Soft power – sanfte, flexible, subtile Macht

48pdf der Druckfassung aus Sezession 48 / Juni 2012

von Karlheinz Weißmann

Soft power ist einer jener Begriffe, die seit den 1990er Jahren in Mode sind, nach software, parallel zu soft skill und soft fact. Das entsprach dem Zeitgeist, der nach dem Ende des Kalten Kriegs zur Geltung kam, als es möglich schien, alles zu ersetzen, was in der Vergangenheit den Ausschlag gegeben hatte: das Männliche durch das Weibliche, das Harte durch das Sanfte, das Starre durch das Flüssige, das Verbindliche durch das Unverbindliche, die Moderne durch die Postmoderne.

Die Sug­ges­ti­ons­kraft die­ses Kon­zepts hat­te nicht nur mit dem Sie­ges­zug der Com­pu­ter­tech­no­lo­gie und der Glo­ba­li­sie­rung zu tun, son­dern auch mit einer neu­en Vor­stel­lung von Effi­zi­enz. Ohne die dau­ern­de Wei­ter­ent­wick­lung der Pro­gram­me taugt die hard­ware nichts, ohne die sozia­le Kom­pe­tenz, die Fähig­keit zu Koope­ra­ti­on und Team­bil­dung, sind der Wirk­sam­keit von Insti­tu­tio­nen im wirt­schaft­li­chen wie gesell­schaft­li­chen Bereich enge Gren­zen gezo­gen, ohne das Wis­sen um Vor­lie­ben und Aver­sio­nen, Gewohn­hei­ten und Tabus in einer bestimm­ten Kun­den­grup­pe kann man kein neu­es Pro­dukt plazieren.

Selbst­ver­ständ­lich hat­te die Beto­nung des Wei­chen auch zu tun mit dem Bedürf­nis des Neo­li­be­ra­lis­mus, sich weni­ger als unbarm­her­zi­ge öko­no­mi­sche Kon­zep­ti­on dar­zu­stel­len, eher als huma­ne Mög­lich­keit nach dem »Ende der Geschich­te« (Fuku­ya­ma). Aller­dings ver­lor der Erfin­der des Ter­mi­nus soft power, der ame­ri­ka­ni­sche Poli­to­lo­ge Joseph S. Nye, nie­mals aus dem Blick, daß auch eine »sanf­te Macht« immer »Macht« bleibt, daß es nur um die Fra­ge geht, wie der mix aus­zu­se­hen habe, zwi­schen klas­si­schen und nach­klas­si­schen For­men von Macht­aus­übung. Nye hat schon 1990 in einem pro­gram­ma­ti­schen Auf­satz sein Kon­zept von soft power erläu­tert. Es ging ihm dabei um den Nach­weis, daß die USA als ein­zi­ge ver­blie­be­ne Super­macht nicht in die Iso­la­ti­on gehen dürften.

Inter­es­san­ter­wei­se ver­glich Nye die Situa­ti­on der USA am Beginn des 21. Jahr­hun­derts mit der Groß­bri­tan­ni­ens am Beginn des 20. Jahr­hun­derts. In bei­den Fäl­len gehe es um impe­ria­le Mäch­te vor neu­en Her­aus­for­de­run­gen. Groß­bri­tan­ni­en war dem Auf­stieg der angel­säch­si­schen Vet­tern über See und Deutsch­lands kon­fron­tiert, die Ver­ei­nig­ten Staa­ten sei­en es nun dem Auf­stieg Chi­nas, der Kon­kur­renz Euro­pas, der wahr­schein­li­chen Reor­ga­ni­sa­ti­on Ruß­lands. Außer­dem sei eine »Frag­men­tie­rung« des Staa­ten­sys­tems zu beob­ach­ten, in dem sich ver­schie­de­ne Struk­tu­ren über­la­ger­ten; hin­zu­wei­sen sei außer­dem auf eine »Dif­fu­si­on der Macht«, die dazu füh­re, daß mitt­ler­wei­le auch nicht­staat­li­che Akteu­re als poli­ti­sche Fak­to­ren von Gewicht betrach­tet wer­den müß­ten, ange­fan­gen bei den NGOs bis zu jenen mul­ti­na­tio­na­len Kon­zer­nen, deren Bud­get grö­ßer ist als das vie­ler Län­der der zwei­ten oder drit­ten Welt.

