Sellering und die Insel

Eine Woche ist es nun schon wieder her, daß der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering (SPD), ...

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

… in der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung mein­te, die DDR ver­tei­di­gen zu müs­sen. Sie sei kein “tota­ler Unrechts­staat” gewe­sen, wenn zu ihr auch immer “ein Schuß Will­kür und Abhän­gig­keit” gehört habe. Dafür hat Sel­le­ring ordent­lich Kri­tik ein­ste­cken müs­sen, ledig­lich die Genos­sen (sowohl der SPD als auch der Lin­ken) haben ihn ver­tei­digt. Als Wes­si, so lau­te­te der Vor­wurf ehe­ma­li­ger Bür­ger­recht­ler, kön­ne er das gar nicht beurteilen.

Nun muß man nicht alles erlebt haben, um etwas beur­tei­len zu kön­nen. Wie jede Dik­ta­tur hat­te die DDR ihren All­tag, in dem man sich vor dem unmit­tel­ba­ren Zugriff der Staats­par­tei geschützt wäh­nen durf­te. Immer gilt aber auch, daß eine gewis­se Abge­stumpft­heit dazu­ge­hört, um sich aus­schließ­lich in die­ser Nische wohl­zu­füh­len. Wer kei­ne Ansprü­che an sich selbst stellt, dürf­te auch mit Orwells 1984er Staat kei­ne Pro­ble­me haben: Den­ken ein­stel­len, Schnau­ze hal­ten. Wer sich dar­an nicht hal­ten woll­te, dem trat die DDR als tota­ler Unrechts­staat gegen­über. Dabei hat­te das von Sel­le­ring so lobend her­vor­ge­ho­be­ne Bil­dungs­sys­tem der DDR (ein­schließ­lich der Kin­der­gär­ten) vor allem die Auf­ga­be, den DDR-Bür­ger so zu erzie­hen, daß der Unrechts­staat nicht gezwun­gen war einzugreifen.

Für Sel­le­ring gilt: Wer nicht viel weiß, kann viel behaup­ten. Als Poli­ti­ker und Wes­si muß er sich bei den Meck­len­bur­gern irgend­wie beliebt machen und sei es eben, indem er auf der anhal­ten­den Ost­al­gie-Wel­le mit­schwimmt. Allen, die es etwas genau­er wis­sen wol­len, emp­feh­le ich drin­gend einen Roman über die DDR-Zeit. Es ist nicht “Der Tum” und auch nicht “Das Land der Wun­der”, son­dern “Die Insel” von Mat­thi­as Wegehaupt.

Der Roman hat einen auto­bio­gra­phi­schen Hin­ter­grund und spielt auf einer fik­ti­ven Insel an der Ost­see­küs­te, also in Meck­len­burg-Vor­pom­mern, und schil­dert die schlei­chen­de Besitz­ergrei­fung die­ser Insel durch den Sta­si-Staat. Im Mit­te­punkt steht ein jun­ger Maler, der sich auf die­se Insel zurück­ge­zo­gen hat, um sich dem Zugriff des Staa­tes zu ent­zie­hen. Am Ende gelingt es dem Sta­si-Appa­rat, das still­schwei­gen­de Ver­trau­en der Men­schen unter­ein­an­der zu zer­stö­ren. Ein­dring­lich schil­dert Wege­haupt das sub­ti­le Sys­tem von Zucker­brot und Peit­sche, die um sich grei­fen­de Gleich­gül­tig­keit und die Aus­weg­lo­sig­keit der Situa­ti­on. War­um der Roman, als er 2005 erschien, nicht mehr Auf­se­hen erregt hat, weiß ich nicht. Trotz eini­ger Kli­schees (die schö­ne Sta­si-Frau und der Natur­bur­sche) wird es auf den 1000 Sei­ten nicht lang­wei­lig. Und schließ­lich sagt so ein Buch mehr über die DDR aus als die zahl­rei­chen Bän­de der Enquete-Kom­mis­si­on zur “Auf­ar­bei­tung der SED-Diktatur”.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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