Von China und Mao lernen

pdf der Druckfassung aus Sezession 39 / Dezember 2010

von Peter Kuntze

Josef Joffe, Herausgeber der Zeit und hin und wieder gerne deutsches Sprachrohr des Pentagon, sieht sein europäisch-atlantisches Weltbild wanken.

Schuld dar­an ist Chi­na. »War­um«, so fragt er stell­ver­tre­tend für alle, die das libe­ral-kapi­ta­lis­ti­sche Demo­kra­tie-Modell für das Ende der Geschich­te hal­ten, »war­um gehorcht ein Land nach drei­ßig Jah­ren hoch­pro­zen­ti­gen Wachs­tums noch immer dem Einparteienstaat?

Wie kann man mit einem Bein (Kapi­ta­lis­mus) sprin­ten, mit dem ande­ren (Demo­kra­tie) lah­men?« Schließ­lich habe die Geschich­te doch gezeigt, daß Deutsch­land, Ruß­land und Japan als die drei Nach­züg­ler bei der demo­kra­ti­schen Ent­wick­lung zwar im letz­ten Drit­tel des 19. Jahr­hun­derts unter Frei­heits­ent­zug rasan­ter gewach­sen sei­en als die ande­ren, der Preis für ihren poli­ti­schen Rück­stau sei aber im frü­hen 20. Jahr­hun­dert fäl­lig gewor­den: Revo­lu­ti­on (Deutsch­land und Ruß­land). Wie also kön­ne Chi­nas KP »sol­che Gesetz­mä­ßig­keit« aushebeln?
Da Jof­fe kei­ne der (west­li­chen) Ver­nunft gemä­ße Erklä­rung fin­det, tippt er auf Gehirn­wä­sche: »Jen­seits des Wohl­stands, der seit einer Gene­ra­ti­on anschwillt, ist es der Par­tei offen­bar gelun­gen, dem Volk das rich­ti­ge, das heißt staats­tra­gen­de Bewußt­sein ein­zu­pflan­zen … Die Pro­fi­teu­re der klei­nen Frei­hei­ten, die auf­stei­gen­den Klas­sen, haben die Zügel der Par­tei ver­in­ner­licht; das Regime muß nicht zer­ren und züch­ti­gen.« In Euro­pa sei es unter Kai­ser und Zar genau umge­kehrt gewe­sen – je rei­cher das Land, des­to lau­ter der Ruf nach poli­ti­scher Teil­ha­be. In Chi­na indes habe, obwohl der Kom­mu­nis­mus tot sei, die KP noch immer recht. »Wie lan­ge?« Mit die­ser Fra­ge gibt Jof­fe der Hoff­nung Raum, mit dem west­li­chen Poli­tik-Latein viel­leicht doch noch nicht ganz am Ende zu sein. Im übri­gen, so hat­te er sich und sei­nen Lesern bereits frü­her Mut gemacht, könn­ten Errun­gen­schaf­ten wie bei­spiels­wei­se der iPod nur von frei­en Indi­vi­du­en erfun­den wer­den, nicht aber von Mit­glie­dern einer Gesell­schaft, die im Kol­lek­ti­vis­mus verharre.
Der­ar­ti­ge Ein­schät­zun­gen sind typisch für jene Geschichts­ver­ges­sen­heit und Über­heb­lich­keit, mit denen der Wes­ten jahr­zehn­te­lang die Welt­po­li­tik domi­niert hat. Kul­mi­na­ti­ons­punkt war die his­to­ri­sche Wen­de von 1989/90, die Fran­cis Fuku­ya­ma im Zei­chen des Tri­um­phes der kapi­ta­lis­ti­schen Demo­kra­tien das »Ende der Geschich­te« ver­kün­den ließ – ein vor­ei­li­ger Tri­umph, wie sich rasch her­aus­stell­te. Fra­ge­stel­lern wie Jof­fe hat Pekings stell­ver­tre­ten­de Außen­mi­nis­te­rin Fu Ying daher die bün­di­ge Ant­wort erteilt: »Wenn Sie Chi­na immer an Ihren Maß­stä­ben mes­sen, und wenn Sie erwar­ten, Chi­na wer­de eines Tages wie der Wes­ten sein, dann wird die­se Hoff­nung Sie immer wie­der trü­gen … Sie soll­ten jeden­falls nicht glau­ben, daß alle in Chi­na ohne Gehirn her­um­lau­fen. 1,3 Mil­li­ar­den Menschen!«
Und in der Tat: Die Erfol­ge, die die Volks­re­pu­blik auf­zu­wei­sen hat, zeu­gen ein­drucks­voll von dem gro­ßen poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Sach­ver­stand, mit dem jenes Land regiert wird, das mit sei­nen geo­gra­phi­schen Dimen­sio­nen von Nor­we­gen bis Ita­li­en sowie von Frank­reichs Atlan­tik­küs­te bis zum Ural kon­ti­nen­ta­le Aus­ma­ße hat. Als Deng Xiao­ping 1978, zwei Jah­re nach Mao Zedongs Tod, Abschied von des­sen uto­pi­schen Träu­men nahm und unter dem prag­ma­ti­schen Mot­to »Es ist egal, ob eine Kat­ze schwarz oder weiß ist – Haupt­sa­che, sie fängt Mäu­se« die Reform­po­li­tik durch­setz­te, wur­den die Volks­kom­mu­nen auf­ge­löst und die Märk­te schritt­wei­se auch für aus­län­di­sches Kapi­tal geöffnet.