Im ers­ten der ange­spro­che­nen Fäl­le, so Nye, führ­te die Ver­än­de­rung der Lage zu einer rela­ti­ven Schwä­chung der eige­nen Posi­ti­on, auf die Groß­bri­tan­ni­en mit einer Fle­xi­bi­li­tät reagiert habe, die sich die USA zum Vor­bild neh­men soll­ten. Der Kon­zen­tra­ti­on auf den Aus­bau von soft power kom­me den Ver­ei­nig­ten Staa­ten außer­dem ent­ge­gen, weil Macht heu­te nicht mehr allein an der Grö­ße des Ter­ri­to­ri­ums, der Bevöl­ke­rungs­zahl oder dem Kriegs­po­ten­ti­al gemes­sen wer­den kön­ne, son­dern vor allem an der Fähig­keit, ande­re poli­ti­sche Akteu­re zu einer »Ver­hal­tens­än­de­rung« zu bewe­gen, die dem eige­nen Inter­es­se ent­spre­che; hard power zwin­ge den ande­ren und erzeu­ge des­halb Wider­stand, soft power bewe­ge ihn, daß er »wol­le«, was man selbst »wol­le«. Das gelin­ge auf­grund gewan­del­ter Bedin­gun­gen wesent­lich bes­ser, wenn man auf die Steue­rung von Infor­ma­ti­ons­flüs­sen, »kul­tu­rel­le Attrak­ti­vi­tät«, die Pla­zie­rung von Per­so­nen, die Schaf­fung von Netz­wer­ken, die Koope­ra­ti­on zwi­schen Staat und Wirt­schaft, Staat und Medi­en, Staat und Ideo­lo­gie­trä­gern setze.

Man kann sich auf den Stand­punkt stel­len, daß das von Nye vor­ge­tra­ge­ne Kon­zept ein typi­sches Pro­dukt des Zeit­geis­tes war oder nur eine Anti­the­se zu Samu­el Hun­ting­tons Ent­wurf, der im tra­di­tio­nel­len Sinn macht­fi­xiert blieb. Man kann auch dar­auf hin­wei­sen, daß es soft power seit jeher, spä­tes­tens seit der Anti­ke, gege­ben habe: Pro­pa­gan­da nach innen und »ideo­lo­gi­sche Anglie­de­rung« (Franz Alt­heim) nach außen, und daß ent­spre­chen­de Ver­fah­ren früh zum Gegen­stand theo­re­ti­scher Refle­xi­on wur­den. Auf­schluß­rei­cher als die­se Fest­stel­lung ist aber, daß Nyes Argu­men­ta­ti­on vor allem in den Kon­text eines angel­säch­si­schen Modells gehört, das mit Hil­fe der Begrif­fe public rela­ti­ons einer­seits, »infor­mel­le Herr­schaft« oder »Dol­lar­di­plo­ma­tie« ande­rer­seits bezeich­net wer­den kann. Wäh­rend sich Groß­bri­tan­ni­en noch auf tra­di­tio­nel­le Mus­ter bezog, hat man in Washing­ton seit dem Ende des 19. Jahr­hun­derts ver­sucht, so etwas wie ein Gesamt­kon­zept von soft power zu ent­wi­ckeln, in des­sen Kon­ti­nui­tät man auch den Ent­wurf Nyes ver­ste­hen kann.

