Wer meint was mit Schwarz-Rot-Gold?

pdf der Druckfassung aus Sezession 37 / August 2010

Deutschland im Sommer 2010, während der Fußballweltmeisterschaft. Jedes Autodach, jeder Joghurt und jedes »von Jogi Löw empfohlene« Herrenshampoo ist schwarzrotgold beflaggt. »Patriotismus« ist endlich wieder en vogue, und viele erhoffen sich eine Wiederholung des »Sommermärchens « von 2006. Sind wir nun wieder normal, lieben wir uns und unser Land, gehen wir herrlichen Zeiten entgegen? Wer in dieser Lage Einspruch erhebt, erntet schnell den Vorwurf des Spielverderbertums. Die eher »populistisch« Orientierten unter den Konservativen redeten dieser Tage wieder viel vom »Volk«, zeigten sich begeistert von der Hochstimmung und dem Flaggenmeer, setzten ihre Hoffnung in eine erneute patriotische Impfung, die das Land endlich zum Umdenken und vor allem –fühlen brächte. Skepsis gegenüber dieser Begeisterung wurde dann etwa als »intellektuelles Naserümpfen « abgetan, wie es Dieter Stein in der Jungen Freiheit 27/10 formulierte.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.


Die Ein­wän­de, die sich fin­den las­sen, haben aller­dings weder etwas mit Sno­bis­mus noch mit Intel­lek­tua­lis­mus zu tun. Gera­de für uns Kon­ser­va­ti­ve soll­te es die vor­dring­lichs­te Auf­ga­be sein, auch dann, wenn schein­bar alles end­lich so läuft, wie wir es immer ersehnt haben, einen küh­len Kopf zu bewahren.
Dabei frap­piert vor allem die bizar­re Dis­kre­panz zwi­schen dem äußer­li­chen Fah­nen-Over­kill und der fak­ti­schen inne­ren Deser­ti­on der Deut­schen, die ganz oben an der Spit­ze des Staa­tes beginnt, wie die jam­mer­vol­le Fah­nen­flucht Horst Köh­lers Ende Mai 2010 gezeigt hat. Die mas­sen­haf­te öffent­li­che Prä­senz der Natio­nal­far­ben ist trü­ge­risch. Sie kommt zu einem Zeit­punkt, in dem sich das deut­sche Volk in sei­ner rapi­den eth­ni­schen und kul­tu­rel­len Auf­lö­sung befin­det und das Land von sei­nen herr­schen­den Eli­ten poli­tisch wie wirt­schaft­lich mit einer kaum mehr ver­hoh­le­nen Wursch­tig­keit preis­ge­ge­ben wird. Dem haben die­sel­ben Deut­schen, die sich nun über­all die Fähn­chen ans Auto hän­gen, nicht ein­mal einen Patrio­tis­mus des Zorns oder der Unzu­frie­den­heit ent­ge­gen­zu­set­zen. Ehren, weh­ren und ver­meh­ren sie sich denn seit dem Wen­de­punkt von 2006 wirk­lich mehr als zuvor? Die fah­nen­tra­gen­de, akkla­mie­ren­de Mas­se im öffent­li­chen Raum – die­ses Urbild der Demo­kra­tie als »Volks­herr­schaft« ist zum blo­ßen Simu­la­crum verkommen.
