Keine Rechte

pdf der Druckfassung aus Sezession 19 /August 2007

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Die „struk­tu­rel­le Mehr­heit” des lin­ken Par­tei­en­spek­trums ist kei­ne Erfin­dung, son­dern eine Tat­sa­che. Wie Chris­ti­an Voll­radt in sei­nem Text über „Die Lin­ke” (S. 22–25) zeigt, ist das lin­ke Par­tei­en­spek­trum spä­tes­tens durch die Ver­ei­ni­gung von WASG und PDS bun­des­weit aus­dif­fe­ren­ziert und damit fähig, über eine rot-rot-grü­ne Koali­ti­on eine Regie­rungs­mehr­heit zu bilden.

Daß es in Deutsch­land rechts von der Mit­te (CDU, FDP) gar kei­ne Dif­fe­ren­zie­rung gibt, son­dern bloß eine regio­nal star­ke extre­me Rech­te (die NPD und die DVU in den neu­en Län­dern), ist ein eben­so oft wie hilf­los beschrie­be­nes Phä­no­men. An die­sem Phä­no­men wird der Begriff der „struk­tu­rel­len Mehr­heit” noch­mals in aller Här­te deut­lich: Es gibt kei­ne rechts­kon­ser­va­ti­ven Struk­tu­ren, die in der Lage wären, das, was als Wäh­ler­po­ten­ti­al wohl vor­han­den ist, zu einer poli­ti­schen Kraft zu machen.
Ein­mal davon abge­se­hen, was eine sol­che Kraft für Deutsch­land bewir­ken könn­te, und abge­se­hen auch davon, daß die CDU kei­ne kon­ser­va­ti­ve Kraft dul­den möch­te, den Begriff jedoch wie selbst­ver­ständ­lich für sich rekla­miert: Platz genug für einen Mehr­heits­be­schaf­fer rechts neben der Uni­on ist in jedem Fall, und ange­sichts der Situa­ti­on Deutsch­lands muß man sagen: Bes­ser als nichts wäre so eine Kraft doch, auch wenn sie letzt­lich den­sel­ben trau­ri­gen Weg gehen wür­de, den jede Par­tei gehen muß: den Weg in die inter­ne Olig­ar­chie, den Weg hin zur Aus­nut­zung des Staats durch die Par­tei, zur Ver­viel­fäl­ti­gung des Par­tei­kar­rie­ris­ten. Bes­ser als nichts wäre so eine Kraft, weil sie zumin­dest dafür sorg­te, daß Fra­ge­stel­lun­gen auf die Tages­ord­nung gelan­gen, die dort heu­te nicht stehen.
Die Uni­on selbst ist dazu näm­lich nicht in der Lage. So tra­fen sich bei­spiels­wei­se Anfang Juli die CDU-Man­nen Mar­kus Söder (CSU-Gene­ral­se­kre­tär), Ste­fan Map­pus (Frak­ti­ons­chef in Baden-Würt­tem­berg), Phil­ipp Miß­fel­der (JU-Vor­sit­zen­der) und Hen­drik Wüst (Gene­ral­se­kre­tär in Nord­rhein-West­fa­len), um das kon­ser­va­ti­ve Pro­fil der Uni­on zu schär­fen. Man saß inof­fi­zi­ell und medi­en­wirk­sam für ein paar Stun­den im Café Ein­stein in Ber­lin zusam­men und sug­ge­rier­te eine Grup­pen­bil­dung, zumin­dest: eine Run­de, die sehr wohl wis­se, was sie wol­le und sich vor dem Pro­vo­ka­ti­ons­po­ten­ti­al des Begriffs „kon­ser­va­tiv” nicht scheue. Aber am nächs­ten Tag war es mit der Schär­fung des Pro­fils und der Zuspit­zung der Fra­ge­stel­lun­gen bereits wie­der vor­bei: Kei­ner der Teil­neh­mer die­ser Run­de brach­te mehr als ein Gestot­te­re dar­über zustan­de, was das eigent­lich sei: ein kon­ser­va­ti­ves Pro­fil. Und so bleibt es vor­läu­fig dabei: Tei­le der Uni­on ahnen, daß es Begrif­fe gibt, die wie selbst­ver­ständ­lich besetzt wer­den könn­ten, aber kei­ner ver­mag es. Also bleibt die Tür sperr­an­gel­weit offen für eine neue poli­ti­sche Kraft.

