Wir Unbeholfenen

pdf der Druckfassung aus Sezession 46 / Februar 2012

Unter denen, die vom gesprochenen und geschriebenen Wort leben und...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

ihm als Leser und Ver­fas­ser einen hohen Rang bei­mes­sen, ist die Über­schät­zung der Bedeu­tung ihrer eige­nen Rede- und Denk­bei­trä­ge wohl der am wei­tes­ten ver­brei­te­te Feh­ler. Gan­ze Denk- und Schreib­mi­lieus dre­hen sich nur um sich selbst. Es gibt Peri­odi­ka sozio­lo­gi­scher, poli­to­lo­gi­scher, reli­gi­ons­wis­sen­schaft­li­cher, phi­lo­so­phi­scher Aus­rich­tung, die alle sechs Mona­te erschei­nen und im Abon­ne­ment zwi­schen zwei- und drei­hun­dert Euro kos­ten. Es gibt Ver­la­ge, die hun­dert­fünf­zig Sei­ten einer geis­tes­wis­sen­schaft­li­chen Spe­zi­al­ab­hand­lung mit schlech­ter Bin­dung und einem Lap­pen als Ein­band für acht­und­neun­zig Euro anbie­ten. Es gibt Tagungs­bän­de, die fünf Jah­re nach einem Kon­greß erschei­nen, der sei­ner­seits bereits uner­heb­lich war, als er statt­fand. Die Ver­brei­tung sol­cher Erzeug­nis­se ist außer­halb von Biblio­the­ken und Fach­be­rei­chen gleich Null.

Von alle­dem ist das Milieu, das unter ande­rem auch die Sezes­si­on liest und trägt, zum Glück weit ent­fernt. Es ist ein kon­ser­va­ti­ves, ein intel­lek­tu­el­les, rech­tes Milieu, das nur über sehr begrenz­te Res­sour­cen ver­fügt und des­halb spar­sam mit sei­nen Mit­teln umge­hen muß. Das kommt der Ver­öf­fent­li­chungs­dis­zi­plin zugu­te. Man publi­ziert nicht von Fach­kol­le­ge zu Fach­kol­le­ge, son­dern ach­tet auf Rele­vanz und Wirkung.

Die bevor­zug­ten Betrach­tungs­ge­gen­stän­de die­ser welt­an­schau­li­chen Rich­tung sind Geschich­te, Gegen­wart und Zukunft sol­cher unmit­tel­bar das Leben des Ein­zel­nen rah­men­den Grö­ßen wie Volk, Nati­on und Staat. Dabei geht es weni­ger um Details, mehr ums Grund­sätz­li­che, und regel­mä­ßig (auch in die­sem Bei­trag wie­der) um die Bestim­mung der eige­nen Beur­tei­lungs­po­si­ti­on, die vor allem vor frem­den Ohren erklä­rungs­be­dürf­tig zu sein scheint. Eigent­lich aber ist sie etwas ganz Selbst­ver­ständ­li­ches: prag­ma­tisch aus­ge­drückt ist die­se Beur­tei­lungs­po­si­ti­on der Wunsch, das Deut­sche in sei­ner Eigen­art noch eine lan­ge Wei­le in Form der gelieb­ten Hei­mat durch­zu­tra­gen (wobei über die­ses Eige­ne sich klar ist, wer ein­mal eine Wei­le im Aus­land war); pathe­tisch aus­ge­drückt ist sie das stol­ze Bewußt­sein, Teil der lan­gen Ket­te Deut­scher zu sein, die ein Volk von welt­po­li­ti­scher Bedeu­tung bil­den; poli­tisch aus­ge­drückt ist sie das Vor­ha­ben, auch künf­tig Herr im eige­nen Haus zu sein und über Aus­stat­tung, Zustand, Grund­ord­nung, Raum­auf­tei­lung und Mie­ter wei­ter­hin selbst zu entscheiden.

Die Fra­ge ist, ob man sich als Ver­tre­ter die­ser Posi­tio­nen aus einer Art geo­lo­gi­scher Gelas­sen­heit her­aus an die Beur­tei­lung der »Lage 2012« machen kann. Der Unter­neh­mer Tho­mas Hoof hat das Cre­do die­ser Hal­tung in sei­nem Bei­trag für die­ses Heft for­mu­liert: »Der Wel­ten­lauf ist offen­bar auch eine regu­la­ti­ve Ver­an­stal­tung zur Behe­bung von Stö­run­gen. Wo ein Zuviel sich auf­baut, da kommt die Hem­mung, und wo eine Ermü­dung ein­ge­tre­ten ist, da wird befeu­ert. Die Ampli­tu­den schie­ßen manch­mal ein sehr wei­tes Stück nach außen. Doch irgend­wann, weit frü­her, als man’s merkt und hört, öff­nen sich die Ven­ti­le, damit die Rück­stell­kräf­te wirk­sam wer­den. Und dann – nach wel­chen Wir­ren auch immer – kann man wie­der aus dem leben, was immer gilt.«