Ein rasan­ter Auf­hol­pro­zeß begann, der mit jähr­li­chen Wachs­tums­ra­ten zwi­schen neun und elf Pro­zent inner­halb von drei­ßig Jah­ren dazu führ­te, daß sich das Durch­schnitts­ein­kom­men der Chi­ne­sen, fast eines Fünf­tels der Welt­be­völ­ke­rung, mehr als ver­zehn­facht hat. Nie zuvor in der Geschich­te haben sich in so kur­zer Zeit so vie­le Men­schen von der Armut befreit – eine Leis­tung, die im Wes­ten nie gerecht gewür­digt wor­den ist. Dabei sind Nah­rung, Klei­dung und aus­rei­chen­der Wohn­raum die ele­men­ta­ren Men­schen­rech­te, die erfüllt sein müs­sen, um über­haupt ein Leben in Wür­de füh­ren zu kön­nen. Wäre die chi­ne­si­sche Regie­rung den stän­di­gen Ein­re­den des Wes­tens gefolgt und hät­te nach des­sen Modell par­la­men­ta­ri­sche Demo­kra­tie und indi­vi­du­el­le Frei­heits­rech­te impor­tiert, wäre das Rie­sen­reich wohl – wie so oft in sei­ner bald fünf­tau­send­jäh­ri­gen Geschich­te – längst in bür­ger­kriegs­ar­ti­gen Wir­ren aus­ein­an­der­ge­bro­chen. Heu­te hat Chi­na dank sei­nes eige­nen Ent­wick­lungs­kon­zepts Japan als zweit­stärks­te Wirt­schafts­na­ti­on abge­löst, ist Export-Welt­meis­ter und mit einem Devi­sen­schatz von rund 2,5 Bil­lio­nen Dol­lar der größ­te Gläu­bi­ger der USA.
Mögen Chi­nas Füh­rer auch schwe­re Feh­ler began­gen haben und, vor allem Mao nach 1949, die Ver­ant­wor­tung für ent­setz­li­ches Leid und immensen Scha­den tra­gen, so genie­ßen doch sie und die Par­tei, in deren Namen sie agier­ten, bis heu­te Ach­tung und gro­ßen Respekt. Schließ­lich weiß jeder Chi­ne­se, was er ihnen zu ver­dan­ken hat. »Mao Zedong«, so lau­tet das Cre­do, »hat uns von Feu­da­lis­mus und kolo­nia­ler Aus­beu­tung und Unter­drü­ckung befreit, Deng Xiao­ping von der Armut.« Im gegen­warts­fi­xier­ten Wes­ten wird nur all­zu leicht ver­ges­sen, daß Maos gro­ße Lebens­leis­tung vor sei­ner Pro­kla­ma­ti­on der Volks­re­pu­blik liegt: 1893 gebo­ren, gehör­te er 1921 zu den zwölf Grün­dungs­mit­glie­dern der KP, die er von 1934 bis 1936 auf dem Lan­gen Marsch quer durch Chi­na zu den Löß­höh­len von Yen­an führ­te, von wo aus er zusam­men mit Deng, Zhou Enlai und vie­len ande­ren die »Volks­be­frei­ungs­ar­mee« erst im Gue­ril­la­kampf gegen die japa­ni­schen Inva­so­ren und spä­ter im Bür­ger­krieg gegen die Trup­pen Tschiang Kai-scheks bis zum Sieg befeh­lig­te. Nach dem Tod des Repu­blik­grün­ders Sun Yat-sen (1925) hat­te Gene­ra­lis­si­mus Tschiang des­sen Erbe auch als Vor­sit­zen­der der Natio­na­len Volks­par­tei (Kuom­in­tang) ange­tre­ten und war 1948/49 mit den letz­ten Getreu­en auf die Pro­vinz-Insel Tai­wan (For­mo­sa) geflüch­tet, wo der Dik­ta­tor samt kor­rup­tem Fami­li­en­clan, von den USA finan­zi­ell und mili­tä­risch unter­stützt, bis zu sei­nem Tod im Jahr 1975 so rea­li­täts­blind wie sei­ne Gön­ner von der Rück­erobe­rung des kom­mu­nis­ti­schen Fest­lan­des träumte.
Maos poli­ti­sches Leben läßt sich somit in zwei bei­na­he gleich lan­ge Peri­oden ein­tei­len: Die ers­te umfaßt 28 Jah­re von der Grün­dung der KP (1921) bis zum Sieg im Bür­ger­krieg, die zwei­te 27 Jah­re vom Beginn des sozia­lis­ti­schen Auf­baus (1949) bis zu sei­nem Tod (1976). Die Ver­eh­rung, die er trotz kata­stro­pha­ler Fehl­ent­schei­dun­gen – »Gro­ßer Sprung nach vorn« (1958), Kul­tur­re­vo­lu­ti­on (1966 bis 1976) – in brei­ten Krei­sen der Bevöl­ke­rung nach wie vor genießt, bezieht sich pri­mär auf die ers­te Zeit­span­ne, denn es war vor­nehm­lich Maos Ver­dienst, nach hun­dert­jäh­ri­gem Nie­der­gang das eins­ti­ge »Reich der Mit­te« wie­der auf­ge­rich­tet und sta­bi­li­siert zu haben. Inne­rer und äuße­rer Zer­fall hat­ten 1840 nach der Nie­der­la­ge im Opi­um­krieg mit Eng­land begon­nen und auch nach dem Sturz der man­dschu­ri­schen Qing-Dynas­tie (1911) durch die von Sun Yat-sen initi­ier­te bür­ger­li­che Revo­lu­ti­on und die erst­ma­li­ge Grün­dung einer Repu­blik nicht gestoppt wer­den kön­nen. Auf­grund zahl­rei­cher »unglei­cher Ver­trä­ge « hat­ten Japan, die USA und die euro­päi­schen Mäch­te dem Dra­chen­thron einen halb­ko­lo­nia­len Sta­tus auf­ge­zwun­gen, wäh­rend ein­hei­mi­sche Feu­dal­her­ren und war­lords die weit­ge­hend analpha­be­ti­schen Bau­ern­mas­sen nach wie vor aus­plün­der­ten und unterjochten.

