Elisabeth Badinter bezweifelt einen Unterschied zwischen Kindern und Idioten

Wo spielt denn bloß dieses Szenario, das diese Woche von ungezählten Medien als "weiche"  Konkurrenz zu Sarrazin aufgegriffen wird?

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Die Rede geht von einer Rück­kehr des Mut­ter­my­thos, und zwar in bedroh­li­chem Aus­maß. Es gebe immer mehr Frau­en, die sich von einem „natu­ra­lis­ti­schen Femi­nis­mus ver­füh­ren“ lassen.

Es han­de­le sich um ver­blen­de­te Mut­ter­tie­re, die “nur” wegen eines oder meh­re­ren Kin­der „gleich eini­ge Jah­re zu Hau­se blei­ben“ und sich mit einer kind­ver­bun­de­nen Lebens­wei­se auch noch als „authen­ti­sche, natur­ver­bun­de­ne und weni­ger kon­sum­ori­en­tier­te Avant­gar­de“ fühlen.

Bewerk­stel­ligt, so heißt es, habe die­sen Sin­nes­wan­del mit­nich­ten die Offen­si­ve etwa einer Ursu­la von der Ley­en, die vor Jahr und Tag einen „kon­ser­va­ti­ven Femi­nis­mus“ zum Leben erwe­cken woll­te – der frei­lich das Gegen­teil einer Rück­be­sin­nung auf müt­ter­li­che Tugen­den impli­zier­te. Nein, die­ser gegen­auf­klä­re­ri­sche Femi­nis­mus, der „Mut­ter­schaft als etwas Erha­be­nes ver­ehrt“, sei das Resul­tat einer „Hei­li­gen Alli­anz der Reak­tio­nä­re“. Nicht die übli­chen Ver­däch­ti­gen wie Kir­che und poli­tisch Kon­ser­va­ti­ve, son­dern ein Klün­gel aus Öko­lo­gen, Eso­te­ri­kern, Ärz­ten, Ver­hal­tens­for­schern, Still­or­ga­ni­sa­tio­nen und 68er-Töch­tern, die die müh­sam errun­ge­ne Gleich­be­rech­ti­gung der Geschlech­ter wie­der ins Wan­ken brin­gen. Das Patri­ar­chat schlägt zurück – unter weib­li­cher Mithilfe.

Der Leser reibt sich die Augen: Wel­cher Ort, wel­che Zeit wird denn hier verhandelt?

Es ist Eli­sa­beth Bad­in­ter, seit Jahr­zehn­ten Frank­reichs (libe­ra­le!) Vor­zei­ge­fe­mi­nis­tin, die ihr Land der­zeit von einem mas­si­ven roll back in punk­to Eman­zi­pa­ti­on bedroht sieht. Ihr Buch Le con­flit. La femme et la mère, das in Frank­reich gleich nach Erschei­nen auf Platz 1 der Ver­kaufs­lis­ten schnell­te und heiß dis­ku­tiert wur­de, ist ein Plä­doy­er für die Abtren­nung der müt­ter­li­chen Sphä­re von der weib­li­chen Identität.

Der Mut­ter­in­stinkt sei eine Erfin­dung: Mit die­ser The­se hat­te Bad­in­ter vor drei­ßig Jah­ren Furo­re gemacht. Heu­te bewei­se aus ihrer Sicht die wach­sen­de Grup­pe der child­free – der bewußt kin­der­lo­sen Frauen‑, daß es kei­ne “uni­ver­sel­le oder wesent­li­che Eigen­schaf­ten“ gebe, die Frau­en von Män­nern unter­schei­de. Gesetzt, es sei der Fall, daß jede® heu­te frei sei­ne „Rol­le“ wäh­len kön­ne. Was ist es dann, das Bad­in­ter zutiefst besorgt zur Feder grei­fen läßt? Zwei­felt sie etwa die gleich­sam natur­ge­ge­be­ne, zumin­dest seit über 200 Jah­ren erstrit­te­ne Auto­no­mie und die seit lan­gem eta­blier­te Selbst­be­stimmt­heit der fran­zö­si­schen Frau an? Es gibt kei­ne staat­li­chen, noch weni­ger steu­er­li­che Ein­grif­fe, die Frau­en „an den Herd“ bin­den wol­len. Daß nun etwas mehr Frau­en in Frank­reich ihre Kin­der eini­ge Mona­te stil­len wol­len, geschieht aus frei­en Stü­cken. Bad­in­ter hält die­se neue „frei­wil­li­ge Dienst­bar­keit“ für brandgefährlich.