Vor­aus­set­zung dafür war ein kom­pli­zier­ter Anpas­sungs­pro­zeß der US-Eli­ten an die ver­än­der­te Situa­ti­on. Ange­fan­gen hat­te alles mit dem Hin­zu­tre­ten jener Män­ner, die die Ost­küs­ten­aris­to­kra­tie ursprüng­lich als »rub­ber barons« – »Räu­ber­ba­ro­ne« auf Distanz gehal­ten hat­te, Neu­reiche, die vor allem durch Immo­bi­li­en­spe­ku­la­ti­on und Eisen­bahn­bau, dann durch das Bank­ge­schäft zu gro­ßen Ver­mö­gen gekom­men waren. Die eine wie die ande­re Grup­pe ver­ach­te­te das demo­kra­ti­sche Sys­tem, nutz­te es bes­ten­falls für die eige­nen Zwe­cke, kauf­te Poli­ti­ker oder Ämter oder Par­tei­en, mani­pu­lier­te die Gesetz­ge­bung wie das Jus­tiz­we­sen zum eige­nen Vor­teil und wand­te bru­ta­le Metho­den – mit oder ohne Unter­stüt­zung der Insti­tu­tio­nen – an, um sich durch­zu­set­zen. Die­se Ver­fah­ren erreich­ten jetzt aber die Gren­zen ihrer Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten: Die Ver­ste­ti­gung der poli­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on, die Ent­ste­hung neu­er, immer schwe­rer kon­trol­lier­ba­rer Bewe­gun­gen in den urba­nen Zen­tren, der wach­sen­de Wider­stand gegen die trusts und die mise­ra­blen Lebens­be­din­gun­gen der städ­ti­schen Mas­sen führ­ten in der Zeit vor dem Ers­ten Welt­krieg zu einer kri­sen­haf­ten Ent­wick­lung und zu inten­si­ven Debat­ten über die Mög­lich­keit, das Sys­tem wei­ter im Griff zu behalten.

Dabei wur­de vor­aus­ge­setzt, daß eine Mas­sen­ge­sell­schaft – auf­grund ihrer Grö­ße, ihrer Hete­ro­ge­ni­tät, ihrer Dumm­heit – ten­den­zi­ell anar­chisch sei, daß jeden­falls ein Sys­tem, das auf Wah­len basier­te, das denk­bar unge­eig­nets­te für einen sol­chen Ver­band sei; oder, wie es ein Reprä­sen­tant der ame­ri­ka­ni­schen Füh­rungs­schicht for­mu­lier­te: »Die Welt besteht aus zwei Klas­sen – den Gebil­de­ten und den Unge­bil­de­ten –, für den Fort­schritt ist es ent­schei­dend, daß den ers­te­ren ermög­licht wird, die letz­te­ren zu beherr­schen« (Irving Fisher). Damit war aber noch nicht geklärt, auf wel­chem Weg man die­ses Ziel errei­chen soll­te. Wäh­rend eine Grup­pe davon aus­ging, es wäre das bes­te, die Ver­fas­sung außer Kraft zu set­zen, die Gesell­schaft zu dezi­mie­ren und dann neu auf­zu­bau­en, ging die ande­re davon aus, daß man die poli­ti­sche Orga­ni­sa­ti­on bes­ser bestehen las­se, jeden­falls deren Fas­sa­de, man sich mit der Unab­än­der­lich­keit des Gesamt­zu­stands abfin­den und alle Ener­gie dar­auf kon­zen­trie­ren soll­te, Ver­fah­ren zu ent­wi­ckeln, um die Gesell­schaft trotz­dem zu kontrollieren.

Das ers­te Modell setz­te auf Geschlos­sen­heit, »Neo­aris­to­kra­tie« (Lothrop Stod­dard) und hard power (Zwangs­ab­trei­bung, Eutha­na­sie, Ein­wan­de­rungs­blo­cka­de, Eli­mi­nie­rung der Gewerk­schaf­ten und aller Abweich­ler, Ein­füh­rung dik­ta­to­ri­scher Metho­den), das zwei­te auf »effi­zi­en­te Regu­lie­rung« (Her­bert Cro­ly), Tech­no­kra­tie und soft power (Umer­zie­hung der Bevöl­ke­rung, Durch­drin­gung der sozia­len Struk­tu­ren, Inte­gra­ti­on, Koopt­a­ti­on der Befä­hig­ten, Zusam­men­ar­beit mit den Pro­gres­si­ven, Auf­recht­erhal­tung des Anscheins von Selbst­be­stim­mung und Machtkontrolle).

