Ernst Jüngers “Gläserne Bienen”

pdf der Druckfassung aus Sezession 22/Februar 2008

sez_nr_225von Günter Scholdt

Nach Jahrzehnten sind mir jüngst wieder Ernst Jüngers Gläserne Bienen in die Hände gefallen und haben mich fasziniert. Dreierlei fand ich an dieser Erzählung besonders beeindruckend: Die Gestaltung des „Helden", eines unzeitgemäßen Konservativen und Anhängers einer weitgehend „verlorenen Generation"; gedankentiefe und aphoristisch zugespitzte Betrachtungen zum epochalen Zustand, die gleichwohl eine geschickt komponierte fesselnde Story erlaubten; und schließlich Jüngers Hellsicht in künftige technologische und daraus folgende gesellschaftliche Entwicklungen, die uns 50 Jahre nach Erscheinen der Erstausgabe von 1957 beinahe prophetisch anmuten.


Jün­gers Intui­ti­on zeigt sich beson­ders dar­in, daß er offen­bar die Bedeu­tung der Mikro­elek­tro­nik und die domi­nan­te Stel­lung der Unter­hal­tungs­in­dus­trie vor­aus­ge­se­hen hat, durch die vor allem die Jugend bezau­bert und die Play-Gene­ra­ti­on vor­be­rei­tet wur­de. Daß der auf sol­che Tech­nik spe­zia­li­sier­te Kon­zern­chef Zap­pa­ro­ni aus­ge­rech­net in einem ver­fal­le­nen Zis­ter­zi­en­ser­klos­ter resi­diert, hat sei­ne tie­fe­re Bedeu­tung. Auch die heu­ti­gen Film­pro­du­zen­ten der Tolkien‑, Rowling‑, Lucas- oder Her­bert-Wel­ten erset­zen in einem säku­la­ri­sier­ten Zeit­al­ter für vie­le die tra­di­tio­nel­len Ver­tre­ter der Religion.
In Jün­gers Erzäh­lung fer­tigt man bereits Nano-Robo­ter, wie sie erst gegen­wär­tig kon­stru­iert wer­den und in ihre Labor­pha­se gelan­gen. Ähn­li­ches gilt für Fort­schrit­te im Bereich des aktu­el­len Ani­ma­ti­ons­films. Ziel­vor­stel­lun­gen wie der Cyber­space oder intel­li­gen­te Maschi­nen, die selb­stän­dig eine neue Robo­ter­ge­nera­ti­on kre­ieren, wer­den bereits kon­zi­piert. Und die pro­fes­sio­nel­len Defor­ma­tio­nen spiel­süch­ti­ger Kom­mu­ni­ka­ti­ons­künst­ler wir­ken eben­so heu­tig wie man­che Ver­fol­gungs­ängs­te psy­chisch gestör­ter Hoch­be­gab­ter, die den fil­mi­schen Angst­träu­men von „Matrix” entsprechen.
Erhellt wer­den auch die Zusam­men­hän­ge zwi­schen immer auf­wen­di­ge­rer For­schung und der Not­wen­dig­keit von Geheim­hal­tung wie Über­wa­chung, was wie­der­um indi­vi­du­el­le Frei­hei­ten gene­rell ein­schränkt. Alar­miert zeig­te sich Jün­ger offen­bar damals schon vom sich anbah­nen­den Tri­umph eines aus­schließ­lich öko­no­mi­schen Ratio­na­lis­mus, der etwa Appa­ra­tu­ren wie die Glä­ser­nen Bie­nen schafft: Sie sau­gen ihre Blü­ten noch gründ­li­cher aus, machen sie dadurch über kurz oder lang aber auch unfruchtbar.

