Familienmanager Peter Mersch

pdf der Druckfassung aus Sezession 20/Oktober 2007

sez_nr_207Wie gern würde man endlich einmal den Schlußstrich ziehen unter die Demographie-Diskussion! Ist nicht längst alles gesagt über Schwund und Hoffnung, Rabenväter und Neue Mütter, Ganztagesbetreuung und outsourcing des Nachwuchses, Kosten und Nutzen? Das ganze Thema ist längs und quer, von Hinz, Kunz und ungezählten Wissenschaftlern durchgekaut und wiedergekäut, und kaum einer der Beteiligten kann dabei seine Befindlichkeit außen vor lassen, seinen ganz persönlichen Ballast - Kinderkriegen ist eben bei aller Trennung von Sexualität und Fortpflanzung ein Intimthema. Klar, wir haben Zahlen. Und wir haben Gegenzahlen: Nehmen wir nur die statistischen Unzulänglichkeiten des Mikrozensus (sind Haushalte mit längst fortgezogenen Kindern als „Kinderlose" gültig erfaßt?) oder die bekannte Diskussion um kinderlose Akademikerinnen, wobei die „Schallgrenze" zur Mutterschaft altersmäßig vermutlich unzureichend erfaßt wurde.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.


Aber über allem steht doch die Befind­lich­keit: Da plagt die Autorin­nen X und Y die patri­ar­cha­li­sche Erwar­tungs­hal­tung (Umfra­gen unter­stüt­zen sie), Frau D und K wol­len ihren per­sön­li­chen Lebens­weg ver­tei­di­gen (die Zah­len auf dem Kon­to geben ihnen recht), Frau M kennt grund­sätz­lich kei­ne Zah­len (nur Men­schen), Herr B ist zuvör­derst von wis­sen­schaft­li­cher Eitel­keit geplagt (es gibt nur wah­re und fal­sche Zah­len, läs­ti­ge Lai­en und einen Recht­ha­ber: ihn), wäh­rend Herr Hin der gro­ßen Anti­the­se (sämt­li­che Zah­len erwei­sen das Gegen­teil des bis­lang Behaup­te­ten) sei­ne Nische fin­det – Fort­set­zung uner­quick­lich. Wer poli­tisch ein­ge­bun­den ist, dürf­te von vorn­her­ein als Rat­ge­ber aus­fal­len, zu groß ist der ideo­lo­gi­sche Bal­last (ob Heim­chen-Idyll, ob Gen­der-Zau­ber), der einem hier ans Bein geket­tet wird.
Peter Mersch, Wahl-Frank­fur­ter des Jahr­gangs 1949, tritt auf als unbe­las­te­ter Den­ker. Er ist unpar­tei­isch im wei­te­ren Sin­ne, weder Par­tei­po­li­tik noch einem Insti­tut (mit ent­spre­chen­den Ziel­vor­ga­ben) unter­tan, nicht ein­mal der Haus­phi­lo­so­phie eines Ver­lags unter­stellt und selbst pri­vat auf einem in die­ser Hin­sicht recht glaub­wür­di­gen Platz zwi­schen den Stüh­len thro­nend. Mersch ist Vater zwei­er Kin­der, die jedoch getrennt von ihm auf­wach­sen. Kei­ne Knu­te ist in Sicht, auch kein Lebens­weg, des­sen Aus­rich­tung es um jeden Preis zu ver­tei­di­gen gilt; es wal­ten Bele­sen­heit und nüch­ter­ne Logik. Mersch ist Mathe­ma­ti­ker und Infor­ma­ti­ker, war Jah­re sei­nes Lebens im Space­lab-Pro­jekt, spä­ter in füh­ren­der Posi­ti­on in der Finanz­in­dus­trie beschäf­tigt, heu­te ist er Frei­be­ruf­ler und – neben­bei! – Vielschreiber.
Nun gilt es nicht eben als 1a-Emp­feh­lung, eige­ne, noch dazu fach­frem­de (im aka­de­mi­schen Sin­ne) Erkennt­nis­se zu einem „Aller­welts­the­ma” (sie­he oben) in einem lek­to­rats­frei­en Selbst­mach-Ver­lag wie Books on Demand zu ver­öf­fent­li­chen. Sol­che Publi­ka­ti­ons­wei­se birgt nicht nur Män­gel (hier sind es klei­ne, in der Haupt­sa­che for­ma­ler Art), denen mit einem pro­fes­sio­nel­len Lek­to­rat abge­hol­fen wäre, son­dern auch Nach­tei­le bezüg­lich Repu­ta­ti­on und Ver­brei­tung. Daß gute Lite­ra­tur ihren Weg fin­den wer­de: im Nor­mal­fall ein reich­lich nai­ver Glau­be. Daß Mersch hier eine Aus­nah­me ist, soll­te man ihm wün­schen, immer­hin deu­tet es sich an: Er ver­kauft – gera­de nach einer Bespre­chung im Deutsch­land­funk – eini­ger­ma­ßen gut.