Bis zum Beginn der zwan­zi­ger Jah­re war nicht ent­schie­den, wel­ches der bei­den Model­le sich durch­set­zen wür­de. Der »Immi­gra­ti­on Act« von 1924, der Auf­stieg des Ku-Klux-Klan zur Mas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on und die Popu­la­ri­tät ras­sen­theo­re­ti­scher Deu­tun­gen des Bol­sche­wis­mus in den USA konn­te man durch­aus als Anzei­chen dafür ver­ste­hen, daß die Ver­fech­ter des geschlos­se­nen Sys­tems die Ober­hand gewan­nen. Wenn es dazu nicht kam, hat­te das vor allem mit gewis­sen Erfah­run­gen wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs zu tun. Denn die mili­tä­ri­schen Anstren­gun­gen der USA wur­den ganz wesent­lich von halb­staat­li­chen, halb­pri­va­ten Insti­tu­tio­nen getra­gen. Dabei erkann­ten Unter­neh­mer den Vor­teil eines Burg­frie­dens mit der Arbeit­neh­mer­sei­te, deren Gewerk­schaf­ten man erfolg­reich in »gel­be« umwan­del­te oder durch den uner­war­te­ten Aus­bau von Sozi­al­leis­tun­gen sabotierte.

Der Tay­lo­ris­mus, der jetzt in Pro­duk­ti­ons- und Dienst­leis­tungs­be­trie­ben Ein­zug hielt, war nur ein wei­te­res Instru­ment zur Opti­mie­rung der Daseins­voll­zü­ge durch nach­hal­ti­ge, aber immer sub­ti­le­re Steue­rung. Als frü­he Mar­kie­rung, an der die Durch­set­zung des Kon­zepts soft power ables­bar wur­de, kann man die Umwand­lung des gigan­ti­schen Car­ne­gie-Ver­mö­gens in eine Stif­tung betrach­ten (1911), die nicht nur der Erhal­tung des Fami­li­en­be­sit­zes dien­te, son­dern dem Auf­bau einer neu­en Art von poli­ti­scher Phil­an­thro­pie, die aktiv an die Umge­stal­tung der Gesell­schaft ging, als End­punkt die Absa­ge Hen­ry Fords an den Anti­se­mi­tis­mus nach dem Kriegs­eintritt der USA gegen das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deutsch­land (1941).

Wenn das 20. Jahr­hun­dert ein »ame­ri­ka­ni­sches Jahr­hun­dert« war, dann nicht nur durch die Macht aus den Gewehr­läu­fen oder die Macht der Öko­no­mie, nicht nur durch den sys­te­ma­ti­schen Aus­bau des impe­ri­um ame­ri­ca­num, son­dern auch durch die »Macht der Men­schen­freun­de« (Tim B. Mül­ler). Inner­halb wie außer­halb der USA ent­stand seit dem Ende des Ers­ten Welt­kriegs ein schwer durch­dring­ba­res Geflecht von Orga­ni­sa­tio­nen und Insti­tu­tio­nen, deren Ein­fluß­nah­me oft genug ver­deckt ablief, jeden­falls nie ganz ein­deu­tig nur poli­ti­schen oder öko­no­mi­schen oder sozia­len Zwe­cken dien­te. In jedem Fall stand dahin­ter ein Kon­zept von »Ame­ri­ka­nis­mus«, das nicht mehr nur auf den Bin­nen­be­reich bezo­gen war, son­dern als uni­ver­sa­les Mus­ter ver­stan­den wur­de. Daß dabei die Gren­ze zwi­schen Eigen­nutz und Unei­gen­nüt­zig­keit nie ganz klar zu tren­nen war, ver­steht sich von selbst, genau­so wie die not­wen­di­ge Geheim­hal­tung der arca­na imperii.

