1932, 1933, 1936

pdf der Druckfassung aus Sezession 42 / Juni 2011

Es vermag nur phantasielose, umerzogene oder ohne historische Dimension auskommende Menschen zu empören,...

daß unter ande­rem fol­gen­de Per­sön­lich­kei­ten 1933 Deutsch­land nicht flucht­ar­tig ver­las­sen, son­dern ein­fach oder erst recht ihr Werk fort­ge­setzt haben: der bedeu­tends­te deut­sche Lyri­ker des 20. Jahr­hun­derts (Gott­fried Benn); der bedeu­tends­te deut­sche Phi­lo­soph des 20. Jahr­hun­derts (Mar­tin Heid­eg­ger); vier von fünf der bedeu­tends­ten deut­schen Diri­gen­ten des 20. Jahr­hun­derts (Wil­helm Furtwäng­ler, Her­bert von Kara­jan, Karl Böhm, Hans Knap­perts­busch); die drei bedeu­tends­ten deut­schen Kom­po­nis­ten des 20. Jahr­hun­derts (Richard Strauss, Hans Pfitz­ner, Carl Orff); die bedeu­tends­te deut­sche Fil­me­ma­che­rin des 20. Jahr­hun­derts (Leni Rie­fen­stahl); einer der bedeu­tends­ten deut­schen Bild­hau­er des 20. Jahr­hun­derts (Arno Bre­ker); der bedeu­tends­te deut­sche Archi­tekt des 20. Jahr­hun­derts (Albert Speer); der bedeu­tends­te deut­sche Atten­tä­ter des 20. Jahr­hun­derts (Claus von Stauf­fen­berg) – und der bedeu­tends­te deut­sche Staats­recht­ler des 20. Jahr­hun­derts (Carl Schmitt).

Sou­ve­rän ins Abseits gegan­gen war aller­dings der Chro­nist des gesam­ten Jahr­hun­derts, der bis auf die Musi­ker und den Atten­tä­ter all die ande­ren auf­ge­lis­te­ten Grö­ßen kann­te und mit eini­gen von ihnen inten­si­ve Brief­wech­sel führ­te: Ernst Jün­gers »Bestre­ben« lief, um aus sei­nem berühm­ten Schrei­ben an den Völ­ki­schen Beob­ach­ter zu zitie­ren, »nicht dar­auf hin­aus, in der Pres­se mög­lichst oft genannt zu wer­den, son­dern dar­auf, daß über die Art mei­ner poli­ti­schen Sub­stanz auch nicht die Spur einer Unklar­heit ent­steht.« Jün­ger zog sich zurück, und zwar buch­stäb­lich, indem er von Ber­lin (dort ein Star in natio­na­len Krei­sen) nach Gos­lar in die Pro­vinz zog, und spä­ter wei­ter nach Kirch­horst, ein Kaff bei Han­no­ver. Ähn­lich wie vie­le ande­re emp­fand auch er die Ein­glie­de­rung in die Wehr­macht als »aris­to­kra­ti­sche Form der Emi­gra­ti­on« (Gott­fried Benn). Als Haupt­mann einer Infan­te­rie­kom­pa­nie mar­schier­te er 1940 in Frank­reich ein und blieb in Paris als Besat­zungs­of­fi­zier bis 1944 stationiert.

