Setzen Sie auf die Frauen! – Interview mit Karima Dahab, 26

pdf der Druckfassung aus Sezession 40 / Februar 2011

Gesternabend: "Die Fremde" auf DVD, ein preisgekrönter Film über...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

eine jun­ge tür­ki­sche Frau, die in Deutsch­land auf­wuchs, in der Tür­kei ver­hei­ra­tet ist und mit ihrem Sohn den Mann ver­läßt, um wie­der in Deutsch­land zu leben. Sie ent­ehrt damit ihre Fami­lie, ver­liert ihre Fami­lie, wird in dop­pel­tem Sin­ne zur Frem­den und am Ende bei­na­he das Opfer eines Ehren­mor­des. Zwei Aspek­te wer­den im Film gut herausgeschält:

1. Wer den Weg des euro­päi­schen (hier: deut­schen) selbst­be­stimm­ten Indi­vi­du­ums gehen möch­te, zer­stört alte, fes­te Bin­dun­gen, und zwar auch dann, wenn er dies nicht möch­te, son­dern gera­de­zu um Ver­ständ­nis fleht. 2. Es sind außer­ge­wöhn­li­che Frau­en, die dazu die Kraft haben. Und sie sind  – bei allem Ver­ständ­nis und Wohl­wol­len – tat­säch­lich befrem­dend in ihrer Bereit­schaft, die Brü­cken wirk­lich abzu­bre­chen. Auch dar­um geht es in einem Gespräch, das wir mit der Marok­ka­ne­rin Kari­ma Dahab füh­ren konnten.

SEZESSION: Frau Dahab, Sie sind in Deutsch­land gebo­ren, Ihre Eltern stam­men aus Marok­ko. Sie selbst sind sechs­und­zwan­zig und stu­die­ren in Augs­burg. Was machen Ihre Geschwis­ter? Ist Ihre Fami­lie ganz und gar in Deutsch­land angekommen?
KARIMA DAHAB: Ich zäh­le mal auf: Mei­ne ältes­te Schwes­ter hei­ra­te­te, nach­dem sie ihr Mathe­ma­tik-Stu­di­um abbrach und eine Leh­re zur Schnei­de­rin mach­te, einen Ver­wand­ten aus Marok­ko, aus die­ser Ehe sind bis­her zwei Kin­der her­vor­ge­gan­gen. Sie ist nun Haus­frau und Mut­ter. Eine ande­re Schwes­ter stu­diert Medi­zin in Mün­chen. Die drit­te Schwes­ter besucht die Ober­stu­fe. Mein ältes­ter Bru­der brach sein BWL-Stu­di­um ab, mach­te eine Leh­re als Kauf­mann und hei­ra­te­te eine Marok­ka­ne­rin. Die bei­den haben drei Kin­der. Der zwei­te Bru­der mach­te eine Leh­re zum Auto­me­cha­ni­ker, ist ver­hei­ra­tet und hat noch kei­ne Kin­der. Der drit­te Bru­der besucht die Oberstufe.

Ich bin nicht der Mei­nung, daß mei­ne Fami­lie in Deutsch­land ange­kom­men ist. Mei­ne Eltern leh­nen jede Form der Inte­gra­ti­on, die über die simp­le Ein­hal­tung der deut­schen Gesetz­ge­bung hin­aus­geht, ab. Zudem spricht nur mein Vater ein recht gutes Deutsch, wäh­rend mei­ne Mut­ter kaum Deutsch spricht, auch nicht nach über drei­ßig Jah­ren. Sie ist zudem Analpha­be­tin, was die Sache zusätz­lich erschwert.
Bei den Schwes­tern, die eine aka­de­mi­sche Lauf­bahn anstre­ben, scheint es, als sei­en sie in Deutsch­land ange­kom­men, doch das isla­mi­sche Welt­bild nimmt immer noch eine ent­schei­den­de Bedeu­tung in ihrer Lebens­ge­stal­tung ein, auch wenn sie kei­nen Schlei­er tra­gen und nach außen hin ange­paßt erschei­nen. Mei­ne Brü­der tei­len die Reli­gio­si­tät und das poli­ti­sche Welt­bild mei­nes Vaters, wel­ches sich gegen alle west­li­chen Sys­te­me, ein­schließ­lich Deutsch­land, rich­tet und geprägt ist von einem star­ken Antisemitismus.

SEZESSION: Und Sie selbst? Sind Sie auch in der Schwebe?
KARIMA DAHAB: Was mich betrifft, so bin ich der Mei­nung, daß ich ganz und gar in Deutsch­land ange­kom­men bin. Bei mei­ner Lebens­ge­stal­tung ori­en­tie­re ich mich nicht an marok­ka­ni­schen Tra­di­tio­nen, auch nicht an der isla­mi­schen Reli­gi­on, son­dern an deut­schen Nor­men und Wer­ten. Die­se ent­neh­me ich unse­rem Grund­ge­setz, dem Chris­ten­tum, der Geschich­te, der Phi­lo­so­phie, der Lite­ra­tur, und ich fin­de sie auch bei vor­bild­li­chen deut­schen Men­schen in mei­nem Umfeld.
Aber, noch ein­mal grund­sätz­lich: Was heißt »in Deutsch­land ankom­men«? Wor­an wird das gemes­sen und wer mißt? Es besteht in jedem Fal­le eine Erwar­tung zur Anpas­sung sei­tens der Deut­schen, und bei Ihnen, den Rech­ten, for­dert man sogar Assi­mi­la­ti­on, nicht wahr? Da bleibt mir nur zu sagen: Ganz egal, wie sehr ich ver­su­che und wil­lens bin, mich deut­schen Nor­men und Wer­ten iden­tisch zu machen: eine Dif­fe­renz wird immer bestehen bleiben.

