Schwarze Fahnen wir noch han

von Karlheinz Weißmann

Den Wahlerfolg der Piratenpartei kann man im Grunde nicht politisch deuten, sondern nur als Konsequenz von Überdruß...

und letz­ter Ent­schlos­sen­heit, sich zu amü­sie­ren. Immer­hin hat sich die Trup­pe mit der schwar­zen Fah­ne ein auf­fäl­li­ges Sym­bol gege­ben, das eine lan­ge Tra­di­ti­on hat und nicht nur auf den Jol­ly Roger der Frei­beu­ter zurückweist.

Schwarz ist neben Rot die am wei­tes­ten ver­brei­te­te sym­bo­li­sche Far­be. Es gibt eine „Sug­ges­ti­on des Schwar­zen“ (Johan Hui­zin­ga), wes­halb es häu­fig für Amts­trach­ten oder Uni­for­men ver­wen­det wur­de. Aber die stär­ke­re Bedeu­tung von Schwarz ist der Ver­weis auf Ver­zweif­lung, Tod und Rache. Dem­entspre­chend fin­det Schwarz als Far­be der Trau­er­klei­dung in vie­len Kul­tu­ren Ver­wen­dung; schwar­ze Fah­nen tre­ten außer­dem als spon­ta­ner Aus­druck des Pro­tests oder letz­ter Ent­schlos­sen­heit in Bewe­gun­gen ganz ver­schie­de­ner Her­kunft auf. Das gilt etwa für die Bau­ern­auf­stän­de des 17. Jahr­hun­dets im deut­schen Süden (erhal­ten blieb ein Lied mit dem Titel Schwar­ze Fah­nen sie noch han), für den Jol­ly Roger der Frei­beu­ter, aber auch für die gegen die Tür­ken gerich­te­ten Revol­ten in Maze­do­ni­en von 1876 und 1903 oder jene unga­ri­schen Trup­pen, die 1956 über ihren letz­ten Stel­lun­gen schwar­ze Fah­nen auf­zo­gen, um zu signa­li­sie­ren, dass sie nicht zur Kapi­tu­la­ti­on bereit seien.

Eine schwar­ze Fah­ne spielt tra­di­tio­nell im Islam eine wich­ti­ge Rol­le. So soll schon den Hee­ren Moham­meds eine wei­ße und eine schwar­ze Fah­ne vor­an­ge­tra­gen wor­den sein. Auf der wei­ßen war zu lesen „Nie­mand ist grö­ßer als Allah“, wäh­rend man die schwar­ze als Kampf­sym­bol aus vor­is­la­mi­scher Zeit über­nom­men hat­te. Die dann zwi­schen dem 7. und 12. Jahr­hun­dert von Bag­dad aus regie­ren­den Abas­si­den ver­wen­de­ten schwar­ze Fah­nen, um ihre Bereit­schaft zur Ver­gel­tung für die Nie­der­la­ge in der Schlacht von Ker­ba­la anzu­zei­gen; eine Tra­di­ti­on, die sich in isla­misch gepräg­ten Län­dern bis heu­te erhal­ten und dazu geführt hat, daß ein schwar­zer Strei­fen auch in die pan­ara­bi­schen Far­ben auf­ge­nom­men wurde.

Anders auf der Lin­ken. In der Pari­ser Juli-Revo­lu­ti­on von 1830 trenn­ten sich nicht nur die Anhän­ger der „Roten“ von denen der Tri­ko­lo­re, inner­halb der radi­ka­len Frak­ti­on ent­stand auch eine anar­chis­ti­sche Bewe­gung im genaue­ren Sinn, die Schwarz zu ihrer Far­be machen soll­te. Als deren Vor­läu­fer sind die Arbei­ter von Gre­no­ble und Reims zu betrach­ten, die am 20. Sep­tem­ber 1831 schwar­ze Fah­nen im Zug mit­tru­gen, vor allem aber die Sei­den­spin­ner von Lyon, die sich am 22. Novem­ber 1831 gewalt­sam erho­ben und eine schwar­ze Fah­ne führ­ten, auf der zu lesen stand „Viv­re en tra­vail­lant ou mour­ir en com­bat­tant“ – „Lebend arbei­ten oder kämp­fend ster­ben“. Das Schwarz als Pro­test­sym­bol blieb auch in der Fol­ge­zeit erhal­ten, und in der Revo­lu­ti­on von 1848 hat jeden­falls Baku­nin, einer der Erz­vä­ter des Anar­chis­mus, eine schwarz Fah­ne geführt. Dann tauch­te sie aller­dings erst wie­der auf wäh­rend des Com­mu­ne-Auf­stands von 1871: als Aus­druck der Ver­zweif­lung über den dro­hen­den Untergang.

