Jachym Topol: Die Teufelswerkstatt

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Ein Tabu bricht, wer Begriffe wie...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

»Holo­caust-Indus­trie« oder  »Shoa-Busi­ness«, »Ver­gan­gen­heits­be­wirt­schaf­tung« oder  »Opfer-Kon­kur­renz« ganz selbst­ver­ständ­lich und ohne  inne­re Distanz ver­wen­det. Man nimmt mit sol­chen Voka­beln den Leu­ten etwas sicher Geglaub­tes, die Über­zeu­gung  näm­lich, daß jede, aber auch wirk­lich jede Form des Geden­kens vor allem ein Geden­ken sei und nicht eine Ver­mark­tung desselben.

Wie weit die Schö­ne Lite­ra­tur in der Ver­mes­sung die­ses ver­min­ten Gelän­des fort­ge­schrit­ten ist, haben wir im ver­gan­ge­nen Jahr durch Rezen­sio­nen doku­men­tiert – Per­len­samt von Bar­ba­ra Bon­gartz (Sezes­si­on 34/Januar 2010), Das Eigent­li­che von Iris Hanika (35/April 2010), Ein fabel­haf­ter Lüg­ner von Susann Pász­tor (36/Juni 2010) und Die Lein­wand von Ben­ja­min Stein (39/Oktober 2010). Die­sen Roma­nen deut­scher Autoren ist gemein­sam, daß sie mit Vor­sicht und Ernst ihre Fra­gen stel­len und lite­ra­risch zu beant­wor­ten suchen: Wie ist das, wenn die Opfer auf ihren Ver­mark­tungs­wert hin taxiert wer­den und wie, wenn es von Vor­teil ist, sich selbst etwas Jüdi­sches anzu­dich­ten? Was geschieht mit der his­to­ri­schen Wahr­heit, wenn die Geschich­te mil­li­ar­den­schwer bewirt­schaf­tet wer­den kann? Wie steht es um die Selbst­be­haup­tungs­kraft jener, die auf­grund einer mora­li­schen Tota­l­ent­wer­tung ihrer Ver­gan­gen­heit als Nati­on zur wehr­lo­sen Beu­te gewor­den sind und selbst den gro­tes­kes­ten Wie­der­gut­ma­chungs­for­de­run­gen nach­ge­ben müssen?

Dem exis­ten­ti­el­len Ernst der deut­schen Autoren ent­ge­gen steht der Ton der­je­ni­gen, die sich nicht aus einer zemen­tier­ten Schuld befrei­en müs­sen. Die Wit­ze, das Voka­bu­lar und die Respekt­lo­sig­kei­ten im Roman Mein Holo­caust (DVA: Mün­chen 2008) der ame­ri­ka­ni­schen Jüdin Tova Reich liest man fas­sungs­los. »Das waren Erin­ne­rungs­künst­ler von Welt­klas­se, sie hul­dig­ten ihren Erin­ne­run­gen wie einem Idol, mach­ten ihre Erin­ne­run­gen zu den Erin­ne­run­gen aller; sie mono­po­li­sier­ten den Erin­ne­rungs­markt« heißt es über die Juden da an einer der weni­gen nicht ins Gro­tes­ke gezo­ge­nen Stel­len, und wer sich an die For­de­rung des Zen­tral­rats erin­nert, das Holo­caust-Mahn­mal in Ber­lin nicht zugleich den Zigeu­nern und ande­ren Opfer­grup­pen, son­dern exklu­siv nur den Juden gewid­met zu sehen, bekommt eine Ahnung von Opfer-Kon­kur­renz und Erin­ne­rungs­lob­by­is­mus. Jedoch gehen sol­che Sät­ze bei Tova Reich unter in einem Tabu­bruch-Dau­er­feu­er – der Tobak ist zu stark, und was für Deutsch­land exis­ten­ti­ell wäre, ver­liert sich in blo­ßer Unterhaltung.