Über­ra­schen­der­wei­se fin­den sich trotz­dem Äuße­run­gen eini­ger Ver­fech­ter von soft power aus der Früh­pha­se der Ent­wick­lung, die mit einer Art kind­li­chem Stolz die ver­bor­ge­ne Mecha­nik offen­leg­ten. Schon 1922 schrieb Wal­ter Lipp­mann, daß eine »pro­gres­si­ve« Ent­wick­lung nur denk­bar sei unter Füh­rung einer neu­ar­ti­gen »spe­zia­li­sier­ten Klas­se«, die »nicht rechen­schafts­pflich­tig« sein soll­te, also kei­ner demo­kra­ti­schen Kon­trol­le unter­lie­ge, denn sie han­de­le »auf­grund von Infor­ma­tio­nen, die kein Gemein­ei­gen­tum sind, in Situa­tio­nen, die die Öffent­lich­keit im gro­ßen Zusam­men­hang nicht begreift, und sie kann nur zur Ver­ant­wor­tung gezo­gen wer­den, nach­dem die Tat­sa­chen voll­endet sind.« Lipp­mann hat­te wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs zu den engs­ten Bera­tern von Prä­si­dent Wil­son gehört und danach sein Buch Public Opi­ni­on (1922) ver­öf­fent­licht, in dem er sei­ne tie­fe Skep­sis gegen­über dem demo­kra­ti­schen Gedan­ken erken­nen ließ. Lipp­manns »Libe­ra­lis­mus« hat­te einen aus­ge­spro­chen eli­tä­ren Zug und ent­wi­ckel­te sich je län­ger je mehr in Rich­tung auf ein poli­ti­sches Modell, in dem eine Grup­pe von Sozi­al­in­ge­nieu­ren nicht nur die Ver­fas­sungs­or­ga­ne, son­dern auch die inkom­pe­ten­te Öffent­lich­keit kon­trol­lie­ren sollte.

Lipp­mann ver­folg­te ein durch­aus theo­re­ti­sches Inter­es­se. Das unter­schied ihn von einem zwei­ten Prot­ago­nis­ten der Ent­wick­lung, Edward Ber­nays. Wie Lipp­mann hat­te Ber­nays wäh­rend des Kriegs für die ame­ri­ka­ni­sche Pro­pa­gan­da gear­bei­tet. Er war zwar auch der Nef­fe Sig­mund Freuds, vor allem aber ein typi­scher Auf­stei­ger, self made, ohne nen­nens­wer­te aka­de­mi­sche Aus­bil­dung, indes belehrt in der har­ten Schu­le von Tin­gel­tan­gel und Lob­by­ar­beit. Ber­nays kam, anders als Lipp­mann, ohne phi­lo­so­phi­sches Dekor aus, aber auch er hielt unmiß­ver­ständ­lich fest: »Die bewuß­te und ziel­ge­rich­te­te Mani­pu­la­ti­on der Ver­hal­tens­wei­sen und Ein­stel­lun­gen der Mas­sen ist ein wesent­li­cher Bestand­teil demo­kra­ti­scher Gesell­schaf­ten. Orga­ni­sa­tio­nen, die im Ver­bor­ge­nen arbei­ten, len­ken die gesell­schaft­li­chen Abläu­fe. Sie sind die eigent­li­chen Regie­run­gen in unse­rem Land.« Das war der ers­te Satz in Ber­nays’ Buch Pro­pa­gan­da, 1928 erschie­nen, und im fol­gen­den hat der Ver­fas­ser mit ent­waff­nen­der Ehr­lich­keit dar­ge­stellt, was in den Mas­sen­ge­sell­schaf­ten sein kann und was nicht. Kaum ver­ein­facht, könn­te man sei­ne Grund­the­sen fol­gen­der­ma­ßen wie­der­ge­ben: Die his­to­ri­sche Ent­wick­lung hat dahin geführt, daß sich sehr gro­ße Staa­ten und sogar Staa­ten­ge­mein­schaf­ten aus­bil­de­ten, die nicht imstan­de sind, so etwas wie Öffent­lich­keit im Wort­sinn hervorzubringen.

