Briefe aus feindlicher Nähe – neue Schmittiana

48Beitrag aus Sezession 48 / Juni 2012

von Siegfried Gerlich

Schmittiana. Neue Folge. Beiträge zu Leben und Werk Carl Schmitts, Bd.1, hrsg. von der Carl-Schmitt-Gesellschaft, Berlin: Duncker & Humblot 2011. 343 S., 48 €.

Herbert Kopp-Oberstebrink/Thorsten Palzhoff/Martin Treml (Hrsg.): Jacob Taubes – Carl Schmitt. Briefwechsel mit Materialien, München: Fink 2012. 327 S., 39.90 €.

In Erin­ne­rung an Piet Tom­mis­sen hat sich die Carl-Schmitt-Gesell­schaft nach einem knap­pen Dez­en­ni­um Unter­bre­chung zur Fort­set­zung der sei­ner­zeit von dem jüngst Ver­stor­be­nen her­aus­ge­ge­be­nen Schmit­tia­na ent­schlos­sen. Der aktu­el­le Band macht neben dem frü­hen Rezen­si­ons­werk zum Wei­ma­rer Staats­recht haupt­säch­lich Kor­re­spon­den­zen Schmitts zugäng­lich. Eher mar­gi­nal erschei­nen die Brief­wech­sel mit dem jüdi­schen Staats­recht­ler Erwin Jaco­bi, der sich nach 1933 von sei­nem engen Kol­le­gen allein gelas­sen fühl­te, sowie mit dem Schmitt in Haß­li­e­be ver­bun­de­nen Poli­to­lo­gen Wal­de­mar Guri­an, der spä­ter aus dem Exil schar­fe Pole­mi­ken gegen den »Kron­ju­ris­ten« publizierte.

Zeit­ge­schicht­lich erhel­len­der sind die über einen Zeit­raum von sech­zig Jah­ren gewech­sel­ten Brie­fe zwi­schen Schmitt und der getreu­en Freun­din Lil­ly von Schnitz­ler, die als Gran­de Dame einen groß­bür­ger­li­chen Salon führ­te. Als ein­zi­ger Sach­bei­trag impo­niert Mar­tin Tiel­kes minu­tiö­se Recher­che über Schmitts viel­spra­chi­ge Pri­vat­bi­blio­thek, die des hoch­ge­bil­de­ten Juris­ten »intims­tes Eigen­tum« war, bevor sie nach Kriegs­en­de für sie­ben Jah­re von den Ame­ri­ka­nern beschlag­nahmt wur­de. Cha­rak­te­ris­ti­scher­wei­se über­trifft der lite­ra­ri­sche und phi­lo­so­phi­sche Bücher­be­stand den juris­ti­schen bei wei­tem, und hand­schrift­li­che Glos­sie­run­gen zeu­gen von einer inten­si­ven Aus­ein­an­der­set­zung mit Leo Strauss’ Spi­no­za-Arbeit, aber auch mit Wal­ter Ben­ja­mins Trau­er­spiel-Abhand­lung. Daß Schmitt sein eige­nes Hob­bes-Buch als Ant­wort auf Ben­ja­min ver­stand, wirft ein neu­es Licht auf den berüch­tig­ten Levia­than. In ihrer edi­to­ri­schen Sorg­falt weiß sich auch die neue Fol­ge dem hohen Stan­dard des alt­be­währ­ten Peri­odi­kums verpflichtet.

Zu den weni­gen Büchern, die mehr hal­ten, als ihr Titel ver­spricht, muß die mate­ri­al­rei­che Edi­ti­on des Brief­wech­sels zwi­schen Carl Schmitt und dem Reli­gi­ons­phi­lo­so­phen Jacob Tau­bes gerech­net wer­den, die oben­drein noch die Bei­trä­ge von des­sen Mer­ve-Klas­si­ker Ad Carl Schmitt sowie Kor­re­spon­den­zen mit Tom­mis­sen, Ernst-Wolf­gang Böcken­för­de, Hans-Diet­rich San­der und Armin Moh­ler ent­hält. Letz­te­rer befand tref­fend: »In der gan­zen Affä­re geht es doch um eine Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Juda­is­mus und deut­schem Geist.« Mit Fug und Recht darf gesagt wer­den, daß die­se Publi­ka­ti­on den noto­ri­schen Kitsch­ti­tel des deutsch-jüdi­schen Dia­logs reha­bi­li­tiert und ihm eine geis­ti­ge Sub­stanz rück­erstat­tet, von der sonst nur noch längst ver­gilb­te Bücher zeugen.