Erfaßt wird die Ten­denz, aus­schließ­lich nor­mier­te, rech­ne­risch erklü­gel­te „geschlechts­lo­se Arbeits­we­sen” zu pro­du­zie­ren. Und wer sich etwa die heu­ti­ge an tech­ni­sier­ter Skru­pel­lo­sig­keit kaum noch über­biet­ba­re Tier­hal­tung ansieht, weiß, wie umfas­send wir bereits sol­chen ratio­na­lis­ti­schen Epochen-„Idealen” gefolgt sind. Das gilt teil­wei­se auch in Sachen „Lebens­mit­tel­che­mie”, gemäß Jün­gers Sar­kas­mus, man müs­se „schon unge­wöhn­lich reich sein, wenn man heu­te Ver­gif­tun­gen ver­mei­den will”. Zudem las­sen sich – wor­auf Jün­ger hin­weist – all die­se schein­bar harm­lo­sen Erleich­te­run­gen des all­täg­li­chen Kom­forts recht schnell auch mili­tä­risch nut­zen. Aber sei­ne Poin­te ist noch sub­ti­ler. Schil­dert er doch eine ganz ande­re, aber nicht weni­ger wirk­sa­me Vari­an­te der tota­len Mobil­ma­chung: die­je­ni­ge, die über Kin­der­her­zen führt.
Ange­sichts sol­cher dia­gnos­ti­scher Qua­li­tä­ten erscheint es para­dox, daß aus­ge­rech­net die­ser Text in der Jün­ger-Rezep­ti­on weit­ge­hend mar­gi­na­li­siert wur­de. Dies hängt wohl in ers­ter Linie mit einer auch sonst zu beob­ach­ten­den ver­zerr­ten Wahr­neh­mung sei­ner Autor­schaft zusam­men. Wird Jün­ger doch von der Mehr­heit der Ger­ma­nis­ten offen­bar immer noch vor­nehm­lich auf die Stahl­ge­wit­ter oder sei­ne Aus­ein­an­der­set­zung und Stel­lung im Drit­ten Reich redu­ziert. Man igno­riert dabei fast uni­so­no, daß er bei Kriegs­en­de 1945 noch mehr als die Hälf­te sei­nes bio­lo­gi­schen und mehr als zwei Drit­tel sei­nes schrift­stel­le­ri­schen Lebens vor sich hatte.
Damit zum Inhalt: Für sei­nen mäch­tig ins gesell­schaft­li­che Leben aus­grei­fen­den Tech­no­lo­gie­kon­zern braucht der geheim­nis­vol­le Mono­po­list Gia­co­mo Zap­pa­ro­ni einen „Mann fürs Gro­be”. Gesucht wird ein von Lega­li­täts­zwei­feln unbe­hel­lig­ter Sicher­heits­chef, der abwan­de­rungs­wil­li­ge Erfin­der dar­an hin­dert, das Know-how der Fir­ma der Kon­kur­renz preis­zu­ge­ben. Die Wahl fällt auf den stel­lungs­lo­sen, durch Welt(bürger)kriege des­ori­en­tier­ten Ritt­meis­ter Richard, des­sen per­sön­li­che sozia­le Mise­re wenig beruf­li­che Alter­na­ti­ven bie­tet. Wie er von Zap­pa­ro­ni geprüft, zunächst ver­wor­fen und letzt­lich in ande­rer Funk­ti­on dann doch akzep­tiert wird, bil­det den Hand­lungs- und Reflek­ti­ons­kern die­ser Erzäh­lung. Höhe­punkt sei­nes geis­ti­gen Duells mit Zap­pa­ro­ni ist eine Ent­de­ckung, die Richard Grau­en ein­flößt und ihm den Ein­druck ver­mit­telt, Zeu­ge einer scham­lo­sen inhu­ma­nen „Her­aus­for­de­rung” zu sein. Auf wel­che Wei­se er sie annimmt, wie also Jün­ger die­sen Hand­lungs­fa­den spinnt, zeigt den gewal­ti­gen Niveau­un­ter­schied zwi­schen einem tra­di­tio­nel­len Wort­kunst­werk und den zahl­rei­chen Pro­duk­ten einer aktu­ell so hoch gehan­del­ten Horrorliteratur.