Tho­mas Hoof ist von der Wirk­mäch­tig­keit einer Art Ur-Pen­del über­zeugt, und sei­ne in Lebens- und Unter­neh­mer­pra­xis umge­setz­ten Lei­den­schaf­ten für Nach­hal­tig­keit, Aut­ar­kie, wirk­lich aus­ge­gli­che­ne Ener­gie­bi­lanz, vor­treff­li­ches Hand­werk und Gene­ra­tio­nen­den­ken las­sen ihn tat­säch­lich auf Lebens­grund­la­gen sto­ßen, aus denen her­aus immer wie­der ein Beginn und eine nächs­te Blü­te mög­lich sind. Dazu gehört – er wird den Begriff begrü­ßen oder wenigs­tens akzep­tie­ren – eine aus der gro­ßen Gelas­sen­heit genähr­te »Lebens­fröm­mig­keit«, eine ratio­nal zwar stütz­ba­re, nicht jedoch im Letz­ten durch­schau­ba­re Zuver­sicht, daß es immer wei­ter­ge­he: nicht nur nach oben (wie es der stu­pi­de Lin­ke ver­mu­tet) und nicht nur nach unten (dem Gesang reak­tio­nä­rer Kla­geapho­ris­ti­ker fol­gend), son­dern alter­nie­rend, in Lebenswellen.

Nie­mand, der über die kon­ser­va­ti­ven Debat­ten und Pro­gno­sen der letz­ten Jahr­zehn­te nach­liest, kann über­se­hen, daß man rechts der Mit­te in die Theo­rie und in den Lebens­voll­zug die gro­ße Kri­se, den Umschlag­punkt, die Keh­re mit ein­be­zieht und auf sie war­tet, ja sogar auf sie hofft: auf die Zeit, in der das Pen­del zurück­zu­schwin­gen beginnt und in der das Leben und die Wirk­lich­keit die Theo­rie der lin­ken, gren­zen­lo­sen Eman­zi­pa­ti­on kor­ri­gie­ren. Die sieb­zi­ger und acht­zi­ger Jah­re des 20. Jahr­hun­derts sind die bei­den Jahr­zehn­te einer bei­na­he läs­si­gen kon­ser­va­ti­ven Selbst­si­cher­heit in der Erwar­tung eines natür­li­chen Endes der Stu­den­ten­be­we­gung: Der Arbeits­markt und die Not­wen­dig­keit, sich beruf­lich und fami­li­är fest­zu­le­gen, wür­den den rebel­lie­ren­den Stu­den­ten über Nacht ein kon­ser­va­ti­ves Kor­sett ver­pas­sen. Nichts der­glei­chen geschah, und wenn sich »die Jugend« heu­te eher an Fami­lie, Zuver­läs­sig­keit und Lebens­si­cher­heit ori­en­tiert, dann gehört dazu auch das Bra­ve, das sie dar­an hin­dert, die Gesell­schafts­fas­sa­de mit kon­ser­va­ti­vem Furor abzu­räu­men und den Staat neu zu bauen.

1989/1990 erscholl für die Deut­schen der »Rück­ruf in die Geschich­te« (Karl­heinz Weiß­mann), und nun end­gül­tig schien die Kur­ven­bahn nach links an ihre äußers­te Gren­ze gekom­men zu sein, und wie eh und je hät­ten die regu­la­ti­ven Rück­stell­kräf­te wirk­sam wer­den müs­sen. Aber auch die­se Hoff­nung trog, und so ist es bis heu­te: Das kon­ser­va­ti­ve, das rech­te Milieu han­gelt sich von einem ver­mu­te­ten »äußers­ten Punkt« lin­ker, libe­ra­ler Domi­nanz zum nächs­ten, von Wen­de­wunsch zu Wen­de­wunsch, als kön­ne man men­tal so etwas wie his­to­ri­sche Gerech­tig­keit erzwin­gen (»Jetzt sind aber wir mal an der Reihe«).

