Wie weiter? (IV): Anachronismen

Verleger zu sein verschafft einem das Privileg, Manuskripte als erster zu lesen - und sie in einer Form zu lesen, die kein...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

ande­rer je wird stu­die­ren kön­nen: in der Form vor dem Lek­to­rat und vor der end­gül­ti­gen Druck­fas­sung. Manch­mal sind die Ein­grif­fe dra­ma­tisch, manch­mal fal­len bloß ein paar Kom­ma­ta oder Adjek­ti­ve weg, und so pfle­ge­leicht ist auch das Manu­skript, das ich der­zeit unter den Fin­gern habe und mit dem ich heu­te in der Son­ne vor der klei­nen Lehm­scheu­ne im Gar­ten saß:

Es wird etwa im August in mei­nem Ver­lag als Buch erschei­nen und beschäf­tigt sich mit dem bedeu­tends­ten leben­den Geschichts­den­ker, den wir Deut­schen vor­zu­wei­sen haben, und der selbst von einer Halb-Emi­gra­ti­on nach Ita­li­en spricht, weil die deut­sche His­to­ri­ker-Zunft ihn nicht recht ertra­gen kann: Ernst Nol­te. Ich will nun nichts über Nol­te und über das vor­züg­li­che Manu­skript sagen, in dem ich nach­her wei­ter­le­sen wer­de. Ich will nur eine Lese­frucht her­zei­gen, um noch ein­mal auf den Sinn wider­stän­di­gen Lebens zu kom­men. Es geht um die bei­den wider­strei­ten­den Kräf­te “Lie­be” und “Kri­tik”, die als geschichts­mäch­ti­ge Begrif­fe etwa mit “Bewah­ren” und “Selbst­über­schrei­tung” über­setzt wer­den kön­nen. Das Zitat:

Lie­ben­der Kon­ser­va­tis­mus war gewiß immer schon eine Reak­ti­on auf kri­ti­schen Fort­schritt gewe­sen, aber je unkri­ti­scher gegen sich selbst die­ser fort­schrei­ten soll­te, umso archai­scher und nihi­lis­ti­scher muß­te sich die­ser mensch­lich-all­zu­mensch­li­che Wider­stand nicht nur gegen die prak­ti­sche Selbst­über­schrei­tung, son­dern am Ende gegen das tran­szen­den­ta­le Wesen des Men­schen im gan­zen kehren.

Ich hof­fe immer sehr, daß ich bei den Lesern unse­res Netz-Tage­buchs nicht von denen aus­ge­hen soll­te, die ihren Stand­punkt aus 5‑Minuten– oder 140-Zei­chen-Häpp­chen zusam­men­bau­en. Geor­ge Stei­ner hat in einem schö­nen Inter­view vor eini­gen Tagen über das gründ­li­che, anver­wan­deln­de Lesen gespro­chen, auch über das Aus­wen­dig­ler­nen und die Höl­der­lin-Lek­tü­re bei Ker­zen­licht. Sei­ne Lese­an­lei­tung ist “lie­ben­der Kon­ser­va­tis­mus”, ist ana­chro­nis­tisch, also: gegen die Zeit (wört­lich über­setzt) und (weni­ger wört­lich) ver­wit­te­rungs­be­stän­dig vor der Zeit.

Der Sinn des Wider­stän­di­gen in uns liegt – gründ­lich ver­stan­den – dar­in, daß wir nicht bereit sind, die Selbst­über­schrei­tung des Men­schen in sei­ner schau­mi­gen, vir­tu­el­len, wur­zel­lo­sen Form in unse­rem Geviert zu dul­den. Wir sind nicht bereit, unse­re Ana­chro­nis­men zu ver­kau­fen. Des­halb steckt hin­ter jeder Akti­on, jedem Arti­kel, jeder Äuße­rung das, was heu­te im Manu­skript und oben im Zitat als “lie­ben­der Kon­ser­va­tis­mus” benannt war. Sei­ne Auf­ga­be ist, ein Gan­zes zu schaf­fen, und das schließt selbst­re­dend die “Kri­tik”, also: die Selbst­über­schrei­tung ein. Jedoch ist sie nur ein Teil, und nur dann aufs Gan­ze bezo­gen, wenn sie nicht ihrer Zeit ver­fällt, son­dern ihre – Ana­chro­nis­men als ihre Wur­zeln begreift. Das ist der “Feld­weg”, den Mar­tin Heid­eg­ger (der Leh­rer Ernst Nol­tes) tau­send­mal ging, an immer dem­sel­ben Baum vor­bei um immer die­sel­be Bie­gung, ana­chro­nis­tisch: alte Die­len, ein Rosen­stock, der Schilf­gür­tel, Lehm und Erde, ein zer­le­se­nes Buch, ein aus­wen­dig gelern­tes Gedicht, eine Gewohn­heit, ein hand­schrift­li­cher Brief, ein Tele­fon klin­geln las­sen und damit den wür­di­gen, der im Raum ist und den Vor­zug hat vor dem Auf­scheu­chen­den, und das alles nicht nost­al­gisch oder roman­tisch, son­dern aus Notwendigkeit.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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