85. Geburtstag Wolfgang Brezinka

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

von Karlheinz Weißmann

Brezinka stammt aus einer Berliner Familie, die stark durch den Diaspora-Katholizismus geprägt war; die christliche Herkunft hat auch später sein Denken nachhaltig bestimmt. Er studierte nach dem Zweiten Weltkrieg an den Universitäten Salzburg und Innsbruck Psychologie, Pädagogik, Philosophie und Staatswissenschaften.

Ursprüng­lich dach­te er an eine Tätig­keit im Bereich der Sozi­al- und Hei­ler­zie­hung, ent­schloß sich aber nach der Pro­mo­ti­on 1951 zu einer aka­de­mi­schen Lauf­bahn. Bre­zin­ka habi­li­tier­te sich an der Uni­ver­si­tät Inns­bruck und hat in der Fol­ge­zeit dort sowie in Würz­burg und zuletzt seit 1967 in Kon­stanz erzie­hungs­wis­sen­schaft­li­che Lehr­stüh­le inne­ge­habt. Aus sei­ner Feder sind mehr als zwan­zig Bücher erschie­nen; nach sei­ner Eme­ri­tie­rung 1997 hat er noch drei Bän­de zur Geschich­te des Erzie­hungs­we­sens in Öster­reich von enzy­klo­pä­di­schem For­mat veröffentlicht.

Wenn Bre­zin­ka trotz der hohen Auf­la­gen, die sei­ne Bücher erreich­ten, und trotz der Aner­ken­nung, die sei­ne Arbei­ten im Aus­land fan­den (es gibt Über­set­zun­gen in fünf­zehn Spra­chen), in Deutsch­land als bête noi­re sei­nes Faches gilt, so hat das im wesent­li­chen zwei Grün­de: Zum einen tra­gen ihm ein­fluß­rei­che Kol­le­gen nach, daß er ’68 nicht mit­ge­macht hat, und zum zwei­ten kön­nen sie ihm nicht ver­zei­hen, daß er mit sei­nen Dia­gno­sen und sei­nen Pro­gno­sen regel­mä­ßig recht behielt. Bre­zin­ka hat­te schon 1972 einen schma­len Band mit dem Titel Die Päd­ago­gik der Neu­en Lin­ken ver­öf­fent­licht, eine schar­fe Abrech­nung mit sei­nen Geg­nern in der Erzie­hungs­wis­sen­schaft. Er betrach­te­te die Macht­über­nah­me der Lin­ken in die­ser Dis­zi­plin nicht als iso­lier­tes Phä­no­men, son­dern als Fol­ge eines Ver­blen­dungs­zu­sam­men­hangs. Das fal­sche Men­schen­bild, die fal­sche Gesell­schafts­ana­ly­se des Mar­xis­mus und des Anar­chis­mus und die fal­sche Auf­ga­ben­be­stim­mung der Päd­ago­gik führ­ten letzt­lich dahin, daß die »Gesell­schaft … sich durch radi­ka­len Zwei­fel an allen ihren Wer­ten selbst zer­stört …, ohne daß von außen Gewalt ange­wen­det wor­den ist«.

Bre­zin­ka gehör­te Ende der sech­zi­ger, Anfang der sieb­zi­ger Jah­re zu der ganz klei­nen Zahl von Päd­ago­gen, die sich zum Wider­stand ent­schlos­sen. Man konn­te sei­ne Posi­ti­ons­be­stim­mung aber nicht als restau­ra­tiv bezeich­nen, er wuß­te, daß die »Emp­fäng­lich­keit für die päd­ago­gi­schen Ideen der Neu­en Lin­ken … neben ande­ren Grün­den auch auf schlech­te Erfah­run­gen mit den vor­han­de­nen Erzie­hungs­ein­rich­tun­gen und der erleb­ten Erzie­hungs­pra­xis« zurück­zu­füh­ren waren. In einer auto­bio­gra­phi­schen Auf­zeich­nung hat er deut­lich die Män­gel­der älte­ren Päd­ago­gik her­vor­ge­ho­ben, die nie aus dem Schat­ten der Phi­lo­so­phie her­aus­ge­tre­ten oder den Anfor­de­run­gen des Schul­be­triebs ent­kom­men war. Sei­ne eige­ne Kon­zep­ti­on des Fachs sah des­halb neben der klas­si­schen »Phi­lo­so­phie der Erzie­hung« und der »Prak­ti­schen Päd­ago­gik« aus­drück­lich eine »Erzie­hungs­wis­sen­schaft« vor, die, von empi­ri­schen Daten aus­ge­hend, theo­re­ti­sche Fest­stel­lun­gen über Metho­den und Zie­le zu tref­fen habe.

