Gedanken über die Perspektiven einer Debatte – anläßlich der Islam-Debatte

52pdf der Druckfassung aus Sezession 52 / Februar 2013

Der Nachteil und Nutzen von Debatten ist ein altes Thema, mit dem sich schon die Sophisten beschäftigt haben. Ihr Anliegen bestand darin, eine Debatte um der Debatte willen zu führen und mit den schönsten argumentativen Tricks zu gewinnen.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik.

Scho­pen­hau­er hat das »Eris­ti­sche Dia­lek­tik« genannt und die­se Kunst­grif­fe sys­te­ma­tisch zusam­men­ge­faßt. Wer sich damit ein­mal ein­ge­hend beschäf­tigt und etwas übt, wird aus jeder Debat­te als Sie­ger her­vor­ge­hen. Kennt der Geg­ner die­se Kunst­grif­fe auch, so wird der gewin­nen, der den län­ge­ren Atem hat (wir ken­nen die­ses unwür­di­ge Spiel aus den Talk-Shows). Um die Wahr­heit geht es dabei in kei­nem Fall. Das jedoch soll­te der Anspruch sein, den wir erhe­ben, wenn wir auf begrenz­tem Raum und mit begrenz­ten Res­sour­cen Debat­ten füh­ren – nicht um der Debat­te wil­len, son­dern um den Gegen­stand zu ergrün­den und bes­ser zu verstehen.

Nun kann prin­zi­pi­ell jede Debat­te nütz­lich sein. Immer­hin könn­te der Leser, der die ver­schie­de­nen Stand­punk­te unvor­ein­ge­nom­men auf­nimmt, etwas ler­nen. Er könn­te sich, so er mit dem Gegen­stand halb­wegs ver­traut ist, Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter abschau­en und die­se bei nächs­ter Gele­gen­heit im Mei­nungs­kampf anwen­den. Aller­dings steht dem im Wege, daß jeder Red­ner maß­voll oder hef­tig bestrei­ten wird, es han­del­te sich bei den Wor­ten des Geg­ners um Tat­sa­chen oder stich­hal­ti­ge Argu­men­te. Der Nach­teil liegt also dar­in, daß sich der Leser damit auf die Sei­te schlägt, die ihm aus irgend­ei­nem Grund nahe­liegt, und sei es, daß ihm die schö­ne Form der Beschwö­rung gefällt. Die Güte des Argu­ments im inhalt­li­chen Sin­ne und das Inter­es­se an der Wahr­heits­fin­dung blei­ben so auf der Strecke.

Nur ein geüb­ter Leser wird sich mit die­ser Ebe­ne nicht zufrie­den­ge­ben, son­dern die Argu­men­te gewich­ten. Dazu gehört vor allem, daß man ent­schlüs­seln kann, aus wel­cher Per­spek­ti­ve ein Debat­ten­bei­trag ver­faßt ist. Das setzt wie­der­um vor­aus, daß man weiß, daß es – außer­halb der Glau­bens­über­zeu­gung, die sich auf etwas Nicht­dis­ku­ta­bles rich­tet – kei­ne unab­hän­gig von uns exis­tie­ren­de Wahr­heit gibt, son­dern daß die­se Wahr­heit im wesent­li­chen von der Per­spek­ti­ve des­je­ni­gen abhängt, der sich über einen Gegen­stand ver­brei­tet. Für einen Posi­ti­vis­ten wird der Mensch nie mehr sein als ein leben­di­ger Gegen­stand, für den Gläu­bi­gen wird er vor allem die Krea­tur Got­tes sein.

Der Mensch ist nun das denk­bar kom­ple­xes­te Bei­spiel, bei dem es kaum gelin­gen dürf­te, ihn so zu beschrei­ben, so daß Bild und Wirk­lich­keit über­ein­stim­men. Doch auch bei simp­len Gegen­warts­be­schrei­bun­gen (wie den Bei­trä­gen zur Islam­kri­tik von Karl­heinz Weiß­mann und Man­fred Klei­ne-Hart­la­ge in der Sezes­si­on) unter­liegt alles der Per­spek­ti­ve, nicht zuletzt des­halb, weil jeder in ande­rer Form von ihr betrof­fen ist. Was der eine distan­ziert beur­teilt, mag für den ande­ren exis­ten­ti­ell sein. Der His­to­ri­ker wird sich eher den Phä­no­me­nen zuwen­den und letzt­end­lich die Auf­fas­sung ver­tre­ten, daß sich die Wirk­lich­keit nicht in For­meln fas­sen läßt. Es gibt gegen­über einer ange­nom­me­nen Ent­wick­lung die Mög­lich­keit, die­ser zuwi­der­zu­han­deln und die Geschich­te eben als offe­nen Pro­zeß zu beschreiben.

Der Sozio­lo­ge hat die Ebe­ne der Phä­no­me­ne und Indi­vi­du­en ver­las­sen, um sich den Struk­tu­ren zuzu­wen­den. Das Haupt­au­gen­merk sei­ner Ana­ly­se liegt dann auf die­sen Struk­tu­ren, von denen Abwei­chun­gen nur in ande­ren Struk­tu­ren mög­lich sind: Ohne ent­spre­chen­de sozia­le Vor­aus­set­zun­gen kön­ne es kein abwei­chen­des Ver­hal­ten geben. Die­se Nivel­lie­rung ist sicher sinn­voll, um bestimm­te Ent­wick­lun­gen zu erhel­len. Die Wirk­lich­keit erfas­sen kann sie nicht. Der Vor­teil die­ser Per­spek­ti­ve – wes­halb sie sich auch gro­ßer Beliebt­heit erfreut – liegt in der Ten­denz, die Ent­wick­lun­gen in ein Mus­ter zu fas­sen, in dem die ein­zel­nen Phä­no­me­ne ihren Platz haben. Die Pau­scha­li­sie­rung täuscht eine ein­präg­sa­me Plau­si­bi­li­tät vor, die sich auf der Ebe­ne der ein­zel­nen Phä­no­me­ne als unzu­rei­chend erweist.

Die Schwä­che rech­ter Posi­tio­nen in der Debat­te liegt also durch­aus in dem löb­li­chen Bemü­hen, den Din­gen ihr Recht zu las­sen und der Wahr­heit ein leben­di­ges Sowohl-Als-auch zuzu­ge­ste­hen. Was dar­aus für die Ent­schei­dungs­fin­dung folgt, steht auf einem ande­ren Blatt und hat mit dem Nut­zen und Nach­teil von Debat­ten nichts zu tun.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik.

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