Viel­mehr muß man von Öffent­lich­kei­ten spre­chen, geschaf­fen durch par­ti­ku­la­re Grup­pen, wobei die ein­zel­nen nicht nur meh­re­ren die­ser Grup­pen ange­hö­ren kön­nen – auf­grund ihrer Her­kunft, ihres Ein­kom­mens, ihres Wohn­orts, ihrer reli­giö­sen Über­zeu­gung, ihrer per­sön­li­chen Vor­lie­ben und Kon­sum­ge­wohn­hei­ten –, son­dern auch noch über ein aus­ge­präg­tes Selbst­be­wußt­sein verfügen.

Das vor­aus­ge­setzt, muß jede auf Öffent­lich­keit zie­len­de Tätig­keit die Öffent­lich­keit erst »erzeu­gen« und dann »len­ken«; dazu bedarf es eines stra­te­gi­schen – im bes­ten Fall empi­risch durch Markt­for­schung und Demo­sko­pie gestütz­ten – Vorgehens.

Das setzt, wie die klas­si­sche Mas­sen­psy­cho­lo­gie, die rela­ti­ve Dumm­heit der vie­len vor­aus, die man im Grun­de nur mit »Asso­zia­tio­nen« und »Bil­dern in den Köp­fen« beein­dru­cken kann; die Kriegs­pro­pa­gan­da habe gezeigt, daß nichts so effek­tiv sei wie die Nut­zung von »Kli­schee­vor­stel­lun­gen« und »Ver­hal­tens­mus­tern«, also die Schaf­fung von »Gefühls-Clus­tern«, um die »Her­de« zu »bear­bei­ten«.

Sol­che Aus­rich­tung ist legi­tim, denn sie ist eine »logi­sche Fol­ge der Struk­tur unse­rer Demo­kra­tie«. Das gilt auch, wenn sie nicht in der Ver­fas­sung vor­ge­se­hen war und die Mani­pu­la­ti­on nur dem­je­ni­gen mög­lich ist, der über die not­wen­di­gen Mit­tel – vor allem Geld und Orga­ni­sa­ti­on – ver­fügt: »Es ist teu­er, die gesell­schaft­li­che Maschi­ne zu mani­pu­lie­ren. Des­halb liegt die unsicht­ba­re Herr­schaft und Kon­trol­le der Mei­nun­gen und Gewohn­hei­ten der Mas­sen ten­den­zi­ell in der Hand von nur weni­gen Menschen.«

Wenn die weni­gen klug sind, enga­gie­ren sie Bera­ter, die für »Public Rela­ti­ons« – ein von Ber­nays gepräg­ter Begriff – zustän­dig sind und sich mit der »Maschi­ne Gesell­schaft« aus­ken­nen, jeden­falls »über­grei­fen­de Stra­te­gien« ent­wi­ckeln kön­nen, die es erlau­ben, für eine Mar­ke einen bestimm­ten »Stil« zu prä­gen und so eine dau­er­haf­te Bin­dung zwi­schen Füh­rern und Gesell­schaft her­zu­stel­len. Das ist auch im gro­ßen Rah­men not­wen­dig, wes­halb ein Pro­pa­gan­da- oder »Minis­ter für Public Rela­ti­ons« zwin­gend zu jedem moder­nen Kabi­nett gehöre.