Die Kon­ser­va­ti­ven, die Rech­ten haben bei die­sem Pochen auf das Natur­ge­setz des ewig schwin­gen­den Pen­dels jedoch eines über­se­hen: Die Tot­alem­an­zi­pa­ti­on des Ein­zel­nen, das heißt sei­ne Befrei­ung aus jed­we­dem Zwang, den das Leben auf ihn aus­üben könn­te, hängt unmit­tel­bar mit der Ver­füg­bar­keit bil­ligs­ter Ener­gie zusam­men. Und die­se Ener­gie ist ver­füg­bar, noch immer. Nicht ohne Grund ist wie­der­um im Bei­trag von Tho­mas Hoof der Dutsch­ke-Weg­ge­fähr­te Bernd Rabehl mit den Wor­ten zitiert, man habe sich 68 fast aus­den­ken kön­nen, was man woll­te, »weil die Pro­duk­ti­ons­kräf­te es ja her­ge­ben«. Damit ent­fiel und ent­fällt bis heu­te der Grund für die urkon­ser­va­ti­ven Erzie­hungs- und For­mungs­grö­ßen schlecht­hin: Ver­zicht, Beschrän­kung, Dis­zi­plin in der Pha­se des Lebens­auf­baus, Spar­sam­keit vor dem Genuß, Zwang zur Mate­ri­al­er­hal­tung, Acht­sam­keit im Umgang mit dem Geschaf­fe­nen, Respekt vor dem Lebens­werk, kurz: auch im per­sön­li­chen Leben das Alter­nie­ren­de, der zähe Auf­bau bei Rück­schlä­gen oder nach den Schick­sals­schlä­gen in gro­ßen his­to­ri­schen Zäsuren.

Auch die Kon­ser­va­ti­ven sind längst total eman­zi­piert, auch sie ver­wei­gern sich nichts, ver­wei­gern ihren Kin­dern nichts, es sei denn, sie sind vom sel­ben Ver­zichts­ethos erfüllt, den man an den wah­ren, frü­hen Grü­nen so sehr bewun­dern soll­te: Ver­zicht aus Ein­sicht in die End­lich­keit aller Res­sour­cen, Ver­zicht aus Hoff­nung auf eine Kom­mu­ne der Hilfs­be­reit­schaft, der Soli­da­ri­tät im Weni­gen, Ver­zicht zur Weckung altru­is­ti­scher Regun­gen in einer aso­zia­len, ich-beton­ten Welt. Haben die­se frü­hen Grü­nen gewußt, daß die DDR ihren Bewoh­nern die­ses Ver­zichts­ethos bis zuletzt auf­zwang, und zwar nicht aus päd­ago­gi­schen Grün­den, son­dern aus blan­ker Not? Man wuß­te dort plan­wirt­schaft­lich die Ener­gie in der Tat nicht halb so effek­tiv ein­zu­set­zen wie in der unter­neh­mer­ge­steu­er­ten BRD, und wer den­je­ni­gen zuhört, die den All­tag im DDR-Staat erlebt haben, weiß, daß der Wes­ten dem sozia­lis­ti­schen Ide­al viel näher kam als je der Real­so­zia­lis­mus zwi­schen Suhl und Ros­tock. Das, was wir heu­te an Sozi­al­trans­fer, an Kon­sum­mög­lich­keit auf bil­ligs­tem Niveau, an Dum­ping­rei­sen, ver­füg­ba­rer Frei­zeit, Schick­sals­ab­fe­de­rung haben, war wohl das, wovon die DDR-Füh­rung ihre Bür­ger träu­men ließ.

Der beken­nen­de Kom­mu­nist und FAZ-Redak­teur Diet­mar Dath (einer der Prot­ago­nis­ten des unüber­seh­ba­ren, neu­er­li­chen Links­rut­sches des Blatts) schrieb neu­lich, daß sei­ne Ide­al­ge­sell­schaft von einer Fol­gen­lo­sig­keit des Irr­tums gekenn­zeich­net sei. Der Mensch wer­de sich unun­ter­bro­chen kon­se­quenz­los irren, wer­de alle indi­vi­du­ell ange­häuf­ten Irr­tums­kos­ten unun­ter­bro­chen auf die gren­zen­lo­se Soli­dar­ge­mein­schaft abwäl­zen dür­fen. Ist das nicht genau das, was Rabehl vor 40 Jah­ren emp­fand? Daß alles, aber auch wirk­lich alles denk­bar und vor­stell­bar sei, weil es die Pro­duk­ti­ons­kräf­te her­gä­ben? Daß also der Mensch im Zustand eines irren­den, unver­ant­wort­li­chen Kin­des gehal­ten wer­den könn­te, weil der Ener­gie­auf­wand der per­ma­nen­ten Berei­ni­gung nicht stär­ker ins Gewicht fie­le als die Hand einer auf­räu­men­den Mutter?

