Nao­mi Seid­man mach­te dar­auf auf­merk­sam, daß Wie­sel in Alle Flüs­se flie­ßen ins Meer selbst dar­auf hin­weist, das jid­disch geschrie­be­ne, ursprüng­li­che Manu­skript von Nacht 1954 dem argen­ti­ni­schen Ver­le­ger Mark Tur­kow über­ge­ben zu haben. Angeb­lich habe er es nie wie­der­ge­se­hen, was Tur­kow vehe­ment bestritt. Die­ses Manu­skript wur­de 1955 unter dem Titel Und di Velt hat Gesh­veyn („Und die Welt hat geschwie­gen”) in Bue­nos Aires ver­öf­fent­licht. Wie­sel will es angeb­lich auf einer Schiffs­rei­se nach Bra­si­li­en im Jah­re 1954 geschrie­ben haben. In einem Inter­view erklär­te er aber, daß er sich erst im Mai 1955, nach einem Tref­fen mit Mau­riac, ent­schlos­sen habe, sein Schwei­gen zu bre­chen: „Und in die­sem Jahr [1955], im zehn­ten Jahr, begann ich mei­ne Geschich­te. Danach wur­de sie vom Jid­di­schen ins Fran­zö­si­sche über­setzt; ich sand­te sie ihm zu. Wir waren sehr, sehr enge Freun­de bis zu sei­nem Tod.”

Nao­mi Seid­man nun arbei­te­te bei ihren Unter­su­chun­gen über Nacht her­aus, daß es zwi­schen der jid­di­schen und der fran­zö­si­schen Ver­si­on von Nacht erheb­li­che Unter­schie­de gibt, und zwar im Hin­blick auf die Län­ge, den Ton, die Inten­ti­on und die behan­del­ten The­men des Buches. Sie führt die­se Dif­fe­ren­zen auf den Ein­fluß von Mau­riac zurück, der als schil­lern­de Per­sön­lich­keit beschrie­ben wer­den kann. Ursprüng­lich ein fran­zö­si­scher Natio­na­list, wan­del­te sich Mau­riac, so David O’Con­nell, in den 1930er Jah­ren zu einem Par­tei­gän­ger des Juden­tums. Anfang der 1950er Jah­re war er laut O’Con­nell der „ers­te Katho­lik”, der Papst Pius XII. des­sen Schwei­gen im Hin­blick auf die Juden­ver­fol­gun­gen vor­warf. Kur­ze Zeit spä­ter erhielt er den Lite­ra­tur­no­bel­preis, obwohl die Ver­öf­fent­li­chung sei­nes letz­ten lite­ra­ri­schen Haupt­wer­kes zu die­sem Zeit­punkt bereits 13 Jah­re zurück­lag, wie O’Con­nell anmerkt.
O’Con­nell wid­met sich in der Fol­ge der Fra­ge, wie sich Mau­riacs „Ein­fluß” auf Wie­sels Nacht denn kon­kret aus­ge­wirkt haben könn­te und kommt, wenn er die­ses Werk mit den ande­ren Her­vor­brin­gun­gen Wie­sels ver­gleicht, zu dem Schluß, daß Nacht eine Aus­nah­me­stel­lung ein­nimmt, was für ihn nahe­legt, daß Mau­riac in gro­ßem Stil an der stark gekürz­ten Ver­si­on mit­ge­wirkt haben könn­te. Dafür spricht, daß sich Wie­sel bis heu­te wei­gert, die umfäng­li­che Kor­re­spon­denz mit Mau­riac, der 1970 ver­starb, der Öffent­lich­keit zugäng­lich zu machen. O’Con­nell ver­mu­tet, die­se Kor­re­spon­denz könn­te offen­le­gen, daß Wie­sels Behaup­tung, er habe Nacht für die fran­zö­si­sche Aus­ga­be neu geschrie­ben, nicht der Wahr­heit entspricht.
Spä­tes­tens seit dem Erschei­nen in den USA ist das Buch, auch durch tat­kräf­ti­ge Mit­hil­fe der Anti Defa­ma­ti­on League (so O’Con­nell), zum Best­sel­ler gewor­den, der seit Anfang der 1960er Jah­re mil­lio­nen­fach ver­kauft wor­den ist und mitt­ler­wei­le zur Pflicht­lek­tü­re an vie­len Schu­len gehört. Wie­sel selbst unter­strich in einem Inter­view: „Nacht war die Grund­le­gung, alles ande­re ist Kom­men­tar. Für jedes mei­ner Bücher ent­nahm ich einen Cha­rak­ter aus Nacht und gab ihm eine Zufluchts­stät­te, ein Buch, eine Geschich­te, ein Name, ein eige­nes Schick­sal.” Der US-Publi­zist und Wie­sel-Her­me­neut Gary Hen­ry hat die Aura der Exklu­si­vi­tät, die Wie­sel umgibt, in Kate­go­rien zu fas­sen ver­sucht, die sonst auf alt­tes­ta­men­ta­ri­sche Pro­phe­ten ange­wandt wer­den: Wie­sel sei durch sei­ne „Zeu­gen­schaft” von der Welt sepa­riert, gleich­zei­tig aber gezwun­gen, als Mensch unter Men­schen zu leben. Der „pro­phe­ti­sche Wahn­sinn” der Zeu­gen­schaft füh­re zu einer direk­ten Nähe zu Gott.
Als Ausch­witz­über­le­ben­dem fällt Wie­sel in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung damit qua­si auto­ma­tisch eine „natür­li­che Auto­ri­tät” zu. Ent­schei­dend für sei­nen erfolg­rei­chen Weg zur „mora­li­schen Instanz” dürf­ten – neben sei­nem unbe­streit­ba­ren PR-Talent – sei­ne Ver­bin­dun­gen zu jüdi­schen Lob­by­grup­pen sein, durch deren offe­ne und ver­deck­te Unter­stüt­zung Wie­sel auf eine beson­de­re Art und Wei­se immu­ni­siert und im Lau­fe der Zeit zu einem wich­ti­gen Expo­nen­ten bei der medi­en­wirk­sa­men Arti­ku­la­ti­on jüdisch-israe­li­scher Inter­es­sen auf­ge­stie­gen ist.

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