Anfang des Jah­res hat nun der Publi­zist und Isla­mis­mus-Exper­te Udo Ulfkot­te sei­nen Hut in den Ring gewor­fen und die Grün­dung einer anti­is­la­mis­ti­schen, pro­west­li­chen Par­tei ange­kün­digt. „Wir sind nicht links, wir sind nicht rechts, wir sind vorn”, lau­tet die Selbst­po­si­tio­nie­rung sei­nes Auf­bruchs, der bis­her aus einem För­der­ver­ein (Pax Euro­pa) und meh­re­ren Inter­net-Platt­for­men zu den The­men Islam, Moschee­bau und Ter­ror-Gefahr besteht. Selbst­aus­sa­gen sind beredt, vor allem dann, wenn sie nicht wahl­tak­tisch oder medi­en­wirk­sam, son­dern in ihrer gan­zen Nai­vi­tät ernst gemeint sind. Wenn Ulfkot­te also behaup­tet, daß er und sei­ne Samm­lungs­be­we­gung vorn und dort vorn die Kate­go­rien links und rechts nicht von Bedeu­tung sei­en, dann ver­sucht er etwas, das in sei­ner Situa­ti­on nicht gelin­gen kann: Er geht davon aus, daß eine Posi­tio­nie­rung vor allem von der Selbst­ein­schät­zung abhänge.

Wenn er sich selbst also für „vorn” hält, dann über­sieht er, daß er der ein­zi­ge ist, der das so sieht: Jeder, der von außen schaut, nimmt ihn rechts von der Mit­te wahr, und vor allem sei­ne poli­ti­schen Geg­ner (deren schärfs­te er bei den Uni­ons­par­tei­en fin­den wird) wer­den ihn dort posi­tio­nie­ren, wo er sei­nen Platz ohne­hin hat: zwi­schen CDU und NPD, wo sich der­zeit min­des­tens zehn irrele­van­te Grüpp­chen tummeln.
Wer ist Udo Ulfkot­te? Er ist 1960 gebo­ren und hat Jura und Poli­tik stu­diert und nennt den Züri­cher Kri­mi­no­lo­gen Pro­fes­sor Rüdi­ger Her­ren sowie den Kohl Bera­ter Pro­fes­sor Die­ter Obern­dör­fer sei­ne aka­de­mi­schen Leh­rer. Er pro­mo­vier­te früh, bereits 1986, und trat unmit­tel­bar danach in der poli­ti­schen Redak­ti­on der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Zei­tung eine Stel­le als Aus­lands­kor­re­spon­dent an. Bis 1998 leb­te er über­wie­gend in isla­mi­schen Staa­ten (Ägyp­ten, Afgha­ni­stan, Emi­ra­te, Irak, Iran, Jor­da­ni­en, Oman, Sau­di-Ara­bi­en), danach wie­der in Deutsch­land. Mit­glied der FAZ-Redak­ti­on blieb er bis 2003, par­al­lel nahm er einen Lehr­auf­trag an der Fach­hoch­schu­le in Lüne­burg an und unter­rich­tet dort seit­her „Sicher­heits­ma­nage­ment”.
Sicher­heits­fra­gen sind in der Tat – neben der mos­le­mi­schen Welt und ihrer gegen­wär­ti­gen Ent­wick­lung – Ulfkot­tes Feld, man kann drei Berei­che aus­ma­chen: Das Buch Markt­platz der Die­be (1999) unter­sucht das Aus­maß der Wirt­schafts­spio­na­ge gegen deut­sche Unter­neh­men. 2001 bün­del­te Ulfkot­te erst­mals sei­ne Ana­ly­se einer isla­mi­schen Bedro­hung des Wes­tens durch den radi­ka­len Islam (Pro­phe­ten des Ter­rors). Der Gefahr der Isla­mi­sie­rung vor allem deut­scher Städ­te wid­me­te Ulfkot­te das Buch Der Krieg in unse­ren Städ­ten (2004), regio­nal aus­ge­wei­tet und zugleich spe­zia­li­siert auf die Mus­lim-Bru­der­schaft erschien dann 2007 Hei­li­ger Krieg in Euro­pa. Die inten­si­ve Arbeit an einem drit­ten, sicher­heits­re­le­van­ten Gebiet doku­men­tier­te Ulfkot­te 1997 erst­mals in Buch­form: Ver­schluß­sa­che BND war als Ent­hül­lungs­buch über die poli­ti­sche Ein­fluß­nah­me des deut­schen Aus­lands­ge­heim­diens­tes ange­legt. Die­ser viel­be­ach­te­ten Unter­su­chung ließ Ulfkot­te 2006 Der Krieg im Dun­keln fol­gen, um dar­in die „wah­re Macht der Geheim­diens­te” zu enthüllen.