Die­ser Ent­wurf ist in wei­ten Tei­len zur Wirk­lich­keit gewor­den, und die Soli­dar­ge­mein­schaft kann sich die tota­le Abfe­de­rung jedes noch so wis­sent­lich her­bei­ge­führ­ten Lebens­pha­sen­irr­tums durch die »Abhol­zung der unter­ir­di­schen Wäl­der« (so das Bild Rolf Peter Sie­fer­les für die fos­si­len Brenn­stof­fe) ener­ge­tisch tat­säch­lich leis­ten, kann jede noch so gro­ße Faul- und Träg­heit durch unver­hält­nis­mä­ßi­gen Ener­gie­in­put aus­glei­chen und den fau­len, trä­gen, düm­me­ren Bevöl­ke­rungs­an­teil durch ein hane­bü­che­nes Anreiz­sys­tem auch noch ver­meh­ren – ohne daß die Flei­ßi­gen auf irgend­et­was ver­zich­ten müßten.

Dabei steckt nur in die­sen Leis­tungs­trä­gern noch so etwas wie ein kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­res Poten­ti­al: Müß­ten sie den Fau­len und den Idio­ten geben, was ihnen danach selbst fehl­te, wäre es mit Daths Recht auf den per­ma­nen­ten Irr­tum rasch vor­bei: Die Fau­len wür­den aus dem Bett getrie­ben, die Infan­ti­len wür­den ent­mün­digt, suum cui­que, Jedem das Sei­ne. Aber, so ist es nicht, der­zeit, und Arnold Geh­len muß genau dies vor Augen gehabt haben, als er davon schrieb, daß den post­in­dus­tria­li­sier­ten Men­schen, den Men­schen der Mas­sen­ge­sell­schaft von sei­nen Vor­fah­ren eine »Kul­tur­schwel­le« tren­ne. Jede kon­ser­va­ti­ve Kul­tur­kri­tik ist gegen die eman­zi­pa­to­ri­sche Macht der Ener­gie­ver­schwen­dung chan­cen­los, weil es kei­nen Grund gibt, auf das zu ver­zich­ten, was alle ande­ren für sich in Anspruch neh­men – es sei denn, man hat eine bestimm­te Form von sich und dem eige­nen Lebens­kreis vor Augen, die nur in Aske­se aus­ge­bil­det wer­den kann. Aber das wird jen­seits des Hof­to­res nie­mand verstehen.

Es gibt aus dem Jah­re 2008 von Botho Strauß ein selt­sa­mes Buch. Auf der Rech­ten kennt es kaum jemand, obwohl Kri­ti­ker in ihm die Aus­wal­zung und Fort­schrei­bung des gro­ßen und berühm­ten Essays »Anschwel­len­der Bocks­ge­sang« sahen. Die Unbe­hol­fe­nen heißt die­ses Buch, und die­se »Bewußt­seins­no­vel­le« (so der Unter­ti­tel) ist nichts ande­res als die Dar­stel­lung einer Denk-Fami­lie, die in sich selbst und in einem form­schö­nen, elo­quen­ten Dau­er­ge­spräch ihre Legi­ti­ma­ti­on fin­den muß, weil von außen, von den Umstän­den her kei­ne kommt. Wer aus der Angst her­aus, im Gro­ßen und Gan­zen nichts zu bedeu­ten, ein über­trie­be­nes Selbst-Bewußt­sein ent­wi­ckelt, muß »nicht nach drau­ßen gehen, um zu erfah­ren, was drau­ßen vor sich ging«, denn: »Ein Drau­ßen­tag genügt, und alles Mit­ein­an­der-Für­ein­an­der, das du in dir trägst, ver­fins­tert sich«. Das ist die Bewußt­seins­be­schrei­bung abge­schot­te­ter Milieus. Man will ein »Vor­sprung in die nächs­te Zukunft« sein, ein »Rest­licht­ver­stär­ker für die ein oder ande­re ver­ge­hen­de Ansicht oder Ein­sicht«; man spricht, »um wie bei der Flur­pro­zes­si­on der Römer, den Roga­tio­nen, den Acker unse­rer Zeit zu umschrei­ten« und beschreibt sich als »Dativ-Men­schen«, lebend »nach dem Mot­to: Ich bin, was mir widerfährt.«