Die­se Kon­no­ta­ti­on blieb auch erhal­ten, als sich seit den 1880er Jah­ren in euro­päi­schen Staa­ten und in den USA anar­chis­ti­sche Grup­pen orga­ni­sier­ten. Am 18. März 1882 sprach Loui­se Michel, die „rote Jean­ne d’ Arc“ der Com­mu­ne, davon, daß die Anar­chis­ten zwar auch die rote Fah­ne in Ehren hal­ten woll­ten, „gefärbt vom Blut unse­rer Sol­da­ten“, aber: „Ich zie­he die schwar­ze Fah­ne auf aus Trau­er über unse­re Illu­sio­nen und unse­re Toten.“

Erst in der Fol­ge­zeit kam es zur siche­ren Iden­ti­fi­ka­ti­on des Anar­chis­mus mit der Far­be Schwarz. So ent­stand im Okto­ber 1881 die Inter­na­tio­nal Working People’s Asso­cia­ti­on in Chi­ca­go, die auch als Black Inter­na­tio­nal – „Schwarz Inter­na­tio­na­le“ bezeich­net wur­de, ein Jahr spä­ter grün­de­ten Anar­chis­ten in Paris die Zeit­schrift Le Dra­peau Noir – Die Schwarz Fahne.

Infol­ge die­ser rela­tiv kla­ren Zuord­nung von Anar­chis­mus und Schwarz kämpf­ten die Trup­pen des ukrai­ni­schen Anar­chis­ten Makh­no nach dem Ers­ten Welt­krieg für eine unab­hän­gi­gen Ukrai­ne genau­so unter schwar­zen Fah­nen (mit der Inschrift „Frei­heit oder Tod“ auf der einen, „Das Land den Bau­ern, die Fabri­ken den Arbei­tern“ auf der ande­ren Sei­te) wie die anar­chis­ti­schen Mili­zen wäh­rend des Spa­ni­schen Bür­ger­kriegs. Trotz des rapi­den Bedeu­tungs­ver­lusts, den der Anar­chis­mus im wei­te­ren Ver­lauf des 20. Jahr­hun­derts erlit­ten hat, geriet die schwar­ze Fah­ne nicht in Ver­ges­sen­heit und konn­te mit der Stu­den­ten­re­vol­te der sech­zi­ger Jah­re zuerst in den USA und dann welt­weit eine Renais­sance erleben.

Vor allem der Orga­ni­sa­ti­on Rouge et Noir, zu deren füh­ren­den Mit­glie­dern Dani­el Cohn-Ben­dit gehör­te, gelang es im „Pari­ser Mai“ die schwar­ze Fah­ne als Sym­bol der mili­tan­ten Lin­ken zu eta­blie­ren, das sich hin­rei­chend deut­lich vom Rot der „bür­ger­li­chen“ Sozia­lis­ten und Kom­mu­nis­ten unter­schied. In einer auf­se­hen­er­re­gen­den Akti­on gelang es eini­gen Akti­vis­ten sogar, eine schwar­ze Fah­ne über Not­re Dame auf­zu­zie­hen. Bezeich­nen­der­wei­se kleb­ten die Anhän­ger de Gaulles wäh­rend des Pari­ser Mai 1968 Pla­ka­te, auf denen rote und schwarz Fah­nen mit der Paro­le Plus jamais ça – „Das nie wie­der“ zu sehen war und ande­re mit der Tri­ko­lo­re und der Auf­schrift Non au dra­peau noir – „Nein zur schwarz Fahne“.

