Es war einmal in Palästina

von Adolph Przybyszewski

Dieser Tage feierte man in Israel das hundertjährige Bestehen Tel Avivs, des hebräischen "Altneulandes" im Sinne Theodor Herzls.

Die­se Stadt ist gewiß eine wich­ti­ge Keim­zel­le der jüdi­schen Wie­der­be­sied­lung Paläs­ti­nas und der Neu­for­mie­rung zu einer israe­li­schen Nati­on. Auch die BRD-Medi­en wür­di­gen, wel­che Rol­le die deut­schen Juden, die “Jeckes”, seit den 1930er Jah­ren dabei gespielt haben: unfrei­wil­lig als aus ihrer Hei­mat ver­trie­be­ne Deut­sche, frei­wil­lig eher weni­ge von ihnen als jüdi­sche Natio­na­lis­ten. Man könn­te die­sem Früh­jahrs­ju­bi­lä­um ein wei­te­res, älte­res hin­zu­fü­gen: Vor 140 Jah­ren hat­ten schwä­bi­sche Sied­ler vom “Deut­schen Tem­pel” in Jaf­fa Land erwor­ben und eine ver­las­se­ne ame­ri­ka­ni­sche Mis­si­on zur Sied­lung über­nom­men. Auch dies gehört zur Vor­ge­schich­te von Tel Aviv: Unter der Ober­herr­schaft des Osma­ni­schen Reichs erstan­den die Schwa­ben nahe Jaf­fa zwei Jah­re spä­ter wei­te­re 60 Hekt­ar Land, wo im Herbst 1871 die Sied­lung Saro­na offi­zi­ell gegrün­det wur­de – sie wur­de 1948, nach Abzug der bri­ti­schen Man­dats­macht, als Hakirya zum ers­ten Regie­rungs­sitz Isra­els und liegt heu­te mit­ten in Tel Aviv.

Die Sied­lun­gen der schwä­bi­schen Pie­tis­ten waren nach har­ter, ent­beh­rungs­rei­cher Anfangs­zeit bald zu regel­rech­ten Mus­ter­sied­lun­gen gewor­den. Mit ihren hand­werk­li­chen und land­wirt­schaft­li­chen Fähig­kei­ten eben­so wie mit ihrer Geschäfts­tüch­tig­keit blie­ben die­se Jen­seits­gläu­bi­gen doch fest im Dies­seits ver­wur­zelt. Oran­gen gab es zwar auch schon vor der Ankunft der Schwa­ben in Paläs­ti­na, doch erst ihr Fleiß, ihr pflan­ze­ri­sches und kauf­män­ni­sches Geschick ließ die Jaf­fa-Oran­gen zu einem Mar­ken­zei­chen wer­den: Bereits vor dem Ers­ten Welt­krieg war der Oran­gen­ex­port zu einem der Haupt­er­werbs­zwei­ge für die dor­ti­gen Schwa­ben, Juden und Ara­ber gewor­den, aber auch der Wein­an­bau erleb­te Blü­te­zei­ten. Sol­che schon im 19. Jahr­hun­dert viel­be­ach­te­te Sied­lungs­er­fol­ge tru­gen erheb­lich dazu bei, dem 1896 von Herzl aus­ge­ru­fe­nen Pro­jekt des “Juden­staats” in Paläs­ti­na Plau­si­bi­li­tät zu ver­lei­hen: “Sie zeig­ten, daß es für Euro­pä­er mög­lich war, im Hei­li­gen Land zu sie­deln” (Hel­mut Glenk u. a.: From desert sands to gol­den oran­ges. The histo­ry of the Ger­man Temp­ler sett­le­ment of Saro­na in Pal­es­ti­ne 1871–1947, Victoria/Kanada: Traf­ford, 2005, S. 40).

