Die Ostfrau als Avantgarde

51pdf der Druckfassung aus Sezession 51 / Dezember 2012

Die DDR beanspruchte für sich eine umfassende Vorreiterrolle unter den politischen Systemen. Die Parole des strikten Fortschrittsglaubens – »Vorwärts immer, rückwärts nimmer!« (Erich Honecker) – galt unbeschränkt und erst recht, als im Westen der skeptische Ansatz diverser »Rückbesinnungen« Fuß gefaßt hatte.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Der Lauf der Geschich­te hat den avant­gar­dis­ti­schen Anspruch wider­legt. Weder Ochs noch Esel brauch­te es, um den »Sozia­lis­mus in sei­nem Lauf« auf­zu­hal­ten. Die DDR dien­te im Rah­men des Eini­gungs­pro­zes­ses kei­nes­wegs als Stich­wort­ge­ber. Sie wur­de ein­fach zum Bei­tritts­ge­biet erklärt. Hier ver­schmol­zen nicht zwei Sys­te­me zu einem neu­en; die Bun­des­re­pu­blik wur­de um »fünf neue Län­der« plus Ost-Ber­lin vergrößert.

Skep­ti­ker kla­gen, daß all­zu­viel getilgt und »platt­ge­macht« wor­den sei. Mot­to: Es war ja nicht alles schlecht. Und was ist schon über­nom­men wor­den in die neue Groß­re­pu­blik, außer dem grü­nen Pfeil für Rechts­ab­bie­ger und ein paar Pro­duk­ten: Rot­käpp­chen-Sekt, Nudo­s­si und Hal­lo­ren-Kugeln, sämt­lich mit Retro-Charme statt mit Pop­äs­the­tik behaf­tet. Die ver­grö­ßer­te BRD behielt ihren prä­gen­den Sitz im Wes­ten. Hier sind bis heu­te die ton­ge­ben­den Medi­en­häu­ser ange­sie­delt, und deren Bericht­erstat­tung über die immer noch irgend­wie neu­en Län­der gleicht nach wie vor Kor­re­spon­den­ten­nach­rich­ten aus dem Aus­land. Das Gewicht ost­deut­scher Poli­ti­ker ist gering. Rund 20 Pro­zent der gelern­ten »Wes­sis« haben 23 Jah­re nach der Wen­de – glaubt man’s? – immer noch kei­ne Rei­se nach »drü­ben« gewagt, umge­kehrt ist der alte Teil kei­nes­wegs Ander­land geblie­ben. Über die Anzie­hungs­kraft des Wes­tens muß man weni­ge Wort verlieren.

Natür­lich gibt es gele­gent­lich Kla­gen über eine heim­li­che Infil­trie­rung durch DDR-Viren, die längst aus­ge­rot­tet schie­nen: Dräut ein neu­er Über­wa­chungs­staat? Sta­si 2.0? Sozi­al­staat­li­cher Aus­wuchs? Was ist mit der suk­zes­siv wei­chen­den Bin­dungs­kraft der Kir­chen und dem Schwin­den des drei­glied­ri­gen Schul­sys­tems? Und thro­nen nicht über allem die ost­deut­schen Gewäch­se Mer­kel und Gauck als obers­te Reprä­sen­tan­ten? Ja, das alles stimmt, und doch: ein all­ge­mei­ner Ost­wind ist nicht zu ver­mer­ken. Dem West­ler ist es all­ge­mein erlaubt, sen­ti­men­tal zurück­zu­bli­cken auf seli­ge­re Zei­ten. Das kön­nen je nach Geschmack die Ära Heuss sein oder die Jah­re um 1968. Der Ost­ler hat es schwe­rer. Er wür­de der Ost­al­gie bezich­tigt und fän­de Gehör bloß in lin­ken Klein­pu­bli­ka­tio­nen und bei »Unver­bes­ser­li­chen«.

Dabei exis­tiert neben den sub­ver­si­ven, teils unent­schie­de­nen Merk­ma­len einer »Ver­öst­li­chung« ein wei­tes Feld, das längst bun­des­weit ossi­fi­ziert wur­de, und zwar so gründ­lich, daß alte West­vor­stel­lun­gen nur noch als geis­ter­haf­te Relik­te im Raum schwe­ben: Es ist das Frau­en­bild, die Frau­en­po­li­tik mit all ihren Impli­ka­tio­nen von der »geschlech­ter­ge­rech­ten« Erzie­hung über die Mut­ter­schaft bis zur Rol­le der Frau im Wirtschaftsleben.