In dem zum Mythos gewor­de­nen Jahr­zehnt von Yen­an bau­ten Mao und sei­ne Genos­sen in der nörd­li­chen Pro­vinz Schen­si einen klei­nen Sowjet­staat auf, in dem sie en minia­tu­re und wie in einer Lehr­werk­statt die Lösung poli­ti­scher, mili­tä­ri­scher, land­wirt­schaft­li­cher, indus­tri­el­ler und kul­tu­rel­ler Pro­ble­me in Theo­rie und Pra­xis erprob­ten. Beim sieg­rei­chen Ein­zug in Peking ver­füg­ten sie daher über einen aus Mar­xis­mus und alt­chi­ne­si­schen Weis­heits­leh­ren gespeis­ten Erfah­rungs­schatz, auf den sie sich bei der Umge­stal­tung des gigan­ti­schen Lan­des stüt­zen konn­ten. Schon damals waren die sowjet­rus­si­schen Kom­mu­nis­ten ihren chi­ne­si­schen Genos­sen mit Miß­trau­en begeg­net und hat­ten gearg­wöhnt, die­se sei­en in Wahr­heit »wie Radies­chen: außen rot und innen weiß« – ein zutref­fen­des Urteil, wie sich spä­tes­tens nach Maos Tod her­aus­ge­stellt hat. Der von Deng Xiao­ping ent­wi­ckel­te »Sozia­lis­mus chi­ne­si­scher Prä­gung« hat nichts mehr mit den Dog­men des ortho­do­xen Mar­xis­mus-Leni­nis­mus zu tun, son­dern ist ein auto­ri­tä­rer und über­aus erfolg­rei­cher Staats­ka­pi­ta­lis­mus, der mit Leis­tungs­ethos, Bil­dungs­be­flis­sen­heit, Dis­zi­plin, Fleiß, kind­li­chem Gehor­sam und Ahnen­kult wesent­li­che Ele­men­te des wie­der zu Ehren gekom­me­nen Kon­fu­zia­nis­mus auf­ge­nom­men hat. Hier zeigt sich ein­mal mehr, daß das natio­na­le Erbe als geis­ti­ger Habi­tus stär­ker ist als alle ideo­lo­gi­schen Lehrsätze.
Auch Mao Zedong, Meis­ter der Kal­li­gra­phie und Kön­ner in der klas­si­schen Dicht­kunst, war in ers­ter Linie ein Sohn des ältes­ten Kul­tur­vol­kes der Welt und hat­te ver­sucht, den Mar­xis­mus zu sini­sie­ren, indem er ihn mit tra­di­tio­nel­ler chi­ne­si­scher Phi­lo­so­phie ver­band. Vie­le sei­ner Ideen haben bis heu­te nichts von ihrer Aktua­li­tät ein­ge­büßt, so daß es ange­sichts der zu erwar­ten­den Ver­schär­fung innen- und außen­po­li­ti­scher Kon­flik­te von Nut­zen sein kann, nach dem Bei­spiel Carl Schmitts das ana­ly­ti­sche Besteck zu ver­grö­ßern und von einem ori­gi­nel­len Den­ker zu ler­nen. Schmitt hat­te sei­ne 1932 erschie­ne­ne Schrift Der Begriff des Poli­ti­schen drei­ßig Jah­re spä­ter durch eine »Zwi­schen­be­mer­kung« erwei­tert und in der Abhand­lung Theo­rie des Par­ti­sa­nen Bezug auf Mao genom­men – »den größ­ten Prak­ti­ker des revo­lu­tio­nä­ren Krie­ges und zugleich sei­nen berühm­tes­ten Theoretiker«.
Aus­gangs­punkt für Maos Den­ken ist ein monis­ti­sches Welt­bild, des­sen per­ma­nen­te Dia­lek­tik das Ende offen­läßt, Nie­der­la­gen ein­kal­ku­liert und das Rin­gen um eine bes­se­re Ord­nung als fort­wäh­ren­de Auf­ga­be begreift: »Leben ist Tod, Tod ist Leben. Gegen­wart ist Ver­gan­gen­heit und Zukunft, Ver­gan­gen­heit und Zukunft sind Gegen­wart. Yin ist Yang und das sich Wan­deln­de ist ewig … Der Wider­spruch ist all­ge­mein, abso­lut, er exis­tiert in allen Ent­wick­lungs­pro­zes­sen der Din­ge, er durch­dringt alle Pro­zes­se von Anfang bis Ende.« Daher wer­de der poli­ti­sche Kampf, auch in der Par­tei, immer wie­der auf­bre­chen, denn: »Über­all, wo Men­schen leben – das heißt an jedem Ort außer in der Wüs­te –, tei­len sie sich in die Lin­ke, in der Mit­te Ste­hen­de und Rech­te. Das wird in zehn­tau­send Jah­ren noch so sein.«

