Guru

von Claus Wolfschlag

Vor wenigen Tagen sah ich in einer Pressevorführung den bald in die Kinos kommenden Dokumentarfilm „Guru“, der mich nachhaltig beschäftigte.

Er erzählt anhand von alten Ori­gi­nal­auf­nah­men und aktu­el­len Berich­ten zwei­er ehe­ma­li­ger enger Getreu­er die Geschich­te des „Sek­ten­füh­rers“ Bhag­wan Shree Raj­nee­sh, kurz Bhag­wan genannt. Und er erzählt die Geschich­te sei­ner Bhagwan-Bewegung.

Eine Bespre­chung soll an ande­rer Stel­le erschei­nen, ich will nur ein bischen von mei­nen Gedan­ken beim Betrach­ten des Strei­fens berichten.

Ein wenig an mei­ne Kind­heit fühl­te ich mich erin­nert, jene Zeit, als in der Fuß­gän­ger­zo­ne mei­ner Hei­mat­stadt des öfte­ren klei­ne Grup­pen von Anhän­gern der „Hare Krishna“-Bewegung erschie­nen, die in oran­ge­ne Gewän­der geklei­det tanz­ten und ihre Sans­krit-Man­tras san­gen: „Hare Krish­na, Krish­na Krish­na, Hare Hare, Hare Rama…“ Auch Bhag­wan war ein Phä­no­men jener Jah­re, der Suche nach spi­ri­tu­el­ler Erneue­rung aus der öst­li­chen Tra­di­ti­on (die bis heu­te kei­nes­falls ver­schwun­den ist). Bhag­wans Popu­la­ri­tät unter west­li­chen Jugend­li­chen, sei­ne Erfolgs­ge­schich­te im Rah­men der Hip­pie-Bewe­gung, ent­wi­ckel­te sich vor dem Hin­ter­grund sei­nes posi­ti­ven Ver­hält­nis­ses zum Kapi­ta­lis­mus (wor­un­ter vor allem Kon­sum­freu­de ver­stan­den wer­den muß) und zur frei­en Sexua­li­tät. West­li­cher Mate­ria­lis­mus und Hedo­nis­mus gin­gen eine Ver­bin­dung mit öst­li­cher Durch­geis­ti­gung ein. Hin­zu kamen per­sön­li­ches Cha­ris­ma und spi­ri­tu­el­le Wach­heit, die dem Meis­ter von sei­nen Anhän­gern in der Nach­be­trach­tung min­des­tens für die Anfangs­jah­re unein­ge­schränkt zuer­kannt werden.

Rai­ner Lang­hans, Mit­be­grün­der der „Kom­mu­ne 1“, beschrieb mir die von ihm erleb­te 68er-Erfah­rung ein­mal als ein gro­ßes „Feld der Lie­be“, das sich einem “hei­li­gen Geist” ähn­lich über die jun­gen Men­schen jener Jah­re aus­ge­schüt­tet hät­te. Lang­hans mein­te damit nicht den sich bald abzwei­gen­den poli­ti­schen Strang der 68er, der dann irgend­wann in K‑Grup­pen-Zwän­ge und RAF-Gewalt umschlug, son­dern die Anfangs­zeit, die eigent­lich unpo­li­ti­sche Sinn­su­che, die einem Lebens­ex­pe­ri­ment glich. In dem von mir her­aus­ge­ge­be­nen Buch „Bye-bye ‘68“ sag­te er:

„Ziel die­ser Aktio­nen war kei­ne bestimm­te Uto­pie einer Ide­al­ge­sell­schaft. Nein, eine Uto­pie war uns bereits zu unbe­weg­lich, zu erstarrt. Es ging nicht um die Insti­tu­tio­na­li­sie­rung erreich­ter Zustän­de. Dog­ma­ti­sche Fest­le­gun­gen, wie sie von bestimm­ten Lin­ken ange­strebt wur­den, lagen uns nicht. Wir woll­ten nicht ein­mal Anar­chie, da sie schon eine gere­gel­te Unge­re­gelt­heit bedeu­tet hät­te. Statt des­sen war wir an der Bewe­gung an sich inter­es­siert, am Ener­ge­ti­schen, am ‘Feld´, am ‘Spaß´. Ja wir such­ten die inten­si­ve Erfah­rung in der eige­nen Beweg­lich­keit und waren am ‘Spaß´ ori­en­tiert – ‘Fore­ver young´. Aus die­sem Grund waren wir viel wacher als Leu­te, die immer etwas Bestimm­tes wol­len, die immer ver­geb­lich nach etwas suchen und nicht erken­nen, dass sie bei der Suche etwas viel­leicht Uner­war­te­tes, etwas ande­res gefun­den haben.“

