Spanien: Krieg der Erinnerungen

pdf der Druckfassung aus Sezession 29/April 2009

von Arnaud Imatz

Spaniens beeindruckende wirtschaftliche und soziale Entwicklung nach Francos Tod gilt unter Historikern als anerkanntes Faktum ...

… – daß das spa­ni­sche Volk auf vor­bild­li­che Wei­se den Über­gang zur Demo­kra­tie voll­zog, eben­falls. Fast drei Jahr­zehn­te lang stand sie im Zei­chen zwei­er Prin­zi­pi­en: der gegen­sei­ti­gen Ver­ge­bung und der Zusam­men­ar­beit zwi­schen Regie­rung und Oppo­si­ti­on. Dabei han­del­te es sich kei­nes­wegs um ein Ver­ges­sen der Geschich­te, son­dern dar­um, sie zu über­win­den und den Blick ent­schlos­sen auf die Zukunft zu rich­ten. Die Annah­me, daß sich im Lau­fe der Jah­re Ruhe und Gelas­sen­heit dau­er­haft eta­bliert hät­ten, täuscht allerdings.

Anstatt zur Aus­söh­nung bei­zu­tra­gen, hat der amtie­ren­de Minis­ter­prä­si­dent José Luis Rodri­guez Zapa­tero seit sei­ner Regie­rungs­über­nah­me im Jahr 2004 den Kul­tur­kampf bewußt ange­heizt und die Wun­den der Ver­gan­gen­heit auf­ge­ris­sen. Die Grün­de für das aggres­si­ve Vor­ge­hen der sozia­lis­ti­schen Regie­rung sind im wesent­li­chen poli­ti­sche. Sie will Signa­le in Rich­tung der Kom­mu­nis­ten und der extre­men Lin­ken sen­den, die seit Jahr­zehn­ten ver­su­chen, ihr Geschichts­bild durch­zu­set­zen, und zugleich die kon­ser­va­ti­ve Rech­te ver­teu­feln, um sie dau­er­haft von der Macht fern­zu­hal­ten. Mit Hil­fe des mal­te­si­schen Abge­ord­ne­ten Léo Brin­cat hat Zapa­tero am 17. März 2006 zunächst die Ver­ab­schie­dung einer Emp­feh­lung zur »Not­wen­dig­keit, den Fran­qu­is­mus auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne zu ver­ur­tei­len«, durch den stän­di­gen Aus­schuß des Euro­pa­rats erreicht. Im Anschluß dar­an leg­te er dem spa­ni­schen Par­la­ment ein Gesetz zum »his­to­ri­schen Gedächt­nis« vor, des­sen Ent­wurf ursprüng­lich von der kom­mu­nis­ti­schen Izquier­da Uni­da stammte.

Der Aus­druck »his­to­ri­sches Gedächt­nis« ist mitt­ler­wei­le zu einem All­ge­mein­platz der spa­ni­schen Kul­tur gewor­den. Selbst­ver­ständ­lich ist das Bemü­hen um sei­nen Erhalt an sich nicht von Übel, jedoch darf es wie­der­um nicht als Vor­wand die­nen, daß sich die schlimms­ten Sek­tie­rer das Recht anma­ßen, die Geschich­te zu beschlag­nah­men oder zu mani­pu­lie­ren. Man darf die his­to­ri­sche Rück­be­sin­nung mit dem Ziel, den Haß erneut anzu­sta­cheln, nicht mit der his­to­ri­schen Rück­be­sin­nung im Zei­chen von Brü­der­lich­keit und Ein­ver­neh­men ver­wech­seln. So berech­tigt es ist, daß das besag­te Gesetz vom 26. Dezem­ber 2007 nun die Rech­te der­je­ni­gen aner­kennt und erwei­tert, die wäh­rend des Bür­ger­kriegs und der Dik­ta­tur unter Ver­fol­gun­gen oder Gewalt gelit­ten haben, ver­leiht es jedoch einem manich­äi­schen Geschichts­bild Glaub­wür­dig­keit und wider­spricht ele­men­tars­ten Grund­sät­zen der Ethik. »Das Schlim­me an dem ver­meint­li­chen ›his­to­ri­schen Gedächt­nis‹«, so der nam­haf­te ame­ri­ka­ni­sche His­to­ri­ker Stan­ley Pay­ne am 5. Novem­ber 2008 bei einem Vor­trag an der Uni­ver­si­tät von Madrid, »ist nicht die Ver­fäl­schung der Geschich­te, son­dern die poli­ti­sche Inten­ti­on, der dadurch Rück­halt ver­lie­hen wird, die dahin­ter­ste­hen­de Absicht, sozia­len Auf­ruhr zu schüren.«

