Das Kind und sein ausländerfreies Wochenende

Ein prall gefülltes Wochenende liegt hinter uns, „ganz in Familie“, so sagt man doch?

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Frei­tag waren wir im Kino mit den Gro­ßen (Sushi in Suhl, annehm­ba­rer Kla­mauk, teils hübsch dop­pel­bö­dig), Sams­tag in der Oper (Tos­ca, klas­si­sche Insze­nie­rung), Sonn­tag lief ein Teil der Fami­lie (der Rest war zu klein bzw. labo­rier­te an gebro­che­nem Mit­tel­fuß) beim Mage­de­burg-Mara­thon mit, kür­ze­re Distan­zen zwar, aber: ein Volltreffer!

Irgend­wann vor ein oder zwei Jah­ren war ein Video kur­siert, in dem ein chi­ne­si­scher Vater sei­nen klei­nen Sohn in New York durch die Eises­käl­te ren­nen ließ und ihm Kraft­übun­gen im Schnee abnö­tig­te. Genau weiß ich es nicht, ich hab mir den Film nie ange­se­hen, allein die öffent­li­che Empö­rungs­wel­le drang zu mir durch. Man dür­fe doch ein Kind nicht der­art quälen!

In gering­fü­gi­ger Abwand­lung des aktu­el­len Jun­ge-Frei­heit-Slo­gans und mei­nes Lebens­mot­tos „Wo alle einer Mei­nung sind, wird meis­tens gelo­gen“, war mir der chi­ne­si­sche Vater prompt sym­pa­thisch. Er hat­te damals sei­ne Trai­nings­me­tho­de damit gerecht­fer­tigt, daß sich sein Sohn in einer schwie­ri­gen Ent­wick­lungs­pha­se befand, über die er ihm hin­weg­hel­fen woll­te. Klang für mei­ne Ohren extrem nachvollziehbar!

Zufäl­lig hat­ten wir auch gera­de zwei Kin­der in einer „schwie­ri­gen Ent­wick­lungs­pha­se“. Bei einem hat­ten sich Jäh­zorn, Bockig­keit und Groß­kot­zig­keit seit Mona­ten unan­ge­nehm ver­fes­tigt, beim ande­ren waren es Träg­heit und Wil­lens­schwä­che. Nun muß­ten sie mit mir lau­fen, dut­zend ver­schie­de­ne Wege durchs Dorf und die Fel­der, und zwar immer dann, wenn ihre Cha­rak­ter­schwä­chen über­deut­lich und stö­rend wurden.

Der Jäh­zor­ni­ge lief mir bald davon. Dann gab es wei­te­re Run­den, bis mir – kei­nes­falls ihm – die Lun­ge schier aus dem Leib hing. Mit dem ande­ren Kind war es schwie­ri­ger, denn immer drück­te ein Schuh, kniff die Hose, tra­ten unaus­halt­ba­res Sei­ten­ste­chen oder ande­re Schmer­zen auf. Da muß­te man durch, da wur­de moti­viert, da fie­len har­te Wor­te, da fiel der Nach­tisch aus.

Und was soll man sagen: Der (vor allem nerv­li­che) Auf­wand hat sich gelohnt! Die bei­den pro­ble­ma­ti­schen Zög­lin­ge sind nach ein­jäh­ri­ger, kei­nes­wegs strikt regel­mä­ßi­ger Lauf­e­rei wie ver­wan­delt. Das eine Kind ist immer noch das jäh­zor­nigs­te von allen, das ande­re das trägs­te, aber so, in Maßen nun, darf es sein. Die grö­ße­ren Kin­der haben aus Schul­grün­den kei­ne Zeit mehr für den obli­ga­to­ri­schen Sport­ver­ein, dar­um ent­deck­ten sie das Lauf­trai­ning als nütz­li­chen Ersatz. So lie­fen sie nun alle tapfer.

Inter­es­sant waren die Kin­der­ge­sprä­che auf der Rück­fahrt am Sonn­tag. Ein­drü­cke wur­den aus­ge­tauscht, es wur­de geläs­tert über Opern­be­su­che­rin­nen in Leo­par­den­kos­tüm, über gewohn­heits­mä­ßi­ge und orts­frem­de Opern­gän­ger, es wur­de erör­tert, inwie­weit die Pro­fes­sio­na­li­tät der Lauf­aus­stat­tung in Zusam­men­hang steht mit dem Erfolg (wir tra­ten extrem unpro­fes­si­nell, gera­de­zu im Ret­ro­look auf), es wur­de gemut­maßt, ob die extrem lau­te Dau­er­be­schal­lung mit Pophits im Start-und Ziel­be­reich ein welt­wei­tes Phä­no­men ist und ob wohl alle ande­ren Teil­neh­mer das als dyna­mi­sie­ren­de Berei­che­rung empfinden.

Inter­es­san­te Wort­mel­dung unse­res acht­jäh­ri­gen Kin­des, Sät­ze wie Don­ner aus hei­te­rem Him­mel: „Das war ja ein total aus­län­der­frei­es Wochen­en­de. Ich hab nur Deut­sche gese­hen, nicht wie neu­lich in Offen­bach, als wir da Schwim­men waren. Anschei­nend inter­es­sie­ren sich Aus­län­der also gar nicht für Oper und Mara­thon. Oder dür­fen sie da nicht hin?“ Ant­wort­ver­such der gro­ßen Schwes­ter: „Nee, aber viel­leicht haben die ein­fach kein Geld.“ Ent­geg­nung der ande­ren gro­ßen Schwes­ter: „Rest­kar­ten für die Oper gibt´s mit Ber­linpaß für 3 Euro. Den Paß kön­nen alle Sozi­al­hil­fe­emp­fän­ger und Asy­lan­ten krie­gen. Also, ich hab noch etli­che freie Plät­ze gese­hen. Aus­län­der, soweit das äußer­lich zu beur­tei­len war, aber wirk­lich kei­nen.“ (Acht­jäh­ri­ges Kind dazwi­schen: „Ja, glaub ich, nicht mal Ita­lie­ner! Dabei wär das doch logisch gewesen!“)

Im Kino jeden­falls war das acht­jäh­ri­ge Kind nicht dabei gewe­sen. Da näm­lich – nicht in unse­rem Film, aber her­nach in der wochen­ends übli­chen lan­gen Schlan­ge an der Kas­se und an den Pop­corn- und Cola-The­ken – war das Publi­kum so bunt gemischt, wie es die Bevöl­ke­rung eben her­gibt und wie wir es aus Schwimm­bä­dern oder von Stra­ßen­fes­ten her ken­nen. Acht­jäh­ri­ger Nach­wuchs: „Also…- viel­leicht: Oper und Mara­thon sind ja doch eher anstren­gend. Kann es dar­an lie­gen?“ Klei­ne Schwes­ter (für die Iro­nie ein aus­län­di­sches Wort ist) : „Ja. Die arbei­ten und ler­nen soviel, und dann sind sie ein­fach nur müde.“

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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