Benn nun been­de­te sei­nen kul­tur­po­li­ti­schen Ver­such 1934. Er hat­te den deut­schen Natio­nal­so­zia­lis­mus mit dem ita­lie­ni­schen Faschis­mus ver­wech­selt, und sich auch beim Blick auf die­sen bloß an der for­ma­len Stren­ge und Wucht berauscht, das Poli­ti­sche jedoch igno­riert oder völ­lig miß­ver­stan­den. Eben­falls 1934 zog Heid­eg­ger sich zurück: Er konn­te mit sei­nen Plä­nen nicht durch­sto­ßen und sah sei­ne Erwar­tun­gen in eine auch geis­ti­ge Erneue­rung Deutsch­lands ent­täuscht. Die denk­bar radi­kals­te Wen­dung voll­zog von Stauf­fen­berg, der sich etwa 1942 von Hit­ler abwand­te: Sei­ne glän­zen­de Offi­ziers­kar­rie­re mün­de­te in die eines Bom­ben­le­gers und sym­bol­po­li­ti­schen Akti­vis­ten. Er bezahl­te für die­sen Gesin­nungs­wan­del mit dem Leben. Speer, Rie­fen­stahl, die Diri­gen­ten, die Kom­po­nis­ten und Bre­ker blie­ben bis 1945 in der Nähe der Macht, die letz­te­ren tauch­ten in den von Hit­ler zusam­men­ge­stell­ten Son­der­lis­ten der »Gott­be­gna­de­ten« auf und waren des­halb von allem Kriegs­dienst befreit – wäh­rend Heid­eg­ger in Frei­burg Pan­zer­grä­ben aus­hob, Jün­ger den Volks­sturm bei Kirch­horst führ­te und Carl Schmitt im letz­ten Auf­ge­bot Ber­lins stand.

Der Rechts­wis­sen­schaft­ler Hel­mut Qua­rit­sch führt in sei­nem eben­so über­sicht­li­chen wie sou­ve­rä­nen Buch über die Posi­tio­nen und Begrif­fe Carl Schmitts aus, daß neben den erwähn­ten Geis­tes­grö­ßen auch zahl­lo­se ande­re um die Staats­ord­nung Deutsch­lands besorg­te Män­ner und Frau­en Hit­ler als prin­zi­pi­el­le Alter­na­ti­ve, zunächst oder über Jah­re, bejah­ten oder zumin­dest akzep­tier­ten: »Was wir heu­te als Besei­ti­gung des Par­la­men­ta­ris­mus und recht­li­che Begrün­dung des auto­ri­tä­ren Regie­rungs­staa­tes, als Ein­lei­tung zur Hit­ler-Dik­ta­tur ver­dam­men, galt damals auch klu­gen und poli­tisch erfah­re­nen Leu­ten als unver­meid­bar, als Gene­sungs­re­zept, als Radi­kal­kur. Wer das nicht nach­voll­zie­hen will, kann die Lage im Früh­jahr 1933 nicht begrei­fen.« 1933 jeden­falls hat­ten die Natio­nal­so­zia­lis­ten und Hit­ler ihre Ver­bre­chen noch vor sich und tra­ten nach innen und außen als ent­schie­de­ne Ver­tei­di­ger der Nati­on auf – gegen die­je­ni­gen etwa, die sich eine Aus­deh­nung des kom­mu­nis­ti­schen Expe­ri­ments auf deut­schen Boden wünsch­ten und dabei den bereits voll­zo­ge­nen sowje­ti­schen Ter­ror und sei­ne Mil­lio­nen Opfer ent­we­der igno­rier­ten oder als not­wen­di­ge Zer­schla­gung his­to­risch über­kom­me­ner Struk­tu­ren begründeten.

