Faschisten nach Feierabend

pdf der Druckfassung aus Sezession 34 / Februar 2010

von Martin Voelkel

Bei den Untersuchungen zur Geschichte der NSZeit, die sich bewußt auf Erinnerungen von Zeitzeugen stützten und deren Alltagserlebnisse zu erfassen suchten, zeigte sich immer wieder ein hoher Grad von Akzeptanz des Regimes, der aus der Zufriedenheit mit der allgemeinen sozialen Entwicklung resultierte. Es war jedenfalls nicht das Interesse an ideologischen Vorgaben und nicht einmal das Charisma Hitlers, das den Ausschlag gab, sondern die Tatsache, daß es den vielen »gut ging«. Die Gründe für diese Wahrnehmung liegen auf der Hand: Abbau der extremen Arbeitslosigkeit, die in der Endphase der Weimarer Republik vorgeherrscht hatte, Sicherung der Beschäftigungsverhältnisse, ein zumindest relativer Anstieg des Wohlstandsniveaus. Während diese Sachverhalte von der älteren linken Historiographie bestritten oder unter Hinweis auf den Verlust von Mitbestimmungsrechten marginalisiert wurden und neuerdings die These vom braunen »Volksstaat« (Götz Aly) dazu dient, die Behauptung deutscher Kollektivschuld zu zementieren, hat eine eher an den Fakten orientierte Richtung der Interpretation seit den siebziger Jahren immer neue Belege dafür gesammelt, daß die Sozialpolitik des »Dritten Reichs« noch etwas anderes war als Ablenkung der Massen, Bonapartismus oder Kaschierung von Kapitalinteressen.

In die­sen Kon­text wird man auch die gera­de erschie­ne­ne Arbeit von Danie­la Lieb­scher (Freu­de und Arbeit. Zur inter­na­tio­na­len Frei­zeit- und Sozi­al­po­li­tik des faschis­ti­schen Ita­li­en und des NS-Regimes, Ita­li­en in der Moder­ne, Bd 16, Köln: sh 2009. 693 S., geb, 49.80 €) ein­ord­nen kön­nen, die sich mit dem von der »Deut­schen Arbeits­front« (DAF) geschaf­fe­nen Orga­ni­sa­ti­on »Kraft durch Freu­de« (KdF) und deren ita­lie­ni­schem Pen­dant »Dopola­voro« befaßt. Lieb­scher erläu­tert nicht nur die unter­schied­li­chen Aus­gangs­be­din­gun­gen – ein ent­wi­ckel­ter Indus­trie­staat hier, eine Agrar­ge­sell­schaft im Über­gang dort, die Vor­rei­ter­rol­le des faschis­ti­schen Kor­po­ra­tiv­sys­tems, die anfäng­li­che Nach­ah­mung des Kon­zepts durch die DAF –, son­dern auch die Ver­schie­den­heit der insti­tu­tio­nel­len Bedin­gun­gen und die End­zie­le der »Arbei­ter­füh­rer « Robert Ley und Tul­lio Cia­net­ti, die sich nicht nur der Kon­kur­renz ande­rer Funk­tio­nä­re in ihren Regi­men aus­ge­setzt sahen, son­dern den beson­de­ren Ehr­geiz hat­ten, der alten roten eine »neue Inter­na­tio­na­le« ent­ge­gen­zu­stel­len. Ihre Plä­ne für ein »kor­po­ra­ti­ves Euro­pa« kamen aller­dings nicht über Ansät­ze hinaus.
Trotz­dem soll­te man die lang­fris­ti­gen Wir­kun­gen von faschis­ti­scher wie natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Sozi­al­po­li­tik nicht unter­schät­zen. Lieb­scher weist aus­drück­lich dar­auf hin, daß sie nach den Maß­stä­ben der drei­ßi­ger oder vier­zi­ger Jah­re durch­aus auf der Höhe der Zeit waren, und mehr noch: »Sowohl die faschis­ti­sche als auch die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Sozi­al­po­li­tik waren in die insti­tu­tio­nel­le und the­ma­ti­sche Aus­ge­stal­tung der inter­na­tio­na­len Sozi­al­po­li­tik auf vie­len Ebe­nen ein­ge­bun­den. Daß sie eben­so wie libe­ral-demo­kra­ti­sche Staa­ten den Zugang aller ›Schaf­fen­den‹ zur Frei­zeit, zum Mas­sen­kon­sum oder zu Ver­si­che­rungs­leis­tun­gen als sozi­al­po­li­ti­sche Auf­ga­be betrach­te­ten, ließ sie teil­ha­ben an der zeit­ge­nös­si­schen Moderne.«
Nur vor die­sem Hin­ter­grund erklärt sich, war­um so vie­le Fach­leu­te aus den Berei­chen der DAF wie der ita­lie­ni­schen Kor­po­ra­tio­nen nach 1945 in den neu­ge­bil­de­ten Minis­te­ri­en und Behör­den, aber auch in Wirt­schafts­ver­bän­den und Gewerk­schaf­ten Auf­ga­ben über­neh­men konn­ten, die unter ver­än­der­ten Umstän­den doch das­sel­be Ver­fah­ren anwand­ten, um ihre Absich­ten zu errei­chen: Mas­sen­in­te­gra­ti­on durch Wohl­fahrts­po­li­tik und »Frei­zeit­ge­stal­tung«.

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