In die­ser Lage wirkt die WM weni­ger als patrio­ti­sches Speed denn als Mor­phi­um für ein iden­ti­täts­schwa­ches Land, in dem es kaum noch ein Gefühl für Zusam­men­halt und Ver­ant­wort­lich­keit gegen­über der Ver­gan­gen­heit und der Zukunft gibt. Es mag sein, daß die Erleb­nis­se der WM vor allem in den Jün­ge­ren einen posi­ti­ven Samen streu­en, der sich ein­mal bezahlt machen wird. Wie trag­fest und ver­bind­lich sich der­glei­chen aus­wirkt, wird sich indes­sen erst zei­gen, wenn die Par­ty vor­bei ist, und etwa der Ernst­fall ein­tritt, in dem Patrio­tis­mus auch Opfer verlangt.
Der Schwarz-Rot-Gold-Rausch macht die Mas­sen flüs­sig und beweg­lich. Die Medi­en arbei­te­ten in die­sen Wochen mas­siv dar­an, sie in die­sem Aggre­gat­zu­stand in eine bestimm­te ideo­lo­gi­sche Rich­tung zu schleu­sen. Dies hat auch mit der Kri­se des Patrio­tis­mus zu tun, die der fort­schrei­ten­de Sub­stanz­zer­fall der Natio­nal­staa­ten mit sich bringt. Wenn Fuß­ball so etwas wie das letz­te Refu­gi­um des Ago­na­len, der simu­la­kri­sche Ersatz für das unaus­rott­ba­re Kriegs­be­dürf­nis des Men­schen ist, und die Natio­nal­mann­schaf­ten sym­bo­li­schen Armeen ver­gleich­bar, dann ähnelt Euro­pa heu­te der Spät­zeit des anti­ken Römi­schen Rei­ches, als die impe­ria­len Hee­re fast nur mehr aus Söld­nern aller Her­ren Län­der, nur nicht aus Römern, bestan­den. Betrach­tet man sie als reprä­sen­ta­tiv für ihre Natio­nen, so konn­te man anläß­lich der WM (die sin­ni­ger­wei­se in Süd­afri­ka statt­fand) sehen, wie dras­tisch sich das Gesicht Euro­pas in den letz­ten Jahr­zehn­ten ver­än­dert hat. In der Équi­pe Tri­co­lo­re sind die auto­chtho­nen Fran­zo­sen inzwi­schen in der Min­der­zahl; neben eini­gen Maghre­bi­nern sind 13 von 23 Spie­lern schwarz­afri­ka­ni­scher Her­kunft. Einen ähn­lich hohen Anteil an »Migra­ti­ons­hin­ter­grün­di­gen« hat­te die bri­ti­sche Mann­schaft. Die fran­zö­si­sche Mann­schaft schied ziem­lich schnell ruhm­los aus und brach­te sogar eine Debat­te über das Schei­tern des Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus in Gan­ge, in der Dani­el Cohn-Ben­dit mal wie­der über den von ihm mit­an­ge­rich­te­ten Salat kla­gen durf­te: »Die Mann­schaft spie­gelt die Zer­ris­sen­heit, den Haß und den Neid die­ser Gesell­schaft. Im fran­zö­si­schen WM-Team waren Spie­ler, die nicht mit­ein­an­der woll­ten. So ist es auch in der Gesell­schaft. « (taz, 23. Juni 2010)