Man konn­te sich 1933 also irren oder die Lage ver­ken­nen oder aber an einer Revo­lu­ti­on teil­ha­ben wol­len, die sich in rasan­tem Tem­po anschick­te, eine neue Ord­nung her­zu­stel­len und den Staat neu zu bau­en. Daß man dabei nicht gera­de fein mit poli­ti­schen Geg­nern oder aber mit dem ras­sisch mar­kier­ten Feind, den Juden, umsprang, wur­de »als hic et nunc unver­meid­li­cher Preis des revo­lu­tio­nä­ren Durch­bruchs einer neu­en Zeit hin­ge­nom­men. Die Revo­lu­tio­nen von 1789 und 1917 hat­ten – aus der Sicht des Jah­res 1933 – glei­che und schlim­me­re Exzes­se gezei­tigt« (Hel­mut Qua­rit­sch). Das Mit­tun nach even­tu­el­lem ers­tem Schock war jeden­falls die Regel, ein Abseits­ge­hen aus frei­en Stü­cken die gro­ße Aus­nah­me, und gera­de weil der kla­re Blick in unkla­rer Lage, das Wider­stän­di­ge im all­ge­mei­nen Sog etwas so Außer­ge­wöhn­li­ches sind, leuch­tet etwa Ernst Jün­gers Licht noch etwas hel­ler. Die gegen­wär­ti­ge Leh­re jedoch, nach der jeder Bub und jedes Mäd­chen damals hät­ten ein Hans und eine Sophie Scholl sein müs­sen, erscheint vor die­sem Hin­ter­grund als gera­de­zu dümm­li­che Ein­di­men­sio­na­li­tät. Selbst Schmitts Anti­se­mi­tis­mus, der zwei­fels­oh­ne und trotz jüdi­scher Freund­schaf­ten vor­han­den war, über­stieg das nicht, was damals zum Ton eines Intel­lek­tu­el­len dazu­ge­hö­ren konnte.

Damit ist eigent­lich alles gesagt. Aber da es – wie Zuschrif­ten nach der Jah­res­vor­schau zeig­ten – selbst unter den Sezes­si­on-Lesern sol­che gibt, die eine Beschäf­ti­gung mit Schmitt aus dem ein­fa­chen Grund ableh­nen, weil er der »Kron­ju­rist« des Drit­ten Rei­ches gewe­sen sei, soll­te man doch Recon­quis­ta betrei­ben und des Staats­recht­lers Wege und Moti­ve vor, wäh­rend und nach der soge­nann­ten Macht­er­grei­fung nachzeichnen.

 

1. Jurist im Bür­ger­krieg: Carl Schmitt hat­te von 1928 bis 1945 – unter­bro­chen nur von einem ein­se­mes­tri­gen Auf­ent­halt in Köln – Pro­fes­su­ren in Ber­lin inne und befand sich als Staats­recht­ler zwi­schen 1932 und 1936 in unmit­tel­ba­rer Nähe zu den Macht­zen­tra­len zunächst der Wei­ma­rer Repu­blik und dann des Drit­ten Rei­ches, und zwar in her­aus­ra­gen­der Posi­ti­on. Er war nach Ber­lin gekom­men als eben­so scho­nungs­lo­ser wie wort­ge­wal­ti­ger Kri­ti­ker des par­la­men­ta­ri­schen Sys­tems Wei­ma­rer Zuschnitts. In sei­ner Schrift über Die geis­tes­ge­schicht­li­che Lage des heu­ti­gen Par­la­men­ta­ris­mus hat­te er des­sen Unfä­hig­keit zur kon­se­quen­ten Reak­ti­on in Not- und Aus­nah­me­si­tua­tio­nen beschrie­ben, und die Ereig­nis­se ab Mit­te des Jah­res 1932 bis zum 30. Janu­ar 1933 bestä­tig­ten ihn. Denn im Drei-Kanz­ler-Jahr 1932 folg­te v. Papen auf Brü­ning und v. Schlei­cher auf v. Papen, ohne daß einer der drei im Par­la­ment eine regie­rungs­fä­hi­ge Mehr­heit beses­sen oder aber Reichs­prä­si­dent von Hin­den­burg eine zwar befris­te­te, aber so lan­ge wie not­wen­dig hand­lungs­fä­hi­ge Prä­si­di­al­dik­ta­tur aus­ge­ru­fen hät­te. Ange­sichts des nicht mehr nur stil­len Bür­ger­kriegs zwi­schen Kom­mu­nis­ten auf der einen und Natio­nal­so­zia­lis­ten auf der ande­ren Sei­te sah Carl Schmitt eine sol­che Aus­he­be­lung des blo­ckie­ren­den Par­la­ments zwar als einen nicht mehr lega­len Akt an; jedoch war es sei­ner Auf­fas­sung nach ganz und gar legi­tim, den Ver­fas­sungs­kern durch einen par­ti­el­len und zeit­lich befris­te­ten Ver­fas­sungs­bruch zu schützen.

