Sex sells im Jugendbuch

Von einer allgegenwärtigen Sexualisierung ist seit längerem die Rede, und es ist klar, was gemeint ist: Tittenwerbung überall, die String-Tangas,...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

die Necker­mann vor eini­ger Zeit für Klein­kin­der im Ange­bot hat­te, Sex­sze­nen im Nach­mit­tags-TV und so weiter.

Die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Sonn­tags­zei­tung hat­te vor zwei­ein­halb Wochen einen grö­ße­ren Stein ins Rol­len und die halb­staat­li­che Insti­tu­ti­on der Frei­wil­li­gen Selbst­kon­trol­le (FSK) zum Schwit­zen gebracht, indem Redak­ti­ons­mit­glie­der über 100 Fil­me mit der FSK-Alters­emp­feh­lung „ab 12“ begut­ach­te­te und allent­hal­ben neben bru­tals­ten Gewalt­sze­nen auch eine Men­ge Porn­o­ele­men­te fand, die jung­ju­gend­li­che Kin­der irri­tie­ren könnten.

Die Ent­geg­nun­gen der FSK sind hane­bü­chen. Am Wochen­en­de habe ich mir bei­spiels­wei­se mit unse­ren älte­ren Töch­tern und einem Gast­kind die DVD des älte­ren US-Doku-Films Super­si­ze me ange­schaut, das war mäßig bis ganz nett. Der Film ist ohne Alter­be­schrän­kung, also auch für Kin­der­gar­ten­kin­der frei­ge­ge­ben und sorg­te doch für Ver­wir­rung bei unse­rem pro­tes­tan­tisch erzo­ge­nen Gast­kind. Als Mor­gan Spur­lock – der in sei­nem Film-Expe­ri­ment einen Monat aus­schließ­lich von McDo­nald-Pro­duk­ten lebt – zum zwei­ten Mal sei­nen Penis und das müder wer­den­de Intim­le­ben erwähn­te, erhob sich das zehn­jäh­ri­ge Gast­kind hoch­ro­ten Kop­fes, mur­mel­te „das ist wohl doch eher für Erwach­se­ne“ und ver­kün­de­te, schon mal ins Bett zu gehen. Mir war das Gan­ze pein­lich, zumal die­se bei­den dum­men Sze­nen und Sprü­che für die Bot­schaft des Film völ­lig über­flüs­sig waren. Noch blö­der wärs mir aller­dings gewe­sen, an den ent­spre­chen­den Stel­len schnell mal vor­zu­spu­len: „Das ist jetzt nichts für Euch.“

Und ges­tern hör­te ich im Deutsch­land­ra­dio eine Unter­hal­tung zwi­schen Mode­ra­tor Die­ter Cas­sel und dem Feuil­le­ton­chef der Welt, Cor­ne­li­us Tit­tel. Es ging um einen klei­nen, groß­kot­zig-erbärm­li­chen Sex­re­port (aus sei­nem Ehe­le­ben) in Tony Blairs Memoi­ren, wes­we­gen Blair in sei­ner Hei­mat nun für einen dort berüch­tig­ten „Bad Sex in Fic­tion-Award“ aus­ge­zeich­net wur­de. Blairs Lebens­er­in­ne­run­gen sind nun kei­ne Fik­ti­on, und das nah­men die bei­den Radio­her­ren zum Anlaß zu bekla­gen, daß in Roma­nen dort in GB genau wie hier in Deutsch­land kein Sex mehr vor­kom­me. Von einer „neu­en Keusch­heit“ war die trau­ri­ge Rede. Komi­scher­wei­se fie­len mir, ohne ent­spre­chend fokus­siert zu sein oder über­haupt ein über­durch­schnitt­li­ches Pen­sum an Roma­nen zu bewäl­ti­gen, spon­tan ein hal­bes Dut­zend Gegen­bei­spie­le ein. Die „Feucht­ge­bie­te“ woll­ten Cas­sel und Tit­tel nicht recht gel­ten las­sen, das sei ja eher „sati­risch“. Hel­mut Kraus­ser kann­ten sie anschei­nend nicht, auch nicht Thor Kun­kel oder Sibyl­le Berg, und von der (allen Rezen­sio­nen nach) sexu­ell per­ver­sen Neu­erschei­nung „Deut­scher Sohn“ von Niermann/Wallasch hat­ten bei­de anschei­nend auch nicht gehört.