SEZESSION: Auch Assi­mi­la­ti­on läßt Raum für einen spe­zi­fi­schen Rest, auch das deut­sche Volk ist schil­lernd in sei­ner Unter­schied­lich­keit. Aber wei­ter: Sie sagen im Prin­zip, daß gläu­bi­ge Mos­lems nicht assi­mi­la­ti­ons­fä­hig sei­en. Ist das so?
KARIMA DAHAB: Sie kön­nen bei den Mus­li­men in Deutsch­land die Lai­en von den Gemä­ßig­ten und die­se wie­der­um von den fun­da­men­ta­len Mus­li­men unter­schei­den. Die Assi­mi­la­ti­on eines fun­da­men­ta­len Islams in ein Staa­ten­sys­tem, das dem auf Koran und Sun­nah grün­den­den Got­tes­staat wider­spricht, ist voll­kom­men aus­ge­schlos­sen. Des Wei­te­ren dür­fen Mus­li­me nach isla­mi­scher Gesetz­ge­bung nicht in einem von Ungläu­bi­gen regier­ten Staat leben. Es gel­ten dabei nur zwei Aus­nah­men; ent­we­der man befin­det sich aus beruf­li­chen Grün­den auf einer Art der Durch­rei­se, oder aber man ver­folgt mis­sio­na­ri­sche Zwe­cke. Dar­aus schlie­ße ich: Je gläu­bi­ger ein Mos­lem ist, des­to weni­ger assi­mi­la­ti­onswil­lig ist er, und je assi­mi­la­ti­ons­wil­li­ger ein Mos­lem ist, des­to weni­ger gläu­big ist er. Im zwei­ten Fal­le sprä­chen wir näm­lich von einem Mos­lem, der bereit wäre, sei­nen Glau­ben und damit Gott in Fra­ge zu stel­len und letzt­lich ein Ungläu­bi­ger zu wer­den. Denn: »Jede Ver­än­de­rung führt in die Irre und jeder Irr­weg führt in die Höl­le«, heißt es in einem Hadith des Pro­phe­ten und Gesand­ten Mohammed.
Die Unter­schei­dung gemä­ßig­ter von fun­da­men­ta­len Mus­li­men hal­te ich für unzu­rei­chend, sie läßt außer Acht, daß der »Durch­schnitts­mos­lem« nicht bloß nach sei­nem Glau­ben, son­dern eben­so nach sei­ner Kul­tur und Tra­di­ti­on lebt, und bereits hier begin­nen die Unver­ein­bar­kei­ten. Die deut­sche Leit­kul­tur fin­det kei­ner­lei Wert­schät­zung, wie soll­te sie auch? Sogar die Deut­schen selbst gehen mit ihren Tra­di­tio­nen sehr läs­sig um. Und so ver­zich­ten vie­le isla­mi­sche Fami­li­en auf den Kin­der­gar­ten­be­such, las­sen das Kind lie­ber an einer Koran- und Ara­bisch-Schu­le unter­rich­ten oder unter­rich­ten es zu Hau­se. Es kennt kei­ne christ­li­chen Fei­er­ta­ge, geht nicht auf Klas­sen­fahr­ten, hat kei­nen Schwimm­un­ter­richt, kei­nen Reli­gi­ons­un­ter­richt, kei­nen Phi­lo­so­phie­un­ter­richt, es gibt weder Gesang, noch Kunst – man ist wirk­lich nicht da, nicht angekommen.
Ich selbst bin nicht mehr gläu­big. Man ist im Islam vor Gott aus­ge­tre­ten, wenn man drei Tage lang das Gebet vor­sätz­lich unter­läßt. Mein letz­tes Gebet ver­rich­te­te ich vor etwa zwei Jah­ren. Ich hal­te das für eine Grund­vor­aus­set­zung für ein glaub­wür­di­ges Ja zu Deutschland.

