Brodkorbs Dilemma

pdf der Druckfassung aus Sezession 25/August 2008

sez_nr_256von Wiggo Mann

Der Kampf gegen „Rechts" hat nach dem Schock von 1989 den Zusammenhalt der Linken gesichert und sie aus der Nachwende-Depression wieder in die Offensive gebracht. Seither schießen Tag für Tag Hunderte Initiativen und Projekte mit Kanonen auf Spatzen und sorgen dafür, daß dieser Kampf gesamtgesellschaftlich ausgefochten wird. Zwei Blickrichtungen gilt es dabei zu unterscheiden: Für die politisch aktiven Anti-Rechten beginnt „rechts" inmitten der CDU und erstreckt sich von dort als funktionstüchtiges Scharnier-System bis in die Neonazi-Szene hinein. Unterschiede und Unvereinbarkeiten zwischen Konservativen, Rechten, Rechtsextremen, Nationalisten und Neo-Nationalsozialisten fallen bei diesem Kampf gegen einen ganzen politischen Flügel unter den Tisch - zu verlockend ist es, das Wort „rechts" an sich zu einer Bezeichnung für das politisch Unmoralische und historisch Böse zu machen.


Von der Undif­fe­ren­ziert­heit lebt ein gan­zer Berufs­zweig, die ali­men­tier­te Anti­fa, die weit mehr über die „Rech­te” und deren Schafs­pel­ze ver­öf­fent­licht als die „Rech­te” über sich selbst. Ein­schlä­gig bekann­te Polit-Wis­sen­schaft­ler arbei­ten sich seit Jahr und Tag an der The­se von der rech­ten Arbeits­tei­lung ab: Hier die fei­nen Den­ker und eli­tä­ren Intel­lek­tu­el­len­zir­kel, dort die bru­ta­len Akteu­re, dazwi­schen die soge­nann­ten „Schar­nie­re” – eben jene Leu­te, Medi­en und Insti­tu­tio­nen, die als eine Art Schleu­se von hier nach dort fungierten.
Wenn die Paro­len und Hand­lungs­an­wei­sun­gen bei den Hun­dert­pro­zen­ti­gen, den Män­nern fürs Gro­be, eben­so direkt wie ent­lar­vend klän­gen, wür­den sie so die anti­fa­schis­ti­schen Sze­ne-For­scher, von den Neu­en, also aka­de­misch ver­fei­ner­ten Rech­ten, nahe­zu inhalts­gleich, aber intel­lek­tu­ell ver­brämt in die Mit­te der Gesell­schaft hin­ein­ge­füt­tert. Para­de­bei­spiel: Wenn der neu­rech­te Vor­den­ker Alain de Benoist von „Eth­no­plu­ra­lis­mus” rede, sei das kaum zu tren­nen vom Pos­tu­lat der „Ras­ser­ein­heit” der (Neo-)Nazis. Es sei nur ein bes­se­res, weil ver­klau­su­lie­ren­des Wort, aber am Ende stün­den als Hand­lungs­an­wei­sun­gen doch wie­der die Ver­fol­gung „ras­sisch Min­der­wer­ti­ger” und die Lösung der Ausländerfrage.
Solan­ge dif­fa­mie­ren­de Fehl­deu­tun­gen sol­cher Art nur von sei­ten eines plump agie­ren­den poli­ti­schen Akteurs kamen, war es unge­müt­lich, aber nicht dra­ma­tisch. Längst aber ist die Rech­nung der anti­fa­schis­ti­schen Stra­te­gen auf­ge­gan­gen, und der Kampf gegen Rechts ist zu einer Staats­auf­ga­be gewor­den. Wenn über­haupt irgend­wo von „Schar­nie­ren” zwi­schen eta­blier­ten Vor­den­kern und radi­ka­len Umset­zern gespro­chen wer­den kann, dann auf der Lin­ken, die sich auf ihre Durch­läs­sig­keit von links­li­be­ral bis mao­is­tisch eine Men­ge einbildet.