Ach, im Grun­de fal­len mir umge­kehrt eher weni­ge Bücher ein, die gänz­lich ohne Sex­sze­nen aus­kom­men – von der ver­kaufs­träch­ti­gen Tri­vi­al-Bel­le­tris­tik für Haus­frau­en und Zug­rei­sen­de ganz zu schwei­gen. Ob das direkt bedenk­lich wäre, erscheint mir eben­so frag­wür­dig wie die umge­kehr­te Sor­ge der Dis­ku­tan­ten vor einer Ära des sex­frei­en Romans.

Für in der Tat ärger­lich aller­dings hal­te ich die ent­spre­chen­de Ent­wick­lung auf dem Jugend­buch­markt. Alters­emp­feh­lun­gen sind hier umstrit­ten – und zwar mit­un­ter zurecht, weil beim Buch anders als beim Film die intel­lek­tu­el­le Rei­fe eines Her­an­wach­sen­den stär­ker zum Tra­gen kommt. Sex und Gewalt haben seit eini­ger Zeit auch in Büchern renom­mier­ter Kin­der­buch­ver­la­ge Kon­junk­tur. Thie­ne­mann – Otfried Preuß­lers Ver­lag immer­hin – bewirbt der­zeit das Buch Die­ser eine Moment von Chris­toph Wort­berg, in dem wil­de Pet­ting­sze­nen vor den Augen fla­nie­ren­der Strand­gän­ger detail­liert beschrie­ben wer­den. Sau­er­län­der bewirbt das „berüh­ren­de“ Buch Tobi­as Elsä­ß­ers Absprin­gen über einen 14jährigen, der wegen sei­ner (in ihren Sym­pto­men aus­führ­lich geschil­der­ten) „Sex­sucht“  zum The­ra­peu­ten geht, und Jaro­mir Kon­ec­ny greift in sei­nen Dok­tor­spie­len so rich­tig in die Gos­sen­wör­ter­kis­te ! In diver­sen Schu­len wur­den nach Eltern­pro­tes­ten Lesun­gen mit Kon­ec­ny (herr­je, wie mich die­ser hob­by­ju­gend­li­che Anbie­de­rungs­ges­tus anekelt!) abge­sagt. Die Jour­nail­le fin­dets rund­um spie­ßig, da wecke doch end­lich mal bei Jungs Lese­lust! Und der Autor selbst warnt dro­hend, daß Leu­te, die Sät­ze wie sei­ne „ver­bie­ten“, die „Jugend­li­chen in die Arme der Netz­por­no­gra­phie“ trieben.

In Ilo­na Ein­wohlts Antho­lo­gie Lust. Lie­be. Sex (Beltz & Gel­berg, der Ver­lag von Janosch und Micha­el Ende) trei­ben es Cou­sin und Cou­si­ne auf dem Bett der eben beer­dig­ten Groß­mutter. Ste­fan Hauck, Redak­teur des Bör­sen­blatts, dem ich den Hin­weis ver­dan­ke, freut sich dar­über, daß hier für Kin­der „abso­lut offen über die schöns­te Neben­sa­che der Welt“ geschrie­ben und das „Kino im Kopf“ ange­regt wird.

Und Hans-Hei­no Ewers, Direk­tor des Insti­tuts für Jugend­buch­for­schung, fragt im Ges­tus des Pro­vo­ka­teurs, ob Jugend­li­che nicht „das Recht auf ero­ti­sche Lite­ra­tur“ hät­ten, die sie „gege­be­nen­falls dazu anstif­tet, sich selbst zu befriedigen?“

Gott sei dank zwingt mich (und mei­ne Kin­der) kei­ne, sol­che Bücher zu kau­fen, auch gehe ich nicht davon aus, daß die Lek­tü­re den Leser zwangs­läu­fig zu einem bin­dungs­un­fä­hi­gen Ero­to­ma­nen mach­te. „Halb so schlimm“ ist es den­noch nicht! Frü­her galt: Wer Sexu­al­phan­ta­sien such­te oder sich für tech­ni­sche Fra­gen inter­es­sier­te, kauf­te Bra­vo und die ent­spre­chen­den Bru­der­hef­te, wer gute Lite­ra­tur für Her­an­wach­sen­de such­te, konn­te sich auf Kom­pe­tenz und Maß­stab ange­se­he­ner Ver­la­ge ver­las­sen. Passé.

Das hät­te ich den Radio­her­ren also als Tip mit­zu­ge­ben: Sie suchen anre­gen­de Sex­sze­nen, wol­len aber auf das Eti­kett Por­no ver­zich­ten und wer­den in den aktu­el­len Roma­nen nicht fün­dig? Fra­gen Sie ein­fach in der Kin­der- und Jugend­buch­ab­tei­lung nach!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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