Eine der Grund­ideen des »Geset­zes zum his­to­ri­schen Gedächt­nis« lau­tet, daß die spa­ni­sche Demo­kra­tie ein von der Zwei­ten Repu­blik gestif­te­tes Ver­mächt­nis sei. Die­se Inter­pre­ta­ti­on ist nicht zuletzt des­we­gen frag­wür­dig, weil der Pro­zeß des Über­gangs in sei­nem Ver­lauf vom Fran­co-Regime vor­be­rei­tet und über­dies von einem König, den der Gene­ra­lis­si­mo ernannt hat­te, und sei­nem Minis­ter­prä­si­den­ten, dem frü­he­ren Gene­ral­se­kre­tär des Movi­mi­en­to Nacio­nal, gelenkt wur­de. Für die Ver­fech­ter des »his­to­ri­schen Gedächt­nis­ses« war die Zwei­te Repu­blik, die aus lin­ker Sicht den Grün­dungs­my­thos der spa­ni­schen Demo­kra­tie bil­det, ein nahe­zu unfehl­ba­res Regime. Die­se absur­de Geschichts­klit­te­rung in Fra­ge zu stel­len, gilt zu allem Über­fluß als aus­drück­li­che oder ver­deck­te Apo­lo­gie des Faschismus.

Das Gesetz ver­formt die Wirk­lich­keit in vie­ler­lei Wei­se. Es sorgt für eine törich­te Gleich­set­zung des Mili­tär­put­sches mit dem Bür­ger­krieg und dem Fran­co-Regime. Dabei han­delt es sich um drei his­to­ri­sche Fak­ten, die sorg­fäl­tig zu tren­nen und unter­schied­lich zu bewer­ten und zu inter­pre­tie­ren sind. Es ver­herr­licht Opfer und Mör­der, Unschul­di­ge und Schul­di­ge, solan­ge sie dem Lager der Volks­front ange­hör­ten, und zwar allei­ne auf­grund der Tat­sa­che, daß sie Lin­ke waren. Es ver­wischt die Unter­schie­de zwi­schen Kriegs­to­ten und Opfern der Unter­drü­ckung. Es brei­tet den Schlei­er des Ver­ges­sens über sämt­li­che »repu­bli­ka­ni­schen« Opfer, die von ihren lin­ken Brü­dern getö­tet wur­den. Es för­dert und recht­fer­tigt sämt­li­che Bemü­hun­gen, nach­zu­wei­sen, daß Fran­co wäh­rend und nach dem Bür­ger­krieg absicht­lich und sys­te­ma­tisch eine Poli­tik der blu­ti­gen Unter­drü­ckung betrieb. Es erkennt aller­dings auch den legi­ti­men Wunsch vie­ler Spa­ni­er an, her­aus­zu­fin­den, wo die Lei­chen ihrer Vor­fah­ren lie­gen, ver­wei­gert eben­die­ses Recht aber den­je­ni­gen, die dem Lager der Natio­na­lis­ten ange­hör­ten – unter dem faden­schei­ni­gen Vor­wand, sie hät­ten zu Zei­ten des Fran­qu­is­mus jede Gele­gen­heit dazu gehabt.