Die Figur des Ritt­meis­ters, der sich in einer geschicht­li­chen Situa­ti­on wie die römi­sche Welt vor Acti­um wähnt, ist mit gro­ßem psy­cho­lo­gi­schem Ein­füh­lungs­ver­mö­gen gezeich­net. Das Pro­fil die­ses ver­meint­lich vom „Hunds­stern” betrof­fe­nen Man­nes erwächst aus dem Gegen­satz zu sei­nen erfolg­rei­che­ren ehe­ma­li­gen Kame­ra­den aus der Kriegs­schu­le. Mar­schall Fill­mor ver­kör­pert dabei den jeder­zeit ent­schlos­se­nen prag­ma­ti­schen Typus dis­po­nie­ren­der Intel­li­genz, Twin­nings den­je­ni­gen des von allen Sys­te­men her­an­ge­zo­ge­nen Brauch­ba­ren. Von beson­de­rer Art ist schließ­lich der Lei­ter der Kriegs­schu­le, Mon­te­ron, Ver­tre­ter einer tra­di­tio­nel­len sol­da­ti­schen Red­lich­keit, in alten Wer­ten und Denk­wei­sen befan­gen, gut­gläu­big und etwas beschränkt, was ihm jedoch auch als ethi­sches Plus zuge­rech­net wird.
Richard hin­ge­gen ist trotz frag­lo­ser Qua­li­tä­ten (nicht zuletzt als tech­ni­scher Spe­zia­list) ein sei­ner selbst unsi­che­rer Cha­rak­ter. Sei­ne Wert­vor­stel­lun­gen ent­stam­men einer frü­he­ren, geord­ne­ten Welt, die per­sön­lich beglau­bigt wer­den muß. Deren Zer­fall hat er eben­so­we­nig ver­wun­den wie die mili­tä­ri­sche Nie­der­la­ge, die er als Fort­set­zung frü­he­rer Demü­ti­gun­gen und schmerz­li­cher Lern­pro­zes­se begreift. Ihn kenn­zeich­nen Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit, ein gleich­gül­tig-fata­lis­ti­sches Trei­ben und gele­gent­li­ches Absin­ken in sozia­le Nie­de­run­gen eben­so wie Gewis­sens­skru­pel und „Defai­tis­mus”, wor­un­ter sich aller­dings nicht zuletzt Res­te einer unver­äu­ßer­li­chen Mora­li­tät verbergen.
Des­un­ge­ach­tet müht er sich stän­dig, mehr oder weni­ger ver­geb­lich, alte Nor­men als kar­rie­re­schäd­li­che Hemm­nis­se zu über­win­den und im Sin­ne der neu­en Zeit auch mora­lisch vom „Pferd” in den „Pan­zer” umzu­stei­gen. Zeit­wei­li­ge Ret­tung erfährt er durch die Lie­be sei­ner Frau, die ihn zu sei­nem Vor­teil über­schätzt und dadurch see­lisch stützt. Sei­ne Wün­sche zie­len daher am Schluß nur mehr auf ein klei­nes, ein­fa­ches Glück per­sön­li­cher mensch­li­cher Soli­da­ri­tät: auf ein Lächeln, „das stär­ker war als alle Auto­ma­ten” und zugleich „strah­len­de Wirk­lich­keit” verhieß.
In die­se sub­ti­le Per­so­nen­zeich­nung flicht der Autor bedeut­sa­me Beob­ach­tun­gen ein zum Ver­hal­ten von Indi­vi­du­um und Mas­se sowie zur Anzie­hungs­kraft von Füh­rer- und Vater­fi­gu­ren. Er exem­pli­fi­ziert sie in Jugend­epi­so­den, die ihn zur jähen Erkennt­nis füh­ren, daß Moral letzt­lich nicht im Ver­bund der Mas­se zu haben, son­dern vom Ein­zel­nen selbst zu ver­ant­wor­ten ist. Hier deu­tet sich das an, was bei aller (teils pro­vo­ka­ti­ven) Infra­ge­stel­lung eines offen­bar grund­le­gend zer­stör­ten Wer­te­ka­nons einem zwei­feln­den Erzäh­ler als ein­zi­ge mora­li­sche Leh­re bleibt: daß der Ein­zel­ne nur noch sein Men­schen­tum wahrt, wenn er zuwei­len auch ein­mal bereit ist, aus dem Mecha­nis­mus des Bloß-noch-Funk­tio­nie­rens aus­zu­stei­gen. Die sym­bo­li­sche Sze­ne, in der Richard in reflex­haf­tem Ekel einen Mikro-Robo­ter zer­schlägt, bestä­tigt ihn jen­seits poli­ti­scher Tages­kon­stel­la­tio­nen als ewi­gen Außen­sei­ter und unan­ge­paß­ten Cha­rak­ter. Gleich­zei­tig rela­ti­viert der Autor aber auch die­se vor­bild­li­che Hal­tung, indem er Richard, den Nicht-Brauch­ba­ren und Schwer-Kom­pa­ti­blen, dann auf ande­re Wei­se (in ver­mit­teln­der Posi­ti­on) dienst­bar wer­den läßt. In einer aus den Fugen gera­te­nen Welt ent­kommt man den ethi­schen Kon­flikt­la­gen eben allen­falls schein­bar oder temporär.