Gefahr durch Wirt­schafts­spio­na­ge, Gefahr durch Ver­selb­stän­di­gung geheim­dienst­li­cher Akti­vi­tä­ten, Gefahr durch die Isla­mi­sie­rung der Städ­te: Poli­ti­sier­bar im Sin­ne eines die Wäh­ler mobi­li­sie­ren­den The­mas ist von die­sen drei Berei­chen nur der letz­te, und fol­ge­rich­tig spie­len die ande­ren bei­den Spe­zi­al­ge­bie­te in Ulfkot­tes poli­ti­schem Enga­ge­ment kei­ne Rol­le. Aber mit dem isla­mi­schen Fun­da­men­ta­lis­mus, mit der Pro­ble­ma­tik der Über­frem­dung Deutsch­lands, mit dem strik­ten „Nein” zum EU-Bei­tritt der Tür­kei hat Ulfkot­te tat­säch­lich ein The­ma, das trag­fä­hig für ein Pro­gramm und eine Par­tei sein kann.

Das hat drei Grün­de: Ers­tens ist die­ses The­ma vakant, kei­ne der bestehen­den Par­tei­en küm­mert sich ernst­haft dar­um. Zwei­tens ist es ein The­ma, das uns noch lan­ge erhal­ten blei­ben und an Dring­lich­keit zuneh­men wird. Drit­tens – und das ist für die Poli­ti­sier­bar­keit ent­schei­dend – ist es nicht abs­trakt: Über­frem­dung, Iden­ti­täts­ver­lust, mul­ti­kul­tu­rel­ler Kon­flikt – all dies sind Pro­ble­me, die so man­chen ganz plötz­lich hand­fest über­fal­len, ihm ins Auge ste­chen. Plötz­lich ist die Gefahr für ihn wahr­nehm­bar, oft sogar bedroh­lich wahr­nehm­bar, nicht mehr Herr im Hau­se zu sein. Wenn etwa die eige­nen Kin­der weder von den Leh­rern noch von der Poli­zei vor tür­ki­schen Schü­ler­ban­den geschützt wer­den kön­nen, muß man einen Vater oder eine Mut­ter nicht mehr auf ein Pro­blem auf­merk­sam machen.
Ulfkot­te und sei­ne Leu­te müs­sen kein Pro­blem kon­stru­ie­ren. Sie kön­nen auf Pro­ble­me ver­wei­sen, die zum Lebens­all­tag von Mil­lio­nen Lands­leu­ten gehö­ren, sie kön­nen die Men­schen auf ihre Erfah­run­gen anspre­chen und müs­sen über die Not­wen­dig­keit poli­ti­schen Han­delns kein Wort ver­lie­ren. Es gibt ein The­ma, es klafft eine Lücke im par­tei­po­li­ti­schen Spek­trum; aber ist Ulfkot­te der rich­ti­ge Mann für die Samm­lung rechts­kon­ser­va­ti­ver Wäh­ler? Vie­les, was man von ihm hört und Berich­ten über den Fort­gang sei­ner Arbeit ent­neh­men kann, legt den Ver­dacht nahe, daß er die Lat­te rei­ßen wird, die er sich auf­le­gen ließ. Er wird vor­aus­sicht­lich an sei­ner poli­ti­schen Nai­vi­tät und sei­ner Gering­schät­zung struk­tu­rel­ler Auf­bau­ar­beit scheitern.
Mag sein, daß Ulfkot­te einen Plan hat­te und hat: das The­ma Isla­mi­sie­rung aus der rech­ten Ecke zu holen und als Jeder­manns-Anlie­gen zu posi­tio­nie­ren. Wenn dem so ist, dann hät­te Ulfkot­te nicht als Leit­ar­tik­ler bei der Jun­gen Frei­heit her­vor­tre­ten dür­fen; er hät­te sich auch nicht am Flug­ha­fen in Ham­burg vom Spit­zen­kan­di­da­ten des Zen­trums, Dirk Nok­ke­mann, über­rum­peln und auf die Lis­te die­ser Split­ter­par­tei zie­hen las­sen dür­fen (um die­sen Platz dann ein paar Mona­te spä­ter wie­der zu räu­men); und er hät­te auf sei­nen Vor­trag beim Insti­tut für Staats­po­li­tik ver­zich­ten müs­sen, wo außer ihm auch Karl­heinz Weiß­mann und der Ver­fas­ser die­ses Arti­kels refe­rier­ten, bei­de längst ding­fest gemacht als die­je­ni­gen, die für sich – jen­seits aller Par­tei­po­li­tik – ganz selbst­ver­ständ­lich eine rechts­in­tel­lek­tu­el­le Posi­ti­on rekla­mie­ren. Neben Ulfkot­te war für die­ses 14. Ber­li­ner Kol­leg des Insti­tuts für Staats­po­li­tik (3. Juni) auch Hen­ry Nitz­sche gela­den, der die CDU-Bun­des­tags­frak­ti­on vor einem hal­ben Jahr ver­las­sen hat­te, weil sie ihm in jeder Hin­sicht zu sehr „Mit­te” gewor­den war.