Die Deu­tun­gen für das anar­chis­ti­sche Schwarz rei­chen von der Auf­nah­me eines tra­di­tio­nel­len Pro­test­sym­bols über die Behaup­tung, es han­de­le sich um eine Trau­er­flag­ge für die gefal­le­nen Kämp­fer der Kom­mu­ne von 1871, bis zu der The­se, die schwarz Fah­ne sei die „Ver­nei­nung aller Fah­nen“ (Howard Ehr­lich), also das Sym­bol für die Auf­he­bung der Vater­län­der und jeg­li­cher Form mensch­li­cher Herrschaft.

Daß man den Anar­chis­ten trotz allem kein Mono­pol auf die­ses Sym­bol zuspre­chen kann, hängt vor allem damit zusam­men, daß schwar­ze Fah­nen auch auf der Gegen­sei­te als Aus­druck des radi­kaa­len Pro­tes­tes bekannt waren. Ver­wen­dung fand eine schwar­ze Fah­ne bei­spiels­wei­se bei der Beset­zung des soge­nann­ten „Fort Chab­rol“ durch eini­ge Natio­na­lis­ten im Jahr 1899, und seit der Zwi­schen­kriegs­zeit ent­stan­den Bewe­gun­gen der Rech­ten, die die­ses Zei­chen wegen sei­ner revo­lu­tio­nä­ren Dyna­mik für sich rekla­mie­ren woll­ten. Dazu gehör­ten vor allem die ita­lie­ni­schen Faschis­ten, die neben den Fas­ces das Schwarz­hemd, aber auch schwar­ze Fah­nen, Wim­pel und Stan­dar­ten verwendeten.

In Deutsch­land bevor­zug­te die NSDAP für ihre poli­ti­schen Uni­for­men Braun, auch wenn sich die SS mit ihrer schwarz Mon­tur ger­ne als „Schwar­zes Korps“ ver­stand. Ein Grund für die­se Zurück­hal­tung moch­te auch sein, daß Schwarz in Deutsch­land bereits durch kon­kur­rie­ren­de natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re Bewe­gun­gen besetzt war.

Unmit­tel­bar nach dem Ers­ten Welt­krieg hat­ten Natio­na­lis­ten aus Pro­test gegen den Ver­sailler Ver­trag schwar­ze Fah­nen auf­ge­zo­gen, im Lau­fe der zwan­zi­ger Jah­re setz­te sich die­ses Sym­bol – nicht zuletzt unter dem Ein­fluß des Publi­zis­ten Arthur Moel­ler van den Bruck – in vie­len Grup­pie­run­gen durch. Die wich­tigs­ten waren die Jugend­bün­de, die Land­volk­be­we­gung in Nord­deutsch­land und die „Wider­stands­be­we­gung“ des natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Theo­re­ti­kers Ernst Nie­kisch; auch die aus einer Abspal­tung der NSDAP her­vor­ge­gan­ge­ne „Schwar­ze Front“ ver­wen­de­te eine schwar­ze Fah­ne mit auf­ge­leg­tem Ham­mer und Schwert. Im Grun­de genom­men war die schwar­ze Fah­ne das Sym­bol der Kon­ser­va­ti­ven Revolution.

Nach dem Zwei­ten Welt­krieg ver­schwand die­se Emble­ma­tik fast völ­lig, auch wenn die schwarz Fah­ne als Pro­test­sym­bol bei Bau­ern­de­mons­tra­tio­nen und im Wider­stand gegen Zechen­stil­le­gun­gen immer wie­der auf­tauch­te. Seit den acht­zi­ger Jah­ren gab es außer­dem eine all­mäh­li­che Wie­der­be­le­bung der natio­nal- bezie­hungs­wei­se kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­ren Sym­bo­lik in ein­zel­nen Jugend­bün­den, der „Neu­en Rech­ten“, inner­halb wie außer­halb der NPD. Damit hat die schwar­ze Fah­ne der „Pira­ten“ natür­lich nichts zu tun, wenn über­haupt, dann muß man ihr Emblem als Hin­weis auf ein anar­cho­ides Staats­ver­ständ­nis begreifen.

 

Test

 

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.