Mersch kon­sta­tiert zunächst den Rück­gang kin­der­rei­cher Fami­li­en (Land ohne Kin­der. Wege aus der demo­gra­phi­schen Kri­se, Nor­der­stedt: BoD 2006, 212 Sei­ten, 22.00 €) sowie den nega­ti­ven Zusam­men­hang zwi­schen Bil­dungs­ni­veau und Kin­der­zahl. Das indi­vi­du­el­le Repro­duk­ti­ons­ver­hal­ten führt er – Roman­ti­ker wer­den seuf­zen – auf eine (unbe­wuß­te) Kos­ten-Nut­zen-Rech­nung zurück: drei Vor­tei­le (Kon­sum­nut­zen: vor­ran­gig emo­tio­na­ler, auch reprä­sen­ta­ti­ver Art; Ein­kom­mens­nut­zen: Kin­der­geld und Steu­er­erspar­nis­se; Sicher­heits­nut­zen: ten­diert nega­tiv, da eige­ne Kin­der heu­te der Alters­vor­sor­ge nicht sicher zuträg­lich sind) ste­hen zwei Nach­tei­le gegen­über: direk­te und Oppor­tu­ni­täts­kos­ten (durch Ein­schrän­kung der beruf­li­chen und frei­zeit­li­chen Optio­nen). Aus­führ­lich ent­wi­ckelt Mersch dann eine evo­lu­ti­ons­theo­re­tisch basier­te Fer­ti­li­täts­ana­ly­se – frei­lich in vol­lem Bewußt­sein dar­über, daß die­ser Ansatz als poli­tisch inop­por­tun gilt. Genau aus die­ser Ein­sicht ergibt sich für Mersch (der stets auf der Höhe der Zeit und Wis­sen­schaft argu­men­tiert; sei­ne Quel­len bele­gen dies) das aktu­el­le Dilem­ma: „Wen­det man die Evo­lu­ti­ons­prin­zi­pi­en auf mensch­li­che Gesell­schaf­ten an, wird dies rasch als Sozi­al­dar­wi­nis­mus dis­kre­di­tiert. Läßt eine Gesell­schaft dage­gen zu, daß ihr Repro­duk­ti­ons­ver­hal­ten nicht den Evo­lu­ti­ons­prin­zi­pi­en ent­spricht, ver­letzt sie die Generationengerechtigkeit.”
In hoch­ent­wi­ckel­ten mensch­li­chen Gemein­schaf­ten sind die Anfor­de­run­gen sowohl an pro­duk­ti­ve Tätig­kei­ten (etwa durch Tech­no­lo­gi­sie­rung, Glo­ba­li­sie­rung, ins­ge­samt ver­stärk­ten Wett­be­werb) als auch an repro­duk­ti­ve Leis­tun­gen (vor allem an die Erzie­hung) gestie­gen. Jeg­li­che „Ver­ein­ba­rungs­maß­nah­me” der Poli­tik läuft auf eine Addi­ti­on bei­der Berei­che hin­aus, so daß am Ende nicht nur Kin­der und Kar­rie­re, son­dern auch der Mensch in Mit­lei­den­schaft gezo­gen wird. Wo dem Indi­vi­du­um zuge­stan­den und nach­ge­ra­de abge­for­dert wird, sich auf beruf­li­che Leis­tung zu kon­zen­trie­ren und sei­nen Lebens­weg frei zu wäh­len, müs­sen zwang­läu­fig auf­tre­ten­de Defi­zi­te (Mersch nennt: Her­stel­len von Sicher­heit, Wei­ter­ga­be von Wis­sen, Auf­zie­hen von Nach­wuchs, Pfle­ge Älte­rer) von Drit­ten und damit häu­fig (und eben­so häu­fig unge­nü­gend) vom Sozi­al­staat über­nom­men wer­den. Da die sexu­el­le Arbeits­tei­lung – weil sie die Frau öko­no­misch abhän­gig hält – nicht mehr grei­fen will (Die Eman­zi­pa­ti­on – ein Irr­tum! War­um die Anglei­chung der Geschlech­ter unse­re Gesell­schaft rest­los rui­nie­ren wird, Nor­der­stedt: BoD 2007, 15.80 €), haben wir das bekann­te Pro­blem: Qua­li­fi­zier­te, gut­be­zahl­te Berufs­tä­tig­keit kor­re­liert mit einer gerin­gen Kin­der­zahl. Die Fol­ge: Eigen­schaf­ten (zuvör­derst gene­ti­sche, aber auch durch Erzie­hung erreich­te), die beruf­li­chen Erfolg begüns­ti­gen, schei­den suk­zes­si­ve aus dem Spiel der Evo­lu­ti­on aus. Umge­kehrt: Wer dem Arbeits­markt wenig zu bie­ten hat, bekommt even­tu­ell hoch­sub­ven­tio­nier­te Kin­der mit unge­wis­ser Bil­dungs­bio­gra­phie (Hur­ra, wir wer­den Unter­schicht! Zur Theo­rie der gesell­schaft­li­chen Repro­duk­ti­on, Nor­der­stedt: BoD 2006, 268 Sei­ten, 19.90 €).