Die ost­deut­sche Frau ist Avant­gar­de. Und es gibt einen nahe­zu unhin­ter­frag­ten, gesamt­deut­schen Wunsch, zu die­sem Ide­al auf­zu­schlie­ßen. Nie­mand hat die­ses Leit­bild öffent­lich zur Iko­ne erho­ben, allen­falls erfährt die ost­deut­sche »Krip­pen­land­schaft« defi­ni­ti­ve Wür­di­gun­gen. Wert­ver­schie­bung und Rol­len­wech­sel gescha­hen so sub­ku­tan wie suk­zes­siv. Wer Avant­gar­de ist – der Begriff ent­stammt der fran­zö­si­schen Mili­tär­spra­che –, ist viel mehr als ein Trend­set­ter. Moden kön­nen jäh in ihr Gegen­teil umschla­gen, die Avant­gar­de hin­ge­gen gibt die Rich­tung an, in die fort­an aus­ge­schrit­ten wird.

Es gibt unge­zähl­te Punk­te im Bereich der Frau­en- und Fami­li­en­po­li­tik, in denen der Wes­ten der Ost­zo­ne hin­ter­her­hink­te. Die heu­te popu­lä­ren Ide­al­vor­stel­lun­gen vom Frau­en­da­sein (ob als Arbeits­tä­ti­ge, als Kon­su­men­tin oder als Mut­ter; ein­zi­ge Aus­nah­me dürf­te die durch­schnitt­li­che Rent­ne­rin sein) sind im Osten geleb­te Wirk­lich­keit. Und obwohl die Stich­wort­ge­ber sich wohl­weis­lich hüten, die­se Ost-Rich­tung auch so zu benen­nen – der Wes­ten, dem die Ost­frau­en para­do­xer­wei­se zwar die Türen ein­ren­nen, ist seit Jahr­zehn­ten mit der Auf­hol­jagd beschäf­tigt. Fast alles, was wir heu­te vor­fin­den an frau­en­po­li­ti­schen Bestre­bun­gen und Leit­bil­dern, hat­te die DDR mus­ter­gül­tig vor­ex­er­ziert. Wohl­ge­merkt, wie sich das für eine Dik­ta­tur frei­lich gehört, ohne Skan­dal­de­bat­ten (undenk­bar eine Schmutz­kam­pa­gne ver­gleich­bar mit der um Eva Her­man!), ohne Gen­der­in­sti­tu­te, ja über­haupt ohne Femi­nis­mus. Der wur­de in der DDR als schänd­li­che und spal­te­ri­sche Ver­ir­rung der Klas­sen­ge­sell­schaft gebrand­markt. Weg­ge­fal­len ist in der ver­grö­ßer­ten BRD der Rah­men, in den die Frau­en­po­li­tik des Ost­teils ein­ge­spannt war und der Wer­te und Leit­mo­ti­ve stramm­zurr­te, die heu­te obso­let sind. Näm­lich: Patrio­tis­mus, Bevöl­ke­rungs­po­li­tik und ein Wir-Gefühl, das sich abgrenz­te von »dem ande­ren«. Mit­hin schöpft der heu­ti­ge Staats­fe­mi­nis­mus nur selek­tiv – näm­lich unter der Blau­pau­se des Indi­vi­dua­lis­mus – aus dem Fun­dus der DDR-Frau­en­po­li­tik. Dies aber um so gründlicher.

In viel­fäl­ti­ger Hin­sicht lehr­reich ist die Lek­tü­re des kilo­schwe­ren, eng­be­druck­ten DDR-Schin­kens Klei­ne Enzy­klo­pä­die – Die Frau. Das von einem gelehr­ten Autoren­kol­lek­tiv ver­faß­te Hand­buch zu allen erdenk­li­chen The­men mit weib­li­cher Rele­vanz (von Haus­halts­or­ga­ni­sa­ti­on über »regel­wid­ri­ge Schwan­ger­schaf­ten«, die güns­ti­ge und anmu­ti­ge Kör­per­hal­tung beim War­ten auf den Bus, »Sexu­al­dif­fe­ren­zen im Krankheitsbefall«(sic!), Schmink­tech­ni­ken, alters­ge­mä­ße Klei­dung bis zur Bedeu­tung der »Frau im Kampf um den Frie­den«) ist 1961 erst­mals erschie­nen, bis 1989 erleb­te es zahl­rei­che Auf­la­gen. Es ist heu­te gebraucht zum Cent-Preis erhält­lich – ein Geschenktip!