Die Hip­pies mögen als ein Früh­phä­no­men bzw. als Erbe die­ser von Lang­hans beschrie­be­nen Zeit­er­fah­rung ver­stan­den wer­den. In ihnen bün­del­te sich jene Lebens­be­ja­hung, die schließ­lich auch durch den „Guru“ im indi­schen Pune zusam­men­ge­führt und ener­ge­tisch ange­rei­chert wur­de. Sieht man sich den besag­ten Film an, dann ist man viel­leicht ein wenig befrem­det, aber zu einem gro­ßen Teil auch ver­zau­bert von jenem Expe­ri­ment, dass sich im Zuge der frü­hen Bhag­wan-Bewe­gung ver­dich­te. Die rich­ti­gen Men­schen tra­fen zur rich­ti­gen Zeit am rich­ti­gen Ort auf­ein­an­der, heißt es. Und aus aller Welt ström­ten die­se jun­gen, schö­nen Men­schen her­bei, von der Suche beseelt, offen für aller­lei auch befremd­lich wir­ken­de Expe­ri­men­te der Medi­ta­ti­on und des Gemein­schafts­le­bens. Eine fried­lich wir­ken­de Kom­mu­ne der oran­ge gewan­de­ten Jugend, so wirkt es jeden­falls. Und – das ist der ent­schei­den­de Punkt – im Gegen­satz zu vie­len heu­ti­gen Eso­te­rik­an­sät­zen, die sich pri­mär im The­ra­pie­be­reich abspie­len, im Bereich der Hei­lung von Stö­run­gen bei oft­mals kran­ken oder unsi­che­ren Men­schen, schei­nen die­se jun­gen, schö­nen Hip­pies, die dort zusam­men­ka­men, um sich und die Lie­be zu fin­den, vor Gesund­heit und Kraft und Mut nur zu strotzen.

Der Film zeigt aber auch scho­nungs­los die Schat­ten­sei­ten, also wie alles den Bach run­ter ging. Wie – ähn­lich der Ent­wick­lung von der Stu­den­ten­be­we­gung zur RAF – Para­noia, Gel­tungs­sucht, Kon­sum­gier, Betrug, Macht­spiel und Gewalt Ein­zug in die Bewe­gung der Sann­yas­sins hiel­ten und die­se zer­stör­ten. Man könn­te eigent­lich heu­len, wenn man die Bil­der sieht und Stel­lung­nah­men hört. Bhag­wans Anhän­ger beschrei­ben zudem die Per­sön­lich­keits­ver­än­de­rung des eins­ti­gen Gurus, sei­ne Krank­hei­ten, sein Kon­sum- und Grö­ßen­wahn, sei­ne Flucht in Dro­gen. Mög­li­chen­falls ist hier das gene­rel­le Risi­ko des Guru-Wesens versteckt.

Man­che Eso­te­ri­ker wer­ten ja bei­spiels­wei­se auch den jun­gen Hit­ler als eine Art Guru. Hit­ler also, den Wer­ner Best in den Nürn­ber­ger Pro­zes­sen für die Anfangs­jah­re als „freund­lich, ent­ge­gen­kom­mend, ver­ständ­nis­voll, char­mant, eher weich als ener­gisch oder gar hart“ beschrieb. Hit­ler, von dem Rai­ner Lang­hans mein­te, dass es sein Feh­ler der Ent­schluß war, Poli­ti­ker zu wer­den, statt nur eine Art Guru zu bleiben.

Und Jesus? Kann er womög­lich auch als eine Art Guru inter­pre­tiert wer­den? Wer weiß denn wirk­lich, was aus Jesus gewor­den wäre, wenn er nicht gekreu­zigt wor­den wäre. Das soll nicht als Blas­phe­mie miss­ver­stan­den wer­den. Aber schließ­lich war er auch ein Mensch und damit fehlbar.