Kurz­zei­tig schöpf­te Schmitt Hoff­nung, und zwar als Hin­den­burg den Plä­nen Papens folg­te und den Umbau des Staa­tes in eine auto­ri­tär-prä­si­dia­le Repu­blik dadurch in Gang setz­te, daß er den Kanz­ler zusätz­lich als Reichs­kom­mis­sar über Preu­ßen ein­setz­te. Er ent­hob damit die Lan­des­re­gie­rung des mäch­tigs­ten Staats im Staa­te ihrer Ämter und kon­zen­trier­te sie in der Hand Papens. Im dar­auf fol­gen­den Pro­zeß über die­sen »Preu­ßen­schlag « vor dem Staats­ge­richts­hof trat Carl Schmitt für die Reichs­re­gie­rung auf, bril­lier­te, und war um so mehr scho­ckiert über das Urteil vom 25. Okto­ber, in dem die Rich­ter der Argu­men­ta­ti­on Schmitts nicht umfäng­lich folg­ten und den Ver­fas­sungs­kern nicht zu schüt­zen bereit waren: Die preu­ßi­sche Lan­des­re­gie­rung blieb im Amt, der Reichs­kom­mis­sar aber auch. »Die­se salo­mo­ni­sche Tei­lung des Kin­des, die sich der Staats­ge­richts­hofs­prä­si­dent in sei­ner juris­ti­schen Vor­sicht und salo­mo­ni­schen Weis­heit geleis­tet hat, die wirk­te sich ver­hee­rend aus auf die wei­te­re Situa­ti­on«, resü­mier­te Schmitt noch 1971.

Und 1932 war für Schmitt sol­cher­lei Ent­schei­dungs­schwä­che sowie die Unfä­hig­keit der Poli­tik, sich über ein sol­ches Urteil hin­weg­zu­set­zen, eine Bestä­ti­gung sei­ner Zwei­fel an einer Repu­blik, deren Bestand er den­noch ver­tei­dig­te – und zwar bis zuletzt über befreun­de­te Minis­te­ri­al­be­am­te, die Schlei­chers Plä­nen einer vor­über­ge­hen­den Reichs­wehr-Dik­ta­tur einen recht­li­chen Unter­bau ver­schaf­fen woll­ten. Sicher ist jeden­falls, um ein Fazit des Schmitt-Bio­gra­phen Paul Noack auf­zu­grei­fen, daß Schmitt in den letz­ten Jah­ren der Wei­ma­rer Repu­blik »sehr viel mehr war als nur ein Bera­ter im Stil­len – sein Name stand als Programm.«