Die gesamt­deut­sche Frau von heu­te müß­te meh­re­re Dut­zend Bücher ein­kau­fen, um der­art umfas­send über sämt­li­che All­tags- und Pro­blem­la­gen infor­miert zu sein. Kom­pen­di­en mit umfas­sen­dem Anspruch blü­hen nur in Gesell­schaf­ten, die sich mul­ti­pler Nar­ra­ti­ve ent­hal­ten. Hier gab es kei­ne miß­li­chen Lagen und kei­nen Grund zu jam­mern (übers Älter­wer­den, über Dis­kri­mi­nie­rung, über Pro­blem­kin­der). Es gab Her­aus­for­de­run­gen, die bewäl­tigt wer­den kön­nen – zum Teil mit beden­kens­wer­ten Anlei­tun­gen! Die sinn­stif­ten­de Groß­erzäh­lung hin­ter dem knapp tau­send­sei­ti­gen Leit­fa­den geht von einer vier­fa­chen Bestim­mung der Frau aus, ohne daß die­se Auf­ga­ben­fel­der als Belas­tun­gen apo­stro­phiert wor­den wären: Mut­ter, Haus­her­rin, Gefähr­tin des Man­nes, Erwerbs­tä­ti­ge. Die ech­ten Frau­en, das DDR-Lese­pu­bli­kum, mag viel­fäl­tig gestöhnt haben über die Zumu­tun­gen und staat­lich pro­pa­gier­ten Ver­brä­mun­gen des All­tags. Die papie­re­ne Richt­schnur jeden­falls liest sich heu­te in gro­ßen Tei­len als BRD-poli­ti­sches Wunschdenken.

Die Avant­gar­de der Ost­frau wird an unge­zähl­ten Punk­ten deut­lich. In Neben­schau­plät­zen alle­mal: So wur­de die Anre­de unver­hei­ra­te­ter Frau­en als »Fräu­lein« schon in frü­hen DDR-Jah­ren als inad­äqua­te und dis­kri­mi­nie­ren­de Anre­de gebrand­markt. West­deutsch­land zog Jahr­zehn­te spä­ter nach. Ähn­li­ches gilt für den stets am 8. März zele­brier­ten Frau­en­tag, den die Mar­xis­tin Cla­ra Zet­kin initi­ier­te. 1946 hat­te die sowje­ti­sche Besat­zungs­zo­ne ihn eta­bliert, in der neu­en BRD steht er erst seit weni­gen Jah­ren neben zahl­rei­chen wei­te­ren Frau­en­ge­denk­ta­gen auf der media­len Agen­da. Die kör­per­li­che Züch­ti­gung unar­ti­ger Zög­lin­ge wur­de in der DDR 1949 abge­schafft, in der BRD erst 1973. Ins­ge­samt hinkt im bei­der­seits frau­en­do­mi­nier­ten Bil­dungs­sek­tor der Wes­ten dem Osten deut­lich nach. Neu­es­te »Errun­gen­schaf­ten« wie die Auf­ga­be der Schreib­schrift zuguns­ten einer druck­buch­sta­ben­ähn­li­chen »Schul­aus­gangs­schrift«, die Ver­kür­zung der Gym­na­si­al­aus­bil­dung auf acht Jah­re, die Gesamt­schul­be­stre­bun­gen – die DDR hat­te all die­se heu­te als pro­gres­siv gel­ten­den Wege längst beschritten.