Mit der Annah­me des Geset­zes zum his­to­ri­schen Gedächt­nis Ende 2007 und den vor­aus­ge­gan­ge­nen Debat­ten wur­de die Büch­se der Pan­do­ra geöff­net. Bereits ein Jahr zuvor, am 15. Dezem­ber 2006, hat­ten ver­schie­de­ne Ver­ei­ni­gun­gen bei dem Ermitt­lungs­rich­ter der Audi­en­cia nacio­nal, des Ober­lan­des­ge­richts für zen­tra­le Belan­ge, Bal­ta­sar Gar­zón, Kla­gen ein­ge­reicht »wegen ille­ga­ler Ver­haf­tung im Rah­men eines sys­te­ma­ti­schen Plans zur phy­si­schen Ver­nich­tung des Geg­ners wäh­rend des Bür­ger­kriegs (1936–1939) und der Nach­kriegs­jah­re, auf den der juris­ti­sche Tat­be­stand des Völ­ker­mords und des Ver­bre­chens gegen die Mensch­lich­keit zutrifft«.

In einer Ver­fü­gung, die sowohl der Logik der Recht­spre­chung als auch jeg­li­cher his­to­ri­schen Metho­dik wider­spricht, nahm Gar­zón, der sich welt­weit einen Namen gemacht hat, weil er einen Haft­be­fehl gegen Augus­to Pino­chet aus­stell­te, die Kla­gen an. Sei­ner Ansicht nach las­tet die Schuld an den Grau­sam­kei­ten des Bür­ger­kriegs ein­zig und allein auf dem Fran­co-Lager. Damit wäre die Sache also geklärt! Die wäh­rend der Zwei­ten Repu­blik began­ge­nen Ver­bre­chen oder die­je­ni­gen der Volks­front brau­chen dabei nicht berück­sich­tigt zu wer­den. Auch daß er eine Kla­ge gegen den Kom­mu­nis­ten Sant­ia­go Car­ri­l­lo abwies, einen der Haupt­ver­ant­wort­li­chen für das Mas­sa­ker von Para­cuellos mit über vier­tau­send Toten, und sich dabei auf eine genau gegen­sätz­li­che Argu­men­ta­ti­on und Rechts­auf­fas­sung stütz­te, möge ihm nie­mand zum Vor­wurf machen.

Einer sek­tie­re­ri­schen Logik ver­haf­tet, hat Gar­zón nicht den Schat­ten eines Zwei­fels an sei­nen Über­zeu­gun­gen. Sei­ner Ansicht nach setz­ten die Sie­ger Recht und Gesetz außer Kraft, indem sie gegen die Regie­rung der Repu­blik putsch­ten. Zudem hät­ten sie jahr­zehn­te­lang Zeit gehabt, die Opfer auf der eige­nen Sei­te zu iden­ti­fi­zie­ren und Wie­der­gut­ma­chung zu ver­lan­gen. Da die­se Mög­lich­keit dage­gen für die Besieg­ten nie bestan­den habe, sei­en die an ihnen began­ge­nen Ver­bre­chen bis heu­te nicht ver­jährt. Schlim­mer noch, die »Rebel­len« woll­ten ihre Geg­ner in sys­te­ma­ti­scher Wei­se aus­rot­ten, und des­halb »besteht kein Zwei­fel am Tat­be­stand des Ver­bre­chens gegen die Mensch­lich­keit, den die Nor­men des inter­na­tio­na­len Straf­rechts als unver­jähr­bar definieren«.