2. Bedro­hungs­la­ge 1933: »Pro­gramm« gewe­sen zu sein als Wider­sa­cher der Natio­nal­so­zia­lis­ten auf den letz­ten Metern vor deren Macht­er­grei­fung – das mach­te aus der Lage des Staats­recht­lers eine Bedro­hungs­la­ge. Die­se Gefahr war nicht nur eine für die Kar­rie­re (was damals aus­reich­te und bis heu­te aus­reicht, um ehr­gei­zi­gen oder auch nur an bür­ger­li­chem Auf­stieg inter­es­sier­ten Leu­ten den Angst­schweiß auf die Stirn zu trei­ben). Die Gefahr, der sich die expo­nier­te­ren Geg­ner Hit­lers aus­ge­setzt sahen, war eine für Leib und Leben, und so war unter den inter­nen und exter­nen Geg­nern, die im Ver­lauf des soge­nann­ten Röhm-Put­sches am 30. Juni 1934 exe­ku­tiert wur­den, auch Kurt von Schlei­cher. Unter dem Ein­druck die­ser Säu­be­rungs­wel­le schrieb Schmitt einen jener Tex­te, die ihn nach 1945 unmög­lich mach­ten: »Der Füh­rer schützt das Recht« lau­tet der Titel die­ses Auf­sat­zes, in dem Schmitt zum einen die Legi­ti­mi­tät der Zer­schla­gung eines die Macht unter­mi­nie­ren­den Kom­plotts aus­führt und zum ande­ren Hit­ler als den­je­ni­gen benennt, der mit dem Füh­rer­tum auch das Rich­ter­tum inne­ha­be und kraft sei­nes Amtes dar­auf ach­te, daß nicht neben­bei Pri­vat­rech­nun­gen auf­ge­macht wür­den. Das war poin­tiert, pro­vo­zie­rend, wag­hal­sig – eine Denk­fi­gur, die Hit­ler aus den Schlamm­schlach­ten der Staats­er­obe­rung her­aus­hob und ihn zu einem Schutz­hei­li­gen des rei­nen Rechts machte.

Qua­rit­sch führt in sei­nem bereits erwähn­ten Buch einen Zwang zur Radi­ka­li­tät an: Schmitt habe ver­sucht, auf sei­ne Bedro­hungs­la­ge mit deut­li­chen Loya­li­täts­si­gna­len zu reagie­ren, denn er hät­te die Ein­schlä­ge näher kom­men hören und gewußt, daß ihm in Schlei­chers Plan, die NSDAP mit­tels einer Quer­front zu spal­ten, eine nicht unwich­ti­ge Rol­le zuge­dacht gewe­sen war: »Der gro­ße Chor derer, die vor 1933 die Melo­die von Wei­mar nur mit­ge­summt hat­ten, brauch­ten nach 1933 nur die Noten zu wech­seln. Carl Schmitt hin­ge­gen woll­te nicht nur mit­sin­gen, son­dern auch den Ton ange­ben.« Sei­ne Arbei­ten aus den Jah­ren 1934 bis 1936 sei­en daher »weni­ger als Über­zeu­gungs­ta­ten, denn als Kon­ver­ti­ten-Bekennt­nis­se« zu werten.

3. Kon­ver­ti­ten-Eifer: Kon­ver­ti­ten sind Eife­rer, sind die­je­ni­gen, die stän­dig bewei­sen müs­sen, daß sie ihren Irr­tum ein­ge­se­hen und sich ganz auf die Sei­te der neu­en Ver­bün­de­ten geschla­gen haben. Hät­te nicht aber eine Ton­la­ge tie­fer aus­ge­reicht? Oder hät­te Schmitt nicht doch schon 1933 das tun kön­nen, was er 1947 als den Rück­zug »in die Sicher­heit des Schwei­gens« bezeich­net hat? Noch ein­mal: Schmitt hat die Schüs­se, die Schlei­cher und ande­re nie­der­streck­ten, nicht weit von der eige­nen Per­son ent­fernt ein­schla­gen sehen und sofort beschlos­sen, noch lau­ter das neue Lied zu pfei­fen. Die­se Melo­die geriet ihm im Stil jener gro­ßen Gesän­ge, denen die Zwi­schen­tö­ne feh­len, weil sie nur den einen Zweck haben: das Ohr der Macht­ha­ber zu erreichen.