Bei Ehe­schlie­ßun­gen steht mitt­ler­wei­le selbst­ver­ständ­lich neben dem Nach­na­men des Man­nes der Name der Frau (oder ein Dop­pel­na­me) als Fami­li­en­na­me zur Ver­fü­gung; die Aus­wei­tung auf den Frau­en­na­men war in der DDR schon 1965 recht­mä­ßig – in der BRD erst 1976. Einer der mar­kan­ten Punk­te, in denen die DDR dem heu­ti­gen BRD-Leit­bild mus­ter­gül­tig vor­an­schritt, ist die Frau­en­er­werbs­tä­tig­keit. Die weib­li­che Berufs­tä­tig­keit unter­lag in der DDR der »allei­ni­gen Ent­schei­dung der Frau« und lös­te »die Ver­pflich­tung des Ehe­part­ners aus, in kame­rad­schaft­li­cher Rück­sicht­nah­me und Hil­fe das Vor­ha­ben zu unterstützen.«

In der BRD benö­tig­ten Frau­en hin­ge­gen bis 1977 die schrift­li­che Zustim­mung des Man­nes, wenn sie einer Berufs­tä­tig­keit nach­ge­hen woll­ten. 1980 waren in der DDR 73,2 Pro­zent aller Frau­en zwi­schen 15 und 60 Jah­ren erwerbs­tä­tig, in der BRD waren es 37 Pro­zent. Oft wird kri­ti­siert, daß die hohe Frau­en­er­werbs­quo­te der DDR wenig mit eman­zi­pa­to­ri­schen Leit­bil­dern zusam­men­hing, son­dern mit barer wirt­schaft­li­cher Not­wen­dig­keit. Allein Schel­me behaup­ten das glei­che von der bis heu­te jähr­lich stei­gen­den Frau­en­er­werbs­quo­te auch in den west­deut­schen Län­dern. Heu­te sind rund 82 Pro­zent (1989: 92 Pro­zent!) der ost- und rund 72 Pro­zent der west­deut­schen Frau­en im erwerbs­fä­hi­gen Alter in Lohn und Brot. Poli­ti­ker in Ost und West wün­schen einen wei­te­ren Anstieg – im Namen der weib­li­chen Selbst­ver­wirk­li­chung freilich!

Noch fol­gen­schwe­rer als die Fra­ge nach dem außer­häus­li­chen Enga­ge­ment ist die nach der Gebur­ten­re­ge­lung, auch wenn letz­te­re zum Scham­be­reich der Leit­ar­tik­ler und Feuil­le­to­nis­ten gehört. In den ers­ten Auf­la­gen der Frau war von Abtrei­bung kei­ne Rede. 1972 (zum Frau­en­tag!) trat in der DDR die Fris­ten­lö­sung in Kraft. In den ers­ten zwölf Wochen durf­te eine Frau die Schwan­ger­schaft ohne Wenn und Aber abbre­chen. Die Frau-Auf­la­gen ab 1972 (anthro­po­lo­gi­scher Ges­tus: »Der Mensch ist im Gegen­satz zum Tier imstan­de selbst zu ent­schei­den.«) ver­wen­den den euphe­mis­ti­schen Ter­mi­nus einer Schwan­ger­schafts­un­ter­bre­chung: als sei das Been­den ein Pau­sie­ren. Ver­si­che­rungs­recht­lich galt ein sol­cher Vor­gang als Krankheitsfall.

Die erst seit 1995 bun­des­weit gel­ten­de Rege­lung ist fak­tisch iden­tisch mit dem DDR-Para­gra­phen 153; die abtrei­bungs­wil­li­ge Frau muß sich zwar »bera­ten« las­sen, aber kei­ne Grün­de benen­nen. Schwan­ger­schafts­ver­hü­tung – Pil­le und Spi­ra­le – gab es in der DDR kos­ten­los, eine Ste­ri­li­sa­ti­on hin­ge­gen war strengs­tens indi­ziert. Immer­hin waren Frau­sein und Mut­ter­schaft in der DDR untrenn­bar ver­bun­den. Auch das zählt zu den (öko­no­misch begrün­de­ten) Wünsch­bar­kei­ten heu­ti­ger BRD-Poli­tik. Nur etwa zehn Pro­zent der DDR-Frau­en waren kin­der­los, in den sel­tens­ten Fäl­len absicht­lich, es gab kei­nen Schwer­punkt der Kin­der­lo­sig­keit bei Aka­de­mi­ke­rin­nen. Schwan­ger wur­de man bei­zei­ten (frü­her als im Wes­ten), Ein­zel­kin­der waren rar.