SEZESSION: Mit Ver­laub, Frau Dahab, da sind wir ver­schie­den – mein Ja zum der­zei­ti­gen Deutsch­land hat Ris­se, und zwar dort, wo Sie davon spra­chen, daß die deut­sche Leit­kul­tur kei­ner­lei Wert­schät­zung erfahre …
KARIMA DAHAB: Viel­leicht ver­ste­hen Sie sich dann ganz gut mit mei­nen Brü­dern. Sie wür­den nie Deut­sche sein wol­len. Sie sind stolz Marok­ka­ner zu sein, obwohl ihre Eltern die­ses erbärm­li­che Land ver­lie­ßen, weil sie sich nichts von ihm erhoff­ten. Mei­ne Brü­der ver­bin­den mit Deutsch-Sein vor allem männ­li­che Schwä­che und intel­lek­tu­el­les Geha­be. Sie hal­ten sich selbst jedoch für ange­paßt, denn sie füh­ren mitt­ler­wei­le – nach­dem einer von ihnen, nicht alle, zuvor ein Klein­kri­mi­nel­ler war – ein geord­ne­tes Leben. Sie gehen zur Schu­le, üben ihren Beruf aus und grün­den Fami­li­en. Sie leben in jeder Hin­sicht ein vor­ge­zeich­ne­tes Leben. Im Grun­de ver­tre­ten sie das klas­sisch-isla­mi­sche Welt­bild, wel­ches die gesam­te Welt­ge­schich­te als einen Dua­lis­mus zwi­schen der ein­zig wah­ren Reli­gi­on, dem Islam, und dem all­ge­mei­nen Unglau­ben ver­steht. An Deutsch­land schät­zen sie nur und ins­be­son­de­re die Sozi­al­staat­lich­keit. Mein Vater sag­te einst, daß die­sem Land nur noch der wah­re Glau­be fehle.

SEZESSION: Ihre Schwes­tern nun …
KARIMA DAHAB: Dar­auf woll­te ich gera­de zu spre­chen kom­men. Es ist wirk­lich nicht schwer zu erra­ten, war­um die Frau­en in unse­rer Fami­lie und Sip­pe flei­ßi­ger und erfolg­rei­cher sind. In Kul­tu­ren wie unse­rer tra­gen die Frau­en sämt­li­che Las­ten und die gan­ze Ver­ant­wor­tung. Sie unter­lie­gen einem stren­gen Über­wa­chungs­sys­tem, wel­ches beim Vater, dem Fami­li­en­ober­haupt beginnt, sich bei den Onkeln, Brü­dern, Cou­sins, Ehe­män­nern und sogar den eige­nen Söh­nen fort­setzt. Die Frau­en tra­gen lei­der dazu bei, daß sich die­ses Sys­tem erhält, indem sie sich den Anord­nun­gen unter­wer­fen und jeg­li­che Form der Schan­de abwen­den wol­len – obwohl vie­les gar nicht schänd­lich, son­dern in Deutsch­land selbst­ver­ständ­lich ist.
Jede Frau, die die­sen Kreis­lauf durch­bre­chen will, durch­schaut das Gan­ze und fin­det sich in Deutsch­land in einer vor­teil­haf­ten Situa­ti­on. Die Schul­pflicht garan­tiert ihr ein abwechs­lungs­rei­ches, die Selbst­ent­fal­tung för­dern­des Umfeld. Sie erkennt recht schnell, daß Bil­dung der ein­zi­ge Weg zur Selbst­ver­sor­gung und Selbst­be­stim­mung ist. Ganz wich­tig ist auch die frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung Deutsch­lands. Sie ermög­licht staats­recht­li­chen Druck, dem eine fun­da­men­tal-isla­mi­sche Fami­lie nicht stand­hal­ten kann. Ich hof­fe sehr, das bleibt auch so!

SEZESSION: Aber sehen Sie denn die Auf­lö­sung aller Din­ge nicht, die aus der völ­li­gen Preis­ga­be der Tra­di­tio­nen und Kor­sett­stan­gen her­rührt? Wir Deut­sche haben doch glau­bens­star­ken, tra­di­ti­ons­be­wuß­ten Män­nern wie Ihren Brü­dern nicht viel anzu­bie­ten oder entgegenzusetzen.
KARIMA DAHAB: Wenn das wahr ist, haben sich die Deut­schen ihren Unter­gang ver­dient. Ich spre­che auch nicht von einer völ­li­gen Preis­ga­be jeg­li­cher Ord­nung, son­dern von Struk­tu­ren die nicht repres­siv sind, son­dern das Indi­vi­du­um schüt­zen. Wenn ich mir vor­stel­le, wel­ches Leben ich in Marok­ko vor mir gehabt hät­te und wel­ches ich nun leben kann, dann kom­men mir Ihre Pro­ble­me wie Luxus­pro­ble­me vor. Ehr­lich, ich kann nur sagen: Set­zen Sie auf die Frauen.

SEZESSION: Auf die Frau­en set­zen, bedeu­te­te: Fami­li­en vor Zer­reiß­pro­ben zu stel­len. Oder sind Sie noch ein gern­ge­se­he­ner Teil Ihrer Familie?
KARIMA DAHAB: Ja, so ist es. Man muß sich ent­schei­den: Für oder gegen den Glau­ben, für oder gegen die Fami­lie. Und nein, ich bin kein gern­ge­se­he­ner Teil mei­ner Fami­lie mehr. Ich wer­de immer unbeliebter.

(Aus­zug aus dem The­men­heft “Islam” der Zeit­schrift Sezes­si­on. Druck­aus­ga­be hier einsehen)

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