Daß dies die For­mel für die Deka­denz, für den Abschied vom Agie­ren ist, wird nicht aus­ge­spro­chen, aber die­se Fol­ge­rung beschleicht einen, und man wird, wäh­rend man liest, immer stil­ler. Zu nah rückt einem die­ses »übrig­ge­blie­be­ne« Haus »mit­ten in einem öden Gewer­be­park«, in dem sich die selbst­er­nann­ten »geret­te­ten Figu­ren« in ihrem unaus­ge­setz­ten fei­nen Gespräch erge­hen und ihre Daseins­be­rech­ti­gung for­mu­lie­ren. Die Kul­tur­kri­tik ist auf der Höhe der Zeit, sie ist kon­ser­va­tiv, rechts, aber hilf­los. Einer sagt: »Ich glau­be, ich bin der letz­te Deut­sche. Ein Strolch, ein in hei­li­gen Res­ten wüh­len­der Stadt‑, Land- und Geist­strei­cher. Ein Obdach­lo­ser«, ein ande­rer meint: »Daß wir spre­chen wie wir spre­chen, ist nur noch ein Ver­stän­di­gungs­me­di­um unter Besieg­ten«, und ein drit­ter beschwört: »Nicht wahr, Freund, es muß noch einen, einen letz­ten Auf­stand des Her­zens geben.«

Die­ser Auf­stand wäre rüh­rend, wenn er nur einer des Her­zens wäre. Und das kon­ser­va­ti­ve Den­ken blie­be sinn­los, wenn gelän­ge, wovon kurio­ser­wei­se auch Kon­ser­va­ti­ve träu­men: daß näm­lich end­lich eine Ener­gie­form gefun­den wür­de, die nicht end­lich, son­dern unbe­grenzt zur Ver­fü­gung stün­de. Dann gäbe es von die­ser Sei­te her kei­nen zwangs­läu­fi­gen Rück­schwung des Pen­dels mehr, dann wäre es mög­lich, unbe­grenzt zuzu­kle­is­tern und zurecht­zu­rü­cken, was der nicht-erzo­ge­ne, der tot­alem­an­zi­pier­te, der kin­disch geblie­be­ne, der unan­ge­streng­te Mensch Tag für Tag auf Kos­ten der All­ge­mein­heit ver­bock­te. Das »Leben aus dem, was immer gilt« wäre ersetzt und ent­wür­digt zugleich durch ein »Leben aus dem, was unbe­grenzt spru­delt«. Kei­ne Kul­tur­kri­tik, kein Ver­weis auf anthro­po­lo­gi­sche Kon­stan­ten, auf die Häß­lich­keit der Deka­denz und auf die Ver­pflich­tung aus einer gro­ßen Geschich­te wäre imstan­de, den Men­schen (und mit­inbegriffen auch den deut­schen Men­schen) von sei­ner end­gül­ti­gen Ver­hausschweinung abzu­hal­ten. Selbst die abseh­ba­re Über­frem­dung mit all ihren zwar geleug­ne­ten, aber irgend­wann sicht­bar kata­stro­pha­len Aus­wir­kun­gen wäre dann kein hin­rei­chen­der Grund mehr für eine kon­ser­va­ti­ve Recon­quis­ta: Auch bis­her lie­ßen sich eth­ni­sche Bruch­li­ni­en und kul­tu­rel­le Kämp­fe mit viel Geld zukle­is­tern und abfan­gen. Wie­so soll­te die­ses All­heil­mit­tel in zehn Jah­ren nicht mehr anschlagen?

Wir Unbe­hol­fe­nen! Wer rechts ist, kon­ser­va­tiv ist, muß sich für sich und das gan­ze Volk ein har­tes Leben wün­schen, zumin­dest für jede zwei­te Gene­ra­ti­on. Es ist doch längst in unser Bewußt­sein ein­ge­si­ckert, daß es dort, wo Schick­sal, Här­te und Ver­zicht aus­ge­he­belt sind, kei­ne Kon­ser­va­ti­ven von Bedeu­tung geben kann. Und wenn es dabei bleibt, dann sind wir noch nicht ein­mal mehr ein »Vor­sprung in die nächs­te Zukunft« und die­je­ni­gen, die das Wort für Mor­gen vor­ge­dacht haben. Dann ist unser wirk­lich­keits­na­hes Den­ken, ist der rech­te Gegen­ent­wurf nur mehr eine Frei­zeit­be­schäf­ti­gung: »Eine Scha­le mit Zucht­per­len aus­schüt­ten, die zu nichts gut sind, als sie ein­mal hef­tig hüp­fen und kichern zu las­sen auf dem Boden. Dann kul­lern sie noch ein Streck­chen und lie­gen schließ­lich glanz­los in den Fugen wie aller Schutt« (Botho Strauß).

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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