Der Reg­reß, den der Ober­staats­an­walt Javier-Alber­to Zara­go­za Agua­do umge­hend gegen Gar­zóns Ent­schei­dung ein­leg­te, erreg­te lei­der weit weni­ger Auf­se­hen. Dabei ist sein Wort­laut eine Lek­ti­on in Sachen Recht­spre­chung und eine Schmach für den Rich­ter Gar­zón. Der Ober­staats­an­walt erläu­tert, war­um die Defi­ni­ti­on der betref­fen­den Taten als Völ­ker­mord oder Ver­ge­hen gegen die Mensch­lich­keit in die­sem Fall kei­ne juris­ti­sche Gül­tig­keit bean­spru­chen kann. Der Kor­pus der Nor­men, die das Inter­na­tio­na­le Straf­recht aus­ma­chen, exis­tier­te zu der Zeit, als die frag­li­chen Taten began­gen wur­den, noch nicht; eine sol­che juris­ti­sche Defi­ni­ti­on kön­ne dem­entspre­chend nicht nach­träg­lich vor­ge­nom­men wer­den, ohne das gesam­te Gebäu­de des Straf­rechts in sei­nen Fun­da­men­ten zu erschüttern.

Gar­zón ließ sich davon nicht beir­ren, son­dern ver­faß­te am 18. Novem­ber 2008 eine neue Ver­fü­gung. Mit die­sem weit­schwei­fi­gen Text vol­ler unsi­che­rer Behaup­tun­gen und frag­wür­di­ger Deu­tun­gen will der Rich­ter sich recht­fer­ti­gen und »mit Nach­druck sämt­li­che Beweg­grün­de bekräf­ti­gen, die ihn dazu bewo­gen haben, die­se Anord­nung als not­wen­dig zu betrach­ten«. Nach 148 Sei­ten in die­sem Ton erklärt er jedoch, die straf­recht­li­che Ver­ant­wort­lich­keit des Dik­ta­tors Fran­co und der Amts­trä­ger sei­nes Regimes sei auf­grund ihres Todes ein­ge­schränkt. Wei­ter heißt es, die Ermitt­lung bezüg­lich der ver­miß­ten Per­so­nen lie­ge in der Zustän­dig­keit der Gerich­te der jewei­li­gen Pro­vinz, in der sich die Mas­sen­grä­ber befän­den, deren Öff­nung er ange­ord­net hatte.

Dar­in lag ein neu­er­li­cher juri­di­scher Wider­spruch, den die Vor­sit­zen­den meh­re­rer obers­ter Pro­vinz­ge­rich­te umge­hend auf­zeig­ten: Wie­so sol­len die Urhe­ber der Ver­bre­chen nur aus Madri­der Sicht ver­stor­ben sein und nicht auch aus der Sicht der Gerich­te in ande­ren Städ­ten? Zwei Tage vor der Ver­fü­gung hat­te der ame­ri­ka­ni­sche Exper­te Pay­ne der Pres­se gegen­über bereits sein Urteil gespro­chen: »Die Vor­stel­lung, daß ein Rich­ter sich für die Annul­lie­rung des demo­kra­ti­schen Über­gangs und des Geset­zes aus­spre­chen könn­te, ist voll­kom­men grotesk.«

Von der War­te der Geschichts­schrei­bung betrach­tet sind Gar­zóns Ver­fü­gun­gen nicht weni­ger anfecht­bar. Der Mili­tär­putsch vom Juli 1936 war nicht die Ursa­che für die Zer­stö­rung der Demo­kra­tie. Daß es über­haupt zu einem Putsch kam, lag dar­an, daß die demo­kra­ti­sche Rechts­ord­nung bereits durch die Volks­front zer­stört war. 1931, 1932 und 1933 kam es zu anar­chis­ti­schen Revol­ten. Im Okto­ber 1934 putsch­ten die Sozia­lis­ten gegen die Regie­rung des Radi­ka­len Ale­jan­dro Ler­roux. Die­ser Putsch, den sämt­li­che lin­ken Par­tei­en unter­stütz­ten, soll­te mit Hil­fe eines Bür­ger­kriegs die Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats her­bei­füh­ren. Vom Zeit­punkt ihrer Macht­über­nah­me an arbei­te­te die Volks­front uner­müd­lich an der Aus­höh­lung der Rechts­staat­lich­keit. Das Ergeb­nis der Wah­len vom Febru­ar 1936 wur­de nie­mals ver­öf­fent­licht. Mehr als drei­ßig Sit­ze der Rech­ten wur­den für ungül­tig erklärt. Der Prä­si­dent der Repu­blik, Nice­to Alcalá Zamo­ra, wur­de in einem ille­ga­len Ver­fah­ren abge­setzt. Auf den Stra­ßen herrsch­te der Ter­ror, der inner­halb von drei Mona­ten über drei­hun­dert Men­schen­le­ben forderte.

