Volker Mohr: Der Verlust des Ortes

Der Schweizer Schriftsteller Volker Mohr hat für die aktuelle kaplaken-Staffel ein Bändchen über den Verlust des Ortes geschrieben.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

Er setzt sich dar­in für eine Refle­xi­on über die wack­li­gen Grund­bau­stei­ne der tech­ni­schen Zivi­li­sa­ti­on ein. Mohr wid­met sich der moder­nen Archi­tek­tur, der Kunst sowie dem Funk­tio­nie­ren-Müs­sen des Men­schen. Er bleibt jedoch nicht bei der Beschrei­bung ste­hen. Viel­mehr beginnt bei ihm die Suche nach dem „Ort im eige­nen Herzen“.

SEZESSION: „Fle­xi­bi­li­tät“ ist ein Zau­ber­wort der Gegen­wart. Es scheint so, als ob sich heut­zu­ta­ge eben jeder bie­gen und beu­gen muß, wenn er im Leben vor­an­kom­men möch­te. Gibt es für den „nor­ma­len Bür­ger“ über­haupt noch eine Alter­na­ti­ve zur „Fle­xi­bi­li­tät“?

MOHR: Für den „nor­ma­len Bür­ger“ wohl kaum. Die Fle­xi­bi­li­tät ist eine Fol­ge der Beschleu­ni­gung des Lebens. Zudem scheint sie der Gegen­pol zur Spe­zia­li­sie­rung zu sein. Die sta­ti­sche Ver­en­gung, die die Spe­zia­li­sie­rung inner­halb der Berufs­welt mit sich brach­te, ver­langt auf der ande­ren Sei­te, damit das Gleich­ge­wicht gehal­ten wer­den kann, Beweg­lich­keit. Natür­lich ist die Fle­xi­bi­li­tät als Kom­pen­sa­ti­on der Ver­en­gung genau­so funk­tio­nal wie die Spe­zia­li­sie­rung selbst. Es han­delt sich hier also um die bei­den Sei­ten einer Mün­ze, deren Wert bestän­dig abnimmt.

Die wah­re Alter­na­ti­ve zur Fle­xi­bi­li­tät wäre im geis­ti­gen Sinn eine umfas­sen­de, huma­nis­ti­sche Bil­dung, im manu­el­len oder künst­le­ri­schen Bereich ein Hand­werk, das Ori­gi­na­les her­vor­bringt und nicht ein­fach durch die Indus­trie repro­du­zier­te Ein­zel­tei­le nach vor­ge­ge­be­nen Sche­ma­ta zusam­men­setzt. Davon sind wir aber weit entfernt.

Weil heu­te nicht mehr auf ein Werk hin­ge­ar­bei­tet wird, son­dern nur noch Funk­tio­nen aus­ge­übt wer­den, kann die ent­spre­chen­de Arbeit über­all ver­rich­tet wer­den. Sie ist daher ort­los. Und genau­so ort­los ist der Mensch, der die­se Arbeit aus­führt. Was aber ohne Ort ist, muß zwangs­läu­fig fle­xi­bel sein. Wer ande­rer­seits einen Ort hat, ist nicht fle­xi­bel, son­dern hat die Mög­lich­keit das „Gan­ze“ zu erfassen.

SEZESSION: In ihrem kapla­ken-Bänd­chen Der Ver­lust des Ortes for­dern Sie eine „Abkehr vom tech­nisch-mecha­nis­ti­schen Welt­bild“ und beto­nen zugleich, dies sei nicht mit einem „Rück­wärts­bli­cken oder –schrei­ten“ zu errei­chen. Was stre­ben Sie statt des­sen an?

MOHR: Ich fürch­te, wir wer­den vom tech­nisch-mecha­nis­ti­schen Welt­bild abrü­cken müs­sen, ob wir wol­len oder nicht, weil es sich auf Dau­er gar nicht auf­recht­erhal­ten läßt. Die alles umfas­sen­de Tech­nik, wie sie sich am Ende der Neu­zeit dar­stellt, ist genau­so ein Hilfs­kon­strukt wie das Sozia­le. Bei­de, die Tech­nik wie auch das Sozia­le, kom­pen­sie­ren die ver­lo­re­ne Iden­ti­tät des Ein­zel­nen wie auch der Staa­ten. Sie sind Tita­nen­werk. Des­halb wird jener am bes­ten mit dem bevor­ste­hen­den Wan­del zurecht­kom­men, der aus sich lebt, aus dem eige­nen Emp­fin­den. Für die ande­ren könn­te es, je nach­dem mit wel­cher Inten­si­tät der Wan­del der­einst her­ein­bricht, zu dras­ti­schen Ein­schnit­ten kommen.