Wäh­rend min­des­tens 60% der deut­schen und noch weit mehr der skan­di­na­vi­schen Frau­en ihren Säug­ling ein Vier­tel­jahr nach der Geburt wenigs­tens teil­wei­se mit Mut­ter­milch ver­sor­gen, sind es in Frank­reich nicht mal 20%. Ten­denz aller­dings: stei­gend. Und das fin­det Bad­in­ter – auch mit Ver­weis dar­auf, wie unfein und lächer­lich der Still­vor­gang jahr­hun­der­te­lang in bür­ger­li­chen Krei­sen galt – besorg­nis­er­re­gend. Sie sieht eine Front von „Still-Aya­tol­lahs“ am Werk, eine Ban­de, die zudem Gerüch­te von der För­der­lich­keit des Co-Slee­pin­gs (Klein­kind im Bett der Eltern, ein altes Eva-Her­man-The­ma) und einer engen Mut­ter-Kind-Bin­dung in die Welt setzten.

Bad­in­ter, die selbst wäh­rend ihres Stu­di­ums drei Kin­der zur Welt brach­te, ist ent­täuscht, daß nun selbst – und gera­de! – die Töch­ter jener Femi­nis­tin­nen, die einst unter der Paro­le „Ich Zuerst!“ sich von der Knecht­schaft gegen­über dem Baby und „den Machos zu Hau­se und am Arbeits­platz“ befreit hät­ten, sich nun dem Druck einer „Gute-Mut­ter-Ideo­lo­gie“ beug­ten. Klingt fast, als herr­sche ganz pri­va­ter Zwist im Hau­se Badinter…

In ihrem Hei­mat­land stieß das Buch der eme­ri­tier­ten Pro­fes­so­rin auf ein geteil­tes Echo – und gelang­te zwi­schen die Fron­ten. Selbst eman­zi­pier­te Grü­nen-Poli­ti­ke­rin­nen schimpf­ten sie eine „Stein­zeit-Femi­nis­tin“. In der Tat fällt Bad­in­ter trotz eini­ger inter­es­san­ter Fra­gen, die sie stellt, hin­ter ihr Niveau zurück.

Ist es tat­säch­lich ange­bracht, die Richt­li­ni­en der welt­weit täti­gen La Leche League, einer Still­or­ga­ni­sa­ti­on mit welt­wei­tem Tätig­keits­ra­di­us, auf­zu­fä­chern, als hand­le es sich um eine Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on? Bad­in­ter zählt sei­ten­lang die „angeb­li­chen“ Vor­tei­le des Stil­lens auf, um dann allein eines mit Bestimmt­heit zurück­zu­wei­sen: Stil­len macht nicht intel­li­gen­te­re Kin­der. Sie klagt, das Eltern, die bereu­en, je Kin­der bekom­men zu haben, heu­te nicht zu Wort kämen oder sich nicht mehr trau­ten, die­sen Frei­heits­ver­lust ein­zu­ge­ste­hen. Noch 1970 hät­ten 70% von 10.000 Befrag­ten erklärt, nein, rück­bli­ckend hät­ten sie bes­ser kei­ne Eltern­schaft ange­strebt. Der Voll­zeit­mut­ter eines Klein­kinds kön­ne es schließ­lich noch heu­te vor­kom­men, als wür­de sie „den gan­zen Tag in Gesell­schaft eines Inkon­ti­nen­ten und geis­tig Zurück­ge­blie­be­nen ver­brin­gen“. Fast scheint es, als wür­de Bad­in­ter stil­len­de Frau­en, sol­che, die ohne Nar­ko­ti­ka ihre Kin­der zur Welt brach­ten und am Ende noch so ver­rückt sind, ihre Kin­der in Stoff­win­deln zu wickeln und selbst zu beko­chen, eben­falls den Geis­tes­schwa­chen zurechnen.