Bal­ta­sar Gar­zóns Vor­ge­hen ist unver­hoh­len par­tei­isch. Stel­len wir uns jedoch ein­mal vor, der tele­ge­ne Rich­ter fän­de Nach­ah­mer auf der Rech­ten. Wel­che Grund­sät­ze lie­ßen sich dann anfüh­ren, um sie dar­an zu hin­dern, Ver­fah­ren ein­zu­lei­ten gegen die Ver­ant­wort­li­chen für die Unta­ten der zwei­hun­dert Tsche­kis­ten in Madrid; für die Mas­sen­grä­ber in Para­cuellos, Tor­re­jón, Ardoz und Use­ra; für den Mord an Gar­cia Lor­ca einer­seits und die Mor­de an Muñoz Seca, Maez­tu, Ledes­ma und Pra­de­ra ande­rer­seits; für die repu­bli­ka­ni­schen Mas­sa­ker von Mala­ga und das Modell­ge­fäng­nis in Madrid; für die Tötung von fast sie­ben­tau­send Gläu­bi­gen und zwölf Bischö­fen; für die Bom­bar­die­rung von Cabra (über ein­hun­dert tote und zwei­hun­dert ver­wun­de­te Zivi­lis­ten) unter genau­so bar­ba­ri­schen Umstän­den wie in Guer­ni­ca (zwi­schen 126 und 1.635 Tote, je nach­dem wel­chen Quel­len man ver­traut); für die unrecht­mä­ßi­ge Ver­haf­tung von José Anto­nio Pri­mo de Rive­ra vier Mona­te vor dem Putsch und sei­ne Ermor­dung (im Novem­ber 1936) nach einem Schau­pro­zeß; für die Ver­gel­tungs­ak­te von André Mar­ty, dem Schläch­ter von Albace­te, der den Tod von mehr als fünf­hun­dert Mit­glie­dern der Inter­na­tio­na­len Bri­ga­de auf dem Gewis­sen hat­te; für die Ermor­dung des Anar­chis­ten­füh­rers Buen­a­ven­tura Dur­ru­ti durch die Kom­mu­nis­ten; für das Ver­schwin­den des Füh­rers der trotz­kis­ti­schen POUM-Miliz, And­reu Nin, der von den Sta­li­nis­ten zu Tode gefol­tert wur­de; für die Säu­be­rungs­ak­tio­nen vom Mai 1937 in Bar­ce­lo­na gegen kom­mu­nis­ti­sche Dis­si­den­ten; für die Stand­ge­rich­te vom März 1939 in Madrid als Begleit­erschei­nung des klei­nen Bür­ger­kriegs, der sich inmit­ten des gro­ßen inner­halb des Volks­front-Lagers abspiel­te; für den Raub der Gold­re­ser­ven der spa­ni­schen Zen­tral­bank durch Mos­kau; für die Tau­sen­de von Kin­dern, die von den repu­bli­ka­ni­schen Macht­ha­bern in die Sowjet­uni­on zwangs­eva­ku­iert wur­den und so für immer ihre Iden­ti­tät ver­lo­ren … und für unzäh­li­ge wei­te­re Beispiele?