Jedes Mit­tel der Kom­mu­ni­ka­ti­on kann für die PR genutzt wer­den. Das gilt auch und gera­de für die Mög­lich­kei­ten, die die moder­ne Tech­nik bie­tet: »Fil­me kön­nen die Gedan­ken und Gewohn­hei­ten der gan­zen Nati­on prä­gen.« Gera­de weil es sich um »unter­schwel­li­ge Pro­pa­gan­da« han­de­le, wir­ke sie beson­ders nachhaltig.

Aller­dings ist zu beto­nen, daß der Beein­flus­sung Gren­zen gesetzt sind: Das Wohl­wol­len der Gesell­schaft ist ein flüch­ti­ges und »schwer greif­ba­res Etwas« (Judge Gary), dau­ernd gefähr­det durch den Eigen­sinn der Indi­vi­du­en wie der Grup­pen und durch objek­ti­ve Bedin­gun­gen, die nicht will­kür­lich zu ver­än­dern sind; eine Rol­le spielt auch die Eigen­dy­na­mik von Mei­nungs­bil­dungs­pro­zes­sen, die sich unter Umstän­den der Steue­rung entziehen.

Die Metho­den der Pro­pa­gan­da sind durch kei­ne Ent­lar­vung außer Kraft zu set­zen: »Pro­pa­gan­da wird nie­mals ster­ben.« Und: »Egal wie fein­füh­lig oder gar zynisch die Öffent­lich­keit im Hin­blick auf die Metho­den der Publi­ci­ty wird – sie wird wei­ter­hin auf gewis­se grund­le­gen­de Rei­ze reagie­ren, denn sie wird immer Nah­rung brau­chen, sich nach Unter­hal­tung und Schön­heit seh­nen und sich einer Füh­rung unterordnen.«

Auch wenn man beto­nen muß, daß die Ein­deu­tig­keit von Ber­nays’ Argu­men­ta­ti­on in vie­lem einer gewis­sen Nai­vi­tät und his­to­ri­scher wie kul­tu­rel­ler Igno­ranz zu ver­dan­ken ist, wird man kaum bestrei­ten kön­nen, daß er eine aus­ge­spro­chen rea­lis­ti­sche Vor­stel­lung davon ent­wor­fen hat, wel­che Rol­le public rela­ti­ons in einer Mas­sen­ge­sell­schaft spie­len. Bezeich­nend ist, daß er ursprüng­lich an den Begriff »public direc­tion« dach­te, was der Sache gerech­ter gewor­den wäre, aber ähn­lich wie »Pro­pa­gan­da« all­zu offen­sicht­lich nach Vor­täu­schung und Über­töl­pe­lung aus­sah. Außer­dem wäre so nicht hin­rei­chend deut­lich gewor­den, daß Ber­nays, im Gegen­satz zu älte­ren Kon­zep­ten, PR nicht als ein­sei­ti­ge Kom­mu­ni­ka­ti­on betrach­te­te; man müs­se, so sei­ne The­se, zur Kennt­nis neh­men, daß die Mas­se zwar beschränkt sei, aber nicht »wil­len­los«, daß es des­halb dar­um gehe, die­sen Wil­len »zu for­men«. Was Ber­nays anstreb­te, war engi­nee­ring of con­sent, also die Ver­fer­ti­gung des Kon­sens, und er hat das gan­ze Reper­toire der Mög­lich­kei­ten seit den zwan­zi­ger Jah­ren erprobt, das in der PR-Bran­che bis heu­te gebräuch­lich ist: von der Wer­be­kam­pa­gne über Event-PR, also das Schaf­fen von berich­tens­wer­ten Anläs­sen, die »Third Par­ty Advo­ca­cy«, die Emp­feh­lung einer Per­son, einer Ware, einer Über­zeu­gung durch angeb­lich neu­tra­le Drit­te, das »band wag­go­ning«, die Orga­ni­sa­ti­on einer Ket­te von Ereig­nis­sen, die immer wie­der auf einen bestimm­ten Sach­ver­halt hin­wei­sen sol­len, das Zusam­men­spiel von »kon­ti­nu­ier­li­cher Infor­ma­ti­on« und »Dra­ma­ti­sie­rung durch Her­vor­he­bung«, bis zur Iso­lie­rung und öffent­li­chen Bloß­stel­lung der Widerstrebenden.