Erfolg­rei­che Unter­neh­men, so Mersch, orga­ni­sier­ten sowohl ihre pro­duk­ti­ven als auch ihre repro­duk­ti­ven Berei­che markt­wirt­schaft­lich. In moder­nen Staa­ten sehe das anders aus: „Die Repro­duk­ti­on ihres wich­tigs­ten Pro­duk­tes („Human­ka­pi­tal”) wird pri­vat von den Bür­gern finan­ziert und erbracht, der Nut­zen dar­aus steht allen zu (wird sozia­li­siert).” Nach Mersch ein „fun­da­men­ta­ler Orga­ni­sa­ti­ons­feh­ler”. Längst sind Indi­vi­du­en nicht mehr auf Kin­der ange­wie­sen – Gesell­schaf­ten aber sehr wohl. Der Autor setzt nun auf eine Pro­fes­sio­na­li­sie­rung der Erzie­hungs­ar­beit in Form eines Berufs: dem „Fami­li­en­ma­na­ger” (Die Fami­li­en­ma­na­ge­rin, Nor­der­stedt: BoD 2007, 224 Sei­ten, 19.80 €).
Kon­kret: Jeder Bür­ger müß­te für ein Kind Unter­halt zah­len. Von die­ser Ver­pflich­tung könn­te er sich durch das Auf­zie­hen eines eige­nen Kin­des befrei­en. Die Dif­fe­renz zu einer bestands­er­hal­ten­den Gebur­ten­ra­te könn­te dann von staat­lich beschäf­tig­ten „Fami­li­en­be­rufs­tä­ti­gen” abge­deckt wer­den, die in aller Regel grö­ße­re Fami­li­en mit drei oder mehr Kin­dern grün­den. Sol­che Fami­li­en­frau­en (oder ‑män­ner) hät­ten sich ent­spre­chend (Mersch schlägt eine Aus­bil­dung auf aka­de­mi­schem Niveau vor) zu qua­li­fi­zie­ren und fort­zu­bil­den; ent­spre­chen­de „freie Stel­len” wür­den Staat oder Bun­des­land ausschreiben.
Mersch sieht sich als Zusam­men­den­ker und Stich­wort­ge­ber und hütet sich des­halb davor, sei­nen prä­gnant for­mu­lier­ten Ansatz ins kleins­te Detail fort­zu­schrei­ben. Gleich­wohl decken sei­ne Über­le­gun­gen zahl­rei­che Even­tua­li­tä­ten (die noch kin­der­lo­se Berufs­ein­stei­ge­rin, mög­li­che Bil­dung viel­fäl­ti­ger Netz­wer­ke; aber auch Schei­dung, Ende der Erzie­hungs­pha­se etc.) ab. Ein Grund­ge­halt von 500 Euro sowie wei­te­re 500 (sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­tig, Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung aus­ge­nom­men) für jedes selbst betreu­te Kind (das kein eige­nes sein muß, wie sich auch das Gehalt nicht am Kind, son­dern der qua­li­fi­zier­ten, ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Erzie­hungs­leis­tung bemißt) erscheint ihm als pro­ba­tes Finanzierungsbeispiel.
Ein­wän­de zuhauf? Merschs Bücher sind mitt­le­re Wäl­zer, vol­ler Bei­spiel­rech­nun­gen, Model­le und wei­ter­füh­ren­der Quer­ver­wei­se. Wo ein Wil­le ist (soll man ihn bei den Ver­ant­wort­li­chen vor­aus­set­zen?), führt eigent­lich kein Weg an Merschs Kon­zept vorbei.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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