Ver­gli­chen mit ande­ren Jün­ger­schen Epo­chen­mo­del­len wie Auf den Mar­mor­klip­pen oder Helio­po­lis kenn­zeich­net die­sen Text eine grö­ße­re erzäh­le­ri­sche Leich­tig­keit. Selbst Relik­te nost­al­gi­scher Melan­cho­lie wer­den meist in sach­li­cher Bei­läu­fig­keit prä­sen­tiert. Das war in den zuvor genann­ten Roma­nen gewiß nicht so, in denen sich der hohe Ton durch die weit­ge­hen­de Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem jewei­li­gen Prot­ago­nis­ten ergab. Die Glä­ser­nen Bie­nen hin­ge­gen ver­mit­teln pha­sen­wei­se sogar eine (fast iro­ni­sche) Distanz des Autors zum Ich-Erzäh­ler. Zwei­fel­los wei­ter­hin ent­hal­te­ne auto­bio­gra­phi­sche Ten­den­zen hat er spie­le­risch oder gar augen­zwin­kernd ver­schlei­ert. So wer­den dem mit­tel­lo­sen „Hel­den” bei­spiels­wei­se aus­drück­lich Söh­ne ver­sagt, Abnei­gung gegen Schlan­gen unter­scho­ben oder zoo­lo­gi­sche Kennt­nis­se abge­spro­chen, was für Jün­ger nun wirk­lich nicht zutraf.
Ande­rer­seits ent­hält der Text eine per­sön­li­che Bilanz der ideel­len Umbrü­che der letz­ten Jahr­zehn­te sowie – ver­schlüs­selt, doch im Kern sehr auf­rich­tig – wich­ti­ge bio­gra­phi­sche Details, die teil­wei­se auf ein Spät­werk wie Die Zwil­le vor­aus­wei­sen. Zur Bilanz sei­nes bis­he­ri­gen Lebens gehört nicht zuletzt das Ein­ge­ständ­nis einer star­ken intel­lek­tu­el­len Neu­gier, die ihn im Gegen­satz zum Typus Mon­te­ron immer mal wie­der auch in Anrü­chi­ges ver­strickt hat. Bereits in Blät­ter und Stei­ne hat­te er for­mu­liert: „Für den Autor gibt es kei­nen schlech­ten Ver­kehr.” Nun, bei sol­chen lite­ra­ri­schen Ergeb­nis­sen eines impo­nie­ren­den Œuvres spricht eini­ges für die­sen Apho­ris­mus. Zumin­dest hält der mora­li­sche Beck­mes­ser dage­gen schlech­te Karten.

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