Die „Schar­nie­re” also sind dort zu fin­den, wo sche­ma­ti­scher, offen denun­zie­ren­der Anti­fa­schis­mus die Unter­stüt­zung einer poli­tik­fer­nen Basis zu orga­ni­sie­ren ver­sucht, um die rech­te Hälf­te des poli­ti­schen Spek­trums aus­zu­trock­nen. Das jüngs­te und bes­te Bei­spiel ist das von der Wochen­zei­tung Die Zeit initi­ier­te „Netz gegen Nazis”, das auf jeg­li­che Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen rechts und rechts­extrem ver­zich­tet und neben dem DFB und dem Feu­er­wehr­ver­band sogar das staat­lich finan­zier­te ZDF mit ins Boot geholt hat. Auch hier gilt: Je grö­ber der Keil, des­to wirk­sa­mer die Schlag­kraft. Der Rech­te kennt das Spiel spä­tes­tens seit der umfas­sen­den „Rock gegen Rechts”-Kampagne, kennt die Unter­stel­lun­gen, Pau­scha­li­sie­run­gen und faden­schei­ni­gen Argu­men­te, mit denen hier für die gute Zivil­ge­sell­schaft und gegen die böse Rech­te ange­tre­ten wird.
Alle sind sie dabei, die gro­ben Ker­le von links: Mae­ger­le, Dorn­busch und Ges­sen­har­ter, Röp­ke, Staud, Speit samt ihrem wohl­fei­len Exper­ten­sta­tus und ihrer ideo­lo­gisch beding­ten Unfä­hig­keit zur Unter­schei­dung. Einer jedoch fehlt selt­sa­mer­wei­se, und das, obwohl er doch eines der erfolg­reichs­ten Inter­net­pro­jek­te gegen „Rechts” ver­ant­wor­tet und einen Gut­teil sei­ner Sze­ne-Popu­la­ri­tät die­sem Enga­ge­ment ver­dankt: Wer bei www.netz-gegen-nazis.de den Namen Mathi­as Brod­korb ein­gibt, fin­det ihn nicht unter den Autoren, son­dern gelangt bloß zu einem ein­zi­gen Arti­kel, in dem Brod­korb mit einer recht belang­lo­sen Anek­do­te aus sei­nem Hei­mat­land Meck­len­burg-Vor­pom­mern zitiert wird.
Im Spiel gegen Rechts (wer wür­de beim Durch­marsch einer Ele­fan­ten­hor­de durch einen Amei­sen­hau­fen von „Kampf” reden?) gibt Mathi­as Brod­korb den distin­gu­ier­ten Beob­ach­ter. Der 31jährige Ros­to­cker, neben­be­ruf­lich auch als Lehr­be­auf­trag­ter für Phi­lo­so­phie an der Uni­ver­si­tät Ros­tock tätig, sitzt seit sechs Jah­ren für die SPD im Schwe­ri­ner Land­tag und gilt als Hoff­nungs­trä­ger – und zwar rund­um. Die eige­ne Par­tei han­delt den Ex-PDS­ler (bis 1997) und Spe­zia­lis­ten auf dem Feld der Hoch­schul­po­li­tik bereits als künf­ti­gen Sozi­al­mi­nis­ter; die Lin­ken haben mit sei­nen viel­fäl­ti­gen Aktio­nen gegen die NPD – mit dem oben erwähn­ten Por­tal www.endstation-rechts.de oder dem unter sei­ner Her­aus­ge­ber­schaft in die­sem Früh­jahr erschie­ne­nen Buch Pro­vo­ka­ti­on als Prin­zip. Die NPD im Land­tag von Meck­len­burg-Vor­pom­mern – eine wei­te­re Bas­ti­on. Und die Rech­ten? Sie fin­den end­lich ein­mal Gehör auf der Gegenseite.
Bereits 2003 hat­te Brod­korb in sei­nem Buch Meta­mor­pho­sen von rechts her­vor­ge­ho­ben, daß man die „Sze­ne” von innen her­aus ana­ly­sie­ren und sich ins Milieu hin­ein­be­ge­ben müs­se. Beson­ders gel­te das für jene eli­tä­ren Zir­kel um Alain de Benoist, also die defi­ni­tiv nicht neo-nazis­ti­sche Rech­te. Flap­sig spricht Brod­korb vom „Dis­kurs­ver­wei­ge­rungs­quatsch” und meint damit die „maß­lo­se, unauf­ge­klär­te Hal­tung” derer, die inne­re Dif­fe­ren­zen auf der Rech­ten igno­rie­ren und jede Äuße­rung in Rich­tung Natio­nal­so­zia­lis­mus käm­men. Brod­korb bürs­tet gegen den Strich: Sei­ne öffent­li­che Lesung aus Adolf Hit­lers Mein Kampf im See­bad Pro­ra auf Rügen 2003 (Brod­korb setzt sich für die Her­aus­ga­be einer kom­men­tier­ten Aus­ga­be ein) haben seit­her schon etli­che Iro­ni­ker nach­ge­ahmt. Zuletzt hat er ein selbst­kre­iertes T‑Shirt mit dem Kon­ter­fei Götz Kubit­scheks bei ebay zur Ver­stei­ge­rung ange­bo­ten, Auf­schrift: „Viva la provocación!”