Noch in den 1930er Jah­ren tru­gen dort wich­ti­ge Oran­gen­ex­por­teu­re schwä­bi­sche Namen wie Glenk, Laemm­le, Groll, Froesch­le, Kue­b­ler und leb­ten in Saro­na, doch wur­de die Lage der Sied­ler in Paläs­ti­na ange­sichts der neu­en natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Regie­rung des Deut­schen Reichs pre­kär: Zwar waren auch die Paläs­ti­na­deut­schen von der natio­na­len Auf­bruchs­stim­mung von 1933/34 erfaßt wor­den, den pro­gram­ma­ti­schen Anti­se­mi­tis­mus der NSDAP teil­ten indes nur die wenigs­ten. Die Sied­ler, die auf ihr jüdi­sches und ara­bi­sches Umfeld ange­wie­sen waren, mit die­sen Nach­barn vie­le Deka­den gedeih­lich, fried­lich und oft freund­schaft­lich zusam­men­leb­ten, sahen sich zuneh­men­den Ver­su­chen einer orga­ni­sa­to­ri­schen und ideo­lo­gi­schen Durch­drin­gung ins­be­son­de­re der Jugend aus­ge­setzt; zugleich frei­lich waren die Gefüh­le für die alte Hei­mat nie erloschen.

Was die vie­len deut­schen Juden, die aus dem Reich gera­de nach Tel Aviv flo­hen, jene Jeckes also, befrem­den muß­te, war das anschei­nend osten­ta­ti­ve Bekennt­nis auch der Deut­schen etwa in Saro­na zu Hit­ler, doch läßt sich die Situa­ti­on bis zum Zwei­ten Welt­krieg in Paläs­ti­na nicht auf eine Schwarz-Weiß-Kon­stel­la­ti­on redu­zie­ren. Die vom Reich als Staats­bür­ger bean­spruch­ten schwä­bi­schen Sied­ler hat­ten sich einer­seits unter der bri­ti­schen Man­dats­macht zu behaup­ten, ver­such­ten mit den jüdi­schen Sied­lern und Flücht­lin­gen aus­zu­kom­men und durf­ten es sich ande­rer­seits auch mit den Ara­bern nicht verderben.

Mit dem Welt­krieg war das Ende der deut­schen Dör­fer in Paläs­ti­na ein­ge­läu­tet; 1939 wur­den die wehr­fä­hi­gen Män­ner inter­niert, nach Rom­mels Vor­stö­ßen in Afri­ka depor­tier­ten die Bri­ten 1941 die ers­ten Sied­ler nach Aus­tra­li­en, die ver­blie­be­nen Schwa­ben von Saro­na wur­den in den Temp­ler­ort Wil­hel­ma ver­bracht, von wo aus man sie 1948 nach Zypern ver­schaff­te und sodann nach Aus­tra­li­en oder Deutsch­land aus­rei­sen ließ. Gott­hilf Wag­ner, der letz­te Bür­ger­meis­ter von Saro­na, wider­setz­te sich dem Ver­kauf von Temp­ler­land und wur­de 1946 ermor­det; 1947 ent­eig­ne­te die bri­ti­sche Man­dats­ver­wal­tung den deut­schen Besitz in Saro­na, und 1950 ver­lie­ßen die letz­ten in Paläs­ti­na geblie­be­nen schwä­bi­schen Sied­ler das Hei­li­ge Land, das seit 1948 im Staa­te Isra­el lag.

Seit eini­gen Jah­ren inter­es­sie­ren sich die Israe­lis auch für die­se Vor­ge­schich­te ihres Alt­neu­lan­des, und es ist ein gutes Zei­chen, daß man in Tel Aviv eini­ge Anstren­gun­gen unter­nimmt, das pie­tis­ti­sche Erbe Isra­els deut­li­cher sicht­bar wer­den zu las­sen – wenn auch just in einem Moment, in dem mit den Jeckes ein Ele­ment all­mäh­lich aus der Lebens­wirk­lich­keit die­ser Stadt zu ver­schwin­den scheint, das nicht weni­ger deutsch war als jene schwä­bi­schen Sied­ler von Jeru­sa­lem, Jaf­fa, Saro­na und Wilhelma.

Hier ein geschicht­li­cher Abriß des Temp­ler­his­to­ri­kers Paul Sauer
Hier eine Dar­stel­lung aus jüdi­scher Sicht auf Eng­lisch (Jer­ry Klin­ger, USA)

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