Kaum vor­stell­bar wäre heut­zu­ta­ge ein frei­mü­ti­ges Gespräch, wie es 1958 in Moh­lers Wohn­haus bei Paris geführt wur­de, als Tau­bes, Hans-Joa­chim Arndt, Die­ter Wolf und der Gast­ge­ber sich zu einem Gedenk­abend an Schmitt ein­fan­den. Besie­gelt wur­de die­ser durch eine von allen unter­schrie­be­ne Ansichts­kar­te an den abwe­sen­den Meis­ter: Tau­bes grüßt, indem er Schmitts pri­va­te Son­der­dru­cke mit einem Wort Ador­nos als »Fla­schen­post« kenn­zeich­net, die »am ande­ren Ufer«, in Ame­ri­ka, immer erwar­tet wer­de. 1977 sucht der jah­re­lang rast­los umher­rei­sen­de Tau­bes in Mün­chen ein­mal wie­der Moh­ler auf, wel­cher sei­nen Jugend­freund wie einen »ver­lo­re­nen Sohn« emp­fängt. Hier lernt Tau­bes auch San­der ken­nen, und so wird über »die Ort­lo­sig­keit des Mar­xis­mus, des Juden­tums« debat­tiert. Anlaß bie­tet ein Brief Ben­ja­mins an Schmitt von 1930, der des­sen Nach­laß­ver­wal­tern, Ador­no und Scholem, als ver­schol­len galt und erst­mals 1970 in San­ders Dis­ser­ta­ti­on publi­ziert wurde.

Schon früh­zei­tig hat­te Tau­bes sein Inter­es­se an Schmitt bekun­det. In einem Brief an Moh­ler von 1952 aus Jeru­sa­lem fei­ert Tau­bes den deut­schen Gelehr­ten nicht nur als »die« geis­ti­ge Potenz, son­dern lobt zumal des­sen selbst von Moh­ler zur »Recht­fer­ti­gungs­li­te­ra­tur« gezähl­te Schrift Ex cap­ti­vi­ta­te salus als einen »wahr­haf­ti­gen« und »erschüt­tern­den Bericht«, der von einem Mut zeu­ge, wie ihn ein Heid­eg­ger habe ver­mis­sen las­sen. Uner­schro­cken geht Tau­bes in medi­as res: »Das Juden­tum ›ist‹ polit. Theo­lo­gie – das ist sein ›Kreuz‹«. Dabei schrickt er nicht vor einem klei­nen Geheim­nis­ver­rat zurück: Für sei­nen Ver­fas­sungs­ent­wurf habe der israe­li­sche Jus­tiz­mi­nis­ter Pin­chas Rosen heim­lich die Ver­fas­sungs­leh­re Schmitts stu­diert. Mit der Fra­ge, wie er denn dar­über den­ke, »zum Geburts­hel­fer der Ver­fas­sung Isra­els« gewor­den zu sein, lei­tet Moh­ler das Schrei­ben an Schmitt wei­ter. Und der ist von die­sem »ganz erstaun­li­chen, gros­sen Doku­ment« so bewegt, daß er ins­ge­samt 33 Abschrif­ten für Freun­de anfer­ti­gen läßt.

1978 wen­det sich Tau­bes mit dem küh­nen Vor­ha­ben, den fünf­ten Teil des 1938 erschie­ne­nen Levia­than in einer neu­en Zeit­schrift namens Kas­si­ber wie­der­ab­zu­dru­cken, end­lich direkt an Schmitt. Wenn die­ser ange­sichts sei­nes »zer­stör­ten Images« auch ablehnt, so emp­fin­det er Tau­bes’ kokett-sub­ver­siv beti­tel­tes Pro­jekt gleich­wohl als eine »Aus­zeich­nung«, die ihm mehr bedeu­te als ein »Pour le Méri­te«. Einen ers­ten per­sön­li­chen Besuch in Plet­ten­berg ver­mit­telt San­der, der selbst »ganz berauscht« ist von den durch Tau­bes eröff­ne­ten Per­spek­ti­ven und die­sem ver­si­chert, Schmitt habe sich einen sol­chen Gesprächs­part­ner »seit Jahr­zehn­ten gewünscht«.