Einer der Chro­nis­ten der 68er-Bewe­gung, Gerd Koe­nen, hat sei­nen eins­ti­gen Genos­sen in einem eben­so wich­ti­gen wie ent­lar­ven­den Buch die lin­ke Nei­gung zu sol­chen Tönen vor­ge­hal­ten. Wenn man dort erfährt, wer trotz der längst offen­kun­di­gen, irr­sin­ni­gen Opfer­zah­len in Ruß­land den­noch stolz sich Sta­li­nist, Leni­nist oder Trotz­kist nann­te und im Sin­ne die­ser oder ande­rer Mas­sen­mör­der die Unta­ten ent­we­der fahr­läs­sig ver­harm­los­te oder wag­hal­sig recht­fer­tig­te, so muß man einen Ver­gleich mit Schmitt rund­weg ableh­nen: Denn Schmitt wähn­te sich nicht ohne Grund in Lebens­ge­fahr, Schmitt ver­harm­los­te kei­nen Mas­sen­mord, denn es hat­te noch kei­ner statt­ge­fun­den, und Schmitt bezahl­te letzt­lich mit lebens­lan­ger Äch­tung für sei­nen drei­jäh­ri­gen »Irr­tum«. Und wäh­rend Schmitt nach 1945 ohne Pen­si­on und Amt in Plet­ten­berg im Abseits blieb, began­nen sich Leu­te in deut­schen Minis­te­ri­en, Redak­ti­ons­stu­ben und Uni­ver­si­tä­ten zu tum­meln, die sich ohne jeden Zwang und trotz der unge­heu­ren kom­mu­nis­ti­schen Opfer­zah­len ihre Vor­bil­der doch in Chi­na, Nord­viet­nam, auf Kuba oder in der Sowjet­uni­on such­ten und das in Tei­len bis heu­te schick finden.

Schmitt hin­ge­gen konn­te 1933 nichts schick fin­den: Er hat­te sich im neu­en Jar­gon zu üben. Daß sei­ne »gro­ßen Gesän­ge« nicht von Her­zen kamen, son­dern dem ange­stimm­ten Lied nur nach­emp­fun­den waren, durch­schau­ten die wasch­ech­ten Par­tei­gän­ger jedoch sofort. Es ent­stand ein Dos­sier, das ab Ende 1935 den Hin­ter­grund einer SS-getra­ge­nen Kam­pa­gne gegen Schmitt bil­de­te: Es lis­te­te des­sen Posi­tio­nen von vor 1933 minu­ti­ös auf und mut­maß­te, daß es sich bei den jüngs­ten Aus­las­sun­gen des Staats­recht­lers um Anbie­de­rungs­ver­su­che han­del­te, kei­nes­falls aber um die Tex­te eines wahr­lich Bekehr­ten. Schmitt sei nicht zu trau­en, noch immer stel­le er den Staat über die dem NS urei­ge­ne Idee eines »völ­ki­schen Rechts«. Die Kam­pa­gne ver­fing, Schmitt war Ende 1936 erle­digt. Pro­fes­sor blieb er, und man muß beto­nen: Er hat­te sich nicht selbst zurück­ge­zo­gen (wie Benn und ande­re), son­dern war abge­schos­sen wor­den. Er hät­te jeden­falls noch eine gan­ze Wei­le mit­ge­macht, hät­te man ihn nur gelassen.

4. Beruf und Ehr­geiz: Nicht in jeder wis­sen­schaft­li­chen Dis­zi­plin kann man auf so ein­deu­ti­ge Wei­se mit­ma­chen, wie Schmitt das tat. Sein Arbeits­feld war aber eben nicht die Erfor­schung einer Mund­art­gren­ze am Ober­rhein, son­dern das Staats­recht – jenes Recht also, das ganz unmit­tel­bar mit der Poli­tik, der poli­ti­schen Macht und der poli­ti­schen Ord­nung zu tun hat, und inner­halb des­sen jede Aus­le­gung auch so etwas wie eine poli­ti­sche Stel­lung­nah­me ist. Schmitt hät­te sich viel­leicht auf ein Meta­the­ma kon­zen­trie­ren kön­nen, wie er es nach 1936 dann mit sei­nen Über­le­gun­gen zum »Nomos der Erde« und zu einer Groß­raum­ord­nung auch tat. Aber 1933 war er einer der bekann­tes­ten Staats­recht­ler Deutsch­lands, war vier­und­vier­zig Jah­re alt und sah sei­nem Ehr­geiz so recht kei­ne Gren­ze gesteckt. Außer­dem wur­de er – nach einer depres­si­ven, ver­un­si­cher­ten Pha­se, die in sei­nen Tage­buch­ein­trä­gen mar­kant abge­steckt ist – bereits im April hofiert und von sei­nem Freund Johan­nes Popitz, einem hohen Minis­te­ri­al­be­am­ten, an der Aus­ar­bei­tung des »Reichs­statt­hal­ter­ge­set­zes« betei­ligt. Man brauch­te ihn, und zwar unmit­tel­bar nach dem Ermäch­ti­gungs­ge­setz vom 24. März 1933, mit des­sen Hil­fe Hit­ler den Par­la­men­ta­ris­mus auf eine Wei­se been­de­te, wie es sich Schmitt von Hin­den­burg oder von Schlei­cher gewünscht hätte.