»In der gewoll­ten Kin­der­lo­sig­keit spie­gelt sich die Kri­se der kapi­ta­lis­ti­schen Gesell­schaft wider«, heißt es in Die Frau. Das Auf­zie­hen von Kin­dern erfor­de­re »rest­lo­se Hin­ga­be« und »das Zurück­stel­len ego­is­ti­scher Wün­sche.« Noch in jün­ge­ren Aus­ga­ben wur­de als »Not­wen­dig­keit« gefor­dert, »daß zur Erhal­tung der Bevöl­ke­rung in jeder Ehe mehr als zwei Kin­der gebo­ren wer­den. Kin­der­rei­che Fami­li­en erfah­ren in beson­de­rem Maße die Für­sor­ge des Staates.«

Bereits hier, 1961, wur­de mit auto­ri­tä­rer Stren­ge gefor­dert, daß sich Vater und Mut­ter Pfle­ge und Erzie­hung tei­len soll­ten. Frei­lich habe der Mann »sei­nen Teil der häus­li­chen Pflich­ten« zu über­neh­men. Die Frau hin­ge­gen dür­fe sich nicht der »Enge des Koch­topf­ho­ri­zonts« über­las­sen. Nur wenn sie sich fort­lau­fend geis­tig ent­wick­le, wer­de sie ihre Anzie­hungs­kraft bewah­ren. Apro­pos: Eine Schei­dung sei den­noch »kei­ne Schan­de«. Ein him­mel­wei­ter Unter­schied zu den Wert­vor­stel­lun­gen der alten BRD, kaum einer zu den heu­ti­gen. Unter­halts­zah­lun­gen des Man­nes (man beach­te die dahin­ge­hen­de Ent­wick­lung in der BRD!) waren nicht zu erwarten.

Emi­nent wich­tig war den DDR-Pro­pa­gan­dis­ten ein »früh­zei­ti­ges Hin­ein­wach­sen ins gesell­schaft­li­che Kol­lek­tiv«. Wo könn­te die staat­li­che Ver­ein­nah­mung und »Wer­te­ver­mitt­lung« bes­ser gesche­hen als in Krip­pen, Wochen­hei­men (durch­ge­hend von Sonn­tag­abend bis Frei­tag­nach­mit­tag), Kin­der­ta­ges­stät­ten und Hor­ten? Der Wes­ten ist erst mit deut­li­cher Ver­spä­tung auf die­sen Trich­ter gekom­men. Heu­te »bebrü­tet« noch jede zwei­te West­mut­ter ihr Klein­kind zu Hau­se, im Osten sind es nur an die 30 Pro­zent. Im Kin­der­gar­ten­al­ter hütet jede zwölf­te Ost­frau das Haus – im Wes­ten jede drit­te. Die Krip­pen­of­fen­si­ve will die­sem »Miß­stand« bis Mit­te 2013 abhel­fen und sich damit dem gelob­ten Ost­ni­veau annä­hern. Der­zeit wer­den im Osten rund 60 Pro­zent der Kin­der ab drei Jah­ren ganz­tags fremd­be­treut, im Wes­ten sind es »kläg­li­che« 17 Pro­zent. Der Trend weist dahin, die berüch­tig­te »Teil­zeit­fal­le« zu hintergehen.

Die Ost­frau, ohne gro­ße Baby­pau­sen aus­kom­mend und seit je im Beruf ihren Mann ste­hend, hat zu 94 Pro­zent des Män­ner­ver­diens­tes auf­ge­schlos­sen, wäh­rend West­frau­en noch auf 76 Pro­zent des männ­li­chen Gehalts­ni­veaus arbei­ten. Die Ten­denz des wirt­schaft­lich-poli­ti­schen und (medi­al ver­mit­tel­ten) weib­li­chen West-Wil­lens weist stark nach oben: Müt­ter an die Schreib­ti­sche, Kas­sen, Maschi­nen und Mana­ger­po­si­tio­nen! 30 Pro­zent beträgt der Frau­en­an­teil im Osten auf der Füh­rungs­ebe­ne pri­va­ter und öffent­li­cher Unter­neh­men, 44 Pro­zent in der zwei­ten Füh­rungs­ebe­ne. Dies ohne Quo­ten­pro­pa­gan­da: ein Bestand, von dem die – im Schnitt grö­ße­ren und inter­na­tio­na­ler aus­ge­rich­te­ten – West­un­ter­neh­men nach poli­ti­scher Maß­ga­be nur träumen.