Ber­nays glaub­te, mit sei­nen Büchern die Grund­la­ge eines »ethi­schen Codes« geschaf­fen zu haben, der aller­dings nur in die Hän­de einer Eli­te gehör­te, die ler­ne müs­se, »sich der Pro­pa­gan­da … dau­er­haft und sys­te­ma­tisch [zu] bedie­nen«. Wenn sie das tue, wer­de sie auch fest­stel­len, daß der »Ein­fluß der unsicht­ba­ren Draht­zie­her … manch­mal ins Uner­meß­li­che« wachse.

Ber­nays gilt gemein­hin als »Vater der PR«. Er hat eine atem­be­rau­ben­de Kar­rie­re gemacht und nicht nur für Ford oder Proc­ter & Gam­ble gear­bei­tet, son­dern auch Ende der zwan­zi­ger Jah­re die ers­te gro­ße Werbe­kampagne für Ame­ri­can Tob­ac­co orga­ni­siert und Anfang der sech­zi­ger Jah­re eine natio­na­le Gesund­heits­kam­pa­gne gegen den Ziga­ret­ten­kon­sum. Abge­se­hen von die­ser Tätig­keit im Rah­men der Wirt­schaft, war er als Bera­ter der CIA und der United Fruit Com­pa­ny tätig. Er hat sich gerühmt, 1954 den Sturz der links­ge­rich­te­ten Regie­rung Gua­te­ma­las erreicht zu haben, die er sys­te­ma­tisch in den – fal­schen – Ver­dacht gebracht hat­te, Partei­gängerin der Sowjet­uni­on zu sein. Wahr­schein­lich macht die­ser Vor­gang, der Teil der wirt­schaft­li­chen Durch­drin­gung Latein­ame­ri­kas durch ein pri­va­tes Unter­neh­men und den ame­ri­ka­ni­schen Geheim­dienst war, noch am deut­lichs­ten, auf wel­che Wei­se man sich das idea­le Zusam­men­spiel von hard power und soft power vor­zu­stel­len hat.

Ber­nays wur­de »zwei­ter Machia­vel­li« und zugleich »Roo­se­velt-/Ken­ne­dy-Libe­ra­ler« genannt. Auf­schluß­rei­cher als das ist aber, daß Noam Chom­sky Ber­nays’ For­mel vom »engi­nee­ring con­sent« für sei­ne eige­ne Ana­ly­se der Macht­aus­übung in den ent­wi­ckel­ten Gesell­schaf­ten der Gegen­wart ver­wen­det. Was sich bei Chom­sky über die »Kon­sens­ma­schi­ne« fin­det, ist nichts ande­res als der Hin­weis auf die ent­schei­den­de Bedeu­tung von soft power als Ersatz für oder flan­kie­ren­de Maß­nah­me neben hard power: die mehr oder weni­ger sub­ti­le Kon­trol­le durch mehr oder weni­ger anony­me Instan­zen mit­tels uralter Metho­den der Indok­tri­na­ti­on neben dif­fe­ren­zier­tes­ten For­men des scree­ning und der poli­tisch-kor­rek­ten Sprach­re­ge­lung, eine Form der Macht­aus­übung, die ihrer Ten­denz nach ungleich tota­li­tä­rer ist als ein offen repres­si­ves Sys­tem, weil es den ein­zel­nen mit Wän­den aus Wat­te und nicht mit Sta­chel­draht umstellt. Die­ser Sach­ver­halt spielt schon des­halb kei­ne Rol­le in den öffent­li­chen Debat­ten, weil nie­mand die von Chom­sky gefor­der­ten Kur­se in »geis­ti­ger Selbst­ver­tei­di­gung« anbie­tet, – oder wenn doch, die Sitz­rei­hen leer bleiben.

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