Man kann an die­sen paar Bei­spie­len ein­drucks­voll able­sen, daß Ulfkot­te kei­ne Stra­te­gie hat und das poli­ti­sche Feld, das er beackern will, nicht kennt. Er kon­zen­triert sich nicht und gleicht spon­ta­ne Ein­fäl­le nicht mit den Leit­be­grif­fen und der Schritt­fol­ge sei­nes Arbeits­plans ab. Ver­mut­lich gibt es gar kei­nen Arbeits­plan. Und es gibt kei­ne Struk­tur. Ulfkot­te kom­mu­ni­ziert jede Idee sofort, er war­tet nicht ab, bis der Strom der Zuschrif­ten oder Hilfs­an­ge­bo­te auf­ge­fan­gen und in eine Struk­tur ein­ge­baut wer­den kann. Er arbei­tet zu schnell und zu unge­bremst für das, was not täte. So sprach er noch im April von der bevor­ste­hen­den Grün­dung einer „kon­ser­va­tiv-öko­lo­gi­schen Par­tei” bereits im Juni, konn­te die­se Ankün­di­gung jedoch nicht umset­zen. Mit sol­chen Schnell­schüs­sen setzt Ulfkot­te selbst vor denen, die ihm wohl­wol­len, sei­nen zug­kräf­ti­gen, noch nicht abge­nutz­ten Namen aufs Spiel.
Ulfkot­te bräuch­te ein paar mit allen poli­ti­schen Was­sern gewa­sche­ne Struk­tur­ar­bei­ter neben sich, die für ihn und um ihn her­um eine arbeits­fä­hi­ge Orga­ni­sa­ti­on bas­teln, par­tei­in­ter­ne Mehr­hei­ten sicher­stel­len und ihn frei­hal­ten für das, was er kann: The­men auf­spü­ren, Vor­trä­ge hal­ten, Dis­kus­sio­nen füh­ren, den Fuß in der Tür zur ver­öf­fent­lich­ten Mei­nung hal­ten. Aber bereits für die Ord­nung die­ser im ein­zel­nen rich­ti­gen und angriffs­lus­ti­gen Gedan­ken ist wie­der jemand an der Sei­te Ulfkot­tes not­wen­dig. Ob Jan Tim­ke, der Mann an der Spit­ze der Wäh­ler­ver­ei­ni­gung „Bür­ger in Wut” (BIW) hier­für der rich­ti­ge Part­ner ist, wird sich an sol­chen Orga­ni­sa­ti­ons­fra­gen ent­schei­den. Immer­hin gelang dem BIW bei der Land­tags­wahl in Bre­men (Mai) über Bre­mer­ha­ven der Ein­zug in das dor­ti­ge Stadt­par­la­ment. In Bre­men selbst fehl­te eine ein­zi­ge Stim­me zu den not­wen­di­gen fünf Prozent.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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