Jeden­falls gehö­ren sie nach Bad­in­ters Wer­tung nicht zu den Frau­en, die es sich selbst­be­wußt her­aus­neh­men, über ihren „Geist, ihre phy­si­sche, emo­tio­na­le und sexu­el­le Ener­gie frei ver­fü­gen zu kön­nen.“ Die Fran­zö­sin sei tra­di­tio­nell eine Raben­mut­ter, sagt Bad­in­ter stolz, und aus ihrer Sicht füh­re alles ande­re zu einer Kri­se der Gleichberechtigung.

Hart­nä­ckig – die­se Kla­ge durch­zieht das Buch – hält die Autorin an ihrer Ansicht fest, daß die heu­ti­ge Gesell­schaft kin­der­lo­se Frau­en „tief­grei­fend“ äch­tet. Man staunt. Ist das so, in Frank­reich? Gibt es dort kei­ne Pen­dants zu unse­ren Thea Dorns, Sabi­ne Chris­ti­an­sens, Anne Wills und Ange­la Mer­kels, die hier­zu­lan­de durch­aus ange­se­he­ne Posi­tio­nen in der Öffent­lich­keit bekleiden?

Ein Punkt in Bad­in­ters Buch ist immer­hin inter­es­sant. Sie kon­sta­tiert, daß sich das Ide­al­bild der Mut­ter nicht mehr mit dem der zeit­ge­nös­si­schen Frau decke. Dadurch ver­schrie­ben sich Frau­en – Müt­ter wie Kin­der­lo­se – häu­fig einer „Logik des Alles-oder-Nichts.“ Heißt: Sich her­vor­ra­gend auf dem Arbeits­markt zu posi­tio­nie­ren ist eine ähn­lich lebens­fül­len­de Auf­ga­be wie die, eine 1a-Mut­ter zu sein. Bei­des zugleich will Frau sich nicht zumu­ten. Die fran­zö­si­schen Frau­en stün­den des­halb bis heu­te gemein­sam mit den eben­falls ungern stil­len­den und in der Mehr­zahl außer­häus­lich arbei­ten­den Islän­de­rin­nen und Irin­nen an der euro­päi­schen Sit­ze der Gebär­quo­ten, weil hier die früh­zei­ti­ge Fremd­be­treu­ung der Kin­der nie übel beleu­mun­det war und die meis­ten Müt­ter voll­zeit­er­werbs­tä­tig sind. Umge­kehrt ist es in „gebär­fau­len“ Län­dern wie Deutsch­land, Japan und Ita­li­en. Dort sind bzw. waren Krip­pen eine Rari­tät, und dar­um zöger­ten Frau­en die Geburt auch nur eines Kin­des mög­lichst lan­ge her­aus. Heißt: Wenn man die Fran­zö­sin­nen noch län­ger mit Vor­stel­lun­gen trak­tiert, sich selbst um ihre Kin­der zu küm­mern, wer­de auch dort die Gebur­ten­ra­te sinken.

Die Argu­men­ta­ti­on besticht an der Ober­flä­che. Erwei­tert man aber den Blick – etwa auf die Ver­hält­nis­se im frau­en­er­werbs­rei­chen, aber kin­der­ar­men Mit­tel­deutsch­land, auf den Gebär­streik rus­si­scher Frau­en oder auf die rela­tiv hohen Gebur­ten­zif­fern in den USA bei einer mäßi­gen Frau­en­werbs­quo­te gera­de außer­halb pre­kä­rer Ver­hält­nis­se – dann beginnt auch die­se Theo­rie zu schwan­ken. Man darf gespannt sein, wie Bad­in­ters eben in Deutsch­land erschie­nes Buch Der Kon­flikt. Die Frau und die Mut­ter über die ver­meint­li­che schlei­chen­de Wie­der­ver­skla­vung der Frau hier­zu­lan­de auf­ge­nom­men wird. Emma und FAZ hat­ten bereits im Juli groß­flä­chig ver­sucht, die Debat­te – im Sin­ne Bad­in­ters – anzu­hei­zen, die­se Woche gaben zahl­rei­che Blättern,von Spie­gel bis Zeit (gewohn­heits­mä­ßig mies geschrie­ben von Susan­ne May­er, die´s für nötig befin­det zu erwäh­nen, daß  Bad­in­ter Jüdin ist), der Fran­zö­sin das Wort.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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