Der Blick zurück war noch nie eine wirk­li­che Alter­na­ti­ve, das wird ja auch bereits in den Mythen the­ma­ti­siert. Das heißt natür­lich nicht, daß man sich nicht auf das Her­kömm­li­che besin­nen soll, auf die ewig gül­ti­gen Wer­te wie die eige­ne Spra­che und Geschich­te, die Reli­gi­on, die Tra­di­ti­on und die Kunst. In man­chen Berei­chen müß­te man bei der Renais­sance anknüp­fen. Aber es wäre schon viel gewon­nen, wenn man sich, etwa in der Spra­che, über die letz­ten Refor­men hin­weg­setz­te, oder in der Kunst auf das besän­ne – und zwar durch­aus gegen­ständ­lich –, was von Dau­er ist. Der Kul­tur­phi­lo­soph Max Picard hat dazu bereits kurz nach dem Krieg in sei­nem Buch Zer­stör­te und unzer­stör­ba­re Welt Wesent­li­ches gesagt.

Es kann also nicht dar­um gehen, ein­mal mehr etwas Beson­de­res anzu­stre­ben, son­dern einen Weg zu beschrei­ten, der unver­wech­sel­bar und echt ist. Viel­leicht ist es der „Wald­gän­ger-Weg“. Zudem soll­te man sich bewußt sein, daß die Tech­nik bes­ten­falls zu einem quan­ti­ta­ti­ven Wohl­stand führt. Für einen qua­li­ta­ti­ven Wohl­stand reicht sie, wie die Geschich­te zeigt, nicht hin.

SEZESSION: Einer­seits sor­gen die wirt­schaft­li­chen Zwän­ge für den Ein­zel­nen dazu, daß er sich kaum noch rich­tig ver­or­ten kann. Ande­rer­seits aber kann man in Deutsch­land in den letz­ten Jah­ren eine neue „Land­lust“ sowie eine Wie­der­ent­de­ckung des Regio­na­len beob­ach­ten. Wie erklä­ren Sie sich das?

 

MOHR: Daß Sehn­sucht nach einem Ort besteht, ist nahe­lie­gend. Der Mensch kann auf Dau­er im Ort­lo­sen nicht exis­tie­ren. Aber die „Land­lust“ allein schafft noch kei­ne neu­en Orte. Das sieht man deut­lich bei den Neu­bau­quar­tie­ren an den Dorf­rän­dern. Hier herrscht sozu­sa­gen eine mono­to­ne Viel­falt. In und aus sich iso­lier­te Ein­zel­bau­ten ste­hen wie zufäl­lig neben­ein­an­der und wei­sen deut­lich dar­auf hin, wie es um die Bewoh­ner bestellt ist. Aber auch die alten Dorf­ker­ne haben ihren Cha­rak­ter ver­lo­ren. Wäh­rend die einen muse­al in Erschei­nung tre­ten, wir­ken ande­re wie aus der Zeit gefallen.

So, wie ein Tier einen Bau oder ein Nest mit zuge­hö­ri­gem Revier hat, hat auch der Mensch einen Ort. Einen Ort, der ihm ent­spricht, der wirk­lich Ort ist, hat er aber nur dann, wenn er ihn auch zuläßt, wenn er sich sei­ner „Bestim­mung“ anheim­stellt. Das Tier kann nicht anders, als sei­ner Bestim­mung zu fol­gen; der Mensch hin­ge­gen,  kann, wie in der Neu­zeit gesche­hen, aus sich selbst ver­trie­ben wer­den. Dann wer­den die Orte zwangs­läu­fig zu Unor­ten – Sied­lun­gen wer­den zu Barackenstädten.

Eine Auf­wer­tung des Regio­na­len ist zwar zu begrü­ßen, aber sie muß aus sich wach­sen. Agglo­me­ra­ti­ons­pro­gram­me und der­glei­chen sind tech­ni­sche Maß­nah­men, die die Din­ge nur regeln. Dadurch ent­ste­hen neue Abhän­gig­kei­ten, wäh­rend die Orte wei­ter­hin an Sub­stanz verlieren.

Mehr Infor­ma­tio­nen zu Vol­ker Mohrs Buch Der Ver­lust des Ortes gibt es hier.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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