Bereits in Yen­an hat­te Mao 1937 die bei­den grund­le­gen­den Essays Über den Wider­spruch und Über die Pra­xis ver­faßt, um, wie es spä­ter in den Anmer­kun­gen hieß, »die damals gras­sie­ren­den Feh­ler einer dog­ma­ti­schen Denk­wei­se zu über­win­den«. Aus­führ­lich ana­ly­sier­te er Haupt- und Neben­wi­der­sprü­che der sei­ner­zei­ti­gen Gesell­schaft und erklär­te, wie sie geschickt zu lösen sei­en. Zwan­zig Jah­re spä­ter, nach dem Sieg der Revo­lu­ti­on, aktua­li­sier­te Mao sei­ne The­sen in der 1957 als Rede kon­zi­pier­ten Arbeit Über die rich­ti­ge Behand­lung der Wider­sprü­che im Volk.
Zunächst leg­te er dar, wer unter den Bedin­gun­gen des sich neu for­mie­ren­den Staa­tes als »Feind« zu gel­ten habe und wer zum »Volk« gehö­re. Die Gegen­sät­ze zwi­schen die­sen bei­den Prot­ago­nis­ten sei­en von Natur aus ant­ago­nis­tisch, könn­ten aber durch intel­li­gen­te poli­ti­sche Maß­nah­men ent­schärft und auf fried­li­che Wei­se gelöst wer­den. So waren in Chi­na 1956 bei­spiels­wei­se alle kapi­ta­lis­ti­schen Indus­trie- und Han­dels­be­trie­be in gemischt staat­lich-pri­va­te Unter­neh­men ver­wan­delt wor­den, wobei der Staat den ehe­ma­li­gen Eigen­tü­mern im Zuge einer Ablö­se­po­li­tik für eine bestimm­te Frist jähr­lich fes­te Zin­sen für ihr ein­ge­brach­tes Kapi­tal zahl­te oder sie als Geschäfts­füh­rer mit Ren­di­te-Betei­li­gung ein­setz­te. Bei den »Wider­sprü­chen im Volk« unter­schied Mao jene zwi­schen Arbei­tern und Bau­ern, zwi­schen Arbei­tern, Bau­ern und der Intel­li­genz, zwi­schen Regie­rung und Volk, Wider­sprü­che inner­halb der Bau­ern­schaft, inner­halb der Intel­li­genz, Wider­sprü­che zwi­schen den Inter­es­sen des Staa­tes, der Kol­lek­ti­ve und der Ein­zel­per­so­nen etc. All die­se unter­schied­li­chen Inter­es­sen­la­gen sei­en im Prin­zip nicht-ant­ago­nis­ti­scher Art, die auf­tau­chen­den Gegen­sät­ze könn­ten daher durch Über­zeu­gungs­ar­beit und Refor­men über­wun­den wer­den. Wür­den die Wider­sprü­che jedoch mit fal­schen Metho­den behan­delt, könn­ten sie sich rasch zu ant­ago­nis­ti­schen Pro­ble­men ent­wi­ckeln und Unru­hen im Volk auslösen.