Irgend­wo zwi­schen dem Ernst Iris Hanikas und der Kari­ka­tur Tova Reichs ist der Roman Die Teu­fels­werk­statt des Tsche­chen Jáchym Topol ange­sie­delt: Ein im KZ The­re­si­en­stadt gebo­re­ner Über­le­ben­der schart ein paar jun­ge Leu­te um sich, um den Ort vor dem Ver­fall zu ret­ten und die Ver­gan­gen­heit zu bewirt­schaf­ten. Das Gro­tes­ke ist fein dosiert, man lacht bit­ter – wenn über­haupt. Die­je­ni­gen, die zur Gedenk-Grup­pe sto­ßen, kom­men nicht des raschen Gel­des wegen, son­dern um »ihren Ver­stand aus der schmerz­haf­ten Umklam­me­rung zu befrei­en«, also um etwas zu begrei­fen, was ihnen unfaß­bar erscheint: daß sie Vor­fah­ren im Holo­caust ver­lo­ren haben. Die anar­chi­sche Grup­pe erkennt aber rasch das Poten­ti­al des Ortes, backt Ghet­to-Piz­za, fer­tigt Mei­nungs-T-Shirts an (»Hät­te Kaf­ka sei­nen Tod über­lebt, hät­te man ihn hier umge­bracht«) und sam­melt mit geschick­ter Öffent­lich­keits­ar­beit Spen­den­gel­der aus aller Welt ein.

Das Trei­ben wird von offi­zi­el­ler Sei­te aus been­det, es gibt augen­schein­lich einen Gedenk­mo­no­pol-Kon­flikt, und der Ich-Erzäh­ler flieht mit der Spen­den­da­tei auf einem Com­pu­ter-Stick nach Weiß­ruß­land, weil er dort in der­sel­ben Bran­che tätig wer­den könn­te: »Von wegen alle Todes­la­ger sind in Polen gewe­sen. Ein Rie­sen­quatsch! Aber die Rei­se­bü­ros bie­ten nur Rei­sen nach Ausch­witz an! Das muß sich ändern.« Also soll in den Wäl­dern Weiß­ruß­lands, in denen deut­sche Ein­satz­grup­pen und der sowje­ti­sche NKDW ihre Säu­be­run­gen durch­führ­ten, ein Gedenk­park gigan­ti­schen Aus­ma­ßes ent­ste­hen. »Die glo­ba­li­sier­te Welt ist schon auf­ge­teilt: Thai­land – Sex, Ita­li­en – Meer und Bil­den­de Kunst, Hol­land – Holz­schu­he und Käse«, und in Weiß­ruß­land soll es nun ein »Juras­sic Park des Grau­ens, ein Frei­licht­mu­se­um des Tota­li­ta­ris­mus« werden.
Pro­vinz sucht Iden­ti­tät: Man kann sich auch in Deutsch­land durch­aus eine Stadt­mar­ke­ting-Agen­tur vor­stel­len, die in ihrer Bestands­auf­nah­me rou­ti­ne­mä­ßig schaut, ob es nicht doch in der Nähe wenigs­tens die klei­ne Außen­stel­le eines KZ gege­ben hat, mit der etwas anzu­fan­gen wäre.

Topol ist kein gro­ßer Schrift­stel­ler. Die Dia­lo­ge sind lasch, die Hand­lung unge­schickt kom­po­niert, manch­mal schleppt sich die Geschich­te mit letz­ter Kraft zum nächs­ten gro­tes­ken Ein­fall. Die Idee aber, sich ein­mal der wahr­lich ver­heer­ten Gedächt­nis­bra­chen im Osten anzu­neh­men und sie mit den Fahr­ten »Ausch­witz inklu­si­ve Mit­tag­essen, macht 52 Euro« (Topol!) zu ver­glei­chen, zeugt von dunk­ler Phan­ta­sie und vom Sinn fürs Klein­ge­wer­be inner­halb der gro­ßen Holocaust-Industrie.

Jáchym Topol: Die Teu­fels­werk­statt. Roman, Suhr­kamp: Ber­lin 2010. 200 S., 26.80 €
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Götz Kubitschek

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