Kom­men wir schließ­lich zum Kern der gegen­wär­ti­gen Kon­tro­ver­se: den Opfer­zah­len und der Exis­tenz von Mas­sen­grä­bern mit bis­lang nicht iden­ti­fi­zier­ten Toten. Im Lau­fe der ver­gan­ge­nen sieb­zig Jah­re schwank­ten die Zah­len in gera­de­zu absur­der Wei­se. Bal­ta­sar Gar­zón spricht heu­te von 114.266 Opfern auf repu­bli­ka­ni­scher Sei­te, »eine Zahl, die von einer Exper­ten­kom­mis­si­on revi­diert wer­den könn­te«, wie er sagt. Kann man jedoch einem Rich­ter Glau­ben schen­ken, der nie einen ein­zi­gen Exper­ten oder His­to­ri­ker der Gegen­sei­te zitiert? In den meis­ten der Ver­öf­fent­li­chun­gen, auf die Gar­zón sich beruft, grün­det sich die Vor­ein­ge­nom­men­heit der Autoren häu­fig auf unge­fäh­re Schät­zun­gen und der Fan­ta­sie ent­sprun­ge­ne Zeu­gen­aus­sa­gen. Wenn dar­in Zah­len­ver­hält­nis­se auf­ge­stellt wer­den, wer­den immer wie­der die Kriegs­ge­fal­le­nen des natio­na­len Lagers zu Opfern der fran­quis­ti­schen Unter­drü­ckung umfunk­tio­niert. Folg­lich ist die end­gül­ti­ge Bilanz weder aus mora­li­scher noch aus juri­di­scher oder poli­ti­scher Sicht akzeptabel.

Ein Bei­spiel genügt, um die Trag­wei­te der gefähr­li­chen Lei­den­schaf­ten auf­zu­zei­gen, die der Leicht­sinn der poli­ti­schen und media­len Mei­nungs­ma­cher in der Bevöl­ke­rung ent­fes­selt. Am 5. März 2008 ging die Ent­de­ckung neu­er Mas­sen­grä­ber bei Alca­la de Hena­res durch sämt­li­che Pres­se­agen­tu­ren. Die spa­ni­sche Regie­rung insi­nu­ier­te, daß es sich um neue Opfer des Fran­qu­is­mus hand­le. Als eini­ge Exper­ten dar­auf hin­wie­sen, daß die­se Stadt bis zum Ende des Kon­flikts von der Volks­front kon­trol­liert wur­de und es dem­zu­fol­ge wenig wahr­schein­lich sei, daß die Opfer aus dem repu­bli­ka­ni­schen Lager stamm­ten, ver­schwand die Ange­le­gen­heit plötz­lich aus den Schlagzeilen.

Eine mit der gebo­te­nen Gründ­lich­keit durch­ge­führ­te Zäh­lung jener Toten, die auf bei­den Sei­ten noch nicht in die Ster­be­re­gis­ter ein­ge­tra­gen wor­den sind, steht aus. Man kann jedoch mit an Sicher­heit gren­zen­der Wahr­schein­lich­keit von fol­gen­den Opfer­zah­len aus­ge­hen: sech­zig­tau­send auf natio­na­ler, acht­zig­tau­send auf repu­bli­ka­ni­scher Sei­te (davon fünf­zig­tau­send wäh­rend des Krie­ges und drei­ßig­tau­send nach Kriegs­en­de Hin­ge­rich­te­te). Ange­sichts die­ser Grö­ßen­ord­nung sind kei­ne Über­trei­bun­gen not­wen­dig, um die Inten­si­tät der Lei­den­schaf­ten und das Aus­maß der Mas­sa­ker in bei­den Lagern zu ver­deut­li­chen. Den­noch droht der von ver­ant­wor­tungs­lo­sen Poli­ti­kern geschür­te ideo­lo­gi­sche Krieg sich auszuweiten.

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