Vie­le Gurus schei­tern offen­bar, wenn sie nicht die Kur­ve neh­men, sich recht­zei­tig zurück­zu­neh­men ver­ste­hen. Sie schei­tern, wenn ihre Cha­rak­ter­struk­tur auf ste­tes Wachs­tum aus­ge­legt ist. Ihre dyna­mi­sche Ener­gie strahlt sicher­lich nicht ewig. Der per­sön­li­che Rück­zug muß also wohl irgend­wann hin­ter eine geschaf­fe­ne Insti­tu­ti­on erfol­gen, ein Auf­fang­be­cken, ein mehr oder min­der „erstarr­tes“ Lehr­ge­bäu­de. Ein Guru, der ewig als sol­cher prä­sent blei­ben will und nach dem ste­ten “Mehr” strebt, bewegt sich oft knapp am Abgrund des eige­nen Schei­terns. Das eins­ti­ge Erfah­rungs­feld, das so viel posi­ti­ve Ener­gie bei den Anhän­gern frei­zu­set­zen imstan­de war, ver­engt sich. Statt des­sen ver­här­tet sich das Gesicht des Gurus ange­sichts der Fall­stri­cke von Macht und Gewalt.

Ein Nach­bars­mäd­chen, durch mei­ne Ver­mitt­lung eine Zeit­lang sogar mit einem mei­ner bes­ten Schul­freun­de liiert, ent­schied sich nach ihrem Abitur in den spä­ten 80er Jah­ren – also bereits zur Spät­pha­se der Bewe­gung – in das Bhag­wan-Zen­trum im indi­schen Pune zu rei­sen und dort für län­ge­re Zeit zu blei­ben. Sie war ein Mäd­chen aus bür­ger­li­chen Krei­sen und ihr Schritt moch­te damals auf wenig Ver­ständ­nis bei vie­len Bekann­ten und Nach­barn ihrer Umge­bung gesto­ßen sein. Selbst­er­fah­rungs­be­rich­te aus ihrer Feder erschie­nen in der Zeit­schrift „Con­nec­tion“. Ich war damals ver­mut­lich weni­ger geschockt oder nega­tiv berührt als vie­le ande­re. Sie und ihr Schritt erschie­nen mir wohl ein­fach nur irgend­wie fremd. Ja, sie war mir fremd gewor­den, was mich wohl irgend­wie gekränkt hat­te. Ich wünsch­te ihr wohl alles Gute, ver­stand ihren Schritt aber nicht.

Heu­te, und nicht erst seit dem Betrach­ten des Films „Guru“, mei­ne ich alles etwas bes­ser zu ver­ste­hen. Wäre ich in den 70ern erwach­sen gewe­sen und durch zufäl­li­ge Umstän­de in Kon­takt zu Sann­yas­sins gera­ten, womög­lich wäre auch ich ger­ne zu Bhag­whan gegan­gen. Kei­nes­falls unkri­tisch oder mir blin­der Guru-Gläu­big­keit. Das ver­bö­te wohl schon mein ten­den­zi­ell „anti­au­to­ri­tär“ aus­ge­rich­te­ter Cha­rak­ter. Und Bhag­wans Phy­sio­gno­mik, die für mich einen fast absto­ßend selbst­ge­rech­ten Zug auf­zu­wei­sen scheint, sein prot­zi­ger Lebens­stil, sei­ne sprung­haf­ten Ent­schei­dun­gen, sie hät­ten mein Miss­trau­en ver­mut­lich nie gänz­lich weg­wi­schen kön­nen. Ich wäre wahr­schein­lich stets in Distanz zum Guru geblie­ben, bin wohl kein guter Guru-Anhän­ger, aber ich hät­te wohl ger­ne etwas von dem Erfah­rungs­feld die­ser glück­lich wir­ken­den jun­gen Men­schen, die­ser Gemein­schaft der Sann­yas­sins mit­be­kom­men – die­sem Gefühl, die­ser Ener­gie, die­sem “Feld der Lie­be”. Viel­leicht, aber wer weiß das schon so genau.

Die­se hoch­ex­pe­ri­men­tel­le Zeit ist wohl vor­bei. Und doch wer­den sich irgend­wann neue Zeit­fens­ter öff­nen, in denen Lie­be über das Ich und Du hin­aus mög­lich wird. Zeit­fens­ter, in denen neue Gurus, neue Aus­er­wähl­te, jene oft nur brach­lie­gen­de posi­ti­ve Ener­gie zu ent­fa­chen in der Lage sein wer­den. Möge ihnen und ihren Anhän­gern ein bes­se­res Schick­sal beschie­den sein, als der Bhagwan-Bewegung.

Foto: Rai­ner-Sturm, pixelio.de

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