Nach der bei­der­seits lang­ersehn­ten Begeg­nung dankt Schmitt herz­lich: »Die kost­ba­ren Tage Ihres Besuchs wer­den mich noch lebens­lang beschäf­ti­gen.« Tau­bes geht es kaum anders, denn die »stür­mischs­ten Gesprä­che, die ich je in deut­scher Spra­che geführt habe«, waren auch ihm nicht leicht­ge­fal­len, wuß­te der beken­nen­de »Erz­ju­de« doch, daß er von Schmitt einst als Feind mar­kiert wor­den war. Aber er bricht dar­um doch nicht den Stab: »Wir hat­ten kei­ne Wahl: Hit­ler hat uns zum abso­lu­ten Feind erko­ren. Wo aber kei­ne Wahl besteht, da auch kein Urteil, schon gar nicht über andere.«

Der sagen­um­wo­be­ne Brief Ben­ja­mins wie­der­um steht ab 1978 im Zen­trum von Tau­bes’ Semi­na­ren an der FU Ber­lin, wor­in jenes »Geschichts­phi­lo­so­phi­sche The­sen« als Anti­the­sen zu Schmitts Poli­ti­scher Theo­lo­gie expo­niert wer­den. In der dama­li­gen »mar­xo­iden Atmo­sphä­re« bringt ihm sei­ne Reha­bi­li­tie­rung Schmitts aller­lei »Schmä­hun­gen und Ver­leum­dun­gen« ein, und voll­ends als Tau­bes, der auch als Bera­ter des Hau­ses Suhr­kamp tätig war, dort die Neu­pu­bli­ka­ti­on von Ham­let und Heku­ba anregt, darf er getrost befürch­ten, »Haber­mas wer­de sein gewal­ti­ges Wort ad faschis­ti­sche Intel­li­genz in den Raum brül­len«. Aber das »Geheul der Haber­mas­se« und deren »links­li­be­ra­le Tyran­nei« ver­der­ben ihm mit­nich­ten sei­ne Streit­lust um die letz­ten Dinge.

In zen­tra­len Pro­blem­stel­lun­gen erwei­sen sich der jüdi­sche »Apo­ka­lyp­ti­ker der Revo­lu­ti­on« und der deut­sche »Apo­ka­lyp­ti­ker der Gegen­re­vo­lu­ti­on« als wahl­ver­wandt. Schmitts eigens­te Fra­gen wur­den in Tau­bes zur Gestalt. Mit einer Wen­dung des von die­sem hoch­ge­schätz­ten Ernst Nol­te las­sen sich bei­der Posi­tio­nen in »feind­li­cher Nähe« ver­or­ten, denn bei allem mes­sia­ni­schen Eifer gab Tau­bes Schmitt zu beden­ken, daß auch das »Mys­te­ri­um Judai­cum« zur »kat­echon­ti­schen Form der Exis­tenz« gehö­re. Für San­der hin­ge­gen spie­gel­te die Kon­stel­la­ti­on Schmitt/Taubes den unver­söhn­li­chen Gegen­satz zwi­schen »geor­te­tem« deut­schen und »entor­ten­dem« jüdi­schen Den­ken in gera­de­zu ide­al­ty­pi­scher Rein­heit wider.

Von einem ver­schärf­ten Schmit­tia­nis­mus jedoch, wie ihn San­der in Die Auf­lö­sung aller Din­ge, sei­ner post­hu­men Ant­wort auf Tau­bes, pro­pa­gie­ren soll­te, hebt sich die geis­ti­ge Offen­heit von Schmitt selbst nur um so ein­neh­men­der ab. Durch­weg wird das Gespräch zwi­schen Tau­bes und Schmitt von dem gemein­sa­men poli­ti­schen Wil­len zur »Hegung des Bür­ger­kriegs« getra­gen, und auch in ihrem theo­lo­gi­schen Ver­ständ­nis der Geschich­te als einer »Gal­gen­frist« rücken sie zusam­men. Aber frei­lich woll­te der eine die Apo­ka­lyp­se »auf­hal­ten«, wäh­rend der ande­re ihr Nahen noch zu »beschleu­ni­gen« such­te, um so die fina­le An- oder Wie­der­kunft des Mes­si­as zu pro­vo­zie­ren. In sei­nem per­sön­li­chen Leben jeden­falls beschleu­nig­te Tau­bes durch sei­ne mani­schen Eska­pa­den und depres­si­ven Ein­brü­che nur eine tod­brin­gen­de Krebs­er­kran­kung. Schmitt hin­ge­gen bewähr­te sich noch vie­le Jah­re als uner­schüt­ter­li­cher Auf­hal­ter sei­nes eige­nen Todes.

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