Um es so zu sagen: Schmitt akzep­tier­te die neue Ver­fas­sungs­wirk­lich­keit, die im März/April ihre Kon­tu­ren gewann und nicht mehr auf­zu­hal­ten war, weil sie tat­säch­lich revo­lu­tio­när vor­an­ge­peitscht wur­de. Den­noch darf man nicht über­se­hen, daß Schmitt (und ande­re Kon­ser­va­ti­ve) bei aller Annä­he­rung an die Posi­tio­nen des neu­en Staa­tes eine Art »Sub­ver­si­on« betrieb, die »auf Erhal­tung einer selb­stän­di­gen welt­an­schau­li­chen Posi­ti­on gerich­tet war und den Natio­nal­so­zia­lis­mus irgend­wie kon­ser­va­tiv zu unter­füt­tern trach­te­te« (Karl­heinz Weiß­mann). Die­ser Vor­be­halt hin­der­te Schmitt und ande­re jedoch kei­nes­falls dar­an, »sich im Bür­ger­krieg auf die Sei­te der sieg­rei­chen und ein­zig durch­set­zungs­fä­hi­gen Par­tei« zu schla­gen, »die den ›Frie­den‹ her­stel­len konn­te«. Die Wie­der­her­stel­lung einer kla­ren, indis­ku­ta­blen, geführ­ten Ord­nung beein­druck­te ihn und ver­wirk­lich­te ins­ge­samt doch vie­les von dem, was Schmitt als ent­schie­de­ner Geg­ner von Ver­sailles und des Völ­ker­bun­des und als Natio­na­list sich immer erhofft hat­te. Wie selbst­ver­ständ­lich wur­de die­se neue Ver­fas­sungs­wirk­lich­keit nun Schmitts Gegen­stand, und da man ihn augen­schein­lich brauch­te, gab Schmitt sei­nem beruf­li­chen Ehr­geiz, sei­ner per­sön­li­chen Eitel­keit und sei­ner exis­ten­ti­el­len Angst nach und mach­te eben­so glän­zend mit, wie er zuvor glän­zend der Wei­ma­rer Repu­blik Aus­we­ge aus dem Unter­gang gewie­sen hat­te. Und so berief Göring ihn zum Preu­ßi­schen Staats­rat (ein Papier- und Pres­ti­ge­pos­ten), und der Reichs­rechts­füh­rer Hans Frank mach­te ihn zum Reichs­grup­pen­wal­ter der Reichs­grup­pe Hoch­schul­leh­rer im NSRechts­wah­rer­bund. Mit dem 1. Janu­ar 1937 war Schmitt die­ses Pos­tens aller­dings wie­der ent­ho­ben, denn die Kam­pa­gne gegen ihn war so wirk­mäch­tig, daß selbst Göring und Frank ihn nicht zu hal­ten vermochten.