Man könn­te Mathi­as Brod­korb als den ver­stän­di­gen „good cop” unter all jenen „bad cops” bezeich­nen, die stets dif­fa­mie­ren und Sach­la­gen mut­wil­lig ver­wi­schen. Aber auch der gute Bul­le ist vor allem Poli­zist, auch wenn sei­ne Metho­de eher an eine Plau­der­ta­sche und nicht an einen Ermitt­ler erin­nert. Die Stra­te­gie jeden­falls geht auf: Brod­korb war bis vor kur­zem eif­ri­ger Autor des eben­falls von der Zeit initi­ier­ten Inter­net-Forums Stö­rungs­mel­der („Wir müs­sen reden. Über Nazis”).
Durch recht fai­re Bespre­chun­gen von Akti­vi­tä­ten und Ver­öf­fent­li­chun­gen sol­cher Insti­tu­tio­nen wie Jun­ge Frei­heit, Insti­tut für Staats­po­li­tik oder Edi­ti­on Antai­os ent­fach­te Brod­korb rege Dis­kus­sio­nen – gele­gent­lich wur­den die Kom­men­tar­spal­ten unter den Bei­trä­gen Brod­korbs aus­schließ­lich von Rech­ten voll­ge­schrie­ben, die an die Über­zeu­gungs­kraft ihrer Wort­mel­dun­gen glau­ben und dar­auf hof­fen, das Poli­tik­ta­lent Bord­korb (die Zeit­schrift Neon führ­te ihn gar unter den „100 wich­tigs­ten jun­gen Deut­schen”) für die eige­ne Sache zu gewin­nen. Denn liegt es nicht auf der Hand, daß es ange­sichts der der­zei­ti­gen poli­ti­schen Schief­la­ge nur einen ein­zi­gen anstän­di­gen Weg gibt: der an die Wand gequetsch­ten rech­ten Sei­te beim Kampf um ihre Grund­rech­te ohne Wenn und Aber zur Hil­fe zu eilen?
So den­ken man­che Kon­ser­va­ti­ven, aber so zu den­ken ist nichts wei­ter als ein Aus­weis einer gera­de­zu pein­li­chen Ver­ken­nung poli­ti­scher Mecha­nis­men Zuge­stan­den: Brod­korb ist anders, fai­rer, dif­fe­ren­ziert, reak­ti­ons­schnell – alles ande­re wäre für einen hell­wa­chen und intel­li­gen­ten, alt­phi­lo­lo­gisch gebil­de­ten Phi­lo­so­phen nicht nur pein­lich, son­dern eine Art Hirn­tod. Brod­korb ist aber vor allem Poli­ti­ker, und er weiß, daß ihm in einem an Per­so­nal so dünn besetz­ten Lan­des­ver­band wie dem der SPD in Schwe­rin höchs­te Ämter offen­ste­hen, wenn er kei­nen Feh­ler macht. Sei­ne Treue signa­li­siert er durch einen rück­sichts­lo­sen, wohl­fei­len Kampf gegen die NPD, bei dem er kon­ser­va­ti­ve Rech­te unter den Kla­queu­ren weiß, die glück­lich dar­über sind, noch nicht gemeint zu sein.
Und so wird man bei Mathi­as Brod­korb wei­ter­hin ein Dilem­ma wahr­neh­men kön­nen: Er muß sei­nen phi­lo­so­phi­schen Anspruch auf Dif­fe­ren­ziert­heit und Wahr­heits­su­che mit sei­nem Sitz inner­halb eines poli­ti­schen Milieus aus Par­tei­kar­rie­ris­ten, pro­fes­sio­nel­len Anti­fa­schis­ten und Pro­fi­teu­ren des doch in jeder Hin­sicht bil­li­gen Kamp­fes gegen Rechts (wohl­ge­merkt: nicht gegen „Rechts­extre­mis­mus”) in Ein­klang brin­gen. Das, was sei­ne poli­ti­schen „Ver­bün­de­ten” Tag für Tag trei­ben, muß ihn als geis­tig regen Men­schen belei­di­gen. Ande­rer­seits ist er als Poli­ti­ker auf die­se „Ver­bün­de­ten” angewiesen.
Zurück zum „Netz gegen Nazis”. Ver­mut­lich ist Brod­korb des­we­gen nicht ver­tre­ten, weil man auch dort sein Dilem­ma wahr­nimmt und auf ein­deu­ti­ge Signa­le wartet.

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