Die­se als »Mas­sen­li­nie« bezeich­ne­te Poli­tik gilt in Chi­nas Füh­rungs­zir­keln nach wie vor als obers­te Regie­rungs­ma­xi­me und ist wesent­li­cher Teil ihres Erfolgs­ge­heim­nis­ses. Es gehört zur Tra­gik Mao Zedongs, daß er sich, beson­ders in den let­zen Lebens­jah­ren, über die von ihm maß­geb­lich ent­wi­ckel­ten Metho­den hin­weg­ge­setzt hat. Statt das Gewicht auf den wei­te­ren öko­no­mi­schen Auf­bau zu legen, hetz­te er aus rea­li­täts­blin­dem Sub­jek­ti­vis­mus und revo­lu­tio­nä­rer Unge­duld die »Roten Gar­den« zur Ver­schär­fung des Klas­sen­kamp­fes auf, wodurch die Volks­re­pu­blik wirt­schaft­lich und kul­tu­rell um min­des­tens ein Jahr­zehnt zurück­ge­wor­fen wurde.
Heu­te hält der Wes­ten den Chi­ne­sen eine aggres­si­ve und ego­zen­tri­sche Außen­po­li­tik vor, weil sie rund um den Glo­bus Roh­stof­fe auf­kau­fen, ohne sich um die Herr­schafts­prak­ti­ken der jewei­li­gen Regie­run­gen zu küm­mern. Und in der Tat: Peking nimmt es mit den völ­ker­recht­li­chen Grund­sät­zen der Ach­tung der natio­na­len Sou­ve­rä­ni­tät sowie der Nicht­ein­mi­schung in inne­re Ange­le­gen­hei­ten genau, lehnt men­schen­recht­li­che Beleh­run­gen für sich und ande­re ab und hat kei­ne impe­ria­len Ambi­tio­nen. Die­se Prin­zi­pi­en waren Leit­li­ni­en der chi­ne­si­schen Außen­po­li­tik bereits in den sech­zi­ger und sieb­zi­ger Jah­ren, als Peking beson­ders in Afri­ka Hil­fe zur Selbst­hil­fe leistete.
Zu Kas­san­dra-Rufen besteht daher eben­so­we­nig Anlaß wie zu der von man­chen Kos­mo­po­li­ten geheg­ten Hoff­nung auf ein »Ende der Geschich­te «. Ein rea­lis­ti­sches Zukunfts­bild hat Mar­tin Jac­ques, ehe­ma­li­ger Kolum­nist der Times, ent­wor­fen: »Mit dem Auf­stieg Chi­nas als Kul­tur­macht wer­den wir eine weit­rei­chen­de Ver­schie­bung der glo­ba­len Wer­te erle­ben: Zivi­li­sa­ti­on vor Natio­na­lis­mus; Staat vor Indi­vi­du­um; Geschich­te vor Gegen­wart; kul­tu­rel­le Hier­ar­chie vor mili­tä­ri­scher Expan­si­ons­po­li­tik. Die chi­ne­si­sche Kul­tur ist dazu beru­fen, umfas­sen­den Ein­fluß auf die Welt aus­zu­üben, und wird mit der Zeit zwei­fel­los die gegen­wär­ti­ge Kul­tur­vor­herr­schaft Ame­ri­kas verdrängen.«

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