Hier, in Schnell­ro­da, in der sach­sen-anhal­ti­schen Pro­vinz, sind unser Elek­tri­ker, unser Schlos­ser und unser Heiz­öl­fah­rer weib­lich, sie füh­ren das Geschäft und ihre Ange­stell­ten. In den Schu­len unse­rer Kin­der bestä­tigt sich das, was Ursu­la Sar­ra­zin (Hexen­jagd, Mün­chen 2012) für ihr Ber­li­ner Umfeld kri­tisch fest­ge­hal­ten hat: Die Leh­re­rin­nen sind sel­ten ein­ge­bet­tet in ein »bür­ger­li­ches Umfeld«. Deren Män­ner ver­die­nen nicht als Uni­do­zent oder Anwalt ihr Geld wie die Gat­ten der West­leh­re­rin­nen, son­dern eben­so­gut als Mau­rer oder Fernfahrer.

Anders als im Wes­ten ist hier das sta­tus­mä­ßi­ge weib­li­che Hei­rats­ver­hal­ten »nach oben« kei­nes­wegs die Norm. Und wei­ter: Die soge­nann­ten MINT-Fächer (Mathe, Infor­ma­tik, Natur­wis­sen­schaf­ten und Tech­nik), ansons­ten im Ruch, Pro­fi­lie­rungs­fä­cher für Jungs zu sein, wer­den hier auf deut­lich höhe­rem Niveau (und meist von Frau­en) unter­rich­tet, als wir selbst das von unse­rer (West-) Schul­zeit her ken­nen. Die Nach­ba­rin zur Lin­ken ist Maschi­nen­bau­in­ge­nieu­rin, die zur Rech­ten Kran­füh­re­rin, sie hal­ten bei­des für das Nor­mals­te der Welt. Frau tut, was sie kann, und zwar ohne eman­zi­pa­to­ri­sches Sen­dungs­be­wußt­sein. »Gegen­dert« sind die Leu­te den­noch nicht. Auf Fes­ten gibt es strikt die Frau­enecke (Sekt) und die Män­ner­bank (Bier und Schnaps). Femi­nis­ti­sche Befind­lich­keits­stö­run­gen: Fehl­an­zei­ge. Fami­liä­re Tele­fon­buch­ein­trä­ge pfle­gen hier (min­des­tens im Ver­hält­nis halb/halb) unter dem Namen der Frau zu lau­fen. 65 Pro­zent der sach­sen-anhal­ti­schen Neu­ge­bo­re­nen (zum Ver­gleich: 25 Pro­zent in Bay­ern) kom­men »unehe­lich« zur Welt, ein frag­los avant­gar­dis­ti­scher Trend.

2009 sang Ali­ce Schwar­zer im Inter­view mit der SUPERil­lu ein Lob­lied auf die ost­deut­sche Frau. Die West­frau­en habe man 40 Jah­re lang im Glau­ben gelas­sen, »daß sie nur den Fum­mel kau­fen müs­sen und alle Män­ner ren­nen sab­bernd hin­ter­her.« Im Osten sei­en Frau­en einer »rela­tiv gerin­ge­ren Ver­blö­dung« aus­ge­setzt gewe­sen. Dort sei die­se »Kau­fe und du bist glück­lich-Ideo­lo­gie« erst nach der Wen­de angekommen.

Schwar­zer spürt noch immer den Wider­stand ost­deut­scher Frau­en gegen­über dem Schön­heits- und Jugend­wahn. Die Dis­kus­sio­nen mit Frau­en in Erfurt oder Leip­zig sei­en ernst­haf­ter und genau­er als im Wes­ten, sagt die Femi­nis­tin. Die Frau­en­be­we­gung im Osten habe »zur Ver­bes­se­rung der Lage der Frau­en in Gesamt­deutsch­land bei­getra­gen«. Kor­ri­gie­rend darf man ein­schie­ben: zur Ver­än­de­rung. Man hüte sich, den Trä­gern die­ser »Avant­gar­de« kri­tik­los hinterherzumarschieren!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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