Anders als die Mas­se sei­ner Kol­le­gen woll­te er aber Wer­tun­gen – die in der Phi­lo­so­phie der Erzie­hung wie in der Prak­ti­schen Päd­ago­gik ihren selbst­ver­ständ­li­chen Platz besit­zen – aus der Erzie­hungs­wis­sen­schaft her­aus­hal­ten. Die damit ein­her­ge­hen­de Beto­nung kri­ti­scher Ratio­na­li­tät (im Sin­ne Karl Pop­pers) gehör­te in den sieb­zi­ger Jah­ren zum Habi­tus vie­ler (Neo-)Konservativer, zu deren wich­tigs­ten Ver­tre­tern man Bre­zin­ka zäh­len darf. Bre­zin­ka ver­ficht eine »Prak­ti­sche Päd­ago­gik des ›auf­ge­klär­ten Kon­ser­va­tis­mus‹«. Als deren Zen­trum betrach­tet er die Reha­bi­li­tie­rung der Tugend, die allein Erzie­hung zur »Lebens­tüch­tig­keit« verbürge.

Auch die Fra­ge, was das in con­cre­to bedeu­tet, hat Bre­zin­ka nicht unbe­ant­wor­tet gelas­sen: Erzie­hung muß sich der kon­kre­ten Daseins­ord­nung ver­ge­wis­sern, in der sie statt­fin­det, das heißt, sie ist bestimmt durch Kul­tur, Nati­on und Reli­gi­on, die ihren Rah­men bil­den. Lebens­tüch­tig­keit gibt es nicht an sich und auch nicht in bezug auf einen phan­ta­sier­ten Zukunfts­ent­wurf, son­dern nur in der Annah­me eines Kon­ti­nu­ums, das das Ges­tern, das Heu­te und das Mor­gen sinn­voll verbindet.

Schrif­ten: Von der Päd­ago­gik zur Erzie­hungs­wis­sen­schaft. Eine Ein­füh­rung in die Meta­theo­rie der Erzie­hung, Wein­heim 1971; Die Päd­ago­gik der Neu­en Lin­ken. Ana­ly­se und Kri­tik, Stutt­gart 1972; Grund­be­grif­fe der Erzie­hungs­wis­sen­schaft. Ana­ly­se, Kri­tik, Vor­schlä­ge, München/Basel 1974; Erzie­hungs­zie­le, Erzie­hungs­mit­tel, Erzie­hungs­er­folg. Bei­trä­ge zu einem Sys­tem der Erzie­hungs­wis­sen­schaft, München/Basel 1976; Erzie­hungs­zie­le in der Gegen­wart. Pro­ble­ma­tik und Auf­ga­ben für Fami­li­en und Schu­len, Donau­wörth 1984; Erzie­hung in einer wer­t­un­si­che­ren Gesell­schaft. Bei­trä­ge zur prak­ti­schen Päd­ago­gik, München/Basel 1985; Gesam­mel­te Wer­ke, 10 Bde. auf CD-ROM, Mün­chen 2007.

Lite­ra­tur: Sieg­fried Uhl (Hrsg.): Wolf­gang Bre­zin­ka. 50 Jah­re erleb­te Päd­ago­gik, München/Basel 1997.

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