Die erfolg­rei­che­re deut­sche Mann­schaft hin­ge­gen wur­de als Wun­der der »Inte­gra­ti­on« gefei­ert. Sym­pto­ma­tisch die Titel­sto­ry des Stern vom 1. Juli: »Ein Modell für Deutsch­land? Mit herz­er­fri­schen­dem Spiel erfreut ein jun­ges deut­sches Team die gan­ze Nati­on. Daß in sei­nen Rei­hen die Kin­der tür­ki­scher, tune­si­scher oder pol­ni­scher (und: gha­ne­si­scher, bra­si­lia­ni­scher, bos­ni­scher, nige­ria­ni­scher, spa­ni­scher – M. L.) Eltern den Takt vor­ge­ben, zeigt, wie schön im Sport Inte­gra­ti­on funk­tio­nie­ren kann … Gleich elf der 23 Spie­ler haben ihre Wur­zeln außer­halb Deutsch­lands – der Geist des Teams könn­te die Nati­on ver­wan­deln.« In das­sel­be Horn stieß ein Sport­so­zio­lo­ge im Spie­gel Online vom 7. Juli: »Die Natio­nal­mann­schaft spie­gelt mitt­ler­wei­le die Rea­li­tät einer Ein­wan­de­rer­ge­sell­schaft … Ent­schei­dend wird sein, ob wir die­sen auf dem Rasen geleb­ten kos­mo­po­li­ti­schen Traum in den All­tag über­set­zen kön­nen.« Die Bot­schaft ist klar, die Gene­ral­klau­sel alter­na­tiv­los: »Patrio­tis­mus « wird nur gedul­det, inso­fern er sich auf ein mul­ti­kul­tu­rel­les Deutsch­land bezieht.
Als nega­ti­ves Gegen­bild geis­ter­ten hämi­sche, inter­net­de­mo­sko­pisch erfaß­te Berich­te durch die Medi­en, wie »Rechts­extre­me« und »Nazis« wegen der »Cacaus, Boatengs und Özils« nun »ernst­haf­te Iden­ti­täts­pro­ble­me« bekä­men (taz vom 24. Juni 2010). Hier dien­ten die »Nazis« wie­der ein­mal als prak­ti­ka­bler Popanz, um abschre­cken­de Signa­le aus­zu­sen­den: Wer näm­lich die­sen »Traum« von der Umwand­lung Deutsch­lands in einen Viel­völ­ker­staat nicht träumt und wer ange­sichts die­ser gemisch­ten Mann­schaft gemisch­te Gefüh­le hegt, der muß wohl sel­ber so ein häß­li­cher und ver­krampf­ter »Nazi« mit einer »unbe­lieb­ten Bot­schaft vom völ­ki­schen Deutsch­land« (End­sta­ti­on Rechts) sein. »Nazi«, das ist das Letz­te, was irgend­ein nor­ma­ler Mensch, und »unbe­liebt« das Letz­te, was irgend­ein Deut­scher sein will.
Vor die­sem Hin­ter­grund muß man auch die Neu­köll­ner Flag­gen-Far­ce sehen, in der ein Ara­ber die größ­te Deutsch­land­fah­ne Ber­lins (100 m²) an sei­nem Laden anbrach­te und dar­auf­hin prompt Ärger mit der Anti­fa bekam, die die Fah­ne wie­der abriß – was den Ara­ber und sei­nen Bru­der nicht ent­mu­ti­gen konn­te: »Die deut­sche Fah­ne hängt, und wir wer­den sie ver­tei­di­gen.« Alle mal kurz gelacht über einen Schwank, wie er so nur in der Bun­des­re­pu­blik statt­fin­den kann. Aber die Freu­de über der­art enga­giert inte­grier­te Aus­län­der war nur vor­ei­lig. Denn was hier gesche­hen ist, war eher ein Akt der Okku­pa­ti­on als der Inte­gra­ti­on. Gegen­über der Jun­gen Frei­heit (27/10) äußer­te der Laden­be­sit­zer, die Flag­ge hän­ge dort »nicht wegen des Zwei­ten Welt­kriegs, son­dern wegen der deut­schen Mann­schaft: Weil die deut­sche Mann­schaft ja nicht mehr rich­tig deutsch ist; das ist ja Mul­ti­kul­ti, wir gehö­ren dazu.« Also wohl­ge­merkt nicht, weil die Ara­ber nun zu Deut­schen gewor­den wären – son­dern weil die Deut­schen weni­ger deutsch gewor­den sind. Das ist ein durch­aus typi­sches Mus­ter. Wann »Inte­gra­ti­on« in Des­in­te­gra­ti­on umschlägt, ist eben vor allem eine Fra­ge von Quan­ti­tä­ten. Wir sind an einem Punkt ange­langt, wo der Begriff fast schon in Orwells Manier sein Gegen­teil bedeutet.
Und wie­der gemisch­te Gefüh­le: Die Nie­der­la­ge im Halb­fi­na­le gegen Spa­ni­en – eine qua­si »eth­nisch homo­ge­ne«, gut auf­ein­an­der ein­ge­spiel­te Mann­schaft, die »mit­ein­an­der woll­te« – hat auch ihre posi­ti­ven Sei­ten. Wäre näm­lich Deutsch­land ins End­spiel gekom­men, wäre land­auf land­ab ein flä­chen­de­cken­des »Mul­ti­kul­ti ist die Zukunft«-Propagandagedöns los­ge­bro­chen, gegen das jedes Vuvuz­ela­kon­zert wie ein Flö­ten­so­lo geklun­gen hät­te. Viel­leicht fin­det man nun auch so einen Schul­di­gen. Es war wohl typisch bri­ti­scher Humor, als der Kor­re­spon­dent der Times in Ber­lin schrieb: »Deutsch­land muß schon noch etwas mehr tun, wenn es sein Image ver­än­dern will. Es ist immer noch ziem­lich blond. Sehen Sie sich den neu­en Bun­des­prä­si­den­ten und sei­ne Frau an. Wenn Cem Özd­emir Staats­ober­haupt wird, dann wird sich Deutsch­lands Image wirk­lich ver­än­dern. Aber es ist auf dem rich­ti­gen Weg. Ein wenig bun­ter, ein wenig fröh­li­cher – das ist alles, was es braucht, damit Deutsch­land von sei­nen euro­päi­schen Part­nern geliebt wird. Und das ist es, was Sie wol­len, stimmt’s?«

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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