Wenn Schmitt also der Kron­ju­rist des Drit­ten Rei­ches gewe­sen sein soll­te, dann war er es nur für gut zwei­ein­halb frü­he Jah­re. Er wäre außer­dem bei­na­he der Kron­ju­rist der spä­ten Wei­ma­rer Repu­blik gewor­den und hät­te auf­grund sei­ner cha­rak­ter­li­chen Dis­po­si­ti­on und sei­ner her­aus­ra­gen­den Bega­bung auch – um eine spit­ze Wen­dung auf­zu­grei­fen, deren Ursprung im dun­keln liegt – noch den Kron­ju­ris­ten der BRD gege­ben, hät­te man ihn nur gelassen.

5. Der Epi­me­theus: Der Katho­lik Carl Schmitt hat dem spä­ter zum Katho­li­zis­mus kon­ver­tier­ten Ernst Jün­ger für des­sen unbe­irr­ba­re, kon­se­quen­te Hal­tung gegen Hit­ler stets Respekt gezollt und sich selbst als einen »christ­li­chen Epi­me­theus« bezeich­net, als eine Figur, an der Gott einen bestimm­ten Weg habe auf­zei­gen wol­len. Der Epi­me­theus ist jedoch – das streicht Mar­tin Thiel­ke in sei­ner her­vor­ra­gen­den Stu­die über Schmitt und Jün­ger her­aus – »der im nach­hin­ein, also zu spät Beden­ken­de«, denn er öff­ne­te trotz ein­dring­li­cher War­nung die Büch­se der Pan­do­ra. Carl Schmitt habe »mit sei­ner anfäng­li­chen Unter­stüt­zung des NS-Staa­tes, sei­ner Illu­si­on, ›den Füh­rer füh­ren‹ und den Staat vor der ›Bewe­gung‹ ret­ten zu kön­nen, Schiff­bruch erlit­ten. Er war – wie er schließ­lich ein­ge­ste­hen muß­te – ein ›schlech­ter‹ und ›unwür­di­ger‹ Epi­me­theus, aber er sah sich in eine Geschich­te ein­ge­bun­den, die so ablau­fen muß­te, wie sie abge­lau­fen ist.« Nun ist der Ver­such, den per­sön­li­chen poli­ti­schen Irr­tum (und nicht nur den poli­ti­schen!) in ein All­ge­mei­nes, eine epo­cha­le oder gar gött­li­che Kraft auf­zu­lö­sen, eine belieb­te Denk­fi­gur, ein Schlupf­loch im Ange­sicht des Schei­terns. »Am Ende söh­net der Geist mit allem uns aus«, bie­tet Höl­der­lin (einer der bevor­zug­ten Dich­ter Schmitts) groß­zü­gig an, obwohl auch die­ses Zitat damit aus dem Zusam­men­hang geris­sen wäre.

Und das ist und bleibt doch beim Blick auf Schmitt das Aller­wich­tigs­te: daß nichts aus dem Zusam­men­hang geris­sen und auch die­se Geschich­te genom­men wer­de als das, was sie bes­ten­falls sein kann – ein Lehr­stück, eine Schu­le der Demut. Jene näm­lich, die auf ein neu­er­li­ches 1813, ein 1848, ein 1933, 1968 oder 1989 hof­fen, um end­lich Dampf unter die Ereig­nis­se gebracht zu sehen, wür­den sich wun­dern, wie wenig klar man sieht, wenn alles in Bewe­gung ist. Und auch sie wür­den sich in einer Mischung aus Hoff­nung, Fehl­ein­schät­zung, Ehr­geiz, Eitel­keit, Nach­ah­mung, cha­rak­ter­li­cher Dis­po­si­ti­on, Über­le­gen­heits­ge­fühl und viel­leicht auch Angst zu neun­und­neun­zig Pro­zent auf die Sei­te derer schla­gen, die Kar­rie­ren böten und Macht auf sich ver­ei­nig­ten – wäh­rend die Geg­ner zu den Hobel­spä­nen der neu­en Zeit wür­den. Davon fal­len übri­gens auch gegen­wär­tig welche.

Nichts schreibt sich
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